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25.03.2012

Jahresessen der Niederländischen-Armen-Casse

 

Sehr geehrter Herr de Chapeaurouge,

sehr geehrter Herr Konsul Wethmar,

sehr geehrter Herr Schlüter,

meine sehr geehrten Herren,

 

 

herzlichen Dank für die Einladung zum Jahresessen der Niederländischen Armen-Casse. Es ist mir eine Ehre, bei dieser traditionsreichen Hamburgischen Stiftung zu Gast zu sein.

 

Vor mehr als 400 Jahren wurde diese Wohltätigkeitsorganisation von geflüchteten niederländischen Kaufleuten gegründet. Dass eine Stiftung so lange überdauert, grenzt in unserer schnelllebigen Zeit an ein kleines Wunder und ist aller Ehren wert.

 

Wer sich über die Stiftung informieren will, der kommt im Internet nicht weit. Google schweigt sich zu ihr aus. Man muss schon zu so etwas Altmodischem wie einem Buch über die Geschichte Ihrer Stiftung greifen, um mehr herauszufinden. (Dieses Buch hat übrigens schon lange vor der Erfindung des Internets seinen Weg in den Bestand der Senatskanzlei gefunden.)

 

Die Niederländische Armen-Casse steht in der hanseatischen Kaufmannstradition. Und ehrbare hanseatische Kaufleute helfen anderen nach der Maxime: Tue Gutes und schweige darüber.

 

Diese Diskretion und diese Tiefstapelei sind bemerkenswert in einer Zeit, in der die Auffassung herrscht, ohne Marketing und PR gehe gar nichts. 

 

Ihre Diskretion wird sicher auch von denjenigen geschätzt, denen Ihr soziales Engagement zugutekommt; den sogenannten verschämten Armen: Unternehmer, die unschuldig bankrott gegangen sind, Schauspielerinnen, die nicht mehr in  sind, Künstler, die kein Publikum finden.

 

Und noch etwas finde ich bemerkenswert: Die Mitglieder der Niederländischen Armen-Casse spenden nicht nur Geld. Sie geben nicht nur etwas von ihrem Erfolg ab. Sie versuchen auch, den Bedürftigen zu helfen, ihre Selbstständigkeit zurückzugewinnen.

 

Im Kern folgt ihre Stiftung damit Prinzipien, die schon seit Langem unsere Gesellschaft zusammenhalten.

Wir wollen, dass sich Anstrengung auszahlt.

Wir wollen, dass derjenige, der sich Mühe gibt, auch sein Leben damit verbessern kann.

Und wir wollen, dass niemand am Wegesrand zurückgelassen wird.

 

Meine Herren,

der Hamburgische Senat arbeitet nach diesen Prinzipien. Und er wirbt öffentlich für sie.

 

Nach meiner tiefen Überzeugung ist Solidarität kein Luxus. Nichts, was wir uns nur dann leisten sollten, wenn es uns gut geht und wir etwas übrig haben.

 

Solidarität ist die Voraussetzung dafür, dass eine auf Erwerbstätigkeit basierende Gesellschaft dauerhaft funktioniert. Denn es gefährdet ihren Zusammenhalt, wenn große Teile der Bevölkerung außen vor bleiben.

 

Eine Erwerbsgesellschaft erwartet zu Recht von ihren Mitgliedern, dass sie sich anstrengen und permanent versuchen besser zu werden. Dass sie flexibel und mobil sind und bereit, sich fortzubilden. Umgekehrt erwarten die Bürgerinnen und Bürger zu Recht die Solidarität der Gemeinschaft.

 

Dazu gehört, dass sie unterstützt werden, wenn sie mehr leisten wollen. Und dazu gehört, dass sie unterstützt werden, wenn sie vorübergehend nichts leisten können.

 

Eine Erwerbsbiografie kann heute 40, 50 Jahre dauern. In dieser langen Zeit ist es nicht ausgeschlossen, dass man zwischenzeitlich wegen Nachwuchses, Krankheit, Pflege von Angehörigen oder Arbeitslosigkeit ausfällt. 

 

Wer weiß, dass er oder sie sich in einem solchen Fall auf die Gemeinschaft verlassen kann, ist motivierter. Denn Sicherheit schafft Identifikation und Motivation. 

 

In dieser Hinsicht hat sich die Tradition des deutschen Sozialstaats überaus bewährt. Das zeigt nicht zuletzt das gute Abschneiden Deutschlands in der Krise. Unser Sozialsystem ermöglicht es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, im Auf und Ab der Wirtschaft zu bestehen.

 

Denn es verteilt nicht nur Almosen. Es hilft Schwachen, wieder stark zu werden. Es gewährt Kranken Zeit zu genesen. Es gewährt Eltern Zeit, der künftigen Generation ins Leben zu verhelfen. Und es gibt Kindern die Chance, ihren Eltern ein Lebensende in Würde und Geborgenheit zu ermöglichen.

 

Vor allem aber gesteht es Bürgerinnen und Bürgern Zeit und finanzielle Sicherheit zu, sich weiterzubilden und gegebenenfalls umzuorientieren. Wer vier, fünf Jahrzehnte lang arbeitet, muss sich auch immer wieder den veränderten Anforderungen der Arbeitswelt anpassen. Und dafür möglicherweise auch ein oder mehrmals den Beruf wechseln.

 

Meine Herren,

leider hat auch ein dicht geknüpftes soziales Netz noch Lücken. In diese Lücken stoßen Wohltätigkeit-Organisationen wie die Niederländische Armen-Casse. Dafür gilt Ihnen mein herzlicher Dank.

 

Es ist eine gute hanseatische Tradition, dass Kaufleute und Unternehmer sich bürgerschaftlich engagieren. Hamburg ist die Stadt mit den meisten Einkommensmillionären und es ist die Stadt mit den meisten Stiftungen in Deutschland. 

 

Geschäftssinn und Gemeinsinn gehen hier seit Jahrhunderten Hand in Hand.

 

Der Hamburger Senat unterstützt das große ehrenamtliche Engagement von Stiftungen, konfessionellen oder freien Trägern.

 

Vor allem aber arbeiten wir daran, dass noch mehr Bürgerinnen und Bürger auf eigenen Füßen stehen können. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er etwas aus sich machen und für seinen Lebensunterhalt und den der Familie selbst sorgen möchte. Dazu schaffen wir die Rahmenbedingungen.

 

Jede und jeder soll die Möglichkeit haben, die eigene Lebens- und Arbeitssituation selbst zu gestalten und zu verbessern. Und zwar in jeder Lebensphase. Ganz gleich ob mit 20, 30 oder 55. 

 

Der Schlüssel dazu ist ein erfolgreiches Erwerbsleben. Und die Eintrittskarte in ein erfolgreiches Erwerbsleben ist eine gute Bildung: eine abgeschlossene Ausbildung oder das Abitur.

 

Unser Ziel hier in Hamburg ist, dass jede und jeder so eine Eintrittskarte löst und jederzeit nachlösen kann, wenn es im ersten Anlauf nicht gelungen ist. Das ist unerlässlich in einer Zeit, in der die Bürgerinnen und Bürger später ins Berufsleben eintreten, immer älter werden und länger arbeiten.

 

Nach wie vor werden Bildungsmentalitäten schon lange vor der Einschulung festgelegt. Deshalb muss der Zugang zu guter Bildung von der KITA an allen offenstehen, unabhängig von der familiären Herkunft. Das ist der Grund, warum wir das Betreuungsnetz für Krippen- oder Kindergarten-Kinder weiter ausbauen und die KITA-Gebühren gesenkt haben. Langfristig wollen wir die Gebühren ganz abschaffen.

 

Weil die fast nur in Deutschland verbreitete Halbtagsschule nicht erfolgreich genug ist, bauen wir das Angebot an Ganztagsschulen aus. Unter anderem sollen alle Stadtteilschulen Ganztagsschulen werden. An anderen Schulen weiten wir derzeit die Nachmittagsbetreuung aus.

 

Die Zahl der Schulabbrecher wollen wir drastisch reduzieren. Der Hauptschulabschluss ist das kulturelle Minimum unserer Erwerbsgesellschaft. Wer ihn nicht schafft, soll ihn auch mit 25 oder 52 gefördert nachholen können. 

 

Unser Bildungssystem ist bereits sehr durchlässig und bietet viele Chancen. Es liegt an den Bürgerinnen und Bürgern, sie zu nutzen. Und es liegt an der Politik und der Verwaltung, junge Frauen und Männer gegebenenfalls mit sanftem Druck auf ihre Chancen hinzuweisen. Niemand darf endgültig scheitern. Und es darf sich auch niemand verdrücken. Das können sich auch die Unternehmen angesichts des bereits spürbaren Fachkräftemangels nicht erlauben.

 

Leider haben es Jugendliche mit Hauptschulabschluss nach wie vor besonders schwer, einen nicht geförderten Ausbildungsplatz zu finden. Ihnen müssen wir beim Übergang in das Arbeitsleben helfen. 

 

Das sogenannte Hamburger Hauptschulmodell hat da schon viel erreicht. Zu Beginn des Projekts vor gut zehn Jahren gelangten schätzungsweise weniger als sieben Prozent der Schulabgänger mit Hauptschulabschluss in eine ungeförderte betriebliche Ausbildung, Mittlerweile sind es immerhin 20 Prozent. Sogar 28, wenn man die Erfolge mit speziellen Übergangshilfen für noch nicht ausbildungsreife Schulabgänger mitrechnet. Die Neuorganisation des Übergangs von der Schule in den Beruf wird demnächst eingeleitet.

 

Meine Herren,

diese Zahlen zeigen aber auch: Es bleibt viel zu tun. Und die Anforderungen an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nehmen weiter zu. Gleichzeitig nehmen die Chancen von Geringqualifizierten auf Arbeit und Teilhabe ab.

 

Denn Arbeit ist in einer Erwerbsgesellschaft nicht nur Broterwerb. Arbeit stiftet Sinn, ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe, verleiht Würde. 

 

Und sie schafft Identifikation: Mit dem Unternehmen und mit der Gesellschaft. Daher sind Arbeit und Bildung auch der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration von Bürgerinnen und Bürgern, die neben der deutschen noch eine andere Kultur haben.

 

In Hamburg ist das schon längst keine kleine Gruppe mehr, die einer besonderen Behandlung oder Förderung bedürfte. Mittlerweile wächst jeder zweite Erstklässler unserer Stadt zwei- oder mehrsprachig auf. Das heißt: Diese Generation besteht zur Hälfte aus Kindern, die neben dem deutschen noch einen anderen kulturellen Hintergrund haben. 

 

Diese heranwachsenden Bürgerinnen und Bürger möchte ich für Hamburg, für Deutschland gewinnen. Und ihre Familien selbstverständlich auch.

 

Denn auch diese Bevölkerungsgruppe soll nicht außen vor stehen. Wir müssen und wollen sie hereinholen in die deutsche Gesellschaft. Sie soll sich hier bilden, hier arbeiten, wählen gehen und gewählt werden.

 

Im  Dezember hat der Senat die größte Einbürgerungsinitiative in der Geschichte der Freien und Hansestadt gestartet. Die Notwendigkeit dazu möchte ich Ihnen anhand eines Zahlenbeispiels vor Augen führen:

 

Von unseren 1,8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern sind 400.000 Zuwanderer oder deren Kinder. 160.000 haben bereits den deutschen Pass. 

Von denen, die noch keinen haben, leben 137.000 bereits so lange in Deutschland, dass sie sich einbürgern lassen könnten.

 

Diese Bürgerinnen und Bürger schreibe ich nach und nach persönlich an und lade sie ein, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen.

 

Mit großem Erfolg, wie Sie sicher in der Zeitung gelesen haben. Innerhalb von drei Monaten ist die Zahl der Einbürgerungs-Anträge um 34 Prozent gestiegen. 

 

Das freut mich sehr. Denn unsere Politik, so wie ich Sie Ihnen dargelegt habe, hat das eine Ziel: Die Basis derer, die an der Gesellschaft aktiv teilhaben, zu verbreitern. Wir brauchen alle, die hier sind. Im Sinne der Einzelnen und im Sinne der Gemeinschaft. 

 

Aufstiegswille und Solidarität gehören zusammen. So wie Geschäftssinn und Gemeinsinn zusammen gehören. Es lohnt sich, gemeinsam diese hanseatische Tradition fortzusetzen.

 

Und wenn Sie sich dann doch einmal entschließen sollten, auch in den neuen Medien für Ihr gutes Anliegen zu werben, haben Sie noch alle Chancen: Die Internetadresse mit der denkbaren Abkürzung nac.de ist zwar schon an einen Veranstalter von Bodybuilding-Wettkämpfen vergeben.

Aber www.niederlaendische-armen-casse.de ist, soweit ich gesehen habe, noch zu haben.

 

Es wäre der stillen Wohltäterin durchaus zu wünschen, dass über ihre Taten gesprochen wird.

 

Schönen Dank!

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.