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17.11.2004

Laudatio für Karl Hermann Haack

Verleihung eines Ehrenpreises
der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Berufsförderungswerke
am 17. November 2004



Sehr geehrte Damen und Herren!
Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin!
Lieber Karl Hermann Haack!

Wenn jemand eine Rede halten darf, auf jemanden, der geehrt wird, ist es ja meistens so, dass er sagt: Ich habe die Ehre! Das ist eine Floskel, die man sich leicht angewöhnt hat. Oft ist es ja wirklich so, dass diejenigen, die die Ehre haben, eine Rede halten zu dürfen, dabei ein bisschen mitgeehrt werden. Ich empfinde das hier so. Die  Arbeitsgemeinschaft Deutscher Berufsförderungswerke hat eine gute Wahl getroffen.

Jeder weiß, Karl Hermann Haack ist der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen und er wird heute ausgezeichnet. Das Amt übt er seit 1998 aus.

Wer wissen will, was er da getan hat, kann die formale Beschreibung des Amtes heranziehen: Der Behindertenbeauftragte soll die politischen und sozialen Rahmenbedingungen für behinderte Menschen mitgestalten. Er muss in der Bundesregierung Einfluss auf die politischen Entscheidungen nehmen, die behinderte Menschen betreffen. Er begleitet aktiv die Gesetzgebung auf Bundesebene. Er prüft, wie sich Vorschriften auf behinderte Menschen und ihr Umfeld auswirken und setzt sich im Falle negativer Folgen des geltenden Rechts für Änderungen im Interesse der Betroffenen ein. Der Beauftragte ist weder Interessenvertreter der behinderten Menschen gegen die Bundesregierung noch umgekehrt. Er vertritt die Belange der behinderten Bürgerinnen und Bürger.

Das ist die formale Beschreibung. Ich bin ganz sicher, wenn es bei der geblieben wäre, gäbe es heute hier keine Preisverleihung, jedenfalls nicht an den, der hier heute geehrt wird. Es kommt doch sehr darauf an, wie man ein solches Amt wahrnimmt. Und das hat etwas damit zu tun, aus welchem Geist heraus das geschieht und es hat etwas damit zu tun, wie effizient und erfolgreich das geschieht. Und das sind Dinge, die nicht mit dem Amt verbunden sind, sondern mit der Person, die es ausübt.

Worum geht es in der Politik für Menschen mit Behinderungen? Es geht um Teilhabe - eine der zentralen Fragestellungen von Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Nur auf der Grundlage von Teilhabe für alle können wir die Leitbilder Menschenwürde, Gleichheit und Solidarität in unserer Gesellschaft richtig formulieren und auch verstehen. Es hat emanzipatorischen Charakter, von Teilhabe der Menschen mit Behinderungen zu sprechen. Das ist ein Paradigmenwechsel in der Sicht auf die Menschen und von den Menschen, der nicht selbstverständlich war. Daran hat Karl Hermann Haack einen ganz zentralen Anteil, weil er sich diesen Paradigmenwechsel zu seiner Aufgabe gemacht und immer wieder darüber gesprochen hat. Er hat viele überzeugen können. Es geht dabei darum - wie es Karl Hermann Haack selber formuliert hat - den Alltag behinderter Menschen positiv zu verändern.

2003, da war das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen. Nicht über uns ohne uns - das war das Motto. Das passt sehr gut, gerade auch zu diesem Paradigmenwechsel.  Dabei ist es ganz wichtig, dass wir uns klar machen: es geht nicht um eine Randgruppe,  was auch immer jedes Engagement rechtfertigte. Es geht immerhin um 6,6 Millionen Menschen, die schwer behindert sind. Was viele Menschen wissen sollten, die glauben, damit hätten sie nichts zu tun nur ein kleiner Teil davon, nämlich 4,5 % sind es von Geburt an. Deshalb ist die Situation der Menschen mit Behinderung nicht nur wegen des Zusammenlebens unserer Gesellschaft, wegen der Moral, wegen der Haltung mit der wir einander begegnen, von großer Bedeutung. Es kann jeden treffen. Und es ist deshalb wichtig, dass wir eine Situation schaffen, in der man sich als behinderter Mensch aufgehoben fühlt in der Gesellschaft. Da ist viel geschehen und erreicht worden.

Ein ganz zentraler Eckpfeiler dieser Veränderung ist das Sozialgesetzbuch IX gewesen. Den Gesetzgebungsprozeß will ich aus der Sicht des Politikers einmal beschreiben, weil man so erkennen kann, was für ein Berg da überstiegen worden ist. So ein Gesetzbuch wollten wir schon lange haben, bei wechselnden Regierungen. Ich habe es nicht genau bis in alle Einzelheiten zurückverfolgt, aber ich glaube es stand auch schon in vielen Regierungsprogrammen, dass man ein solches Gesetzbuch zustande bringen will. Das war eines der Vorhaben, von denen alle glaubten, die stehen auch noch in den nächsten zehn Regierungsprogrammen. Aber das es gelingt, dass glaubte schon beim Aufschreiben niemand mehr wirklich. Wenn es dann doch gelingt, dann muss sich jemand persönlich massiv eingesetzt haben. Einer muss die Widerstände, die Bedenken, die Einwände, die klugen Anmerkungen, die aus vielen institutionellen Zusammenhängen gemacht werden, überwinden. Weil es nämlich einen braucht, der dann nicht nur zum Kanzler geht, aber eben auch zu dem und sagt, das will ich jetzt. Der zu einer Ministerin geht und sagt, das muss jetzt so sein. Und dafür sorgt, dass der entscheidende Druck an der richtigen Stelle entsteht. Das ist der jetzige Behindertenbeauftragte gewesen. Insofern glaube ich, haben die Menschen mit Behinderung in diesem Lande großes Glück gehabt, dass dieser Beauftragte bestellt wurde, weil er eben nicht nur in der Sache ein engagierter Mensch war, der den neuen richtigen Blick auf die Fragestellungen der Menschen mit Behinderungen durchgesetzt hat, sondern weil er auch ein erfahrener, mit allen Wassern gewaschener Politiker ist. Den braucht es dann eben auch. Und wahrscheinlich wäre es mit anderen nicht gegangen. Das muss man sich ganz klar machen. Ich jedenfalls habe das als Zeitzeuge die ganze Zeit über so wahrgenommen.

Das SGB IX ist hier allen bekannt. Ich will deshalb nicht referieren, was da drin steht. Aber es ist eigentlich Gesetz gewordene Umsetzung desjenigen, was ich vorher gesagt habe. Ein neuer Blick auf das Leben mit Behinderungen ist eingetreten und dieser ist mit dem neuen Recht und der neuen Gesetzgebung durchgesetzt worden.
Was ich ebenfalls erwähnen will ist, das ist, dass wir feststellen können, dass wir Erfolge haben bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von behinderten Menschen. Wir sind weit weg von dem, was wir gerne erreichen wollen. Aber wir sind insgesamt in einer schwierigen Situation, was die Arbeitslosenzahlen betrifft und dann ist der Blick auf diese spezielle Situation doch sehr interessant. Es ist etwas in Bewegung geraten. Und das darf man gar nicht unterschätzen. Man muss - wie eben der Behindertenbeauftragte - einen Blick dafür haben, dass man Institutionen, dass man Behörden in Gang setzen muss. Die dort zuständig sind, müssen aus ihrem Trott heraus. Das ist gelungen. Schon weil es nicht mehr trottet,  ist eine Veränderung für die Situation der Menschen mit Behinderung, die arbeitslos sind, eingetreten. Das ist nicht nur wichtig für die, die jetzt anders als vorher einen Arbeitsplatz haben, sondern es ist auch für alle anderen von großer Bedeutung. Denn das wichtigste, was wir Menschen benötigen ist doch die Hoffnung, das Gefühl, dass es besser werden kann. Das darf man niemals vergessen, wenn man über Politik, Fakten und alle anderen Themen redet. Wenn man für sich feststellt, in einer Situation zu leben, in der es aussichtslos ist, herauszukommen aus den Schwierigkeiten, die sich zum Beispiel mit Beschäftigungslosigkeit verbinden, dann entwickelt sich auch keine Hoffnung. Hoffnung können also auch die schöpfen, die noch nicht profitiert haben. Weil sie auf ganz neue Weise eine Bewegung wahrnehmen, die sie selber auch betrifft.

Wir haben im Rahmen dieser ganzen Reformenbemühungen und Reformentwicklung den Menschen mit Behinderungen neue Handlungsmöglichkeiten geschaffen. Das Behindertengleichstellungsgesetz und natürlich auch die dort und im Bereich des SGB IX niedergelegte Möglichkeit, Verbandsklagen auf den Weg zu bringen, sind für Menschen mit Behinderungen, Fortschritte. Der massive Einsatz des Behindertenbeauftragten ist wahrscheinlich Schuld daran, dass ich als Politiker in ein, zwei Wochen vor die Presse treten und sagen kann, jetzt haben wir ein Antidiskriminierungsgesetz erarbeitet. Ich profitiere also persönlich von dem Druck und dem Einfluss des Behindertenbeauftragten. Das ist ja auch ein Vorhaben, das schon lange Programme füllte, das aber niemals Wirklichkeit geworden ist. Da ist aber jemand gewesen, der gesagt hat, ich will, dass ein solches Gesetz zustande kommt und ich will auch, dass es dort für die Menschen mit Behinderungen eine Regelung gibt, obwohl nicht der Dauervorwand, der sonst bei solchen Gesetzen immer hilft, in dieser Sache unterstützend angeführt werden kann. Es gibt nämlich noch keine europäische Regelung, die uns vorschreibt, dass wir etwas tun müssen für Menschen mit Behinderungen und deshalb droht uns auch noch keine Klage. Ohne diese politische Intervention und ohne diese Entscheidung wäre nicht herausgekommen, was wir wahrscheinlich in wenigen Tagen haben werden nämlich ein einheitliches Gesetz, das sich mit der Antidiskriminierung beschäftigt und das alle Menschen, die sich über Diskriminierung beklagen, umfasst, u.a. eben auch die Menschen mit Behinderungen.

Wir müssen es erreichen, dass Bewegung kommt in die Politik, dass die Selbstverständlichkeiten, dass das, was man immer schon gemacht hat, nicht mehr so gelten, wie das bisher der Fall war und das setzt immer einzelne voraus, Personen, die selber diesen Einsatz zustande bringen und die etwas durchsetzen. Schon lange glaube ich nicht mehr daran, dass alles von selber kommt. Sondern es hängt an den Personen und deshalb ist es auch richtig, Preise zu verleihen und Menschen zu ehren, weil es an ihnen liegt, dass gesellschaftlicher Fortschritt möglich ist.

Vielleicht zum Schluss noch eine Bemerkung. Die Ehre, ein paar Worte sagen zu dürfen zu jemandem, der einen Preis bekommt, ist ja auch immer ein Anlass, noch mal nachzuschauen, was der alles gemacht hat. Was ich herausgebracht habe, will ich nicht nur als mein Wissen behalten:

Studiert hat der Preisträger Pharmazie. Aber das hat ihm nicht genügt. Es ging auch um Geschichte, Politik und Soziologie an der Freien Universität Berlin. Er hat bei der Europäischen Gemeinschaft ein Verwaltungspraktikum gemacht. Er war beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie. Wusste also, wie das so ist, wenn Lobbyisten Einfluss nehmen. Er war dann Mitglied des Kreistages Lippe. Mitglied im Rat der Gemeinde Extertal. Im Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Und Bürgermeister der Gemeinde Extertal.

Ich bin sicher, dass all diese Tätigkeiten die Ausbildung zum Behindertenbeauftragten gewesen sind, weil sie immer wieder in neuen Situationen das Durchsetzen, das Kompromisse schließen, das Zugehen auf Menschen, das Menschen verstehen, das sich mit ihnen auseinandersetzen,  das ihre Anliegen aufnehmen und in Politik übersetzen, beinhaltet haben. Der letzte Schliff ist dann erfolgt als Mitglied des Bundestages seit 1987.

Dann war alles perfekt für den Behindertenbeauftragten, der jetzt schon sagen kann, er hat was bewirkt in diesem Land. Und wer kann das schon!