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05.06.2012

Medienpolitisches Symposium: Von der Information zur Orientierung

 

Sehr geehrter Herr Vizepräses Schünemann,

sehr geehrter Professor Schulz,

sehr geehrter Herr Fuchs,

meine Damen und Herren,

 

ich freue mich, Sie heute hier in der Hamburger Handelskammer begrüßen zu können.

Das Symposium, das die Kammer mittlerweile jährlich gemeinsam mit der Medienanstalt Hamburg Schleswig-Holstein und dem Hans-Bredow-Institut veranstaltet, ist ein schöner Beweis dafür, dass sich hier in Hamburg nicht nur die Medienwirtschaft, sondern auch die Medienpolitik wohl fühlt.

Es zeigt, dass die Medienbranche von den Verlagshäusern bis zu Social Media, vom Rundfunk bis zu den Werbern nicht bloß irgendein ein Teil der Hamburger Wirtschaft ist, sondern dass sie als etwas Besonderes und Wichtiges wahrgenommen wird.

Alles in allem arbeiten über 100.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Hamburg in der Medien- und IT-Wirtschaft.

Es freut mich sehr, dass hier heute Medienunternehmen und Wissenschaftler zusammen kommen, um Grundsätzliches zu besprechen. Schließlich brauchen wir diese wie jene, wenn wir die Medienordnung der Zukunft gestalten wollen.

Um nichts weniger als das geht es. Was heute in den Vorträgen und Foren so vermeintlich technokratisch und unaufgeregt als Plattformregulierung oder Medienkonzentrationskontrolle, als Vielfaltssicherung oder Medienrezeptionsforschung daher kommt, berührt letzten Endes und im Kern die zentralen Macht- und Gestaltungsfragen unserer Gesellschaft:

Wer bestimmt den Zugang zu gesellschaftlich relevanten Informationen?

Wer gewichtet, ordnet ein und bestimmt die Relevanz?

Wer hat teil am demokratischen Gespräch der Öffentlichkeit?

Was tun wir, um alle befähigen, daran teilzuhaben?

Darum geht es. Und Sie alle werden verstehen, dass mich das als Politiker nicht kalt lässt. Das berührt, wenn Sie so wollen, mein eigenes Geschäftsmodell…

Wir Politiker sind darauf angewiesen, in der Öffentlichkeit für Mehrheiten zu werben.

Ob uns das gelingen kann und welche Strategien wir anwenden müssen, hängt entscheidend davon ab, wie die Innenausstattung unserer Öffentlichkeit aussieht, wie viel Argumente sie zulässt und wie viel Klamauk sie verlangt.

Insofern sind Politiker immer wieder Gegenstand der Medien und Betroffene ihrer Berichterstattung. 

Wir bekommen vielleicht ein wenig früher mit, wenn sich etwas verändert oder verschiebt.

Dann sollten wir nicht hektisch werden oder Verschwörungstheorien formulieren, sondern nüchtern die Veränderungen analysieren und prüfen, ob die Medienordnung noch so stabil ist, dass sie ausreichende Informationstiefe und angemessene Orientierung bietet. Das ist schwer genug, aber unbedingt nötig.

 

Meine Damen und Herren,

genau deshalb haben wir vor nicht einmal zwei Wochen gemeinsam mit führenden Repräsentanten der deutschen Medienwirtschaft hier in Hamburg bei unserem Mediendialog nach den Eckpunkten eines neuen medienpolitischen Grundkonsenses gesucht. Es ging darum, ökonomische Notwendigkeiten zu demokratischen Postulaten in Beziehung zu setzen. 

Eine Fragestellung, die auch Ihnen nicht fernliegt. Ich würde mich daher freuen, wenn es 2013 gelänge, den Dialog und das medienpolitische Symposium, das heute hier stattfindet, zeitlich und thematisch noch näher aneinanderzubringen.

 

Aber zur Sache, meine Damen und Herren.

Ich bin fest davon überzeugt: Das Geschäft der Öffentlichkeit und das Gespräch der Öffentlichkeit bedingen einander.

Wir haben vielleicht in der Vergangenheit etwas zu einseitig vor den Gefahren der Kolonialisierung der Medien durch das Profitstreben gewarnt. Diese Gefahr gibt es natürlich weiterhin. Und wir alle könnten Beispiele nennen. Deshalb gibt es ja auch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der von ökonomischen Zwängen ein Stück entlastet ist und zusätzliche Qualitätsstandards setzen kann.

Ganz generell aber ist die privatwirtschaftliche Verfasstheit der Medien eine kluge Entscheidung, um Angebotsvielfalt zu erreichen und Ressourcen effizient zu steuern.

Denn nur wenn funktionierende Geschäftsmodelle dafür sorgen, dass journalistische Vermittlungsleistungen erbracht werden, können wir uns halbwegs sicher sein, dass Öffentlichkeit auch in der gesellschaftlichen Breite professionell hergestellt und gewährleistet wird. 

Nur weil die technischen Hürden vor der Veröffentlichung im Netz mittlerweile extrem niedrig sind und schon Teenager gesellschaftliche Reichweite mit ihren Überlegungen erreichen können, heißt das noch lange nicht, dass totale Transparenz und vollständige Partizipation ausgebrochen sind.

Ganz im Gegenteil: Im Überfluss der Äußerungsmöglichkeiten steckt auch die Gefahr der Tändelei. Während im Netz alle über rülpsende Hunde und fallende Babys auf youtube lachen, gerät das gesellschaftlich Wesentliche aus dem Blick.

Ich übertreibe bewusst und zeichne zu scharf. Denn natürlich gibt es die qualitativ hochwertigen Foren, die Intelligenz des Schwarmes und den klugen Alltagspragmatismus des Netzes zuhauf. Wir alle haben uns an den Komfort des schnellen und komfortablen Informationszugangs im Netz längst gewöhnt. Aber es wird schwerer das zu finden und nicht vorher vom Überfluss weggeschwemmt zu werden.

Ich bin kein Kulturpessimist, beileibe nicht. Ich bin davon überzeugt, dass die Chancen die Risiken bei weitem überwiegen, dass unsere Gesellschaft schrittweise demokratischer und transparenter wird und dass im Netz viele neue und gute Geschäftschancen stecken. Aber wir müssen diese Chancen klug und mit Augenmaß entwickeln. Das betrifft auch die Frage der Vielfaltssicherung.

 

Meine Damen und Herren,

die Kernaufgabe besteht künftig mehr denn je darin, nicht bloß Informationen zu vermitteln, sondern gesellschaftliche Orientierung zu ermöglichen.

Wir erleben einen tiefgreifenden Perspektivwechsel in der Medienpolitik:

In den letzten Jahrzehnten standen die Medien als Vermittler zwischen einer Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern und einer kleinen Menge gesellschaftlicher Sprecher, die Informationen auswählten und gewichteten. Die Medien waren das Nadelöhr, durch das hindurch musste, wer gesellschaftlich gehört werden wollte.

Aus diesem Nadelöhr ist eine breite Trasse geworden, über die fahren kann, wer will wenngleich ohne die Gewissheit, dass es jemand mitbekommt.

Dieser Medienwandel verändert die medienpolitischen Anforderungen: Bislang mussten wir bei knappen Ressourcen die Vielfalt innerhalb der Kanäle sicherstellen, um Orientierung zu ermöglichen.

Mittlerweile geht es darum, der Vielfalt der Kanäle Herr zu werden und in der Vielfalt nicht die Orientierung zu verlieren.

Wir müssen uns daher verstärkt darum kümmern, dass vorhandene und auffindbare Information auch gefunden und verstanden wird.

Medienregulierung wird daher künftig vermutlich weniger auf einzelne Programme schauen, sondern vielmehr den Content-Stream in seiner Breite in den Blick nehmen müssen. 

Wenn wir derzeit im Länderkreis über das Medienkonzentrationsrecht diskutieren, dann springen wir zu kurz, wenn wir nur über Bonuspunkte für Regional- und Drittsendefenster reden.

Wir müssen den ganzen Markt in den Blick nehmen; Es geht auch darum, ob Unternehmen auf anderen Medienkanälen Meinung machen. Es geht auch darum, wer die Zugänge zu medialen Plattformen kontrolliert.

Und es geht in letzter Konsequenz immer mehr darum, aus der Perspektive des Rezipienten, des Bürgers zu denken, der schon bald kaum mehr wird unterscheiden können, ob ein Signal nun linear oder on demand zu ihm kommt, ob es über DVB-T oder das Internet versendet wird.

Die technische Medienkonvergenz verlangt auch zunehmend medienpolitisch konvergentes Denken.

Manche aktuelle Regulierungsdebatte wird uns daher in zwanzig Jahren aus der Rückschau komisch vorkommen, vielleicht auch kleinmütig oder ängstlich.

Wir brauchen den Mut zum Risiko und die Leidenschaft zum Experiment, wenn wir die neuen Wege finden wollen, auf denen wir eine veränderte Medienlandschaft gestalten können. 

Deshalb habe ich beim Mediendialog für eine Media Governance-Struktur plädiert, die anerkennt, dass wir es mit einer Vielzahl von Akteuren, Interessen und Handlungsebenen zu tun haben. Die aktuellen Medienumbrüche verlangen von uns, dass wir passgenau entscheiden können, wann Selbstregulierung und wann politische Entscheidungen gefragt sind. Auch das dient der Sicherung eines Zugangs zu vielfältigen Informationen.

Wir müssen damit umgehen, dass die Veränderungsdynamik mittlerweile so hoch ist, dass mediale Innovationen regelmäßig den Bearbeitungsritualen der Politik enteilen. Bis wir festgestellt haben, dass es da draußen etwas Neues gibt und uns überlegt haben, wie man damit umgehen müsste, ist es oftmals viel zu spät. Wir haben eben nicht mehr Jahrhunderte Zeit wie beim Presserecht und noch nicht einmal mehr Dekaden wie bei der Rundfunkregulierung.

Deshalb brauchen wir mehr medienpolitische Eigenverantwortung der Medienmacher, mehr Selbst- und Koregulierung,  mehr Selbstverpflichtung von Unternehmen und Branchen.

In einer zunächst grundsätzlich staatsfernen Medienordnung sind Medienakteure klug beraten, zunächst selbst nach einer Lösung für ihre Konflikte zu suchen.

Ich habe an anderer Stelle bereits darauf verwiesen, dass das derzeit oft vor Gerichten passiert und dass ich das für ein Krisensignal halte. Hier wird Einzelfallgerechtigkeit gesucht, weil die grundsätzlichen Übereinkünfte brüchig werden. Das ist individuell vernünftig, sollte aber branchenweit zum Nachdenken anregen.

Wo wir dabei helfen können, Gespräche im wohlverstandenen Eigeninteresse zu führen, werden wir das sicherlich tun. Auch deshalb habe ich das Amt Medien in Hamburg in der Senatskanzlei angesiedelt. Wir haben dort ökonomische, politische und juristische Kompetenzen mit Blick sowohl auf die Medien- als auch auf die Telekommunikationspolitik gebündelt. So können wir medien- und netzpolitische Fragestellungen integriert bearbeiten.

Dass wir Selbstregulierung fordern, heißt ja schließlich nicht, dass wir vor politischen Entscheidungen zurückschrecken. 

Politik ist gefordert, den Rahmen zu setzen, Werte zu normieren und Verfahren aufzuzeigen und zu begleiten, mit denen diese Werte durchgesetzt werden können. Die Frage, welches Instrument wann angemessen ist, kann entscheidend sein.

Wenn sich Politik und Verwaltung nämlich eines Regelungsfeldes annehmen, dann tun sie das gründlich, manchmal gründlicher als den Betroffenen lieb ist.

Dann wird siehe zum Beispiel die Debatte über das Presse-Grosso nicht bloß der prekäre Status Quo abgesichert, sondern dann blüht die Regulierungsphantasie. Die Hamburger Senatskanzlei ist da unverdächtig und asketisch. Wir wollen diesbezüglich gerne Vorbild sein.

Meine Damen und Herren,

Leitlinie bei allen Regulierungsinitiativen sollte aus meiner Sicht die Idee der gesellschaftlichen Orientierung durch Medienangebote sein.

Wir haben uns in den letzten Jahren zunehmend auf die vermeintlich neutrale Vermittlung von Information konzentriert. Diese Forderung allein läuft aber immer mehr in die Irre. Neue technische Möglichkeiten verändern die Zugänge zu Information ebenso tiefgreifend wie die Möglichkeiten, sie zu vermitteln.

 

Wir werden hier in Hamburg im September erneut das ScoopCamp veranstalten, das sich mit solchen Fragen auseinandersetzt. Da wird ein Kollege berichten, der Drohnenjournalismus betreibt. Er lässt unbemannte Flugobjekte Daten sammeln, wertet diese aus und stellt die Ergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung.

Oder nehmen Sie die Enthüllungen von Wikileaks: Die 22.000 Seiten Geheimdokumente waren verfügbar. Aber es brauchte Journalistinnen und Journalisten, die sie auswerten, bewerten und so zusammenstellen, dass auch einzelne Bürgerinnen und Bürger damit etwas anfangen können.

Gerade weil sich das Angebot an Daten und Informationen exponentiell vervielfacht, brauchen wir die Kristallisationspunkte publizistischer Qualität. Von diesen Knotenpunkten aus, sortiert sich der Datenstrom und wir bekommen einen Überblick, gewinnen Orientierung.

Für die Medienpolitik heißt das einerseits, dass wir Geschäftsmodelle unterstützen müssen, die genau das gewährleisten. Und für die Regulierung heißt das ebenfalls, dass wir uns um Orientierung auf den Plattformen kümmern müssen. 

Bislang mussten wir mit Blick auf die Vielfalt sicherstellen, dass alles transportiert wird, künftig wird es stärker auch darum gehen, dass alles gefunden wird. Das ist ein fundamental anderer Blick auf Fragen der Vielfaltssicherung.

Dazu müssen wir uns stärker als bisher auch um die Empfänger kümmern. Wenn junge Leute heute auf die Frage nach ihren Informationsmedien an erster Stelle die Tagesschau nennen und an zweiter Stelle Google, dann freut mich das zum einen natürlich, weil beide aus Hamburg kommen. Dann zeigt das zum anderen aber auch, was sich verändert hat und worum wir uns kümmern müssen.

Wir müssen uns darum bemühen, dass Bildungseinrichtungen und besonders die Schulen, alle in die Lage versetzen, Medien zu nutzen und sich in ihnen zu orientieren. Diese Fähigkeiten und Fertigkeiten werden immer wichtiger.

 

Meine Damen und Herren,

es geht um nichts weniger als um die Medienordnung des 21. Jahrhunderts.

Ihr Regulierungsgegenstand wird flexibler und globaler sein, als es Presse und Fernsehen je gewesen sind. Deshalb sollten wir nicht nach ewigen Wahrheiten suchen und schon gar nicht falschen Pessimismen aufsitzen.

Es geht um Prinzipien und um Instrumente, mit denen wir diese Prinzipien in einer sich wandelnden Medienlandschaft immer wieder aufs Neue umsetzen können.

Ein weites, ein spannendes Feld, auf dem wir die hier versammelte Intelligenz gut gebrauchen können.

Vor uns allen liegt die Herausforderung, aber eben auch Chance, die Spielregeln der Medien neu zu definieren.

Kluger Ordnungspolitik war Hamburg immer gerne eine gute Heimat.

Machen Sie etwas daraus!

 

Schönen Dank.

 

Es gilt das gesprochene Wort.