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28.10.2008

Olaf Scholz stellt längere Unterstützung bei Kurzarbeit in Aussicht

Herr Scholz, Sie sind seit einem Jahr Arbeitsminister. Ihr persönliches Fazit?

Es ist gelungen an vielen Stellen etwas zu bewegen. Nicht nur bei den Mindestlöhnen, sondern auch bei der Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, die nun eine viel individuellere Arbeitsvermittlung ermöglichen. Das ist sozusagen ein Wandel von der Stange zum Maßanzug. Besonders wichtig ist mir in dem Zusammenhang der Rechtsanspruch, den Hauptschulabschluss nachholen zu können. Damit zeigen wir besonders jungen Leuten, dass es sich lohnt, sich auf den Hosenboden zu setzen. Wir geben ihnen eine zweite Chance, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Außerdem unterstützen wir Betriebe mit 4000 bis 6000 Euro, wenn sie neue Arbeitsplätze für Jugendliche schaffen, die seit Jahren am Ausbildungsmarkt leer ausgehen. Nicht zu vergessen sind die Fortschritte bei der Arbeitsvermittlung selbst: Nach langer Vorbereitung habe ich durchgesetzt, 7000 zusätzliche Vermittlerstellen zu schaffen. Das Ziel ist es, dass am Ende nicht wie früher zehn Prozent der Beschäftigten mit Vermittlung beschäftigt sind, sondern 50 Prozent. Knapp 2000 Stellen schaffen wir zusätzlich, den Rest über Umschichtungen.

Sie haben den Mindestlohn genannt. Trotzdem streitet sich die Koalition immer noch über die Einführung in weiteren Branchen.

Was geht schon ohne Streit. Wir haben die Grundlage dafür gelegt, dass nach dem Baugewerbe, den Gebäudereinigern und der Post weitere Branchen einen Mindestlohn einführen können. Die Kriterien dafür sind eindeutig festgelegt: Alle Branchen, in denen mehr als 50 Prozent der Beschäftigten bei tarifgebundenen Arbeitgebern angestellt sind, können einen Mindestlohn einführen, so sie es wollen. Acht Branchen haben sich gemeldet, alle erfüllen nach unseren Erkenntnissen die Voraussetzungen. Das gilt auch für die Zeitarbeit. Ich bin fest davon überzeugt, dass auch die Branche am Ende mit dabei sein wird, trotz der öffentlich geäußerten Bedenken der Union.

Wann wird das sein?

Kurz vor oder nach dem Jahreswechsel.

Ein Erfolg beim Thema Mindestlohn. Doch wie wird es zum Jahreswechsel mit den Arbeitsmarktdaten aussehen?

Im Augenblick sind die Arbeitsmarktzahlen noch recht ordentlich, und wir haben immer noch die Chance, dass die Arbeitslosigkeit wenigstens kurzzeitig unter die magische Grenze von drei Millionen sinkt. Das wäre ein gutes Zeichen dafür, dass sich die sozialdemokratischen Reformen auf den Arbeitsmarkt positiv ausgewirkt haben. Unser Arbeitsmarkt ist heute wetterfester als früher. Wenn nun sichtbar stürmischere Zeiten kommen, müssen wir alles versuchen, um eine Zunahme der Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, ob es gelingt, weiß ich natürlich nicht. Wir haben aber noch mehr für den Arbeitsmarkt getan: Von Januar 2009 an wird Deutschland weltweit für Arbeitskräfte mit Hochschulausbildung offen sein. Die Wirtschaft wird also keine Wachstumsprobleme haben, wenn es nicht gelingt, genügend Spitzenkräfte in unserem Land zu finden. Außerdem haben wir die Förderrichtlinien für private Haushalte vereinfacht, bis zu 4000 Euro der Lohnkosten für sozialversicherungspflichtig angestellte Reinigungs- oder Pflegekräfte lassen sich künftig von der Steuer zurückholen. Davon versprechen wir uns ebenfalls Wachstum, der Anreiz für Schwarzarbeit sinkt.

In der Autoindustrie mehren sich derzeit die Krisenzeichen. Geht der Jobmotor verloren?

Wir müssen sehr genau beobachten, wie sich das entwickelt. Zunächst war es notwendig, die Finanzmärkte zu stabilisieren. Nun geht es darum, nicht in eine lange Phase geringen Wachstums reinzuschlittern. Die Arbeitsmarktpolitik muss dafür sorgen, dass Leute, die ihren Job verlieren, möglichst schnell einen neuen finden. Ich mache mir Gedanken darüber, die Zeiträume, in denen Unternehmen Kurzarbeitergeld beantragen können, von sechs Monaten auf bis zu anderthalb Jahre zu verlängern. So können Firmen an ihren Belegschaften festhalten und müssen nicht entlassen. In der jetzigen Lage ist das sicher eine adäquate Reaktion. Zudem sollten Unternehmen massiv Förderprogramme nutzen, um ihre Beschäftigten weiterzubilden.

Dennoch müssen angesichts einbrechender Aufträge die ersten Leiharbeiter gehen.

Die reale Wirtschaft darf nicht massiv von den Krisensymptomen auf den Finanzmärkten angesteckt werden. Unsere größte Sorge sollte sein, dass die Leute weiterbeschäftigt werden. Mein Rat an Unternehmer ist, an guten Leuten festzuhalten und Schwankungen gemeinsam durchzustehen. Wer nur auf die Bilanzen schaut, kann sich ganz schnell verrechnen. Und eine vorzeitige Trennung von Mitarbeitern kann sich in ein paar Jahren als unkluge Entscheidung herausstellen.

Auch wenn sie ihn noch nicht verloren haben - viele Menschen bangen um ihren Job. Ist das ein Pluspunkt für die SPD?

Wenn schon die Banken nach dem Staat rufen, sagt das doch alles. Es kann kein vernünftiges Argument mehr gegen Mindestlöhne und sozialstaatliche Regelungen geben, nachdem so schnell und so massiv mit Hilfe des Staates das Finanzsystem vor dem Zusammenbruch bewahrt wurde. Am Ende sind alle auf ein gut funktionierendes Gemeinwesen, auf Zusammenhalt angewiesen. Das sollte jetzt gelernt sein.

Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy möchte die Schlüsselindustrien verstaatlichen. Was halten Sie davon?

Dafür gibt es keinen Anlass. Ich bin für eine wettbewerbsfähige deutsche Marktwirtschaft. Der Staat muss dafür sorgen, dass es genügend qualifizierte Arbeitskräfte gibt, und viel in Forschung und Entwicklung investieren. Doch auch die Unternehmen müssen ihren Beitrag leisten. Wer in dieser Krise entdeckt hat, dass ein starker Staat im Rücken ganz gut ist, der darf das auch bei seinen Investitionsentscheidungen nicht außer Acht lassen. Dieses Bewusstsein wird bei einigen noch wachsen müssen. Man kann nicht schwarze Zahlen schreiben und eine Firma schließen, weil sich anderswo noch schwärzere schreiben lassen.

Was bleibt von der ursprünglichen Agenda 2010 übrig? Mit der Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für Ältere hat man Ihnen ja schon eine Abkehr unterstellt.

Ich glaube nicht, dass die Reformpolitik, die ich maßgeblich mit durchgesetzt habe, jetzt infrage gestellt ist, weil jemand mit 58 Jahren 24 statt 18 Monate Arbeitslosengeld bekommt. Hinter dieser Entscheidung steckt lediglich der Gedanke, dass sich ein langes Arbeitsleben auch in längeren Arbeitslosengeldleistungen widerspiegeln sollte. Wir haben dafür gesorgt, dass der Arbeitsmarkt besser funktioniert und die Bereitschaft gefördert, Arbeit, die möglich ist, auch anzunehmen. Das Ziel der Arbeitsmarktreform war stets, dass jeder spätestens nach einem Jahr wieder Arbeit findet. Da sind wir noch nicht angelangt, aber wir sind viel dichter dran als vor einigen Jahren.

Das heißt, die Agenda gilt unverändert fort?

Die SPD entwickelt jetzt politische Vorstellungen auf der Grundlage ihrer erfolgreichen Reformpolitik. Wir müssen uns den Aufgaben der Zukunft zuwenden: Entweder haben wir 2015 genügend Fachkräfte und geringe Arbeitslosigkeit oder Fachkräftemangel und Arbeitslosigkeit. Über diese Alternativen wird heute jeden Tag entschieden, darum habe ich mich in den letzten Monaten so massiv in die Bildungs- und Qualifizierungspolitik eingemischt und mich zum Beispiel für Sprachförderung vor der Einschulung, Berufsorientierung bei Hauptschülern und Aufstiegsmöglichkeiten ohne Abitur eingesetzt. In Deutschland studieren nur 1,5 Prozent ohne Abitur, in anderen Ländern zwischen 10 und 20 Prozent. Wenn wir die Möglichkeit zu studieren durchlässiger machen, können wir unseren Fachkräftemangel bekämpfen.

Mit ihrer Forderung nach acht Prozent mehr Gehalt, zieht die IG Metall derzeit den Zorn der Arbeitgeber auf sich. Passt eine solche Forderungshöhe in die aktuelle Zeit?


Es ist eine Tatsache, dass die Bruttolöhne in den letzten Jahren nicht real gestiegen sind. Viele Arbeitnehmer mussten Urlaubs- oder Weihnachtsgeld abgeben und unbezahlt mehr arbeiten. Dafür fordern sie nun einen Ausgleich. Wenn das die Lage der Branche hergibt, spricht nichts dagegen. Einige Branchen funktionieren nach wie vor gut.

Stört es Sie, dass Sie in der Öffentlichkeit wenig bekannt sind?

Ich bin noch nicht mal ein Jahr im Amt. Am Ende sprechen die Erfolge für die Arbeit. Mir ist Qualität wichtiger als eine große Zahl hektischer Ankündigungen, die nichts geworden sind. Wer in kürzester Frist so bekannt sein will, wie andere Minister nach Jahren, kann das nur mit absurder Politik und unseriösen Aktionen schaffen. Dafür stehe ich nicht zur Verfügung.

Fragen von Petra Otte.

Das Interview auf der Website der Stuttgarter Nachrichten lesen.