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18.03.2010

Olaf Scholz im Interview mit der FAZ

Der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering hat gesagt, Opposition sei Mist. Aber in der Opposition kann die SPD Vorschläge machen, an die sie sich in der Regierung nicht gewagt hat - wie etwa das neue Arbeitsmarkt-Konzept?

 

Was man in der Opposition vorschlägt, sollte man als Regierung machen wollen. Es ist nicht klug, Politik zu machen, die man nicht ernst meint.

 

Warum haben Sie diese Vorschläge nicht als Bundesarbeitsminister gemacht?

 

Alles, was wir jetzt wollen, bewegt sich auf der Linie unserer Politik der vergangenen Jahre. Wir haben fast 10 000 neue Stellen in der Arbeitsvermittlung geschaffen. Wenn wir jetzt ein noch besseres Zahlenverhältnis von Vermittlern zu Arbeitssuchenden fordern, ist das nur konsequent. Das gleiche gilt für die Forderung nach mehr Qualifizierung. Wer keine berufliche Qualifikation hat, muss das als Arbeitsloser nachholen können. Das ist die Antwort darauf, dass uns zwei Jahrzehnte bevorstehen, in denen die Unternehmen über einen Mangel an qualifizierten Beschäftigten klagen werden. Von allein wird aber nicht alles gut. Es kann passieren, dass wir zugleich Fachkräftemangel und Millionen nicht ausreichend qualifizierte Arbeitsloser haben.

 

Aber die Hauptbotschaften des Konzepts sind die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I und mehr öffentliche Beschäftigung - kurz gesagt: mehr Geld für Arbeitslose...

 

Das ist nicht die Hauptbotschaft. Die Philosophie der SPD lautet: Die Gerechtigkeitsvorstellungen aus dem Arbeitsleben müssen sich in der sozialen Sicherung finden. Wer das macht, was für die Rückkehr in einen Job wichtig ist, nämlich sich zu qualifizieren, der soll etwas davon haben, nämlich einen längeren Anspruch auf Arbeitslosengeld I.

 

Und warum soll die Vermögensprüfung für Hartz-IV-Empfänger wegfallen?

 

Wir müssen den Leuten die Angst nehmen, dass sie nach einem fleißigen Arbeitsleben alles verlieren können. Der Verzicht birgt praktisch keine Missbrauchsgefahr, denn kaum jemand, der in seinem Leben Vermögen angesammelt hat, wird Arbeitslosengeld-II-Empfänger.

 

Kann die SPD damit leben, dass Vermögende Haus und Kunstsammlung behalten und gleichzeitig Geld vom Staat bekommen?

 

Es wird kaum Fälle geben, wo das passiert. Denn wer reich ist, hat Vermögenserträge, und die werden herangezogen.

 

Und woher wollen Sie das Geld für Ihre Pläne nehmen?

 

Eine bessere Arbeitsvermittlung finanziert sich komplett selbst. Es gibt Untersuchungen, dass man bei einem Verhältnis von einem Vermittler zu 75 Arbeitslosen die Arbeitslosigkeit substantiell senken kann. Unser Vorschlag würde vermutlich sogar Geld sparen.

 

Finanziert sich die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I auch selbst?

 

Wenn sich ein Arbeitsloser qualifiziert, steigen seine Chancen, schneller Arbeit zu finden und so der Bundesagentur Kosten zu ersparen. Die Erfahrung lehrt, dass Arbeitsvermittlung und Qualifizierung unmittelbar positive Effekte haben.

 

Sie haben die Kosten Ihres Vorschlags nicht genau ausgerechnet?

 

Wir haben uns Berechnungen angeschaut. Die Sache wird interessant, wenn man die Gegenrechnung macht und schaut, wie viele Leute tatsächlich in Arbeit kommen.

 

Das klingt wie die Behauptung einer Regierungspartei, Steuersenkungen würden sich selbst finanzieren...

 

Aber nur in unserem Fall stimmt es. Bei den anderen wirkt es mehr wie eine religiöse Handlung, die ständig wiederholt wird.

 

Für den, der es nicht in den ersten Arbeitsmarkt schafft, soll es einen sozialen Arbeitsmarkt geben. Was unterscheidet Ihre Idee von Ein-Euro-Jobs und ABM?

 

Wir haben heute schon solche Projekte: den Kommunalkombi etwa, der sehr langsam angelaufen ist, mittlerweile aber vielen Arbeitslosen eine Chance bietet; ebenso der Beschäftigungszuschuss. Wir wollen 3 Milliarden Euro zusätzlich an Steuergeld ausgeben, um 200 000 solcher Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Wichtig ist uns: Kammern und Gewerkschaften müssen zustimmen, damit es keine Ersetzung von regulärer Beschäftigung gibt.

 

Gibt es auf dem zweiten Arbeitsmarkt auch 8,50 Euro Mindestlohn?

 

Das muss man austarieren. Die Unordnung auf dem Arbeitsmarkt ist auch durch verheerend niedrige Löhne entstanden. Es haben sich Arbeitsmilieus etabliert, in denen Unternehmer Niedriglöhne plus ergänzende Sozialleistungen zu einem Geschäftsmodell entwickelt haben.

 

War es nicht ein Ziel der rot-grünen Hartz-IV-Reformen einen Niedriglohnsektor zu schaffen, um Langzeitarbeitslosen den Wiedereinstieg zu erleichtern?

 

Nein. Ziel war die Aktivierung der Arbeitslosen. Selbstkritisch muss ich sagen: Wir hätten die Agenda 2010 mit der Einführung eines Mindestlohns verbinden sollen, dann hätten wir weniger Akzeptanzprobleme gehabt.

 

Meinen Sie, alle Arbeitsplätze, für die heute 5 Euro in der Stunde gezahlt werden, bleiben für 8,50 Euro erhalten?

 

Ja, das belegen alle internationalen Untersuchungen und Erfahrungen. Das werden auch die Professoren lernen, die heute noch dagegen sind...

 

... aber dann steigen die Preise...

 

... ja, dann steigen die Preise für einige Dienstleistungen. Und? Wir fliegen nicht ins Ausland, um zum Friseur zu gehen.

 

Ist der Betrag von 8,50 Euro ein Kniefall vor den Gewerkschaften?

 

Die 8,50 Euro sind eine Orientierung - letztlich soll eine Kommission die Höhe finden. Hinter allen Vorschlägen steht unser Wille, das "Normalarbeitsverhältnis" zu stärken, also den Missbrauch der Leiharbeit zurückzudrängen, die befristete Beschäftigung einzudämmen oder Praktikanten besser zu stellen. Flexibilität darf nicht durch Verunsicherung des einzelnen hergestellt werden, sondern durch kollektive Instrumente wie Arbeitszeitkonten oder Kurzarbeit. Wir wollen keine unkündbaren Stellen, aber die größtmögliche Sicherheit für Arbeitnehmer.

 

Und was ist mit denen, die keinen Job haben?

 

Das Hauptproblem der Unternehmen wird in den nächsten Jahren nicht sein, wie sie Leute loswerden, sondern wie sie gute Leute bekommen können.

 

Interview: Henrike Roßbach, Kerstin Schwenn