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Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
21.06.2024 | Berlin

Rede anlässlich der Grundsteinlegung für das Translationszentrum für Zell- und Gentherapie

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Rudolf Virchow war seiner Zeit voraus. Er erforschte Zellen und schrieb schon Mitte des 19. Jahrhunderts, „daß diese kleinen Elemente, die Zellen, die eigentlichen Herde des Lebens und demnach auch der Krankheit sind“. Ohne Rudolf Virchow, ohne seine Erforschung der Zellen als Bausteine allen Lebens wären wir vielleicht heute nicht hier. Krebs, Parkinson, Autoimmunerkrankungen, seltene genetische Krankheiten, sie alle lassen sich heute viel besser behandeln als zu Rudolf Virchows Zeiten. Dank der Medizin und den Biowissenschaften wissen wir um ein Vielfaches mehr über unseren Organismus und darüber, wie er funktioniert.

Und doch bleiben einige der ganz großen Fragen bestehen, die sich schon Rudolf Virchow stellte: Wie entstehen manche Krankheiten, und, noch wichtiger, wie können wir sie verhindern? – Denn es gibt immer noch Krankheiten, die sich nicht behandeln lassen – wir haben es schon gehört –, Krankheiten, für die es keine Therapien oder Medikamente gibt. Diesen Satz muss man einmal sacken lassen. Denn krank zu sein, ist das eine. Aber unheilbar krank zu sein, ist noch etwas ganz anderes.

Genau dort aber zeigt sich das ganz große Potenzial der Zell- und Gentherapien, an allererster Stelle natürlich für die Patientinnen und Patienten, aber auch für die Wirtschaft und für die Wissenschaft. Damit lassen sich Krankheiten heilen, für die es bislang noch keine Behandlung gibt, oder besser noch, man kann verhindern, dass solche Krankheiten überhaupt entstehen.

Schon jetzt laufen Hunderte klinischer Studien zur Entwicklung von Gen- und Zelltherapeutika und werden auch an der Charité schon Patientinnen und Patienten damit behandelt. Aber es sind bislang nur wenige Produkte in Europa zugelassen. Dieses Translationszentrum kann das ändern. Schon in drei Jahren wollen Sie hier starten. Das ist ambitioniert und beeindruckend. Hier wurde mehrfach versichert, dass es gelingen wird. Ich schaue nach!

Denn was wir heute hier feiern ist neben dem Startschuss auch eine einzigartige Form der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik. Mit der Charité ist die größte Universitätsklinik Europas an Bord, Innovationstreiber nicht nur in der Medizingeschichte – Rudolf Virchow habe ich schon erwähnt –, sondern eben auch in der Gegenwart und Zukunft. Man denke nur an die Erfindung des ersten wirksamen Coronatests oder die hier laufende Spitzenforschung zu menschlichen Organmodellen.

Hinzu kommt mit der Bayer AG ein Pharmaunternehmen von Weltrang. Bayer Leverkusen ist in diesem Jahr sehr verdient und zum ersten Mal Deutscher Meister geworden. Bayer ist selbst auch ein deutscher Meister, beispielsweise in der Herstellung von Arzneimitteln. Auch bei der Forschungsintensität liegt Bayer auf einem Spitzenplatz. Deshalb ist Ihr Unternehmen ein großartiger Partner, um die Grundlagenforschung der Charité direkt in Therapien zu überführen, in Therapien, die weltweit Patientinnen und Patienten helfen, wieder gesund zu werden oder gesund zu bleiben. Denn das ist genau die Lücke, die wir mit diesem Zentrum schließen wollen, von der Grundlagenforschung in die Praxis.

Diese Translation, diese Übersetzung ist wichtig. In der Grundlagenforschung sind wir traditionell in Deutschland spitze, aber auf dem Weg in die Praxis gelegentlich noch „lost in translation“. Das wollen wir ändern. Dieses Wir schließt natürlich auch das Land Berlin und den Bund mit ein. Klar ist: Gerade am Anfang brauchen neue Technologien auch staatliche Förderung. Deshalb helfen wir, indem der Bund den Bau der Herstellungsanlage und auch die Gründung und den Aufbau des Zentrums mit rund 80 Millionen Euro unterstützt.

Zugleich bin ich fest davon überzeugt, dass sich dieses Zentrum sehr bald auch wirtschaftlich tragen wird. Denn langfristig haben sich sinnvolle Technologien immer durchgesetzt. In diesem Fall sind es sogar Technologien, die Leben retten oder verbessern. Das ist ein Trend, der alle Zeit überdauert. Der Gründer des KI-Unternehmens DeepMind, Mustafa Suleyman, beschreibt das in seinem Buch „The Coming Wave“ so: „Nahezu jede grundlegende Technologie, die jemals erfunden wurde, folgt einem einzigen, scheinbar unumstößlichen Gesetz: Sie wird billiger und einfacher in der Anwendung, und schließlich findet sie umfassende Verbreitung.“

Ich bin mir ganz sicher: Diesen Weg werden auch die Zell- und Gentherapien weiter gehen.

Wir investieren mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung, und damit mehr als alle anderen großen Länder Europas. Das ist übrigens auch ein Grund dafür, warum wir mit nur 84 Millionen Einwohnern die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt sind: Weil wir forschungsstarke Unternehmen haben, weil wir herausragende akademische und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen haben. Insbesondere bei neuartigen Biotechnologien und bei der mRNA-Technologie ist die deutsche Forschung international mit führend. Herausragende Talente, eine starke industrielle Basis in der chemischen und pharmazeutischen Industrie, spezialisierte Zulieferer im Mittelstand und ausgeprägtes Branchenwissen, all das zeichnet uns aus.

Gleichzeitig ist der Standortwettbewerb härter geworden. Deshalb hat die Bundesregierung Ende 2023 die Pharmastrategie auf den Weg gebracht. Ein zentraler Baustein ist der Gesetzentwurf für ein Medizinforschungsgesetz, mit dem klinische Studien und Zulassungen von Arzneimitteln einfacher und schneller werden. Bereits im März ist ein wichtiges Gesetz in Kraft getreten, das Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Es hilft Forscherinnen und Forschern, die damit einen besseren Zugang zu Gesundheitsdaten bekommen. Wenn sie mehr Daten haben, werden sie diese auch besser nutzen können, zum Beispiel dafür, Zusammenhänge zu erkennen.

Ich war in den vergangenen Wochen bei vielen Unternehmen aus der innovativen Gesundheitswirtschaft. Die Rückmeldungen waren eindeutig. Die Pharmastrategie und die angesprochenen Gesetze sind richtig, und sie sind wichtig. Sie sind ein Grund dafür, hier in Deutschland zu investieren, in Forschungsgebäude, in Hightechproduktionsstätten, in neue Arbeitsplätze.

Damit diese Arbeitsplätze auch mit den besten Leuten besetzt werden können, haben wir die Einwanderung von Fachkräften ganz erheblich erleichtert. Auch das werden Sie bei Bayer und hier an der Charité hoffentlich bald im Alltag spüren.

Dieses Translationszentrum kann damit zum Kern oder, besser gesagt, zum Zellkern eines ganzen Organismus von gen- und zellbasierten Therapien werden, zu einem zweiten Boston, wie es hier öfter genannt wurde – denn dort gibt es bereits ein ähnliches Zentrum –, zu einem Boston an der Spree, wobei es hier um die Forschung geht. Ich war ja in der Stadt. Sie sieht ganz anders aus.

Dazu brauchen wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Unternehmerinnen und Unternehmer, die sowohl die kleinsten Details im Zellkern als auch das große Ganze sehen, nämlich die Medizin der Zukunft, die Antworten auf die großen Fragen gibt, die sich schon Rudolf Virchow stellte. Gut, dass wir beides hier in Deutschland haben, sowohl mutige Forscherinnen und Forscher als auch innovative Unternehmerinnen und Unternehmer.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für dieses visionäre Projekt. Meine Unterstützung dafür haben Sie.

Schönen Dank.