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23.03.2009

Politik für eine moderne Arbeitswelt

Rede von Olaf Scholz anlässlich der Auftaktkonferenz "Für eine neue Kultur der Arbeit"

 

Sehr geehrte Damen und Herren,
Für eine neue Kultur der Arbeit so heißt die Initiative, die wir heute auf den Weg bringen wollen. Arbeit und Kultur dieser Zusammenhang reicht weit zurück: Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur. Mit diesem Satz beginnt das Gothaer Programm von 1875, einer der Meilensteine auf dem Weg der deutschen Sozialdemokratie.

Arbeit als Quelle aller Kultur eine revolutionäre Idee, war doch seit der Antike traditionell der breiten Masse des Nährstands und den Sklaven die Arbeit und die Aufgabe materieller Versorgung des Gemeinwesens zugewiesen. Die Kultur Bildung, musische oder künstlerische Betätigung, Wissenschaften, Philosophie und Politik das war Sache des Lehrstands. Arbeit war dagegen eines freien Bürgers unwürdig.

Arbeit als Quelle aller Kultur das ist keine neue Sinnstiftung für eine alte kulturelle Ordnung. Darin liegt vielmehr ihre Auflösung und die Ausrufung eines neuen Selbstbewusstseins, eines neuen Freiheitsanspruchs.

Arbeit als Quelle aller Kultur das ist natürlich auch ein sehr deutscher Gedanke. Arbeit ist in Deutschland besonders wichtig. Nirgendwo sonst, selbst bei unseren Nachbarn, steht Arbeit so im Zentrum. Unser Land ist für sein Arbeitsethos berühmt. Hier hat sich eine Kultur der Arbeit entwickelt. Martin Luther hat den Grund dafür gelegt. War Arbeit zuvor Sinnbild der Vertreibung aus dem Paradies, entdeckte Luther die Arbeit als Gottesdienst griffig auf den Punkt gebracht: Gott selbst will die Kühe melken durch den, der dies als Beruf hat.

Arbeit moralisch nicht mehr abzuqualifizieren, sondern als kulturell wichtig zu begreifen, dieser Gedanke prägt uns bis heute.

Unsere Kultur der Arbeit zeigt sich im Stellenwert, den Arbeit für jeden Einzelnen einnimmt. Wir sehen unsere Arbeit nicht als Job, sondern als Beruf. Arbeit ist Leistung. Sie erfordert Einsatz. Sie ist mit Anstrengung und Mühe verbunden. Arbeit setzt Übung und Ausdauer voraus. Arbeit stiftet Sinn. Die Arbeit um ihrer selbst willen gut machen zu wollen, das ist ein kultureller Wert, mit dem wir uns wirtschaftlich in die Weltspitze gearbeitet haben.

Und auch das möchte ich am Rande bemerken der Pragmatismus, der aus der Arbeit entsteht, prägt unseren politischen Stil. Unsere praktische Politik zielt auf die Lösung konkreter Fragen.

Unsere Kultur der Arbeit zeigt sich aber auch im Umgang mit den arbeitenden Menschen. In unserem Erfolgsmodell Soziale Marktwirtschaft ist eine humane Arbeitswelt mitmenschliches Gebot in einer solidarischen Gesellschaft und wirtschaftlicher Erfolgsfaktor zugleich.

Die Vergewisserung der Grundlagen unseres Wirtschaftens, die Erneuerung dieser Kultur der Arbeit ist eine Aufgabe, der wir uns immer wieder zu stellen haben. Willy Brandt stieß in den 70er Jahren ein Programm zur Humanisierung der Arbeitswelt an, das eine tief gehende und tief greifende Debatte über die Arbeitskultur erreicht hat. Jede und jeder konnte die Erfolge daraus durch Verbesserungen in seinem Arbeitsalltag spüren.

Seither gibt es viele neue Herausforderungen, die unsere heute moderne Arbeitswelt zu bewältigen hat. Die Globalisierung und ein immer rasanter werdender Takt von technischen Innovationen machen auch gesellschaftliche Innovationen nötig, um Schritt zu halten. Von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird immer mehr Flexibilität verlangt. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen.

Qualifizierung im Beruf wird immer wichtiger. Bildung wird über den nächsten großen Produktivitätsschub entscheiden. Daran wird hängen, ob wir auch in Zukunft noch wirtschaftlich vorn liegen. Früher war Arbeitskraft billig und Maschinen teuer. Jetzt besteht ein immer größer werdender Teil des Kapitals der Unternehmen im Wissen und Können ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein wachsender Teil der Arbeit liegt im Planen, Organisieren und Kontrollieren. Damit wächst der Wert von Beschäftigten, die in der großen Wissensflut das Wissen finden und identifizieren können, das nötig ist, um ein Problem zu lösen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Arbeit ist das halbe Leben. Auch dieses Sprichwort spiegelt die zentrale Bedeutung von Arbeit. Wer mit 15 oder 16 eine Lehre beginnt, der hat vier oder fünf Jahrzehnte Arbeit vor sich. Das ist eine sehr lange Zeit. Und darum kann es, ja darf es nicht sein, dass das Leben nur nach der Arbeit gut ist, am Feierabend, am Wochenende, im Urlaub oder endlich in der Rente.

Arbeit ist das halbe Leben. Daher wollen wir heute eine gesellschaftliche Debatte anstoßen, wie wir in Zukunft arbeiten wollen, wie wir Arbeit so ausgestalten, dass auch die Arbeitszeit Teil eines guten Lebens sein kann: Wie können wir auf die neuen Herausforderungen reagieren und gleichzeitig gute Arbeitsbedingungen schaffen? Wie können wir mit Investitionen in die Fähigkeiten und in die Gesundheit der Beschäftigten der neuen Realität einer älter werdenden Gesellschaft begegnen? Wie können wir die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten und stärken? Wie können wir Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren?

Wir beginnen bei all diesen Fragen nicht bei Null. Und wir wollen auch nicht das Rad neu erfinden. Wir wollen gemeinsam mit Gewerkschaften und Unternehmen, Personalleitern und Betriebsräten Ideen und Konzepte zusammentragen und weiterentwickeln, austauschen und verbreiten. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen werden uns dabei fachlich unterstützen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir wissen schon heute, dass Unternehmen, die ihre Beschäftigten in Entscheidungen mit einbeziehen und einen kooperativen Führungsstil pflegen, erfolgreicher sind als viele Konkurrenten. Es ist durch Studien belegt, dass gute Arbeitsbedingungen und Investitionen in den Ausbau der Fähigkeiten der Beschäftigten auch betriebswirtschaftlich zählbaren Ertrag bringen. Modernste Erkenntnisse über die Gestaltung von Arbeitsplätzen und Produktionsabläufen versprechen größere Zufriedenheit der Beschäftigten und bessere wirtschaftliche Ergebnisse zugleich.

Doch bislang nutzt nur ein kleiner Teil der deutschen Unternehmen diese Chancen. Trotz des zu erwartenden wirtschaftlichen Vorteils bedienen sich nur wenige dieser Möglichkeiten für sich und ihre Belegschaft. Dabei muss allen klar sein: Ohne zusätzliche Investitionen in moderne Arbeitsbedingungen, in die Gesundheit und in die Qualifikation der Beschäftigten werden wir in Zukunft weder betriebswirtschaftlich noch volkswirtschaftlich auf lange Sicht erfolgreich sein können.

Wir laden deshalb die Sozialpartner in einer Reihe von Regional- und Branchenkonferenzen ein, gemeinsam vor Ort darüber zu reden, was möglich und was nötig ist, um die moderne Arbeitswelt human und wirtschaftlich erfolgversprechend zu gestalten.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir wollen gemeinsam eine neue Kultur der Arbeit schaffen. Darum habe ich jetzt nicht schon Antworten und Konzepte parat. Ich möchte aber einige Handlungsfelder nennen, die wir in den Blick nehmen wollen.

Wenn von den Beschäftigten immer mehr Flexibilität gefordert wird, dann müssen sie auch verstärkt von Flexibilität profitieren. Sie brauchen mehr Souveränität über ihre Zeit und manchmal auch langfristige Planungssicherheit. Es geht dabei um Möglichkeiten, Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen mit den Erfordernissen der Arbeit vereinbaren zu können, um die Möglichkeit zur Weiterbildung oder auch mal eine Auszeit, um wieder aufzutanken. Gerade bei Schicht- und Wochenendarbeit sollen Modellprojekte für eine gesundheitsverträgliche Gestaltung der Arbeitszeiten weiterentwickelt werden, die so flexibel sind, dass auch Ältere länger gesund arbeiten können.

Wir wollen überlegen, wie wir eine deutliche Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung erreichen. Bisher sind gerade gering Qualifizierte, Teilzeitkräfte, Ältere, Frauen und Migranten zum Teil weitgehend von Weiterbildung ausgeschlossen. Wir müssen überlegen, ob ein Rechtsanspruch auf Weiterbildung hilfreich ist, der den Beschäftigten in dieser Zeit Kündigungsschutz gewährt und so den Anspruch auf Freistellung schafft, ohne den Arbeitgeber finanziell zu verpflichten.

Gesundheitsmanagement im Betrieb muss eine Selbstverständlichkeit werden. Mehr Bewegung und bessere Ernährung Stichwort Kantine nützen den Beschäftigten, dem Arbeitgeber und letztlich allen. Wir müssen überlegen, ob es über die bestehende steuerliche Förderung hinaus andere Anreize und Hilfen geben kann, damit wir beim betrieblichen Gesundheitsmanagement deutliche Fortschritte erzielen.

Bei all dem soll uns auch die Forschung mit neuen Lösungen und Gestaltungsansätzen helfen.

Das Programm soll kein Förderprogramm im klassischen Sinne sein. Wir werden nicht viel Geld dafür ausgeben, dass Unternehmen das für sie wirtschaftlich Notwendige tun. Im Zentrum steht der Austausch von Erfahrungen und die Umsetzung von guten Praxisbeispielen.

Gleichwohl erhoffen wir uns breite öffentliche Aufmerksamkeit. Denn es geht um einen Kernbereich der Gesellschaft. Denn Arbeit ist das halbe Leben. Und Arbeit ist die Grundlage für Wohlstand und soziale Sicherheit.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Gesellschaft, in der wir leben, ist eine Arbeitsgesellschaft. Über Arbeit vermittelt sich Stolz und Würde. Arbeit ermöglicht Selbstverwirklichung. Darum brauchen wir für alle die Chance auf Arbeit.

Weil die Kultur der Arbeit unsere Gesellschaft prägt und weil in der Arbeit der Grund für unseren Wohlstand liegt, müssen wir dafür sorgen, dass Anstrengung und Fleiß, Mühe und Sorgfalt auch Anerkennung erfahren über fairen Lohn und gute Arbeitsbedingungen.

Wissen und Können der Beschäftigten entscheiden darüber, ob das Markenzeichen Made in Germany auf Dauer weltweit gefragt sein wird. Wir können in Deutschland darauf bauen, dass die Menschen arbeiten wollen sich und ihre Fähigkeiten einbringen, kreativ sein.

Ich bin überzeugt, dass wir als Soziale Marktwirtschaft auch in Zukunft erfolgreich sein werden, wenn wir drei Versprechen einlösen können: Wer sich anstrengt, muss etwas davon haben. Wer sich Mühe gibt, muss damit sein Leben verbessern können und darf nicht auf unüberwindbare Hürden stoßen. Und niemand wird am Wegesrand zurückgelassen.

Darin liegt der Grund unseres Wohlstands und das Fundament des Zusammenhalts unserer Gesellschaft. Das ist die Quintessenz der Kultur der Arbeit.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 

Weitere Informationen zu dem Thema finden Sie unter:

 

www.das-halbe-leben.de