Mr. President,
fellow delegates,
Ladies and Gentlemen!
It is with humility and deep respect that I am addressing you today – both as the newly elected Chancellor of Germany and as a proud delegate to our United Nations. My country and the United Nations are indivisibly linked. Today’s democratic and reunited Germany owes its role on the world stage to you, our international friends and partners. You placed your trust in us to become and to remain a peace-loving member of the international community.
We know that we owe our freedom, our stability and our prosperity to an international order with the United Nations at its core. Therefore, my country’s commitment to this organization and its noble goals – peace, development and equal rights and dignity for every human being – will never wane.
Ich lege dieses Bekenntnis leider zu einer Zeit ab, in der wir uns von diesen ehrwürdigen Zielen entfernen. Nach Jahrzehnten, in denen wir Mauern und Blöcke überwanden – eine Zeit, in die der Fall des Eisernen Vorhangs und die deutsche Wiedervereinigung fielen ‑, nach der technologischen Revolution des Internets und der Digitalisierung, die uns so eng vernetzt haben wie noch nie, stehen wir heute vor einer neuen Fragmentierung der Welt. Neue Kriege und Konflikte sind entstanden. Globale Großkrisen türmen sich vor uns auf, verbinden und verstärken sich. Manche sehen darin die Vorboten einer Welt ohne Regeln.
Zutreffend ist: Die Risiken für unsere globale Ordnung sind real. Dennoch kann ich wenig anfangen mit dem Bild von der regellosen Welt – aus zwei Gründen. Erstens: Unsere Welt hat klare Regeln, Regeln, die wir als Vereinte Nationen gemeinsam geschaffen haben. Diese Charta verspricht uns allen ein friedliches Miteinander. Diese Charta ist unsere kollektive Absage an eine regellose Welt! Unser Problem sind nicht fehlende Regeln, unser Problem ist der mangelnde Wille, sie einzuhalten und durchzusetzen.
Das Bild von der Welt ohne Regeln führt aber noch aus einem zweiten Grund in die Irre. Wenn wir unsere Weltordnung nicht gemeinsam verteidigen, weiterentwickeln und stärken, dann droht uns nicht etwa regelloses Chaos, sondern eine Welt, in der die Regeln von denen gemacht werden, die sie uns dank ihrer militärischen, ökonomischen und politischen Macht diktieren können. Die Alternative zur regelbasierten Welt ist nicht die Anarchie, sondern die Herrschaft der Starken über die Schwächeren!
Ob aber in dieser Welt das Recht der Macht herrscht oder die Macht des Rechts, kann den allermeisten von uns nicht egal sein. Die Kernfrage, vor der wir als Weltgemeinschaft stehen, lautet: Schauen wir hilflos zu, wie manche uns in eine Weltordnung zurückkatapultieren wollen, in der Krieg ein gängiges Mittel der Politik ist, in der sich unabhängige Nationen ihren stärkeren Nachbarn oder ihren Kolonialherren zu fügen haben, in der Wohlstand und Menschenrechte ein Privileg der „lucky few“ sind? Oder schaffen wir es mit vereinten Kräften, dass die multipolare Welt des 21. Jahrhunderts eine multilaterale Welt bleibt?
Meine Antwort, als Deutscher und als Europäer, lautet: Das muss uns gelingen, und das wird uns auch gelingen, wenn wir drei grundlegende Prinzipien beachten.
Erstens: Internationale Ordnung entsteht nicht von allein. Ohne unser Zutun bleibt diese Charta nur Papier. Mit dieser Charta ist ein Aufruf an uns alle verbunden, ihre Ziele und Grundsätze durchzusetzen! Deshalb dürfen wir nicht die Hände in den Schoß legen, wenn eine hochgerüstete, nukleare Großmacht – noch dazu ein Gründungsmitglied der Vereinten Nationen und ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates – Grenzen mit Gewalt verschieben will. Russlands Eroberungskrieg gegen die Ukraine ist durch nichts zu rechtfertigen. Präsident Putin führt ihn mit einem einzigen Ziel: sich der Ukraine zu bemächtigen. Selbstbestimmung und politische Unabhängigkeit zählen für ihn nicht.
Dafür gibt es nur ein Wort. Das ist blanker Imperialismus! Die Rückkehr des Imperialismus ist nicht nur ein Desaster für Europa. Darin liegt ein Desaster auch für unsere globale Friedensordnung, die die Antithese ist zu Imperialismus und Neo-Kolonialismus. Deshalb war es so wichtig, dass 141 Staaten den russischen Eroberungskrieg hier in diesem Saal eindeutig verurteilt haben.
Doch das allein reicht nicht aus! Wenn wir wollen, dass dieser Krieg endet, dann kann es uns nicht egal sein, wie er endet. Putin wird seinen Krieg und seine imperialen Ambitionen nur aufgeben, wenn er erkennt: Er kann diesen Krieg nicht gewinnen! Er zerstört dadurch nicht nur die Ukraine, er ruiniert auch sein eigenes Land. Deshalb werden wir keinen russischen Diktatfrieden akzeptieren – und auch keine Schein-Referenden. Deshalb muss die Ukraine Russlands Überfall abwehren können.
Wir unterstützen die Ukraine dabei mit aller Kraft: finanziell, wirtschaftlich, humanitär und auch mit Waffen. Gemeinsam mit Partnern weltweit haben wir harte wirtschaftliche Sanktionen gegen die russische Führung und Russlands Wirtschaft verhängt. So lösen wir das Versprechen ein, das jedes unserer Länder mit dem Beitritt zu den Vereinten Nationen gegeben hat, nämlich „unsere Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren“.
Eines möchte ich hinzufügen: Nicht ein Sack Getreide wurde aufgrund dieser Sanktionen zurückgehalten. Russland allein hat die ukrainischen Getreideschiffe am Auslaufen gehindert, Häfen zerbombt und landwirtschaftliche Betriebe zerstört.
„Wer den Krieg ächten will, muss auch den Hunger ächten“. Mein Amtsvorgänger, Friedensnobelpreisträger Willy Brandt, hat diesen Satz gesagt, als er als erster Bundeskanzler im Jahr 1973 hier vor dieser Versammlung sprach. Heute erleben wir: Dieser Satz gilt auch umgekehrt. Wer den Hunger ächten will, der muss Russlands Krieg ächten – diesen Krieg, der auch in Ländern weit weg von Russland für steigende Preise, Energieknappheit und Hungersnot sorgt.
Dass es unter Vermittlung von Generalsekretär Guterres und der Türkei gelungen ist, Getreideexporte wieder möglich zu machen, verdient große Anerkennung. Auch Deutschland unterstützt die Ukraine beim Export von Nahrungsmitteln. Wir werden der Ukraine auch beistehen, um die enormen Kosten für den Wiederaufbau des Landes zu stemmen. Bei einer internationalen Expertenkonferenz, die ich mit der Präsidentin der Europäischen Kommission am 25. Oktober in Berlin ausrichte, werden wir gemeinsam mit Unterstützern der Ukraine aus aller Welt überlegen, wie uns diese Generationenaufgabe gelingt. Unsere Botschaft ist: Wir stehen fest an der Seite des Angegriffenen – zum Schutz des Lebens und der Freiheit der Ukrainerinnen und Ukrainer und zum Schutz unserer internationalen Ordnung!
Meine Damen und Herren, das zweite Prinzip, um diese Ordnung zu erhalten, lautet: Wir alle müssen uns an den Verpflichtungen messen lassen, die wir gemeinsam eingegangen sind. Verantwortung beginnt immer bei einem selbst. Nehmen wir zum Beispiel den Klimawandel, die größte Herausforderung unserer Generation. Hierfür tragen wir, die Industrieländer und großen Treibhausgasemittenten, ganz besondere Verantwortung. Deshalb haben wir beim G7-Gipfel im Juni in Deutschland noch einmal bekräftigt, beim Klimaschutz voranzugehen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen – nicht trotz des Kriegs und der Energiekrise, sondern gerade weil Klimaneutralität auch größere Energiesicherheit bedeutet.
Wir stehen zu unseren Zusagen, Schwellen- und Entwicklungsländer bei der Emissionsminderung und ihrer Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen, zum Beispiel durch neue Partnerschaften für eine gerechte Energiewende, und wir werden auch die Länder nicht allein lassen, die am stärksten mit Verlusten und Schäden durch den Klimawandel zu kämpfen haben. Bis zur Klimakonferenz in Ägypten wollen wir deshalb einen globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken entwickeln. Wir müssen uns an den Verpflichtungen messen, die wir eingegangen sind.
Nirgendwo scheint mir diese Einsicht offensichtlicher als beim Schutz der Menschenrechte, weil sich in ihnen das tiefste Bedürfnis jeder und jedes Einzelnen von uns spiegelt, frei, unversehrt und in Würde zu leben. Das ist der Kern dessen, was uns als Menschen ausmacht und verbindet – egal, wo wir herkommen, egal, woran wir glauben, egal, wen wir lieben. Ich sage das mit der Geschichte meines Landes vor Augen. Deutschland, das durch den Mord an sechs Millionen Juden einen Zivilisationsbruch begangen hat, der keinerlei Vergleich duldet, weiß um die Brüchigkeit unserer Zivilisation. Und zugleich stehen wir in der Pflicht, die Menschenrechte überall und zu jeder Zeit zu achten und zu verteidigen.
Mein Land ist zweitgrößter Geber des UN-Systems, zweitgrößter Geber auch für humanitäre Hilfe. In den vergangenen Jahren haben wir Millionen Geflüchtete bei uns aufgenommen – aus dem Nahen Osten, aus Afrika, aus Afghanistan und zuletzt aus der Ukraine. Darauf sind wir stolz.
Hinsehen und handeln müssen wir aber auch dort, wo Hunderttausende in Straflagern oder Gefängnissen Leid, Willkür und Folter erdulden müssen – in Nordkorea, Syrien, dem Iran oder Belarus. Hinsehen und handeln müssen wir, wenn die Taliban Frauen und Mädchen in Afghanistan ihrer grundlegendsten Rechte berauben. Und hinsehen und handeln müssen wir, wenn Russland in Mariupol, Butscha oder Irpin Kriegsverbrechen begeht. Die Mörder werden wir zur Rechenschaft ziehen. Den Internationalen Strafgerichtshof und die vom Menschenrechtsrat eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission unterstützen wir dabei mit aller Kraft.
Unsere gemeinsamen Institutionen zu stützen, daran sollten gerade diejenigen ein Interesse haben, die dank ihrer Stärke und ihres Einflusses besondere Verantwortung für die Ordnung in der Welt tragen. Die frühere Hochkommissarin für Menschenrechte hat uns vor einigen Wochen über die Lage der Uiguren in Xinjiang berichtet. China sollte die Empfehlungen der Hochkommissarin umsetzen. Das wäre ein Zeichen von Souveränität und Stärke und ein Garant für die Veränderung zum Besseren.
Meine Damen und Herren, noch ein drittes Prinzip muss hinzukommen, um die internationale Ordnung zu erhalten. Wir müssen unsere Regeln und Institutionen an die Realität des 21. Jahrhunderts anpassen. Viel zu oft spiegeln sie die Welt von vor 30, 50 oder 70 Jahren. Das gilt auch für den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Seit Jahren setzt sich Deutschland für seine Reform und Erweiterung ein, vor allem um Länder des globalen Südens. Auch Deutschland ist bereit, größere Verantwortung zu übernehmen – als ständiges Mitglied und zunächst als nichtständiges Mitglied in den Jahren 2027 und 2028. Ich bitte Sie, unsere Kandidatur zu unterstützen, die Kandidatur eines Landes, das die Prinzipien der Vereinten Nationen achtet, das Zusammenarbeit anbietet und sucht.
Für mich ist es völlig selbstverständlich, dass die aufstrebenden, dynamischen Länder und Regionen Asiens, Afrikas und des südlichen Amerikas größere politische Mitsprache auf der Weltbühne bekommen müssen. Das liegt in unser aller Interesse! Denn daraus entsteht gemeinsame Verantwortung, damit wächst die Akzeptanz unserer Entscheidungen. Nicht Nationalismus und Isolation lösen die Herausforderungen unserer Zeit. Mehr Zusammenarbeit, mehr Partnerschaft, mehr Beteiligung lautet die einzig vernünftige Antwort, egal, ob es um den Kampf gegen den Klimawandel oder globale Gesundheitskrisen, um Inflation oder gestörte Handelsketten oder um unseren Umgang mit Flucht und Migration geht.
Ich sage das aus tiefster Überzeugung. Denn die Erkenntnis, dass Offenheit und Kooperation Frieden und Wohlstand sichern, diese Erkenntnis hat die vergangenen Jahrzehnte zu den bislang glücklichsten in der Geschichte meines Landes gemacht.
Als diesjähriger Präsident der G7 ist es mir daher ein zentrales Anliegen, für eine neue Art der Zusammenarbeit mit den Ländern des globalen Südens einzutreten, eine Zusammenarbeit, die Augenhöhe nicht nur behauptet, sondern herstellt, zumal diese Augenhöhe de facto ja längst besteht, wenn man das wachsende politische, ökonomische und demografische Gewicht Asiens, Afrikas und des südlichen Amerikas beachtet.
Von Beginn an haben wir unsere Ziele auf das Engste mit Indonesien als G20-Präsidentschaft abgestimmt. Die Vorsitzländer der Afrikanischen Union und der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten haben wir an unseren Beratungen als G7 beteiligt, ebenso wie Indien und Südafrika. Herausgekommen sind neue Modelle globaler Zusammenarbeit, die eines gemeinsam haben: Sie tragen die Handschrift gemeinsamer Verantwortung und gegenseitiger Solidarität.
Mit einem neuen Bündnis für globale Ernährungssicherheit bekämpfen wir die Hungerkrise, und ich lade Sie alle ein, Teil dieses Bündnisses zu werden. Wir haben eine Partnerschaft für globale Infrastruktur und Investitionen ins Leben gerufen, um gemeinsam in den kommenden fünf Jahren 600 Milliarden Dollar für öffentliche und private Infrastrukturinvestitionen weltweit zu mobilisieren. Damit machen wir einen großen Schritt auch zur Umsetzung der Agenda 2030. Und durch einen neu entstehenden Klima-Club gehen wir mit Freunden und Partnern weltweit voran, um das Pariser Klimaabkommen noch schneller und besser umzusetzen. Solche Ansätze sind Pfeiler, die unsere internationale Ordnung stützen, weil sie Ergebnisse liefern, die den Bürgerinnen und Bürgern in all unseren Länder zugutekommen und die sie von den Vereinten Nationen erwarten.
„We the Peoples” – „Wir, die Völker” – lauten nicht umsonst die ersten drei Worte unserer Charta. Wohlgemerkt: Sie lauten nicht „Wir, die Mitgliedstaaten“ oder „Wir, die Delegierten“. Unseren Völkern sind wir verpflichtet. Ihnen schulden wir eine Weltordnung, die ihnen ein Leben in Frieden ermöglicht, die ihre Rechte schützt, die ihnen Chancen auf Bildung, Gesundheit und Entwicklung eröffnet. Eine solche Ordnung entsteht nicht von allein. Sie zu verteidigen, weiterzuentwickeln und zu stärken, darin liegt unsere Aufgabe als Vereinte Nationen. Deutschland reicht Ihnen allen dafür die Hand.
Vielen Dank!