Interview mit der Welt am Sonntag
Herr Scholz, wann haben Sie Ihr letztes Versprechen gegeben?
Es gibt Versprechen für die ich mich in der Politik einsetze. Unsere Gesellschaft muss jedem versprechen können: Wer sich anstrengt, soll etwas davon haben, wer sich Mühe gibt, soll sein Leben verbessern können und darf nicht auf unüberwindbare Hürden stoßen. Und niemand darf am Wegesrand zurückbleiben.
Und privat?
Das größte Versprechen gebe ich stets neu meiner Frau: dass wir uns immer lieben werden.
Ist ein Versprechen immer etwas Großes?
Es gibt auch kleine Versprechen. Bei kleinen und großen Versprechen ist es aber gleichermaßen wichtig, dass es einem ernst ist. Und man muss für ein gegebenes Versprechen einstehen.
Jede zweite Ehe in Deutschland wird heutzutage geschieden. Darf ein Versprechen auch einmal gebrochen werden?
Das darf man nicht vorhaben, sonst ist es nichts wert.
Haben Sie schon mal ein Versprechen gebrochen?
Ich fürchte ja, auch wenn mir jetzt kein Beispiel einfällt.
Ihrer Erinnerung kann auf die Sprünge geholfen werden. 2002 versprach die SPD, die Arbeitslosenhilfe nie auf das Niveau der Sozialhilfe abzusenken, zwei Jahre später gab es Hartz IV. Im vergangenen Wahlkampf sprach sich die SPD gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer aus - dann stimmten Sie einer Erhöhung um drei Prozentpunkte zu.
Versprechen sollte man einhalten wollen. Dass es nach der letzten Bundestagswahl zu einer Erhöhung der Mehrwertsteuer gekommen ist, hat das Vertrauen der Wähler arg strapaziert. Das darf sich nicht wiederholen.
Was für eine Arbeitslosenzahl versprechen Sie den Wählern?
Wir Politiker tun oft so, als ob wir alles alleine in der Hand hätten. Ich kann aber nur Maßnahmen versprechen, mit denen ich die Arbeitslosigkeit reduzieren will. Zum Beispiel habe ich die Zahl der Arbeitsvermittler dramatisch erhöht und durchgesetzt, dass jeder seinen Hauptschulabschluss nachholen darf. Das erhöht die Vermittlungschancen. Aber was wirklich in der Wirtschaft passiert, das kann ich nicht entscheiden. Deshalb wird es von mir solche Versprechen wie "Die Arbeitslosigkeit wird dann und dann diese Höhe erreichen" nicht geben. Zynisch dürfen wir aber auch nicht werden.
Was meinen Sie damit?
Es ist auch falsch, wenn Politiker den Eindruck erwecken, sie seien ohnmächtig. Allerdings: Politische Versprechen müssen realistisch und durchsetzbar sein.
Sie versprechen Vollbeschäftigung für 2015. Finden Sie das "realistisch und durchsetzbar"?
Ich habe gesagt, ich halte das für erreichbar, ich habe es nicht versprochen. Aber wir können es erreichen: Die Zahl der jungen Leute geht zurück, die Unternehmen werden dringend Fachkräfte suchen. Deshalb können wir die Arbeitslosigkeit in den kommenden Jahren deutlich reduzieren, wenn wir jeden qualifizieren. Damit das auch wirklich klappt, müssen wir sicherstellen, dass künftig jeder, der Anfang 20 ist, entweder Abitur oder eine berufliche Qualifikation hat.
Kürzlich haben Sie eine Rentengarantie gefordert. Norbert Blüm ist mit seinem Spruch "Die Rente ist sicher" berühmt geworden. Setzen Sie sein falsches Versprechen nun um?
Die Rentengarantie ist verantwortbar. Damit uns diese Garantie geglaubt wird, muss sie in einem Gesetz gegeben werden. Vor zwei Jahrzehnten war Blüms Satz falsch. Aber man kann jetzt wieder sagen, dass die Rentenfinanzen stabil sind. Die vorhersehbaren finanziellen Folgen der demografischen Entwicklung für die Stabilität der Rentenfinanzen haben wir durch die Reformen der letzten Jahre in den Griff gekriegt.
Das kann man anders sehen. Sind unhaltbare Wahlversprechen unvermeidlich?
Nein. Sonst wird der Verdruss der Bürgerinnen und Bürger über ihre Politiker immer größer. Etwas anderes darf damit nicht verwechselt werden: In der Politik müssen auch Kompromisse geschlossen werden. Da haben wir aus dem Film die falschen Helden mit in die Politik gebracht. John Wayne mag als Westernheld einigermaßen reüssiert haben, als Politiker wäre er mit dem Satz "Keine Kompromisse" zu Recht gescheitert.
Warum?
In der Demokratie müssen wir uns immer mit vielen anderen einigen. Wenn die Familie darüber berät, wohin es gemeinsam in den Urlaub geht, und einer sagt: "Costa Rica, keine Kompromisse!", würde mit dem die nächsten zwei Wochen wahrscheinlich keiner mehr reden. In der Politik bejubeln wir solche, die so was sagen. Zu Unrecht.
Also sollten Wähler die Wahlversprechen nicht ernst nehmen.
Doch, aber wenn eine Partei 35 Prozent der Stimmen hat, kann sie nicht regieren, als hätte sie 51 Prozent. Wir müssen dann um unsere Versprechen kämpfen, wir werden aber nicht alles hinkriegen. Wir in der SPD wollen zum Beispiel für einen flächendeckenden Mindestlohn von 7,50 Euro kämpfen. Dazu brauchen wir eine Mehrheit, die zugleich Gesetzgebungs- und Regierungsmehrheit ist. Ob wir die zustande kriegen, entscheiden die Wähler im September mit.
Ihre Parteikollegin Andrea Ypsilanti hat versprochen, nicht mit der Linkspartei zu kooperieren. Dann tat sie es doch. War das ein notwendiger Kompromiss oder ein Wortbruch?
Man muss aus diesem Vorfall lernen, dass man immer präzise bleibt und die Aussagen, die man macht, hinterher einhält.
Sie versprechen Millionen von Kurzarbeitern Schutz vor Entlassungen. Gilt das auch noch nach der Wahl?
Wir versprechen nicht, wir helfen real. Die Unternehmen werden von uns mit der Kurzarbeiterförderung in die Lage versetzt, ohne Entlassungen durch die Konjunkturkrise zu kommen. Natürlich gründet das auf der Hoffnung vieler, dass die Wirtschaft sich im nächsten Jahr wieder fangen wird.
Ist der Sozialstaat in der Krise ein unhaltbares Heilsversprechen?
Der Sozialstaat ist Teil der kulturellen DNA des Landes, er gehört zum Selbstbewusstsein und zur Identität der Deutschen so wie Goethe und Schiller.
Er dient oft als Wahlkampfmaschine, weil man über ihn so gut Geschenke verteilen kann. Wie soll man ihn finanzieren, mit immer mehr Schulden?
Der Sozialstaat hat größere Krisen überlebt. In Stein gemeißelt ist nichts, unser Sozialstaat ist eine lebendige Veranstaltung, Aber ich glaube, wir haben die größten Herausforderungen bewältigt.
Glauben Sie denn den Versprechen, die andere Politiker tagein, tagaus abgeben?
Die Politik ist nicht so schmutzig, wie sie oft dargestellt wird. In der Politik kann man nur Erfolg haben, wenn man Vertrauen investiert. Vertrauen heißt ja nicht, dass man vertrauensselig sein muss. Das ist die Kunst.
Hier finden Sie das Interview auf der Internetseite der Welt.