arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

Symbolbild: Olaf Scholz
Photothek
08.12.2022

Olaf Scholz im Interview mit der Funke-Mediengruppe

Herr Bundeskanzler, Sie haben nach längerer Zeit wieder mit Wladimir Putin telefoniert. Wie darf man sich so ein Gespräch vorstellen?

Wir blicken natürlich aus völlig unterschiedlichen Perspektiven auf den Krieg und seine Ursachen. Ich bin aber überzeugt, dass man trotz dieser furchtbaren Situation miteinander reden muss. Damit Putin unseren Standpunkt auch immer wieder hört. Mir waren im letzten Gespräch zwei Punkte wichtig: Ich habe den Bombenterror auf ukrainische Städte und ihre Energie- und Wasserversorgung verurteilt, das verstößt klar gegen das Völkerrecht. Und ich habe Putin gefragt, wann Russland endlich bereit sei, Truppen aus der Ukraine zurückzuziehen. Anders könne es nicht zu einer fairen Verständigung kommen. Klar ist: Einen Diktatfrieden zu russischen Bedingungen darf es nicht geben.

Sehen Sie Bewegung im Kreml? Wächst die Bereitschaft zur Verständigung?

Wir sehen, wie der Krieg mit unverminderter Brutalität fortgeführt wird. Verändert hat sich vorerst eines: Russland hat aufgehört, mit dem Einsatz von Atomwaffen zu drohen. Als Reaktion darauf, dass die internationale Gemeinschaft eine rote Linie markiert hat. Bei meinem Besuch in Peking haben der chinesische Präsident Xi und ich gemeinsam zum Ausdruck gebracht, dass Atomwaffen nicht eingesetzt werden dürfen. Kurz darauf haben die G20-Staaten diese Haltung bekräftigt.

Ist die Gefahr einer atomaren Eskalation abgewendet?

Für den Augenblick haben wir einen Pflock dagegen eingeschlagen.

Frankreichs Präsident Macron ist der Meinung, Russland brauche „Sicherheitsgarantien“. Unterstützen Sie das?

Vordringlich geht es jetzt darum, dass Russland den Krieg sofort beendet und Truppen zurückzieht. Richtig ist, dass es dann um die Frage geht, wie wir Sicherheit für Europa erreichen können. Natürlich sind wir z.B. bereit, mit Russland über Rüstungskontrolle in Europa zu sprechen. Das haben wir ja schon vor dem Krieg angeboten, und an dieser Position hat sich nichts geändert.

Was bedeutet das für den dringenden Wunsch der Ukraine nach deutschen Kampfpanzern?

Deutschland gehört nach den USA zu den Ländern, die die Ukraine am stärksten unterstützen, auch mit Waffen. Und wir handeln immer in enger Absprache und im Einklang mit den Verbündeten. Im Übrigen hat niemand Kampfpanzer westlicher Bauart geliefert.

Gibt es einen tieferen Grund für Ihre Zurückhaltung? Hat Putin mit einem Angriff auf Deutschland gedroht?

Ich weiß nicht, wie oft ich diesem Gerücht schon entgegen getreten bin – das ist Quatsch. Und nochmal: Wir liefern sehr viele, sehr effektive Waffen. Und die abgewogene Position der Regierung wird im Übrigen von einer großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger unterstützt.

Die Bürgerinnen und Bürger fragen sich, ob die Bundeswehr unser Land verteidigen kann. Wie lange wird es dauern, bis Deutschland über einen Raketenabwehrschirm verfügt?

Putins Überfall auf die Ukraine stellt eine Zeitenwende dar, das habe ich am 27. Februar klar formuliert. Als Konsequenz verstärken wir unsere Verteidigungsfähigkeit. Deutschland wird dauerhaft zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Bundeswehr ausgeben. Wir haben ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro geschaffen, um die nötigen Ausgaben tätigen zu können. Unter anderem bauen wir die Luftverteidigung aus – das sogenannte Sky Shield. 14 EU-Staaten haben bereits ihr Interesse bekundet, daran teilzunehmen.

Wann also kommt das Raketenabwehrsystem?

Meine Hoffnung ist, dass der Abwehrschirm in den nächsten fünf Jahren steht. Gerade spricht die Regierung mit den Herstellern der verschiedenen Systeme, um die konkreten Entscheidungen vorzubereiten.

In deutschen Städten ist jetzt häufiger die Parole zu lesen: 'Das ist nicht unser Krieg.' Was sagen Sie jenen, die das auf Mauern und Zäune sprühen?

Ich sage: Wir unterstützen ein europäisches Land, das von seinem Nachbarn brutal überfallen worden ist. Es geht dabei auch darum, unsere Friedensordnung in Europa zu retten. Dafür nehmen wir wirtschaftliche Nachteile in Kauf und geben deshalb mehr Geld für unsere Verteidigungsfähigkeit aus. Denn es gibt keinerlei Garantie, dass Russland nicht noch andere Länder attackiert. Gleichzeitig sage ich, und das ist mir ganz wichtig: Wir tun alles, um zu verhindern, dass es zu einem direkten Krieg zwischen Russland und der Nato kommt. Ein solcher Konflikt hätte nur Verlierer – auf der ganzen Welt.

Finanzminister Lindner sagt: Der Krieg macht uns alle ärmer. Hat er Recht?

Die Bürgerinnen und Bürger spüren die Kosten des Kriegs – die Preise für Energie und für Lebensmittel sind stark gestiegen. Russland hat entgegen allen Versprechungen seine Gaslieferungen nach Deutschland eingestellt. Trotzdem kommen wir wohl durch diesen Winter, weil wir Gaslieferungen aus anderen Ländern organisiert haben, die Gasspeicher gefüllt sind, Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen haben und Atomkraftwerke länger am Netz lassen. Zugleich beschleunigen wir den Ausbau der Erneuerbaren Energien. Das schafft neue Wachstumschancen.

Wie lange wird es dauern, bis sich die Energiepreise normalisieren?

Erstmal haben wir 200 Milliarden Euro mobilisiert, um die Energiepreise in diesem und im nächsten Winter zu dämpfen. Die Erwartung ist, dass sich die Gaspreise danach normalisieren, weil wir neue Importmöglichkeiten zur Verfügung haben werden. Wir werden wohl nicht zu den günstigen Preisen zurückkehren, die wir vor dem Krieg hatten. Deutschland wird aber eine starke und erfolgreiche Industrienation bleiben.

Gelingt das ganz ohne russisches Gas?

Mit russischen Energielieferungen sollte man nicht mehr rechnen. Wir treffen jetzt die nötigen Entscheidungen, um uns langfristig unabhängig zu machen. Von 2045 an wollen wir komplett klimaneutral wirtschaften und unsere Energie gänzlich ohne Erdgas, Kohle oder Öl erzeugen.

Ist es klug, auf die Nutzung heimischer Schiefergasvorkommen zu verzichten?

Fracking in Deutschland ist eine Fata Morgana: Wenn man ihr näherkommt, löst sie sich in Luft auf. Investitionen in deutsche Schiefergasförderung würden sich kaum lohnen, weil es zu lange dauert, bis man heimische Quellen nutzen könnte – bis dahin wird der Gasbedarf deutlich zurückgegangen sein. Und es gibt keinerlei Unterstützung in der Gesellschaft für die Ausbeutung dieser Vorkommen in Deutschland.

Also lieber Fracking-Gas aus den USA importieren?

Zulange hatten wir uns bei der Energieversorgung zu einem großen Teil auf Russland gestützt. So etwas darf uns nicht wieder passieren, weder bei Gas noch bei anderen Rohstoffen. Deutschland diversifiziert seine Versorgung und bezieht Gas, Kohle und Erdöl künftig aus vielen verschiedenen Quellen. Der Volksmund weiß: Man sollte nicht alle Eier in einen Korb legen.

Die US-Regierung will die Inflation mit Milliarden-Subventionen bekämpfen - zu Lasten der europäischen Industrie. Steuern wir auf einen Handelskrieg zu?

Nein, das erwarte ich nicht. Erstmal ist es gut, dass US-Präsident Biden mit der Gesetzgebung ambitionierte Klimaziele verfolgt. Die Förderung von E-Autos in den USA ist ein Verdienst des Präsidenten. Andererseits enthält das Gesetz Regelungen, mit denen wir nicht einverstanden sind, weil sie nicht vereinbar sind mit dem internationalen Handelsrecht und keinen fairen Wettbewerb ermöglichen.

Wie reagieren Sie?

Die Europäische Union steht im direkten Gespräch mit den USA, um über die konkrete Umsetzung des Gesetzes zu sprechen. Denn es darf nicht zu einer massiven Beeinträchtigung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit kommen. Europa und die USA sind Freunde, und das muss sich auch in den Handelsbeziehungen niederschlagen.

Ist es ausgeschlossen, dass Sie die amerikanischen Freunde bei der Welthandelsorganisation verklagen?

Wir wollen uns mit den USA verständigen.

Die EU kann nur stark sein, wenn Deutschland und Frankreich an einem Strang ziehen. Woran liegt es, dass die Beziehungen im vergangenen Jahr gelitten haben?

Unsere Beziehungen zu Frankreich sind gut.

Die Verstimmung zwischen Berlin und Paris ist schwer zu bestreiten. Selbst die gemeinsame Kabinettsitzung – ein Routinetermin – wurde abgesagt.

Der Termin wurde verschoben, weil wir in einigen Dossiers noch nicht weit genug waren. Solche Treffen sollen mehr sein als ein Fototermin. Präsident Macron und ich bereiten unsere Regierungskonsultationen sehr sorgfältig vor und wollen handfeste Beschlüsse fassen. Für Januar haben wir uns verabredet.

Macron gilt als impulsiv, Sie als eher nüchtern. Wie kommen Sie miteinander aus?

Wir kennen uns lange und kommen gut miteinander aus. Bei unser ersten Begegnung war ich noch Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg und er französischer Wirtschaftsminister.

Eine Schlüsselfrage für ganz Europa ist, wie die Lasten der Krise gerecht verteilt werden können. Ihre wichtigsten Wirtschaftsberater, die Wirtschaftsweisen, raten zu höheren Steuern für Gutverdienende – etwa in Form eines Energiesoli. Hat das Ihre Sympathie?

Die dramatischen Preissteigerungen belasten alle Bürgerinnen und Bürger – deshalb hat die Koalition weitreichende Entscheidungen getroffen, um zu entlasten. Wir haben drei große Pakete geschnürt und beispielsweise die kalte Steuerprogression korrigiert. Gleichzeitig schöpfen wir sogenannte Zufallsgewinne bei Energieversorgern ab. Das ist wichtig, um einen Teil der Entlastungen zu finanzieren. Im Übrigen regieren drei Parteien, die vor einem Jahr einen Koalitionsvertrag geschlossen haben. Auf die Anhebung von Steuern haben wir uns nicht verständigt.

Sie würden die Steuern für Gutverdienende erhöhen, können sich aber gegen die FDP nicht durchsetzen.

Die Koalition setzt sich für gesellschaftlichen Fortschritt ein. Die drei Parteien setzen dabei unterschiedliche Akzente – auch mit Blick auf Steuerfragen.

FDP-Chef Lindner leidet öffentlich an der Zusammenarbeit mit SPD und Grünen. Wie nehmen Sie das Klima in der Koalition, die Stimmung am Kabinettstisch wahr?

Menschlich und politisch ist das Klima in der Koalition sehr gut.

SPD-Chef Klingbeil hat der Ampel für ihr erstes Jahr die Note 3 plus gegeben. Wie sieht Ihre Bewertung aus?

Sich selbst zu benoten, wäre unangemessen. Ich bin aber zufrieden, dass wir in diesen aufgeregten Zeiten mit vielen Herausforderungen als Regierung ziemlich stabil dastehen. Unser Land wird wohl gut durch den Winter kommen. Wir unterstützen die Ukraine, damit sie sich der russischen Aggression widersetzen kann. Und wir haben den Erneuerbaren Energien neuen Schwung verliehen und die Modernisierung unserer Wirtschaft eingeleitet. Das ist eine Gemeinschaftsleistung der drei Regierungsparteien.

Die Bürger geben Ihnen eher schlechte Noten. Eine Mehrheit ist von der Regierung und ihrem Kanzler enttäuscht. Sind die Deutschen undankbar?

Ich bin dankbar für das Maß an Unterstützung, das ich habe – und für die Möglichkeit, noch weitere Unterstützung zu gewinnen.

Wie hat Sie das erste Jahr im Kanzleramt als Mensch verändert?

Über diese Frage dürfen andere Leute gerne Bücher schreiben, wenn ich mal in Rente bin. Wir leben in sehr aufgeregten Zeiten, da ist es wichtig, selbst nicht zu aufgeregt zu sein und den Überblick zu behalten.

Ist die Entscheidung schon gefallen, ob Sie bei der nächsten Bundestagswahl wieder antreten?

Na, Sie stellen Fragen! Natürlich trete ich an. Ich will, dass die Regierungskoalition so gut dasteht, dass sie erneut das Mandat erhält.

Wie zuversichtlich blicken Sie auf das kommende Jahr?

Deutschland ist stark genug, um diese Zeit durchzustehen – trotz der Folgen des russischen Angriffskriegs für Europa. Wenn wir zusammenhalten, werden wir gut durchkommen.