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08.09.2013

Interview mit der "Welt am Sonntag"

 

 

 

Welt am Sonntag: Herr Scholz, wie viele Rededuelle müsste Steinbrück noch bestreiten, um Merkel im Kanzleramt abzulösen?

 

Olaf Scholz: Jedes würde helfen. Schon das eine Fernsehduell hat gezeigt: Der Mann wäre ein guter Kanzler.

 

Welt am Sonntag: Die Union liegt in manchen Umfragen über 40, die SPD unter 25 Prozent. Haben Sie ein Rezept für die letzten Tage vor der Wahl?

 

Olaf Scholz: Ich bin kein Anhänger von Rezepten und auch nicht von Kaninchen, die man aus Hüten zaubert. Zumal wir ja wissen, dass die Zauberer sie vorher hineintun und sich in Wahrheit gar nichts bewegt hat. Der unerschrockene Wahlkampf der sozialdemokratischen Partei wird dazu beitragen, dass das Ergebnis besser ausfallen wird, als viele es zwischenzeitlich vorhergesagt haben.

 

Welt am Sonntag: Rot-Grün ist allenfalls als Minderheitsregierung vorstellbar wie seinerzeit in Nordrhein-Westfalen...

 

Olaf Scholz: Eine rot-grüne Mehrheit ist nicht ausgeschlossen. Dafür setzen wir uns ein. Eine Minderheitsregierung ist nicht denkbar in Deutschland.

 

Welt am Sonntag: Sie schließen jegliche Zusammenarbeit mit der Linkspartei nach der Bundestagswahl aus?

 

Olaf Scholz: Eine Zusammenarbeit mit der Partei Die Linke ist ausgeschlossen. Das heißt, weder Koalition noch Tolerierung kommen infrage. Man kann die größte Volkswirtschaft Europas nicht mit dieser Partei regieren. In Deutschland müssen Regierungsparteien die Notwendigkeit solider Haushalte erkennen.

 

Welt am Sonntag: Was sagen Sie jenen, die nicht glauben wollen, dass Ihr Parteivorsitzender genauso denkt?

 

Olaf Scholz: Mein Parteichef denkt so wie ich.

 

Welt am Sonntag: Wie lange gilt die Absage an Rot-Rot-Grün oder R2G, wie manche sagen?

 

Olaf Scholz: Wir haben eine Aussage für die gesamte Legislaturperiode gemacht, und ich gehe davon aus, dass die Partei Die Linke auch in vier Jahren Positionen einnimmt, mit denen sie an keiner Bundesregierung beteiligt sein kann. R2G habe ich auch irgendwann einmal gehört und musste mir dann von Eingeweihten erklären lassen, was das bedeuten soll. Sehr komisch. Diese Konstellation hat keine Perspektive.

 

Welt am Sonntag: Welchen Zweck soll der Parteikonvent erfüllen, den Gabriel für die Woche nach der Wahl einberufen hat?

 

Olaf Scholz: Nach der Wahl gibt es etwas zu besprechen. Zum Beispiel, wie wir die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen führen.

 

Welt am Sonntag: Gabriel hat die Grünen aufgeschreckt, als er die Steuererhöhungspläne der SPD relativiert hat. Trittin sprach von Hasenfüßigkeit und von vorauseilenden Koalitionsverhandlungen mit der Union. Können Sie den Spitzenkandidaten beruhigen?

 

Olaf Scholz: Was die SPD will, hat sie in ihr Wahlprogramm geschrieben. Der Parteivorsitzende vertritt exakt dieses Programm.

 

Welt am Sonntag: Jedenfalls betont er neuerdings, Steuerzahlen nicht sexy zu finden.

 

Olaf Scholz: Ich glaube, auch Herr Trittin würde nicht das Gegenteil sagen.

 

Welt am Sonntag: Wenn die SPD regiert, steigen die Steuern auf jeden Fall?

 

Olaf Scholz: Um Peer Steinbrück zu zitieren: Es werden für einige wenige die Steuern ein wenig höher ausfallen, um die großen Aufgaben, vor denen unser Gemeinwesen steht, zu bewältigen und die Schuldenlast zu verringern.

 

Welt am Sonntag: Hängt es auch von der Entwicklung in den europäischen Krisenstaaten ab, wie stark die Bürger in Deutschland belastet werden?

 

Olaf Scholz: Was wir politisch wollen, ist unabhängig von der Schuldenkrise in der Euro-Zone. Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Deutschland profitiert sehr von Europa und hat daher eine Solidaritätsverpflichtung. Inzwischen sind ja auch der Finanzminister und die Kanzlerin so ehrlich zu sagen, dass Griechenland noch einmal Hilfe braucht. Das hätte man auch früher schon sagen können. Dann würden weniger Bürgerinnen und Bürger mit dem Gefühl herumlaufen, dass nicht alles auf den Tisch kommt, was auf den Tisch gehört.

 

Welt am Sonntag: Hilft das der eurofeindlichen AfD?

 

Olaf Scholz: Darüber mache ich mir wenig Gedanken. Das politische Konzept dieser Partei ist kaum geeignet, unser Land voranzubringen. Ich bin sehr froh darüber, dass Deutschland, anders als andere Staaten, ein europapolitischer Grundkonsens eint. Wenn man Populismus aufhalten will, dann muss man immer ehrlich sein. Frau Merkel hätte am Anfang der Debatte besser nicht gesagt: Wir geben den Griechen nichts.

 

Welt am Sonntag: Merkel zweifelt an der Verlässlichkeit der SPD in Europafragen...

 

Olaf Scholz: Mit solchen Äußerungen tut sie sich keinen Gefallen. Jeder kann sehen, wie es in anderen Ländern in Europa zugeht. Da gibt es kaum eine Opposition, die in dieser so wichtigen Frage der Regierung so oft über die Hürden geholfen hat. Das hat die SPD gemacht. Die Kanzlerin hätte in mehreren Abstimmungen ohne die SPD nicht die richtigen Mehrheiten zustande bekommen.

 

Welt am Sonntag: Steinbrück hat im TV-Duell einen Vorstoß zur Entlastung der staatlichen Haushalte unternommen. Er will die Entwicklung der Beamtenpensionen an die der gesetzlichen Rente koppeln. Folgt die SPD ihrem Kanzlerkandidaten oder war das ein Versprecher?

 

Olaf Scholz: Da ist eine künstliche Aufregung entstanden, die in der Sache nicht berechtigt ist. Alle wissen, dass es in den letzten Jahren mehrere Reformen bei den Gehältern und Pensionen von Beamten gegeben hat. Zum Beispiel ist die Dynamik der Pensionserhöhung reduziert worden zugunsten der Bildung von Rücklagen. An diesen Prozess hat Peer Steinbrück erinnert, mehr nicht.

 

Welt am Sonntag: Mit dieser Argumentation hat auch Gabriel versucht, die Debatte zu beenden nachdem er sich für ein Tempolimit auf Autobahnen und die Abschaffung von Hausaufgaben ausgesprochen hatte. Wie viel Gewicht hat das Wort des amtierenden SPD-Chefs?

 

Olaf Scholz: Sein Wort hat natürlich Gewicht. Ein Parteivorsitzender hat nicht die Aufgabe, sich auf die Rolle eines Pressesprechers zu reduzieren, der eins zu eins wiedergeben muss, was alle anderen denken. Sicherlich vertritt er, was die SPD vertritt. Aber Sigmar Gabriel kann sicher in der einen oder anderen Frage auch mal sagen, welche Meinung er nur persönlich vertritt.

 

Welt am Sonntag: Wie stark muss die SPD am 22. September werden, damit Gabriel Parteichef bleiben darf?

 

Olaf Scholz: Das Wahlergebnis wird besser sein als das, was uns zugetraut wird.

 

Welt am Sonntag: Was ist besser geworden, seit Gabriel die Führung der Sozialdemokraten übernommen hat?

 

Olaf Scholz: Die SPD hat sich eindeutig berappelt. Sie hat Zuversicht gewonnen und ist bei mehreren Landtagswahlen sehr erfolgreich gewesen. In Hamburg sind wir stolz darauf, dass wir die absolute Mehrheit erreicht haben...

 

Welt am Sonntag: ... die Sie nicht ernsthaft als Verdienst von Sigmar Gabriel verkaufen wollen.

 

Olaf Scholz: Die SPD ist, was die letzten Wahlen betrifft, eine sehr erfolgreiche Partei. Wir stellen in vielen Ländern neu den Regierungschef. Die Umfragen im Bund sind nicht so, wie wir sie uns wünschen würden. Das leugnet auch niemand. Aber sie werden ja gerade besser.

 

Welt am Sonntag: Merkel schließt eine Neuauflage der Großen Koalition ausdrücklich nicht aus. Und Sie?

 

Olaf Scholz: Frau Merkel wird von ihren Beratern gehört haben, dass sie uns irgendwie loben soll, weil die sozialdemokratischen Minister der Großen Koalition 2005 bis 2009 eine eindrucksvolle Leistungsbilanz vorweisen können. Trotzdem: Wir wollen Rot-Grün.

 

Welt am Sonntag: Wie können die Grünen ihren Absturz in den Umfragen dämpfen?

 

Olaf Scholz: Ich habe den Grünen keine Ratschläge zu erteilen. Den Regierungswechsel schaffen nur beide Parteien zusammen. Diese Konstellation ist übrigens bei den Wählerinnen und Wählern deutlich beliebter als die schwarz-gelbe.

 

Welt am Sonntag: Sie haben die Hamburger SPD einmal als Alleinerbin der sozialliberalen Ära bezeichnet. Gilt das auch für die Bundespartei?

 

Olaf Scholz: Ich finde, die SPD sollte das sozialliberale Erbe antreten. Es kommt darauf an, wirtschaftliche und soziale Fragen nicht als Gegensatz, sondern als Einheit zu begreifen. Die FDP hat dieses Erbe ausgeschlagen. Es ist bei der SPD gut aufgehoben.

 

Welt am Sonntag: Dazu müsste die SPD wirtschaftsfreundlicher werden.

 

Olaf Scholz: Die SPD verfügt über eine große Zahl von Männern und Frauen, die wirtschaftlich pragmatisch sind. Und alle wissen, dass Deutschland auch wegen der Reformen des sozialdemokratischen Kanzlers Schröder gut dasteht.

 

Welt am Sonntag: Ein Szenario: Union und FDP verfehlen knapp die Mehrheit, und die Sondierungen für ein Regierungsbündnis verlaufen über Wochen und Monate ergebnislos. Dann könnte der Bundespräsident zum Kanzlermacher werden. Artikel 63 des Grundgesetzes verleiht ihm das Vorschlagsrecht für die Kanzlerwahl. Sein Kandidat muss nicht der stärksten Fraktion angehören. Er braucht nicht einmal einen Sitz im Bundestag...

 

Olaf Scholz: Eines zeigen Ihre Spekulationen doch: So einfach, wie sich das einige in den letzten Monaten gedacht haben, ist die Sache jedenfalls nicht. Wenn Frau Merkel der eine Koalitionspartner abhandenkommt, steht nicht schon der nächste bereit.

 

Welt am Sonntag: Es gibt Vermutungen, der Bundespräsident könnte Sie dem Bundestag zur Wahl vorschlagen. Ist das schon nach Hamburg durchgedrungen?

 

Olaf Scholz: Ehrlicherweise nicht. Selten so gelacht. Den Hamburgern habe ich versprochen, dass ich die gesamte Legislaturperiode bleibe und 2015 wieder kandidiere.

 

Welt am Sonntag: Können Sie Kanzler, Herr Scholz?

 

Olaf Scholz: Ich kann Bürgermeister. Und das ist doch schon einmal gut.

 

Welt am Sonntag: Sie haben namhafte Unterstützer. Wolf Biermann rühmt Sie in der "Zeit" als echt sozialen und wirklich demokratischen Politiker: "Den wähle ich, falls Angela Merkel mal andere Esel zu kämmen hat."

 

Olaf Scholz: Wolf Biermann ist ein netter Mann. Und ich bin wie er richtig feststellt sein Bürgermeister.

 

Welt am Sonntag: Als ewiger Bürgermeister werden Sie nicht enden wollen...

 

Olaf Scholz: Bürgermeister der Stadt Hamburg gewesen zu sein ist durchaus etwas, das man einmal als ein gelungenes politisches Leben beschreiben kann.

 

Welt am Sonntag: Der Zensus hat Hamburg ein Haushaltsproblem verschafft. Weil die Hansestadt weniger Einwohner hat als angenommen, ist sie im Länderfinanzausgleich wieder zum Geberland geworden. Sie könnten sich der Verfassungsklage von Bayern und Hessen anschließen...

 

Olaf Scholz: Diese Erhebung ist offensichtlich schiefgegangen. Es gibt unzählige Widersprüche. Unsere Daten sind völlig andere als die Stichprobenergebnisse des Zensus. Ich bin dafür, eine Vollerhebung durchzuführen und die Zensus-Daten nicht zu benutzen. Im Übrigen gibt es eine Solidaritätsverpflichtung in Deutschland, zu der wir auch stehen. Daher werden wir uns der Klage von Bayern und Hessen nicht anschließen.

 

Welt am Sonntag: Ist es Zeit, die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern von Grund auf neu zu regeln?

 

Olaf Scholz: Wir müssen in der nächsten Wahlperiode vieles neu verhandeln, nicht nur den Länderfinanzausgleich. Die Schuldenbremse zwingt die Länder dazu, ab 2020 keine neuen Schulden zu machen. Der Solidarpakt für den Aufbau Ost endet 2019, und der Solidaritätszuschlag verliert seine Begründung.

 

Welt am Sonntag: Was folgt daraus?

 

Olaf Scholz: Ich bin dafür, das Aufkommen des Solidaritätszuschlags zu nutzen, damit die Länder Spielräume gewinnen, ihre jahrzehntelang gewachsenen Schulden zurückzuzahlen. Das würde Deutschland auch international helfen.

 

Welt am Sonntag: Sie reklamieren den Soli für die Länder?

 

Olaf Scholz: Den Solidaritätszuschlag kann es nicht begründungsfrei über 2019 hinaus geben. Ich habe schon vor einem Jahr dazu einen Vorschlag zur Diskussion gestellt. Die Reaktionen waren sehr freundlich. Und natürlich brauchen wir eine gemeinsame Schuldenpolitik von Bund und Ländern. In diesem Sinne hat es ja gerade eine gemeinsame Anleihe von Bund und Ländern gegeben.

 

Welt am Sonntag: Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Papier, hat die Fusion von Bundesländern angeregt, um die Vorgaben der Schuldenbremse zu erfüllen.

 

Olaf Scholz: Das ist kein überzeugender Vorschlag. Strukturschwache Regionen werden weiter Unterstützung brauchen auch dann, wenn sie Teil größerer Bundesländer sind. Das Einsparpotenzial durch die Konzentration von Aufgaben darf nicht überschätzt werden.

 

Welt am Sonntag: Hamburg als Hauptstadt, Olaf Scholz als Ministerpräsident eines Nordstaats können Sie sich das gar nicht vorstellen?

 

Olaf Scholz: Sie denken immer nur an meine Karriere (lacht). Es gibt Traditionen. Hamburg ist die wahrscheinlich älteste Stadtrepublik Europas. An der Tradition werden wir nicht rütteln. Und: Hamburg und die Metropolregion sind zusammen sehr erfolgreich, die norddeutschen Länder kooperieren bereits auf vielen Feldern.

 

Das Interview führten Jochen Gaugele und Claus Christian Mahlzahn

 

Das Interview in der Welt am Sonntag