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Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
14.11.2022 | Singapur

Rede anlässlich der Asien-Pazifik-Konferenz der Deutschen Wirtschaft

Sehr geehrter stellvertretender Premierminister Wong,

sehr geehrte Ministerinnen und Minister, lieber Robert Habeck,

sehr geehrter Herr Busch,

Exzellenzen,

sehr geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Asien-Pazifik-Konferenz,

meine Damen und Herren,

vielen Dank für Ihren herzlichen Empfang und die Gelegenheit, mit Ihnen heute einige Gedanken zu teilen!

Ich möchte mit einer kleinen Geschichte beginnen, die meine Heimatstadt Hamburg mit der wunderschönen Stadt Singapur verbindet, in der wir zu Gast sind.

Es ist die Geschichte von Theodor August Behn und Valentin Lorenz Meyer.

Diese beiden Freunde aus Hamburg kamen 1840 im Freihafen Singapur an – mit dem klaren Ziel, in den florierenden Handel mit sogenannten „tropischen Gütern“ einzusteigen. Sie begannen ihr Unternehmen mit nur drei Segelschiffen. Bald betrieben sie Handel mit Gewürzen, Seide, Baumwolle und Tee über die Ozeane hinweg – zwischen Singapur, Indonesien, China, den Philippinen sowie immer wieder zwischen Deutschland und Singapur.

Das Unternehmen Behn Meyer existiert noch heute. Jedoch handelt es nicht mehr mit „tropischen Gütern“, sondern liefert mit seinen mehr als 1.000 Beschäftigten allein in Südostasien und auch einer Reihe von Mitarbeitern in Hamburg High-End-Produkte aus so unterschiedlichen Bereichen wie dem Agrar- und dem Life-Science-Sektor.

Sehr geehrte Damen und Herren,
aus der Geschichte des Unternehmens Behn Meyer lassen sich einige Lehren ziehen, auch für uns heute:
Die erste ist, dass es für jemanden aus Hamburg immer gut ist, hier nach Singapur zu kommen.

Sehr geehrter stellvertretender Premierminister Wong, vielen Dank für Ihre wunderbare Gastfreundschaft und für die Ausrichtung der Asien-Pazifik-Konferenz hier in Singapur!

Und vielen Dank auch Ihnen, lieber Minister Habeck, lieber Herr Busch, und all denjenigen, die an der Vorbereitung dieser Konferenz beteiligt waren, dass Sie uns zusammengebracht haben!

Sie haben den richtigen Ort gewählt. Genau wie meine Heimatstadt Hamburg verdankt Singapur seinen bewundernswerten wirtschaftlichen Erfolg dem Freihandel, seiner weltweiten Vernetzung und seiner Offenheit gegenüber der Welt sowie seiner zentralen Lage in einer der dynamischsten Wirtschaftsregionen auf der Erde.

Die zweite Lehre ist folgende:

Der Freihandel kann ein Unternehmen mit drei Schiffen in einen globalen Akteur verwandeln.

Der Freihandel kann eine kleine Hafenstadt mit 5.000 Einwohnern an der Straße von Malakka zu einer globalen Metropole machen, wie Singapur es heute ist. Und wir finden ähnliche Erfolgsgeschichten in dieser Region – sei es in Bangalore oder Busan, in Hanoi oder Jakarta.

Am 5. November 1890 schrieb die Straits Times in ihrer Sonderausgabe „Deutsche in Singapur“: „Es kam alles den Straits zugute. Kauften die Straits Güter aus Deutschland, taten sie es, weil diese speziellen Güter für unseren Handel geeignet waren; verkauften die Straits Güter an Hamburg, so taten sie es, weil Hamburg bereit war, den Marktpreis zu zahlen.“

Der Artikel mag veraltet sein. Das Konzept ist es nicht.

Freier und fairer Handel kommt allen beteiligten Parteien zugute. Er ist nach wie vor die Grundlage unseres Wohlstands.

Ich weiß, dass ich hier bei Ihnen offene Türen einrenne. Mit der Umfassenden regionalen Wirtschaftspartnerschaft und dem Umfassenden und progressiven Abkommen für die Transpazifische Partnerschaft hat die asiatisch-pazifische Region zwei riesige Freihandelsgebiete geschaffen.

In Europa wurde durch diese Abkommen unser Ehrgeiz angespornt, unsere eigene Handelsagenda voranzubringen. Unsere bestehenden Freihandelsabkommen mit Ihrer Region – mit Japan, Korea, Vietnam und Singapur – sind wahre Erfolgsgeschichten.

Daher bin ich froh, dass wir im Juli ein politisches Abkommen mit Neuseeland schließen konnten.

Wir möchten auch schnell Fortschritte in den laufenden Verhandlungen mit Australien, Indien und Indonesien erzielen und bleiben darüber hinaus für neue Abkommen offen.

Unsere beiden Regionen profitieren von größerer regionaler Integration. Beide verfolgen das Ziel strenger Umwelt- und Sozialstandards.

Deshalb ist es so wichtig, auf mehr Freihandel zwischen unseren Regionen hinzuarbeiten.

Eine Vertiefung der Zusammenarbeit ist von entscheidender Bedeutung, da wir alle spüren, dass der geopolitische Boden unter unseren Füßen ins Wanken geraten ist.

Russlands brutaler Krieg gegen die Ukraine mag geografisch weit entfernt sein – doch seine Auswirkungen – Hunger, Energieknappheit, Inflation – sind weltweit spürbar. Dieser Krieg gefährdet unsere Friedensordnung und die Idee einer auf gemeinsamen Regeln beruhenden Welt. Daher ist es so wichtig, dass wir Putin mit seinen imperialistischen Zielen nicht durchkommen lassen.

Ich bin dankbar für die klare Verurteilung von Russlands Angriffskrieg durch so viele von Ihnen.
Für Ihre Unterstützung des Sanktionsregimes.
Und für Ihre Hilfe beim Wiederaufbau der Ukraine.

Diese Unterstützung zeigt, dass eine auf Werten und Grundsätzen basierende Partnerschaft keine leere Floskel ist. Und lassen Sie mich hinzufügen, dass eine solche Unterstützung niemals eine Einbahnstraße ist. Was für Europa hinsichtlich der Ukraine gilt, gilt auch für Asien, Afrika oder Lateinamerika. Kein Land ist der „Hinterhof“ eines anderen.

Bei meinem ersten offiziellen Besuch in China vor Kurzem habe ich meine unerschütterliche Unterstützung für die regelbasierte internationale Ordnung zum Ausdruck gebracht, so wie sie in der VN-Charta verankert ist. Staatspräsident Xi Jinping und ich waren uns einig, dass die Drohung mit dem Einsatz von Kernwaffen unannehmbar ist – und dass der Einsatz solch fürchterlicher Waffen das Überschreiten einer roten Linie wäre, die die Menschheit zu Recht gezogen hat. Ich rufe Präsident Putin auf, diese Worte ernst zu nehmen.

Ich habe auch unsere Besorgnis über die wachsende Unsicherheit im Südchinesischen Meer und in der Straße von Taiwan zum Ausdruck gebracht. Und ich habe Chinas Haltung zu Menschenrechten und der Freiheit des Einzelnen angesprochen. Jeder Mitgliedstaat der VN hat sich dazu bekannt, diese Rechte und Freiheiten zu wahren.

Die Ergebnisse des jüngsten Kongresses der Kommunistischen Partei Chinas lassen wenig Zweifel daran, dass das China von heute sich stark vom China von vor fünf oder zehn Jahren unterscheidet. Unsere politische und wirtschaftliche Haltung muss dies widerspiegeln.

Natürlich bleibt China ein wichtiger Geschäfts- und Handelspartner. Und ich weiß, dass viele von Ihnen hier im Raum und in der Region diese Ansicht teilen. Aber es gehören immer zwei dazu.

Und die asiatisch-pazifische Region umfasst weit mehr als nur China. Die Asien-Pazifik-Konferenz richtet ihren Blick jetzt seit mehr als 30 Jahren auf die gesamte Region. Und genau aus diesem Grund hat sich meine Regierung dazu entschlossen, unsere Unterstützung für diese Konferenz zu verstärken.

Das gegenwärtige geopolitische Umfeld und die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie erfordern mehr Resilienz und den Aufbau größerer technologischer Souveränität. Japans Wirtschaftsschutzpolitik ist in dieser Hinsicht ein interessantes Beispiel.

Die Verringerung riskanter einseitiger Abhängigkeiten in Bezug auf bestimmte Rohstoffe oder kritische Technologien wird eine wichtige Rolle in der Nationalen Sicherheitsstrategie spielen, an der wir derzeit arbeiten. In diesem Zusammenhang vertreten wir eine ganz klare Position: Der beste Weg, widerstandsfähigere Lieferketten zu erzielen, ist die Diversifizierung unserer Handelsbeziehungen.

  • Es ist kein Zufall, dass mich meine erste Reise in die Region als Bundeskanzler nach Japan führte.

  • Im Mai hielten wir Regierungskonsultationen mit Indien ab.

  • Wir luden Indien, Südafrika, Senegal, Argentinien und Indonesien zu unseren Beratungen beim G7-Gipfel in Deutschland ein – und wir sind auf dem Weg zum G20-Gipfel, der morgen auf Bali beginnt.

  • Bundespräsident Steinmeier besuchte Südkorea und Japan, während ich nach China reiste.

  • Eine große deutsche Wirtschaftsdelegation begleitete mich auf meinem gestrigen Besuch in Vietnam und ist auch heute hier in Singapur dabei.

  • Und nicht zuletzt bin ich am heutigen Tag hier bei Ihnen – als der erste Bundeskanzler, der das Privileg hat, an dieser Konferenz persönlich teilzunehmen.

Meine Botschaft lautet: Deutschland ist sehr daran interessiert, seine wirtschaftlichen Verbindungen mit Ihrer Region zu verstärken!

Verbindungen, die schon seit den Tagen von Theodor August Behn und Lorenz Meyer beiden Seiten zugutekommen.

Diversifizierung bedeutet jedoch nicht Abkopplung. Dieser Unterschied spielt in einer Zeit eine wichtige Rolle, in der Konzepte wie „Nearshoring“, „Deglobalisierung“ und „Selbstversorgung“ auf dem Vormarsch sind.

Oft sind diese Ideen nichts anderes als versteckter Protektionismus. Und Protektionismus führt nirgendwohin.

Eine Welt mit neuen oder wieder neu errichteten Handelsschranken und desintegrierten Volkswirtschaften wird kein besserer Ort sein.

Vor zehn Jahren unternahm mein Vorgänger Helmut Schmidt im Alter von 94 Jahren eine letzte Reise nach Asien, um sich von einem alten Freund, dem ehemaligen singapurischen Premierminister Lee Kuan Yew, zu verabschieden. Sie sprachen über Globalisierung und darüber, was diese für ihre beiden Länder bedeutete. In einer ihrer Unterhaltungen sagte Lee im Wesentlichen zu Schmidt: Die Globalisierung hat meinem Land die gesamte Welt eröffnet.

Dies gilt nicht nur für einen Stadtstaat wie Singapur, sondern auch für größere, stärker bevölkerte Länder. Deglobalisierung ist für keinen von uns eine Option!

Nehmen Sie die Bekämpfung des Klimawandels, der globalen Gesundheitskrisen und der Ernährungsunsicherheit oder den Wandel hin zu klimaneutralen Volkswirtschaften: Der Schlüssel zu all diesen globalen Herausforderungen liegt in der Innovation. Mehr Handelsschranken würden jedoch zu weniger Wettbewerb und weniger Innovation führen.

Letztendlich ist es natürlich an Ihnen, den Unternehmen, über Ihre Produktionsstätten, die Widerstandsfähigkeit Ihrer Lieferketten und mögliche Strategien zur Risikoverringerung zu entscheiden. Und meinem Austausch mit deutschen und internationalen Unternehmerinnen und Unternehmern und den Themen, die Sie hier auf der Asien-Pazifik-Konferenz diskutieren, entnehme ich, dass die Diversifizierung bereits in vollem Gang ist.

Daher möchte ich Sie ermutigen, diesen Weg mit Entschlossenheit weiterzuverfolgen. Die Diversifizierung macht Ihre Unternehmen weniger angreifbar – und unsere Volkswirtschaften stabiler und sicherer.

Als Regierung möchten wir Sie darin unterstützen, indem wir günstige Rahmenbedingungen schaffen. Dies bedeutet auch, dass wir unser politisches Engagement im indopazifischen Raum verstärken.

Dies ist die Idee hinter der deutschen Strategie für den Indo-Pazifik, die wir eng mit unseren europäischen Partnern abstimmen, die unser Bestreben teilen, unsere Präsenz in der Region zu erhöhen und Bedrohungen der regelbasierten internationalen Ordnung und unserer Volkswirtschaften gemeinsam zu bekämpfen.

  • Deutschland teilt Ihr Interesse an freien Seewegen und der Einhaltung des internationalen Seerechts in der Region und darüber hinaus. Um dies zu unterstreichen, entsandten wir zum ersten Mal in 20 Jahren eine Fregatte in die indopazifische Region.
    Unsere Luftwaffe nahm diesen Sommer an von Australien durchgeführten Manövern teil und stellte so unsere Interoperabilität mit Partnern in der Region unter Beweis. Ein solches Engagement hat es bislang noch nie gegeben. Und das deutsche Heer wird dies nächsten Sommer fortsetzen.
  • Wir wissen auch zu schätzen, dass wir bei der internationalen Klimapolitik und bei der Energiewende für die gleichen Ziele eintreten – etwas, das ich selbst auf der COP 27 in Scharm el-Scheich letzte Woche erleben konnte. Und ich würde gerne diese Zusammenarbeit durch einen offenen und kooperativen Klimaclub vertiefen.
    Zusammen mit unseren G7-Partnern schließen wir außerdem neue Partnerschaften für eine gerechte Energiewende, auch mit Ländern in der asiatisch-pazifischen Region. Und während wir unseren eigenen Weg hin zur Klimaneutralität bis 2045 beschleunigen, stehen wir bereit, unsere Erfahrungen mit Ihnen zu teilen und private Investitionen in klimafreundliche Technologien zu erhöhen.
  • Und schließlich bemühen wir uns, unsere Zusammenarbeit mit dem ASEAN zu intensivieren, auch im Rahmen der Europäischen Union. Ich bin sicher, dass der EU-ASEAN-Gipfel und der Wirtschaftsgipfel, die für den 14. Dezember in Brüssel geplant sind, uns helfen werden, unsere Zusammenarbeit zu vertiefen. Wir bemühen uns um eine ehrgeizige Agenda für die Zukunft, die Bereiche wie den Klimaschutz, den digitalen Wandel unserer Industrien, „intelligente Städte“ und städtische Mobilität abdeckt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir haben den politischen Willen, Dinge voranzubringen.
Wir haben die Unternehmenspioniere, die unsere Partnerschaft voranbringen.
Pioniere wie seinerzeit Theodor August Behn und Valentin Lorenz Meyer.

Als sie hier nach Singapur kamen, steuerten sie die Geschäfte nicht aus weit entfernten Firmensitzen in London, Hamburg, Paris oder Amsterdam, wie die meisten anderen Unternehmen ihrer Zeit. Vor 182 Jahren beschlossen sie, ihr Unternehmen hier, in Singapur, zu gründen. Behn-Meyer & Co. wurde so das erste deutsche Unternehmen auf dieser Insel. Das erste von heute über 2.100 deutschen Unternehmen hier.

Die dritte und letzte Lehre, die ich mit Ihnen teilen möchte, ist folgende:

Hier in Singapur kann Gutes entstehen – neue Ideen für Kooperations- und Geschäftsmodelle, die dann auf der ganzen Welt Schule machen.

Das ist die Idee hinter der Asien-Pazifik-Konferenz der Deutschen Wirtschaft.
Das bringt uns heute hier zusammen.

Vielen Dank Ihnen allen für Ihre Beteiligung!
Und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.