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Symbolbild: Olaf Scholz
Photothek
05.06.2024 | Berlin

Rede anlässlich der Eröffnung der ILA

Sehr geehrter Herr Schöllhorn,
verehrter Herr Ministerpräsident, lieber Dietmar,
liebe Franziska Giffey,
meine Damen und Herren,
liebe Gäste der ILA,

115 Jahre liegt der erste Überlandflug per Flugzeug in Deutschland inzwischen zurück. Damals flog der französische Flugpionier Hubert Latham mit einem Antoinette-Eindecker vom Tempelhofer Feld zum gerade neu eröffneten Flugplatz Johannisthal-Adlershof. Für die zehn Kilometer brauchte er 14 Minuten und 31 Sekunden. Heute schaffen das die Berliner Verkehrsbetriebe. Damals wurde Hubert Latham vom Publikum begeistert gefeiert. Weniger begeistert hingegen waren die staatlichen preußischen Autoritäten. Wegen groben Unfugs bekam Latham ein Strafmandat über 150 Mark.

Diese Geschichte zeigt zweierlei:

Erstens: Flugzeuge können heute deutlich mehr als 1909.

Zweitens: Das Verhältnis zwischen Luftfahrtbranche und Staat hat sich grundlegend gewandelt, und zwar zum Besseren.

Das ist bereits mein zweiter Besuch als Bundeskanzler auf der ILA. Ich bin sehr gern wieder hier, weil ich damit auch zum Ausdruck bringen möchte, dass die Bundesregierung größtes Interesse an einer starken Luft- und Raumfahrtbranche in Deutschland und Europa hat. Ihre Innovationen und Erfindungen begeistern nicht nur das Publikum hier auf der ILA. Was ich auf meinem Rundgang gerade an Innovationen gesehen habe, das wirkt wie ein Katalysator für technologischen Fortschritt und Wettbewerbsfähigkeit in unserem Land weit über Ihre Branche hinaus. Deshalb gibt es für Ihre Pionierleistungen heute keine Strafmandate mehr, sondern den vollen Rückhalt der von mir geführten Bundesregierung. Wir wollen die deutsche und europäische Luftfahrtindustrie weltweit auf einem Spitzenplatz sehen, und zwar in allen drei Dimensionen, die auch hier auf der ILA im Fokus stehen: in der zivilen Luftfahrt, bei der Verteidigung und nicht zuletzt in der Raumfahrt.

Mit der Raumfahrt möchte ich auch beginnen. Raumfahrt, da denken viele an Kindheitsträume von Astronauten, Raketen, den Blick in die Unendlichkeit. All das löst zwar eine enorme Faszination aus, wirtschaftspolitisch und strategisch aber hat die Branche in der Vergangenheit oft ein Dasein in einer Nische gefristet, die kleiner war als ein Nanolauncher, jedoch völlig zu Unrecht, wenn man bedenkt, welch wachsende Bedeutung Satelliten- und Weltraumtechnologie hat.

Deshalb bin ich froh, dass uns Europäerinnen und Europäern in wenigen Tagen hoffentlich ein großer Raumfahrtmoment bevorsteht. Deutschland hat einen raschen Erststart der Ariane 6 immer befürwortet. Mehr noch, wir wollen diesem Träger eine klare Perspektive geben, auch über den Erstflug hinaus. Deshalb haben wir Unterstützung für die Zulieferer zugesagt, die dadurch nun Planungssicherheit bekommen.

Der Erststart der Ariane 6 ist aber nicht nur eine Bestätigung europäischer Ingenieurskunst nach zehn Jahren harter Vorarbeit. Die A6 stellt endlich Europas eigenen Zugang zum All mit einem Großträgersystem wieder her und damit Europas technologische Souveränität auf einem entscheidenden Feld für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents. Die Fähigkeit, jederzeit auch im All handeln und Satelliten in Umlaufbahnen bringen zu können, ist kommerziell, aber auch verteidigungspolitisch unerlässlich.

Neben Großträgersystemen brauchen wir dafür auch verlässliche und innovative Kleinsysteme. Längst zeigt uns Amerika, welch bahnbrechende Produkte gerade in der Trägertechnologie durch privaten Wettbewerb entstehen. Ich habe mich deshalb nachdrücklich dafür eingesetzt, dass wir auch in der europäischen Raumfahrt die Zeichen der Zeit erkennen und auf die Kräfte des Marktes setzen. Der Trägerwettbewerb in Europa, den wir bei der letzten Ministerratskonferenz der Europäischen Weltraumorganisation in Sevilla verabredet haben, ist ein wichtiger Schritt dazu.

Unsere Industrie braucht diesen Wettbewerb nicht zu fürchten. Hier auf der ILA kann jeder sehen, wie viel Deutschland in Sachen von Trägersystemen und in anderen Bereichen von New Space zu bieten hat. Mit Spannung schauen wir in diesem Jahr zum Beispiel auf den Erststart der ersten deutschen Microlauncher, übrigens im Kern alle privat finanziert.

An dieser Stelle herzlichen Glückwunsch an das Unternehmen Hyimpulse zum gelungenen Erststart in Australien und weiterhin viel Erfolg auch für Isar Aerospace und Rocket Factory Augsburg bei ihren Plänen! Die Bundesregierung und auch das Bundeskanzleramt werden Ihre Aktivitäten weiterhin eng begleiten. Denn ich bin davon überzeugt, dass wir hier erst am Anfang stehen. Europa braucht eine eigene Satellitenmegakonstellation, ob fürs Internet der Dinge oder fürs autonome Fahren und Fliegen von morgen. Gerade weil das ein Geschäftsmodell ist, lässt sich eine solche Konstellation aus dem Markt heraus im Wettbewerb entwickeln.

Die Bundesregierung wird das weiterhin flankieren und die nötigen Rahmenbedingungen schaffen. Deshalb haben wir im Spätsommer vergangenen Jahres eine neue Raumfahrtstrategie verabschiedet. Derzeit arbeiten wir an Deutschlands erstem Weltraumgesetz. Die Wirtschaft und die Forschung fordern das schon lange. Nun kommt es, und das Ziel ist klar: mehr Rechtssicherheit und mehr Wachstumsmöglichkeiten für New Space und die gesamte Raumfahrtwirtschaft.

Die Politik in Deutschland hat nicht nur die Raumfahrt lange Zeit stiefmütterlich behandelt. Auch um die Rüstungswirtschaft hat sie in der Vergangenheit einen zu großen Bogen gemacht, auch hier auf der ILA. Das ist vorbei. Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat ganz Deutschland vor eine neue sicherheitspolitische Realität gestellt. Deutschland bekennt sich zur Landes- und Bündnisverteidigung und zum Zwei-Prozent-Ziel klar und unmissverständlich. Dafür gibt es das Sondervermögen. Dabei bleibt es. Darauf können Sie sich verlassen.

Heute sehen wir klarer denn je, wie wichtig eine europäische und deutsche Verteidigungsindustrie ist, die alle wichtigen Waffengattungen und die nötige Munition kontinuierlich produzieren kann. Dies gilt natürlich auch in den Dimensionen von Luftverteidigung und Weltraum. Hier stand bislang das Kampfflugzeug im Mittelpunkt. Künftig wird es stärker um die Vernetzung von bemannten und unbemannten Plattformen gehen, um moderne Sensoren und Effektoren, um Drohnen, um Cloud- und KI-Technologien oder um den Loyal Wingman, dessen Prototypen ich gerade besichtigen konnte.

Ich möchte, dass unsere Industrie in all diesen Bereichen ganz vorne mitspielt, in Sachen Forschung und Technologie, aber eben auch in der Produktion, am besten digitalisiert. Das ist eine enorme Herausforderung; denn in den Jahrzehnten vor 2022 wurde in Deutschland und in ganz Europa zu wenig in die Ausstattung unserer Streitkräfte investiert. Die Industrie hatte daher Kapazitäten heruntergefahren, Standorte geschlossen und Investitionen in neue Technologien vertagt. Das ändert sich gerade.

Diese verteidigungsindustrielle Kehrtwende hat zwei gleichermaßen wichtige Dimensionen: Erstens schließen wir rasch die wichtigsten Fähigkeitslücken – dafür brauchen wir neue Produkte, die auf dem Markt verfügbar sind –, und zweitens sorgen wir dafür, dass unsere Industrie in Deutschland und Europa nun Produktionskapazitäten aufbaut und Technologien weiterentwickelt. Dafür brauchen Sie verlässliche Aufträge von uns.

Ich will gar nicht verhehlen, dass es zwischen diesen beiden Zielen nicht auch Zielkonflikte geben kann, zumindest auf kurze Sicht. Gerade weil in der Vergangenheit so wenig nachgefragt wurde, hat unsere heimische Industrie nicht mehr alles marktverfügbar im Angebot, was die Bundeswehr heute dringend benötigt. Dann weichen wir auf Produkte von Verbündeten aus, Beispiel „schwerer Transporthubschrauber“. Auf manches können wir schlicht nicht warten.

Schnelligkeit aber ist nur ein wichtiger Aspekt. Zugleich setze ich mich mit Nachdruck für den Erhalt und den Ausbau von Produktionskapazitäten ein. Deshalb werden wir noch in dieser Legislaturperiode 20 weitere Eurofighter bestellen, zusätzlich zu den 38 Flugzeugen, die derzeit noch in der Pipeline sind. Zudem setzten wir uns für weitere Perspektiven beim Eurofighter ein, auch, was den Export betrifft.

Ich hatte im Januar ja schon Gelegenheit, die Eurofighter-Produktion in Manching zu besuchen. Wir werden dort für eine kontinuierliche Auslastung sorgen. Das bietet Sicherheit für Airbus, für den Standort, aber auch für die gesamte Zuliefererkette. Und wir werden – möglichst gemeinsam mit unseren Partnern – in die Weiterentwicklung des Eurofighters investieren, einschließlich der Entwicklung von unbemannten Begleitern.

KI, Cloud und Loyal Wingman, sie werden dann eine Brücke zu FCAS bilden, dem Luftkampfsystem der Zukunft. Gerade in diesen Zukunftsfeldern hat die deutsche Industrie bei FCAS die Führungsrolle. Das ist eine große Chance, ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen!

Wir können es uns in Europa schlicht nicht mehr leisten, eine deutlich größere Zahl konkurrierender Waffensysteme zu haben als etwa die USA. Wir brauchen weniger Systeme und solche, in denen sich die Stärken unserer Industrie klar widerspiegeln. Dann erreichen wir auch die nötige Interoperabilität zwischen Europas Streitkräften und höhere Stückzahlen.

Dann erreichen wir im Übrigen auch Größenordnungen, die uns bei Innovationen und Technologien in die globale Spitzengruppe bringen. Deshalb bin ich froh, dass wir bei FCAS gemeinsam mit Frankreich in den vergangenen Monaten entscheidend vorangekommen sind. Deshalb werben wir bei unseren Partnern dafür, Verteidigungsgüter gemeinsam zu beschaffen, zum Beispiel im Rahmen der European Sky Shield Initiative für eine gemeinsame europäische Luftverteidigung im Rahmen der Nato.

Zum Schluss – last, but not least – möchte ich noch ein paar Worte zur zivilen Luftfahrt sagen. Zunächst einmal: Nach den schwierigen Pandemiejahren ist der Aufwind unter Ihren Flügeln erfreulich und beeindruckend. Bei Airbus läuft es hervorragend. Die deutschen Fluggesellschaften stehen gut da. Das Fluggastaufkommen in Deutschland ist inzwischen fast wieder auf Vorkrisenniveau. Auch die Buchungszahlen für den Sommer sehen gut aus. Bei innovativen Technologien wie niedrig fliegenden, elektrisch angetriebenen Transportmitteln wird in Deutschland wichtige Pionierarbeit geleistet, zu besichtigen hier auf der ILA.

Aber natürlich steht auch Ihre Branche vor Herausforderungen. Die wohl größte davon ist das klimaneutrale Fliegen, ein Ziel, das Ihre Branche sich selbst gesteckt hat. Dass die ILA gerade dort einen besonderen Schwerpunkt setzt, ist genau richtig.

Diese ILA zeigt auch: Neue Technologien zur Dekarbonisierung sind längst Realität. Wasserstoffprojekte spielen dabei eine große Rolle. Wenn wir in Europa 2035 im emissionsfreien Flieger sitzen wollen, müssen wir daher die Optionen von Brennstoffzelle und Direktverbrennung im Antrieb weiter austesten. Die Bundesregierung unterstützt das, denn die technologischen Anforderungen bleiben enorm.

Heute schon spielen erneuerbare Flugkraftstoffe, kurz SAF, eine entscheidende und wachsende Rolle. Mit der RefuelEU-Aviation-Verordnung haben wir daher ambitionierte Beimischquoten vereinbart und einen Rahmen für den SAF-Hochlauf geschaffen. Das ermöglicht verlässliche Investitionen. Ergänzt wird das durch den EU-Emissionshandel und auch global, im Rahmen von CORSIA.

Zugleich werden wir auch in Zukunft darauf achten, dass der europäische Luftverkehr konkurrenzfähig bleibt. Für den Einsatz klimafreundlicher Kraftstoffe heißt das etwa, dass sie zu wettbewerbsfähigen Preisen produziert und verfügbar gemacht werden müssen.

Was in Sachen SAF schon alles funktioniert, auch das zeigt die ILA. Noch nie waren so viele klimafreundliche Kraftstoffe auf einer ILA im Einsatz. Ich bin sicher: Wir werden gerade in diesem Bereich weiter schnelle Fortschritte und echte Entwicklungssprünge erleben. So war es in der Luftfahrt vor 115 Jahren, und so ist es in Ihrer Branche bis heute geblieben.

Innovation und Pioniergeist haben bei Ihnen Tradition! In diesem Sinne: „Keep on pioneering aerospace“ – die ILA Berlin 2024 ist hiermit eröffnet!