Nur noch wenige Tage bis zur Wahl – wie erleben Sie den Stimmenfang derzeit?
Wahlkämpfe mag ich sehr. Es ist eine großartige Zeit, in der wir über viele Fragen miteinander diskutieren. Die Bürgerinnen und Bürger überlegen sich gerade genau, wem sie in der Wahlkabine ihre Stimme geben. Mein Gefühl: Da geht was. Die SPD wird am Ende vorne liegen.
Wie begegnen Ihnen die Menschen denn?
Neugierig, interessiert, aber natürlich auch mit Sorgen. Alle sehen, was in Deutschland gerade los ist und auch in der Welt. Der russische Überfall auf die Ukraine treibt viele Bürgerinnen und Bürger um. Die meisten finden es richtig, dass wir die Ukraine unterstützen, sie fürchten sich zugleich vor einer weiteren Eskalation des Krieges. Es geht um Besonnenheit und darum, jede Entscheidung genau abzuwägen, damit es nicht zu einer weiteren Ausweitung des Krieges kommt. Für meinen Kurs erhalte ich sehr viel Zuspruch.
Und sonst?
Die Folgen des Krieges wirken sich auch auf unser Land aus. Nach dem Wegfall der russischen Energielieferungen stiegen die Preise zeitweise massiv an, die Weltwirtschaft schwächelt – all das bekommen wir in Deutschland zu spüren. Das drückt auf die Stimmung, das begegnet mir überall. Mein Rezept: Anpacken! Die Wirtschaft modernisieren wir durch Investitionen, die wir mit einem „Made-in-Germany“-Bonus unterstützen, einer unbürokratischen Steuerprämie, die zehn Prozent der Investitionskosten abdeckt. Alle Unternehmen können davon profitieren. Und wir bringen unsere Infrastruktur auf Vordermann mit einem Deutschlandfonds. Öffentliches und privates Geld fließt da hinein, um den Bau von Stromnetzen, Wärmeleitungen sowie den kommunalen Wohnungsbau anzukurbeln. Und, drittens, müssen wir unsere Schuldenbremse reformieren, um etwas mehr Spielraum im Haushalt zu schaffen, damit wir die nötigen Ausgaben für unsere Sicherheit tätigen können, ohne dass das zu Lasten von Pflege, Gesundheit und Renten geht. Beides muss möglich sein.
Was bieten Sie Familien und Rentnern?
Ein gutes und verlässliches Angebot von Kitas und Schulen mit Ganztagsbetreuung ist aus meiner Sicht ganz wichtig. Damit die Eltern nicht mehr morgens zittern müssen, ob ein Anruf aus der Kita oder Schule kommt, weil ein Erzieher oder eine Lehrerin krank ist und die Betreuung deshalb ausfällt. Und für die Rentnerinnen und Rentner brauchen wir stabile Renten. Die jetzige Garantie des Renten-Niveaus, die wir als SPD 2018 durchgesetzt haben, läuft im Sommer aus. Damit finde ich mich aber nicht ab: Ich kämpfe für stabile Renten und will die Garantie verlängern. Außerdem: Eine abermalige Anhebung des Renteneintrittsalter lehne ich strikt ab.
Wie tanken Sie Kraft?
Zwei- bis dreimal pro Woche komme ich zum Sport, das habe ich fest in meinem Kalender verankert. Meist gehe ich eine Stunde joggen oder ich rudere – im Augenblick selten auf dem Wasser, sondern meistens auf dem Rudergerät, mehr lässt der Wahlkampf leider gerade nicht zu. Ich kann generell ganz gut abschalten. Und ich versuche, einigermaßen gesund zu leben. Bis zur Wahl gibt es meist nur alkoholfreies Bier.
Sie leben ja recht asketisch, rauchen nicht und sollen auch nie frühstücken…?
Ich habe nie geraucht, auch wenn mich nie gestört hat, wenn andere das in meiner Gesellschaft tun. Und ich frühstücke schon auch ab und an – selten unter der Woche, sondern eher am Wochenende, wenn mehr Zeit ist.
Was gucken sie mit Ihrer Frau gerne im Fernsehen, wenn Zeit dafür ist?
Fernsehen schauen wir eher selten. Wenn es sich ergibt aber freitagabends schalten wir eine der Talksendungen in den Dritten Programmen ein. Aus heimatlicher Verbundenheit die „NDR-Talkshow“ oder „3 nach 9“. Und manchmal zappen wir auch noch in die „heute-show“ rein. Wenn meine Frau und ich Zeit haben, gehen wir gerne ins Kino oder ins Theater. Zuletzt habe ich mit großer Begeisterung im Hamburger Schauspielhaus den Theater-Marathon „Anthropolis“ gesehen: Fünf griechische Tragödien an einem Wochenende, sehr zu empfehlen. Die Stücke sind mehr als 2000 Jahre alt und immer noch aktuell.
Können Sie einfach so unbehelligt mit ihrer Frau ins Theater gehen?
Ich bin immer in Begleitung unterwegs. Natürlich bemerken einen die Leute, einige sprechen mich auch an. Es ist aber schön, dass man unsere Privatsphäre in diesen Momenten respektiert.
Was bedeutet Ihnen Ihre Frau?
Alles. Die Liebe ist das Wichtigste im Leben.
Haben Sie Rituale, wie Sie sich tagsüber austauschen, gibt es kleine Geschenke – zum Beispiel zum Valentinstag?
Natürlich halten wir immer Kontakt, vor allem, wenn ich im Ausland unterwegs bin. Aber wie wir uns austauschen und was wir uns schenken, das bleibt privat.
Wie machen Sie sich als Hausmann, bringen Sie den Müll runter, machen Sie den Abwasch oder trocknen Sie ab?
Es gibt da keine Spezialisierung. Mal koche ich, mal meine Frau – je nach Gericht und Lust und Laune. Und klar, zum Kochen gehört für mich auch, hinterher aufzuräumen.
Was sind Ihre Spezialgerichte?
Sehr unterschiedliche, aber ich bin zurückhaltend geworden, darüber öffentlich zu sprechen. Denn einmal habe ich erzählt, dass mir Königsberger Klopse gut gelingen. Seither werden sie mir fast überall aufgetischt, so dass es fast schon zu viel wird. Ich stehe da auf mehr Abwechslung (lacht). Ich esse auch gerne Fisch und bereiten ihn zu, auch ganze Fische im Ofen. Wenn etwas übrig bleibt ist, mache ich am nächsten Tag auch gerne noch Fischfrikadellen.
Es gibt Menschen, die Sie für zu spröde halten, zu unlocker. In einem Podcast habe ich neulich gehört, wie gelöst und beschwingt Sie sein können…
Das Amt des Bundeskanzlers ist eine ernste Angelegenheit. Die Wählerinnen und Wähler verlassen sich darauf, dass ich meine Aufgabe mit der nötigen Ernsthaftigkeit erfülle. Sicherlich bin ich als Norddeutscher auch nicht so impulsiv, sondern eher überlegt und abwägend. Ich gebe aber gerne zu, dass mir die Podcast-Gespräche Spaß machen.
Wann haben Sie das letzte Mal geweint?
Der Besuch im Konzentrationslager Auschwitz vor einigen Tagen hat mich sehr, sehr bewegt. Ich stand in einer Gaskammer, in der Menschen bestialisch ermordet wurden, und sah die Öfen, in denen ihre Leichen anschließend verbrannt wurden. Unfassbar, welch furchtbare Verbrechen! Das waren Deutsche, die das alles angerichtet haben.
Welche Konsequenzen leiten Sie davon ab?
Daraus erwächst die Pflicht zu sagen: Nie wieder! Nach dem Krieg war es deshalb Konsens, dass demokratische Parteien nie mit der extremen Rechten zusammenarbeiten. Darum empört es mich so, dass Herr Merz jetzt dieses Tabu leichtfertig gebrochen hat und einen Antrag im Bundestag mit den Stimmen der extrem rechten AfD durchboxen wollte. Obwohl er zwei Monate vorher noch hoch und heilig versprochen hatte, so etwas nie zu tun. Ein Antrag, der in der Sache nichts bewirkte. Wozu das Ganze?
Viele Menschen sind nicht zuletzt seither in Sorge um die Demokratie…
Jedenfalls stellt sich die Frage, was ist das Wort von Herrn Merz noch wert? Jetzt beteuert er wieder überall, nie mit der AfD gemeinsame Sache machen zu wollen. In Österreich können wir gerade beobachten, was droht: 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler dort stimmten im Herbst für Parteien, die vor der Wahl Stein und Bein schworen, niemals mit der FPÖ zusammenarbeiten zu wollen. Und jetzt sieht alles danach aus, dass ein Kandidat der extremen Rechten, Herr Kickl, mit den Stimmen der ÖVP, der Schwesterpartei der CDU, zum Kanzler gewählt wird. Soweit darf es in Deutschland nicht kommen!
Worin sehen Sie die Ursache im Zulauf für die AfD?
Die Unzufriedenheit in den reichsten Ländern der Welt nimmt zu, in Europa wie in Nordamerika. Viele blicken skeptisch in die Zukunft. Sie fürchten, dass die guten Jahre für sie und ihre Familien vorüber sind, auch weil andere Weltgegenden aufholen.
Wie wollen Sie dagegen angehen?
Mein Rezept: Die Grundlagen dafür schaffen, dass wir eine gute Zukunft haben. Deutschland ist ein starkes Land mit hervorragend ausgebildeten Beschäftigten, mit klugen Tüftlern und fähigen Ingenieuren. Mit gerade einmal 84 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern sind wir die drittstärkste Volkswirtschaft der Welt: Weil wir erfinderisch sind und mit dem technologischen Fortschritt gehen – das sollten wir beibehalten, bei künstlicher Intelligenz zum Beispiel, beim Einsatz von Quantencomputern, bei der analytischen Biologie. Die Zukunft ist elektrisch – und als Staat müssen wir alle auf diesem Weg begleiten und unterstützen. Unsere Industrie modernisieren wir gerade, damit sie bald ohne fossile Energie auskommt. Die Stahlindustrie muss in wenigen Jahren klimaneutralen Stahl herstellen können, sonst wird sie ihre Produkte nicht mehr los. Deswegen helfen wir mit Milliarden-Förderungen, um die Stahlproduktion in Deutschland zu sichern. Uns muss nicht bang sein vor der Zukunft, wenn wir jetzt beherzt handeln. Klar ist: Die populistischen Parteien, die ein Zurück in die Vergangenheit versprechen, verspielen unsere Zukunftschancen.
Wie steht es eigentlich um ihr Golf-Handicap Ich frage, falls Sie Donald Trump bald mal herausfordert…
Es wird Sie nicht verwundern: Ich spiele kein Golf. Aber ich habe bereits zwei Mal in den letzten Wochen mit dem US-Präsidenten telefoniert und diese Gespräche werden wir fortsetzen – aber nicht auf dem Golfplatz.
Letzte Frage: Haben Sie das Buch von Angela Merkel schon gelesen?
Noch nicht, aber Frau Merkel hat mir ein Exemplar mit sehr freundlichen Grüßen geschickt. Sobald ich Zeit dafür finde, werde ich es lesen.