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14.09.2013

Interview mit der Oberhessen Presse

 

 

 

Oberhessen Presse: Welche Maßnahmen sind nötig, um dem drohenden Fachkräftemangel entgegen zu treten?

Olaf Scholz: Wir müssen zweigleisig fahren. Die Zahl derer, die nach der Schule ohne berufliche Qualifikation bleibt, muss kleiner werden. Ein Fünftel aller 30-Jährigen ist ohne jegliche berufliche Qualifikation.  Gleichzeitig müssen wir bei denjenigen, die schon älter sind, versuchen neue Einstiegsoptionen zu eröffnen, indem wir dort mit Aktivierungs- und Qualifizierungsmaßnahmen arbeiten.

 

Vor allem brauchen wir für diejenigen eine solche Option, die jetzt in den Betrieben als Ungelernte tätig sind. Wenn dort ein Arbeiter mit 32 Jahren noch eine Lehre machen will, steht er vor großen Schwierigkeiten. Selbst wenn der Betrieb ihn behalten will, würde er als Auszubildender im ersten Lehrjahr weniger Geld als vorher verdienen. Das ist zum Beispiel für jemanden, der schon Kinder hat, sehr kompliziert zu organisieren. Für eine berufliche Qualifizierung, auch im Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses, gibt es durchaus Programme in Deutschland, die man aber ausweiten müsste. Ein Teil der Fachkräftereserve ist schon in den Betrieben tätig. Wenn wir dort Förderprogramme entwickeln, können wir gleichzeitig individuelle Schicksale verbessern und den Unternehmen helfen.


Oberhessen Presse: Würden Sie die Ausbildung und Integration ausländischer Jugendlicher beispielsweise aus den südeuropäischen Ländern demnach der Förderung des hier vorhandenen Potenziales hintenan stellen?

Olaf Scholz: Nein, so denke ich nicht. Ich bin da nicht für eine Priorisierung. Wir haben einen einheitlichen europäischen Arbeitsmarkt und 220 Millionen Arbeitskräfte, die sich in Europa frei einen Arbeitsplatz suchen können. Daher ist es normal, dass unter denjenigen, die in Deutschland einen Ausbildungsplatz suchen, auch Arbeitnehmer aus den Krisenländern wie Spanien oder Portugal sind. Ich bin dafür, dass wir dort helfen. Aber wir dürfen deshalb nicht den Blick abwenden von denjenigen, die bei uns im eigenen Land auch eine Ausbildung suchen. Das ist ja kein Gegensatz. Daher habe ich darauf verwiesen, wie viele mit 30 Jahren immer noch ohne Berufsabschluss sind. Auch unter diesen können wir welche finden, die Deutschland helfen, dem Fachkräftemangel zu begegnen.

Oberhessen Presse: Mittlerweile werden gesetzliche Regelungen wie etwa die Leiharbeit aber immer häufiger genutzt, um Löhne zu senken. Wie soll Lohndumping verhindert werden?

Olaf Scholz: Es gibt ja in der Leiharbeit endlich einen Mindestlohn. Das ist aber nur der erste Schritt. Wir brauchen nun ein Gesetz, das regelt, dass gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt wird. Wenn ein Arbeitnehmer in einem Betrieb für längere Zeit eingesetzt wird, dann muss klar sein, dass er dafür auch den gleichen Lohn erhält wie die festangestellten Arbeitnehmer. Das ist der einzige Weg, Lohndumping zu vermeiden und würde wahrscheinlich zu mehr Übergängen in Festanstellung führen. Momentan ist es natürlich zu verlockend für manche Betriebe, schlechte Löhne zu zahlen.

 

Was wir brauchen, ist neben weiteren Branchenmindestlöhnen, die es auf der Basis des neuen Entsendegesetzes gibt, auch ein flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Dann haben wir nach unten Sicherheit. Auch die Zahl derjenigen, deren Lohn über Tarifverträge geregelt ist, sollte wieder zunehmen. Da ist mehr Zusammenarbeit gefragt, in dem Sinne, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände eine neue Gemeinsamkeit entwickeln. Auch Arbeitgeber sollten vernünftige Löhne als eine Stärke unseres Wirtschaftsstandortes sehen.


Oberhessen Presse: Sie haben es sich in Hamburg zum Ziel gesetzt, 6 000 Wohnungen jährlich zu bauen. Dieses Ziel haben Sie nun zum zweiten Mal in Folge verfehlt. Was also können Sie und andere Städte tun, um dem Problem gerecht zu werden? Marburg ist keine Großstadt, dennoch gibt es angesichts der hohen Studentenzahlen Probleme mit der Anzahl und Bezahlbarkeit der Wohnungen.

Olaf Scholz: Wir haben letztes Jahr fast 9 000 Baugenehmigungen erteilt, in diesem Jahr werden es ähnlich viele. Natürlich gibt es wenn es vorher nur sehr wenig  Wohnungsbau gegeben hat eine Verzögerung, bis die genehmigten Wohnungen auch gebaut sind. Es werden vielleicht nicht alle Vorhaben umgesetzt, aber die allermeisten. Das geht nur, wenn man mit aller Kraft daran arbeitet, neue Baurechte zu schaffen und Gebiete auszuweisen, in denen Wohnungen gebaut werden können. Gleichzeitig muss natürlich sichergestellt werden, dass bei Sozialwohnungen das Grundstück nicht an den verkauft wird, der das meiste bietet, sondern an den mit dem besten Konzept. Bei jedem größeren Bauvorhaben sollte immer ein Drittel geförderter Wohnungen dabei sein. Wenn man diese Anstrengungen überall unternimmt, kann man die Ziele auch erreichen. Es geht allerdings nicht wie bei Sim City oder RamaCity am PC oder Smartphone, wo man heute baut und morgen alles fertig ist.

Oberhessen Presse: In Hamburg steht neben der Bundestagswahl auch die Volksabstimmung über den Rückkauf der Energienetze an. Halten Sie Volksentscheide auf kommunaler Ebene auch in anderen Orten für sinnvoll?

Olaf Scholz: Ich bin immer ein Anhänger von Volksentscheiden gewesen. Dies gilt zum Einen für die kommunale Ebene. Ich bin aber auch der Meinung, dass wir Abstimmungen bei wichtigen Gesetzesentwürfen bundesweit möglich machen sollten. Das ist aber eine Frage, die der Bundestage beantworten muss.