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16.09.2013

Interview mit Spiegel Online zum Netzkauf

 

Spiegel Online: Herr Bürgermeister, Sie persönlich sprechen sich entschieden gegen einen Rückkauf der Energienetze in Hamburg aus. An Ihrer Seite stehen unter anderem CDU, FDP und die Wirtschaftsverbände - ist das nicht eine seltsame Koalition für einen sozialdemokratischen Bürgermeister?

Olaf Scholz: Na ja, immerhin habe ich auch Gewerkschaften und Betriebsräte auf meiner Seite. Wir haben uns schon vor dem Regierungswechsel 2011 dafür eingesetzt, ein Viertel der Netze zu kaufen. Was uns in der Energiepolitik wichtig ist, setzen wir über diese Minderheitsbeteiligung durch.

Spiegel Online: Dann erklären Sie doch mal, warum 25,1 Prozent Netzbeteiligung gut, 100 Prozent aber schlecht sind. Das ist ja deutschlandweit eine einmalige Position, die Hamburg da vertritt.

Olaf Scholz: Wir haben mit den Energieversorgungsunternehmen vereinbart: Die Stadt übernimmt - solide finanziert - 25,1 Prozent an den Versorgungsnetzen und erhält strategischen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der Unternehmen. Gleichzeitig verpflichten sich die Unternehmen, am Standort Hamburg rund 1,6 Milliarden Euro in Projekte der Hamburger Energiewende zu investieren. Zum Beispiel in Wärmespeicher oder ein hochmodernes Gas- und Dampfturbinenkraftwerk. Das alles gewinnen wir.

Spiegel Online: Was wäre denn anders, wenn die Stadt 100 Prozent der Netze besitzt?

Olaf Scholz: Wir würden zum Beispiel das komplette unternehmerische Risiko tragen - und bei der Energiewende keinen Schritt weiter kommen. Denn die für die Energiewende wichtigen Investitionen finden nicht im Netz, sondern zum Beispiel bei den Erzeugungsanlagen statt. Und: Für unsere 25,1 Prozent bekommen wir von Vattenfall eine Garantiedividende - so können wir sicher sein, dass wir nicht irgendwann mehr für die Zinsen zahlen, als wir mit dem Netzbetrieb verdienen.

Spiegel Online: Wie realistisch ist eigentlich der immer wieder genannte Kaufpreis von zwei Milliarden Euro?

Olaf Scholz: Wir haben eine ordentliche Wertermittlung vornehmen lassen und auf deren Basis für 25,1 Prozent gut 544 Millionen Euro bezahlt....

Spiegel Online: ... mal vier macht dann gut zwei Milliarden.

Olaf Scholz: Darin fehlt allerdings der Zuschlag, den man normalerweise dafür zahlen muss, dass man die Mehrheit übernimmt.

Spiegel Online: Das einfache Hochrechnen, 25 Prozent mal vier, funktioniert also nicht?

Olaf Scholz: Man muss vermuten, dass der Komplettrückkauf teurer wird als zwei Milliarden.

Spiegel Online: Die Initiative für den Netzrückkauf weist darauf hin, dass mit den Netzen auch Geld zu verdienen ist. Sehen Sie das nicht so?

Olaf Scholz: Natürlich kann man das - dafür haben wir ja auch als Gegenleistung 544 Millionen Euro bezahlt. Die Illusion, die die Werbebroschüren der Initiative "Unser Hamburg, unser Netz" verbreitet, ist aber: Man wird risikolos reich. Die Wahrheit ist, dass es auch schiefgehen kann. Und warum sollte die Stadt dieses Risiko eingehen, wenn sie die Ziele auch anders erreichen kann? Übrigens: vor wenigen Jahren haben manche ihr Geld in Schiffsbeteiligungen angelegt und dachten auch, dass sie damit ein gutes Geschäft machen. Jetzt haben viele ihr Geld verloren.

Spiegel Online: Aber Unternehmen wie Vattenfall wollen ihre Netze partout nicht hergeben, eben weil sie gut verdienen. Und auch andere Kommunen sind finanziell gut mit dem Netzbetrieb gefahren.

Olaf Scholz: Viele Unternehmen und kommunale Netzbetreiber fürchten, dass sie in die Verlustzone rutschen könnten. Die Bundesnetzagentur reguliert scharf. Es ist möglich, mit dem Netzbetrieb Geld zu verdienen. Sicher ist das aber nicht. Man muss das Geschäft sehr, sehr gut beherrschen.

Spiegel Online: Mit anderen Worten: Die Hamburger Verwaltung ist zu blöd, um die Netze ebenso effizient zu betreiben wie die Energiekonzerne?

Olaf Scholz: Die Hamburger Verwaltung arbeitet vorbildlich. Dennoch ist es zumindest eine kühne Vermutung, dass uns das auf alle Fälle gelingt. Wenn es schiefgeht, dann sitzen wir in mehreren Fallen: Wir hätten die Netze auf Pump erworben, wir müssten uns ständig refinanzieren und möglicherweise höhere Zinsen zahlen als heute. Und wir hätten auch keine Garantie mehr, dass wir eine vernünftige Dividende bekommen. Denn wir hätten ja keinen Geschäftspartner mehr, der die Garantie übernimmt.

Spiegel Online: Wenn Sie die Hamburger Energieversorgung noch einmal ganz von Neuem planen könnten - gehörten die Netze dann eher in private oder eher in öffentliche Hand?

Olaf Scholz: Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich den damaligen Verkauf der Hamburgischen Electricitätswerke und von HeinGas für eine schlechte Idee halte. Allerdings muss man sagen: Wenn Hamburg die HEW noch besäße, würden uns einige Atomkraftwerke gehören, von denen nur noch eins läuft und die anderen stillgelegt sind. Hamburg ist ja von Atomkraftwerken umzingelt worden, wie ich aus der Zeit noch weiß, als ich als junger Mann an Demonstrationen gegen diese teilgenommen habe. Und deshalb weiß ich gar nicht, wer am Ende jetzt das schlechtere Geschäft gemacht hat. Also: Verkaufen war wohl nicht schlau, zurückkaufen ist auch nicht schlau.

Spiegel Online: Sie fahren eine aufwendige Werbekampagne gegen die Rekommunalisierung. Wer bezahlt die eigentlich?

Olaf Scholz: Da wo SPD draufsteht, bezahlt es die SPD. Da wo andere draufstehen, bezahlen es andere. Das kann man auf den Plakaten lesen. Die Stadt Hamburg bezahlt nichts davon.

Spiegel Online: Gibt es Dinge, wie zum Beispiel den Netzrückkauf, die zu kompliziert sind, als dass man sie in einem Volksentscheid packen sollte?

Olaf Scholz: Ich bin für Volksentscheide, deshalb ist es auch in Ordnung, dass die Frage "Netze kaufen oder nicht?", so entschieden wird. Auch wenn wir überall hören, dass die Frage, wem die Energienetze gehören, für die Bürgerinnen und Bürger relativ weit hinten auf der Tagesordnung steht. Und jetzt, wo sie von uns gebeten werden eine Entscheidung zu treffen, runzeln manche die Stirn und fragen: Warum wähle ich Politiker und bezahle die, wenn die mir dann die Entscheidung zurückgeben?

Spiegel Online: Was antworten Sie auf diese Frage?

Olaf Scholz: Es gibt einen einfachen Weg, um auch in so komplizierten Fragen wie dem Netzrückkauf die richtige Entscheidung zu treffen: Informieren Sie sich. Und vertrauen Sie im Zweifelsfall dem Rat Ihres Bürgermeisters!

Spiegel Online: Sigmar Gabriel bezeichnet die Energiewende als Programm für die Deindustrialisierung Deutschlands. Teilen Sie diese Meinung?

Olaf Scholz: Die Energiewende muss gelingen. Sie ist für den Wohlstand unseres Landes von größter Bedeutung. Wenn man sich die industrielle Struktur unseres Landes ansieht, dann weiß man, dass 70 Prozent des Stroms für Wirtschaft und Industrie benötigt werden. Das wird nicht überall wahrgenommen. Und da hat Sigmar Gabriel den Finger zu Recht in eine Wunde gelegt.

Spiegel Online: Energieminister in einer SPD-geführten Bundesregierung - würde Sie der Job reizen?

Olaf Scholz: Nein. Falls Sie da Zweifel haben, machen wir gerne noch einen Rundgang durch die erste Etage des Hamburger Rathauses. Dann wissen Sie, dass ich den schönsten Arbeitsplatz habe, den man sich als Politiker wünschen kann. Ich habe versprochen, dass ich auch 2015 bei der nächsten Bürgerschaftswahl wieder kandidieren werde, und dabei bleibt es.

 

Das Interview führten Christian Rickens und Nicolai Kwasniewski.

Das Interview bei Spiegel Online