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28.05.2014

Keynote: Symposium der Historischen Kommission der ARD zur Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Keynote: Symposium der Historischen Kommission der ARD zur Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

 

 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Glässgen,

sehr geehrter Herr Marmor,
meine sehr geehrten Damen und Herren,


diese Konferenz wird zwar von einer historischen Kommission ausgerichtet, ich gehe aber davon aus, dass Sie es mir verzeihen werden, wenn ich mich eher mit der Gegenwart und der Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auseinandersetzen werde.

 

Schließlich gehen die aktuellen technologischen und wirtschaftlichen Veränderungen der Medienwelt nicht spurlos an den großen Rundfunkanstalten vorbei.
Ganz im Gegenteil: Sie fordern viele Prämissen unserer Medienordnung frontal und fundamental heraus.

 

Dazu gehören auch die normativen Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Wir sehen das aktuell auch daran, dass zwei große medienpolitische Vorhaben ganz unmittelbar mit ihm zusammenhängen:

  1. die Umstellung der Finanzierung auf den haushaltsbezogenen Beitrag und
  2. die künftige Zusammensetzung und Arbeitsweise der Gremien der binnenpluralen Aufsicht.

Beides betrifft sie unmittelbar und im Kern einmal im Hinblick auf die materielle Ausstattung der Anstalten und einmal im Hinblick auf ihre Verankerung in der Gesellschaft.
Insbesondere das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Gremienbesetzung in diesem Jahr noch einmal deutlich Stellung bezogen. Seinem Urteil lassen sich die grundlegenden gesellschaftlichen Fundamente des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erneuert und bekräftigt entnehmen.

 

Das war wichtig, weil es ja auch Stimmen gibt, die das duale System mit dem Wegfall der Frequenzknappheit für überholt halten und Vielfalt allein über den Markt gewährleisten wollen.

 

Hier hat das Gericht wieder in aller Klarheit Stellung bezogen und den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eben nicht mehr aus der Knappheit der Ausspielwege heraus begründet, sondern der Andersartigkeit seiner Finanzierung und damit verbunden aus seiner einzigartigen öffentlichkeitsbezogenen Funktionslogik.

 

Verglichen mit den marktmäßigen Anbietern folgt der öffentlich-rechtliche Rundfunk einer anderen Rationalität und unterliegt damit auch anderen Zwängen als ein klassisches Medienunternehmen.

 

Natürlich spielen Reichweite und Markterfolg auch hier eine Rolle, aber sie sind nicht letztentscheidend. Ganz grundlegend zählt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ob sich sein Programm gegenüber den Sachwaltern der Allgemeinheit in den Gremien kommunikativ und damit argumentativ rechtfertigen lässt.

 

Oder anders: Nur wenn unsere Gesellschaft den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als ihr ureigenes Kommunikationsinstrument anerkennt, genießt er die Legitimation, der er zur Fortsetzung seines Programmauftrages bedarf.

 

Deshalb war das jüngste Karlsruher Urteil auch so wichtig: Es definiert Maßstäbe, an denen sich der Anspruch der Gremien, die Allgemeinheit zu repräsentieren, messen lässt. Es sichert, dass nicht die Imperative politischer Macht die Debatte in den Gremien kolonialisieren.

 

Die Länder werden sich zügig daran machen, die staatsvertraglichen Grundlagen für das ZDF zu korrigieren. Das wird sicherlich auch Auswirkungen auf die ARD-Anstalten haben. Aber es ist wichtig, um die Legitimation der so anderen Rationalität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sichern.

 

Aus dieser anderen Rationalität heraus ist er nämlich in der Lage, andere Wertungskriterien anzulegen und so erweiterte inhaltliche Qualitätsmaßstäbe zu begründen.

 

Diese Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für unsere Öffentlichkeit kann man vor diesem normativen Hintergrund gar nicht überschätzen. Sie ist zweiwertig:
Zum einen ermöglicht die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks freie private Anbieter. Nimmt man den Wortlaut der Karlsruher Gerichtsentscheidungen ernst, dann müssten diese nämlich deutlich weitergehend reguliert werden, wenn es das duale System nicht gebe.

 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist zwar normativ keine Vielfaltsreserve für das Mediensystem insgesamt. Faktisch aber beruhigt es natürlich, dass hier Medienunternehmen etabliert sind, die immanent der Pluralität verpflichtet sind und damit Verzerrungen entgegenwirken können.

 

Zum anderen verlangt guter öffentlich-rechtlicher Rundfunk allen anderen Marktteilnehmern auch etwas ab, indem er qualitative Standards definiert, an denen dann auch alle gemessen werden ganz unabhängig von ihrer Finanzierung.
Dass dem so ist, liegt auch daran, dass wir mit strukturell weitreichenden Entscheidungen die materielle Ausstattung des öffentlich-rechtlichen Systems gesichert haben. Die Umstellung von einer gerätebezogenen Gebühr auf einen haushaltsbezogenen Beitrag hat erhebliche organisatorische Dimensionen und ist gemessen daran erstaunlich reibungslos von statten gegangen.

 

Dass sich das neue System bewährt, lässt sich auch daran ablesen, dass es uns ermöglicht, den Beitrag voraussichtlich zum 1. April 2015 um 48 Cent zu senken.
Wichtiger noch ist aber das Signal, das von der neuen Art des Einzugs ausgeht. Letztlich leistet heute jeder einen Beitrag zu einer öffentlichen Infrastruktur, die durch die öffentlich-rechtlichen Sender gewährleistet wird.

 

Das ist angesichts der aktuellen Umbrüche und der immer drängenderen Frage, wo und wie eigentlich künftig demokratisch relevante Öffentlichkeit entsteht, ein entscheidender Umstand.

Meine Damen und Herren,
diese beiden genannten großen Projekte verlangen von uns, dass wir die Debatte über Auftrag und Leistung öffentlich-rechtlicher Sender und Programme für die Öffentlichkeit der Bundesrepublik selbstbewusst und konstruktiv führen. Wir müssen und wir können erklären, warum wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk brauchen.
Das ist wichtig gerade angesichts der Entwicklungen in Nachbarländern wie der Schweiz, wo ein Volksentscheid vorbereitet wird, um Aufgaben und Leistungen deutlich einzuschränken.

 

Das wäre aus meiner Sicht der falsche Weg. Gerade weil unsere Sender auch attraktives und reichweitenstarkes Programm zum Beispiel im Sport und in der Unterhaltung machen können, haben sie auch in ihren Informations-, Bildungs- und Kulturangeboten die Bedeutung, auf die wir so stolz sind.

 

Wir haben in Deutschland mit den Angeboten der öffentlich-rechtlichen Sender eine weltweit beeindruckende kommunikative Innenausstattung unserer Öffentlichkeit, die Ausgewogenheit und Vielfalt, Seriosität und Verlässlichkeit garantiert.

 

Nach wie vor nennen die Bundesbürger durch alle Altersgruppen hindurch die Tagesschau als wichtigste Quelle politischer Meinungsbildung in Deutschland. Auf den weiteren Plätzen wird es unübersichtlich. Aber die Pole Position hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Seine marktferne Organisationsform spielt dabei eine Rolle nicht unmittelbar als Zustimmung zur Finanzierung, wohl aber mittelbar als strukturelle Voraussetzung der zu beobachtenden Programmqualität.

 

Es geht, davon bin ich fest überzeugt, um Relevanz, wenn wir über den Auftrag der Sender reden. Um Relevanz für die großen Debatten und Themen unserer Gesellschaft genauso wie um Relevanz für die vielen Nischen, in die sonst niemand hineinschaut, der sich nicht den Mut leisten kann, auch einmal abseits des Populären unterwegs zu sein.
Relevanz ist keine quantitative Frage allein. Natürlich brauchen die öffentlich-rechtlichen Angebote Reichweite, aber es geht vor allem um Fragen der Qualität, darum Angebote zu machen, die in privaten Sendern so nicht gesendet würden.

 

Ich entdecke da vieles im Programm. Leider nicht immer an den Orten und zu den Zeiten, die man sich wünschen würde. Aber immerhin doch gut wahrnehmbar.
Dass ich mir davon manchmal noch mehr wünschen würde im Hinblick auf Themen und Zugriff, will ich gar nicht verhehlen.

 

Aber die Debatte über Maß und Mitte zwischen Quote und Qualität im Programm wird so lange weitergehen, wie Sie senden. Sie ist schließlich auch ein Ausdruck der Bedeutung, die Ihnen seitens des Publikums zugesprochen wird.
Klar ist: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht beides für seine Legitimation. Er muss gutes Programm machen, mit dem er möglichst viele erreichen kann.

 

Und er hat heute vielleicht mehr denn je alle Möglichkeiten, dass ihm das gelingt.
Er steht aber auch in der Pflicht, die Intelligenz und Raffinesse im Programm zu wahren und zu entwickeln, die es braucht, um wirklich alle Altersgruppen und Milieus unserer Gesellschaft zu erreichen.


Deswegen ist die Debatte um ein crossmediales Jugendangebot auch so wichtig. Und ich hoffe nach wie vor, dass sich alle 16 Länder dazu durchringen werden, dieses moderne Experiment zu beauftragen.

Meine Damen und Herren,
der öffentlich-rechtliche Rundfunk besitzt eine gute Startposition ins digitale Zeitalter. Aber das ist sehr deutlich kein Grund, sich auszuruhen. Alle bisherigen Überlegungen stammen aus der alten Welt. Sie sind aktuell gültig und werden es auch sicherlich noch eine Zeit lang bleiben.

 

Aber wir alle Anstalten wie Medienpolitik müssen uns auch um die tieferliegenden strukturellen Fragen kümmern, vor die uns die digitale Transformation der Medien stellt.
Die höchstrichterlich fixierte Entwicklungsgarantie ist dabei eine wichtige und beruhigende Grundlage. Gleichwohl löst sie nicht die Probleme, die sich aus den vollständig veränderten Medienstrukturen unserer Zeit ergeben.

 

Vereinfacht ausgedrückt sind zwischen die Inhalteanbieter und ihr Publikum zunehmend neue Plattformen und Intermediäre getreten, die Inhalte bündeln und anbieten und umgekehrt dem Publikum die Interaktion mit den Inhalten ermöglichen. Zu dieser neuen Gruppe zählen Inhalteportale ebenso wie Suchmaschinen oder Social Media Angebote.
Auf diesen Plattformen sind Angebote wie das der öffentlich-rechtlichen Anstalten nur noch ein Inhalt unter vielen. Sie kämpfen direkt und unmittelbar um Aufmerksamkeit gegen faktisch jeden anderen erreichbaren Inhalt. Dadurch entstehen Konkurrenzsituationen zwischen Anbietern, die sich früher zwar auch beäugt haben, aber niemals davon ausgingen, dass sie direkt und auf dem gleichen Markt konkurrieren würden. Wir sehen heute, dass sich hier noch Mechanismen entwickeln müssen, mit denen die daraus entstehenden Konflikte gelöst werden können.

 

Noch entscheidender aber ist eine weitere strukturelle Veränderung: Während früher Knappheit der Verbreitungswege bestand und Redaktionen deshalb ein Bouquet an Informationen oder Inhalten auswählen und zusammenstellen mussten, ist heute prinzipiell alles verbreitbar und verfügbar. Die neue Knappheit liegt in der Verarbeitungskapazität der Rezipientinnen und Rezipienten, die auf den neuen Plattformen nach Informationen suchen und sich dabei natürlich einerseits des Wissens um vertrauenswürdige Marken bedienen, zugleich aber auch technische Auswahl- oder soziale Empfehlungsmechanismen nutzen, um der neuen Unübersichtlichkeit Herr zu werden.

 

Für eine Medienpolitik, die bislang viel Beachtung darauf gelegt hat, dass möglichst vielfältige Information verbreitet werden, stellt sich daher die Frage, wie sehr wir unseren Fokus verändern müssen, um Vielfalt auch auf der Ebene der Plattformen und Intermediäre zu sichern.

 

Fest steht schon heute, dass wir weniger und weniger nach dem Verbreitungsweg und zunehmend mehr nach der Qualität des Inhalts, nach seinem public value entscheiden sollten. Das wird meines Erachtens der neue Maßstab für die Vielfaltsicherung werden.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat hier den unbestreitbaren Vorteil, dass er aus seiner gesellschaftlichen Beauftragung und Finanzierung heraus eben jene noch zu definierenden Qualitätsmerkmale erfüllt, die public value ausmachen.

 

Dieses Thema der künftigen Abgrenzung unterschiedlicher Regulierungsfelder ist eines der Themen, die die Länder derzeit unter der Überschrift Medienstaatsvertrag diskutieren. Dabei geht es um gemeinsame Regelungsziele und Definitionen, um Kollisionsflächen zwischen unterschiedlichen Rechtsbereichen und um neue Instrumente der Media Governance.

 

Vieles davon betrifft den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nur mittelbar, gleichwohl geht es im ganzen darum, einen Ordnungsrahmen zu entwickeln, dessen Modernität nicht durch das zwischen den Ländern, dem Bund und der EU zersplitterte Recht gehemmt wird. Aus diesem Grund streben wir Vereinbarungen zunächst mit dem Bund an, die nicht an den Kompetenzverteilungen rütteln sollen, aber die Reibungsflächen zum Beispiel zum Kartellrecht glätten sollen.

 

Es kann nicht sein, dass wünschenswerte Kooperationen nicht möglich sind, weil nach klassischer Definition marktbeherrschende Stellungen drohen, während gleichzeitig globale Plattformanbieter neue monopolistische Märkte entwickeln und so den einheimischen Unternehmen die Spielregeln der Vermarktung und Verbreitung ihrer Inhalte diktieren. Germany’s Gold ist dafür ein zentrales Beispiel.

 

In solchen Fällen müssen wir Situationen schaffen können, in denen der paradoxe Umstand, dass gerade der Zusammenschluss nationaler Akteure vielfaltssichernd wirken kann, auch in der Bewertung des Vorhabens Berücksichtigung finden kann.
Das ist nur eines von vielen Beispielen, die hier auf der Tagesordnung stehen.
Sinnhaft und erfolgversprechend werden sie am Ende nur sein, wenn unsere Gesellschaft auch künftig davon ausgeht, dass es professioneller Vermittler in demokratischer Öffentlichkeit bedarf und dass die technische Möglichkeit, jederzeit und überall alles zu Veröffentlichen, zwar der individuellen Meinungsfreiheit genüge tut, aber noch nicht zwangsläufig dabei hilft, auf diskursive Weise öffentliche Meinung als politisch Handlungsressource zu generieren.

 

Dieser Prozess ist weit komplexer und in der Tradition unserer Verfassungsordnung ohne einen öffentlich-rechtlich fundierten Beitrag schlicht nicht vorstellbar.
Schönen Dank!

 

Es gilt das gesprochene Wort.