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Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
24.05.2023 | Köln

Rede anlässlich der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Lewe, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Jung, sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Reker, meine Damen und Herren. 

Wie passend, dass wir uns heute in Köln treffen. 

Schon aus der Geschichte heraus ist Köln eine starke und selbstbewusste Stadt und dieses Selbstbewusstsein finde ich gut, nicht nur, weil ich ja selbst einmal Bürgermeister einer Freien und Hansestadt war. Wir brauchen selbstbewusste, starke Städte und Kommunen, wenn wir gemeinsam neue Wege wagen, so, wie Sie es auch bei diesem Städtetag sich vornehmen. Das ist dringend nötig, denn vor uns liegen große Aufgaben. 

Als politisch Verantwortliche haben wir alle dafür zu sorgen, dass unser Land auch weiterhin zurecht kommt mit den Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, auch hier bei uns. Wir sind dabei, unser Land sicher zu verankern in einer geopolitisch veränderten multipolaren Welt, Diversifizierung lautet hier das Schlagwort für die Wirtschaft, aber auch in politischen Beziehungen.

Und als wäre all das noch nicht genug, kommt noch eine Generationenaufgabe hinzu, Deutschland vorzubereiten auf den wohl größten Umbruch und Aufbruch seit der ersten industriellen Revolution: Unseren Weg in die klimaneutrale Zukunft.

Umso wichtiger ist es, dass wir tatsächlich gemeinsam neue Wege wagen und so möchte ich heute gern einige Gedanken zu Ihrem Motto mit Ihnen teilen: Da ist erstens das Wort ‚gemeinsam‘. Gemeinsam haben wir in den vergangenen Monaten viel bewegt. Als Russland im vergangenen Herbst seine Gaslieferung abgestellt hat, da haben wir in nicht einmal acht Monaten neue Flüssiggasterminals installiert und Leitungen gebaut. Betriebe haben ihre Energieversorgung umgestellt. Wir alle haben Energie eingespart.

Das alles wäre nicht möglich gewesen ohne blitzschnelle Genehmigungen und Verordnungen der Kommunen, ohne die große Flexibilität und Kreativität ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ohne ein reibungsloses Hand-in-Hand-Arbeiten von Bund, Länder, Städten und Gemeinden – dafür sage ich heute ganz herzlichen Dank.

Gemeinsam haben wir auch an den drei Entlastungspaketen gearbeitet, die wir aufgelegt haben, um die Härten der gestiegenen Energiekosten abzufedern. Die kommunalen Versorgungsunternehmen waren uns dabei ein ganz wichtiger Ratgeber, nah an der Praxis. Und so ist es ein gemeinsamer Verdienst, dass diese Entlastungspakete wirken, dass die Preise gesunken sind und heute sogar unter dem Niveau vor dem russischen Angriffskrieg liegen.

Und noch etwas haben wir gemeinsam hinbekommen: Über eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer, Frauen, Männer und Kinder sind seit dem 24. Februar 22 vor Russlands Bomben und Raketen, vor Tod, Leid und Zerstörung hierher zu uns geflohen. Sie aufzunehmen war und bleibt ein Gebot der Menschlichkeit. Zugleich liegt darin eine große beeindruckende Kraftanstrengung unseres ganzen Landes. Alle, die daran beteiligt sind, unzählige ehrenamtliche Bürgerinnen und Bürger, die Ukrainerinnen und Ukrainer bei sich aufgenommen haben, Landräte, Bürgermeisterinnen, Kämmerer, Ratsfrauen und Ratsmänner, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihren Stadtverwaltungen, in Schulen und Kitas, im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, in Ministerien, in Bund und Ländern leisten außerordentliches. Sie alle verdienen unsere größte Hochachtung und Unterstützung.

Um das ganz klar zu sagen: Der Bund leistet seinen Teil dieser Unterstützung, übrigens auch in vielen Bereich, in dem gemäß unserer föderalen Ordnung die Länder und Kommunen unmittelbar zuständig sind. Das ist Ausdruck föderaler Solidarität.

Mit 15,6 Milliarden Euro unterstützt der Bund Länder und Kommunen allein in diesem Jahr bei der Aufnahme, Unterbringung, Versorgung von Flüchtlingen und deren Integration. Das ist erheblich mehr, als der Bund zum Beispiel 2015 und 16 beigetragen hat, als ganz besonders viele von außerhalb Europas nach Deutschland kamen. 

Allein dadurch, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer praktisch von Kriegsbeginn an Bürgergeld beziehen, werden Länder und Kommunen in diesem Jahr um 5 Milliarden Euro durch den Bund entlastet - ohnehin übernimmt der Bund seit 2020 einen deutlich höheren Anteil an den Unterbringungskosten. 

Doch wir dürfen unseren Umgang mit Fluchtmigration eben nicht auf finanzielle Fragen reduzieren, denn wer das tut, der spielt denen in die Hände, die mit dem Feuer des Ressentiments zündeln. 

Es geht darum, Migration zu steuern und zu ordnen. Nur wenn uns das gelingt, entlasten wir unsere Kommunen dauerhaft und nachhaltig. Deshalb habe ich gegenüber dem Ministerpräsidenten und Ministerpräsidenten am 10. Mai so nachdrücklich darauf gedrungen, dass wir endlich vorankommen bei der Digitalisierung der Ausländerbehörden in Ländern und Kommunen und nicht mehr Aktenberge einscannen und von A nach B schicken. Auch dem dient die zusätzliche Milliarde des Bundes, auf die wir uns bei der Ministerpräsidentenkonferenz geeinigt haben.

Dafür wird es höchste Zeit. Fast 10 Jahre nach 2015 und angesichts von hunderttausend Asylanträgen allein in den ersten vier Monaten diesen Jahres. 

Gleiches gilt für die Beschleunigung von Asylverfahren in unseren Behörden und Gerichten. Mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten haben wir auch über Rückführung geredet, denn klar ist, wer hier kein Bleiberecht hat, der muss Deutschland auch wieder verlassen. Auf welche Hürden das in der Praxis stößt, muss ich Ihnen nicht sagen. 

Doch auch hier kommen wir nur weiter, wenn Bund, Länder und Kommunen Hand-in-Hand arbeiten. Das heißt zum Beispiel, die zuständigen Behörden müssen rund um die Uhr erreichbar sein, etwa wenn die Polizei nachts ausreisepflichtige Straftäter aufgreift. Der Bund jedenfalls tut seinen Teil, um voranzukommen, zum Beispiel indem wir den Ausreisegewahrsam nun noch mal verlängern.

Auch auf europäischer Ebene haben wir zuletzt Fortschritte gemacht bei der Reform des gemeinsamen Asylsystems. Dabei geht es um die bessere Kontrolle und Registrierung, auf die wir uns nach schwierigen Verhandlungen im Rat verständigt haben und die nun mit dem Europäischen Parlament und der Kommission verhandelt werden und ich dränge darauf, dass wir diese Reform bis zur Europawahl abschließen.

Dazu gehört auch eine bessere physische Sicherung der Außengrenzen; auch darauf haben wir uns als Staats- und Regierungschefs inzwischen verständigt, denn es ist doch ein bisschen scheinheilig einerseits zu beklagen, dass sich viele irreguläre Migranten auf die gefährliche Mittelmeer- oder West-Balkan-Route begeben, dann aber andererseits den Ländern, die ihre Grenzen besser sicher wollen, Unterstützung zu versagen.

Auch dabei sollten wir immer realistisch bleiben: Mauern, Zäune und auch kein Asylverfahren an der Außengrenze werden das alleinige Allheilmittel sein, um ein globales Phänomen wie Migration von Flüchtlingen regulär zu gestalten.

Das zentrale Element für eine bessere Steuerung von Migration ist ein anderes: Neue Migrationspartnerschaften mit Ländern weltweit und daran arbeiten wir mit Hochdruck. Unser Angebot ist klar und es ist fair. Die Migrationspartnerstaaten verpflichten sich dazu, diejenigen zurückzunehmen, die hier kein Bleiberecht haben. Im Gegenzug bieten wir ihnen an, dass Menschen, die entsprechend qualifiziert sind, hierherkommen können und hier legal arbeiten können, denn wir brauchen mehr Fachkräfte. Wir sind ein wachsendes Land und wollen mehr Innovation, mehr erneuerbare Energien, mehr Infrastruktur, mehr Mobilität, mehr Klimaschutz.

Um all diese Ziele zu erreichen, braucht Deutschland bis zum Beginn der 30er Jahre sechs Millionen Frauen und Männer in den Krankenhäusern und Pflegeheimen, in unseren Schulen und Kitas und natürlich auch in unseren Verwaltungen, wo all die Windräder, Energieleitung, Bau- und Modernisierungsvorhaben ja geplant und genehmigt werden sollen und selbstverständlich bei den Handwerkerinnen und Handwerkern in unserem Land und in den Fabriken.

Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz schaffen wir deshalb gerade eine der fortschrittlichsten Regelungen weltweit, damit talentierte, motivierte und qualifizierte Frauen und Männer sich hier bei uns in Deutschland einbringen. 

Eins ist doch klar: Die Akzeptanz für die Zuwanderung von Fachkräften, die wir so dringend brauchen, steht und fällt damit, dass es uns gelingt, unsere Regeln effizient durchzusetzen. Auch hier sind wir alle gefordert – gemeinsam – meine Damen und Herren.

Nur eins sollten wir eben nicht tun: Mit Ressentiment spielen, denn das zahlt nur denjenigen ein, die Angst schüren und daraus politisches Kapital schlagen.

Ich habe nun schon einiges dazu gesagt, welche neuen Wege wir in der Asyl- und in der Migrationspolitik gehen und wie wir das Fachkräfteproblem lösen wollen: Neue Wege wagen, das müssen wir alle aber auch, wenn es um die große Zukunftsaufgabe geht, vor der wir als Land, vor der die ganze Welt steht. Wir wollen, wir müssen klimaneutral werden, um künftigen Generationen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen.

Für Deutschland haben wir klare Ziele: Bis 2045 wollen wir klimaneutral werden und zugleich ein führendes Industrieland bleiben. Schon 2030 sollen 80% unseres Stroms aus erneuerbaren Energien kommen. Doch wir alle merken, es reicht nicht, diese Ziele nur zu beschreiben.

Deshalb haben wir unsere Expertinnen und Experten durchrechnen lassen, was dafür ganz konkret zu tun ist. Vier bis fünf neue Windräder an Land müssen wir bauen, wohlgemerkt pro Tag. 43 Fußballplätze Photovoltaikanlagen müssen hinzukommen, ebenfalls pro Tag. Dazu Leitungen, Speicheranlagen, Elektrolyseure usw. Das ist machbar, davon bin ich überzeugt.  Denken wir daran, wie schnell wir LNG-Terminals ans Netz bekommen haben. Aber so, wie bei den LNG-Terminals braucht es auch dafür einen gemeinsamen Kraftakt auf allen Ebenen unseres Landes.

Neue Wege wagen, das heißt, klimafreundliche Mobilität in unseren Städten zu ermöglichen. Als Bundesregierung haben wir gerade einen enormen Ausbau der Ladeinfrastruktur beschlossen, um 2030 wirklich 15 Millionen E-Autos auf unseren Straßen haben zu können. Die Ladesäulen müssen gebaut und genehmigt werden und da sind die Kommunen mit einer großen Aufgabe herausgefordert.

Wir beseitigen Engpässe auf unseren Straßen, modernisieren unsere Brücken und schaffen ein leistungsfähiges Schienennetz und das neue Deutschlandticket ist für mich ein Beleg dafür, was wir gemeinsam schaffen können, wenn wir Neues wagen. 

Rund sieben Millionen Menschen haben inzwischen ein Abo abgeschlossen, darunter zwei Millionen Neukunden. Was für ein Erfolg für unsere Klimaziele und für den öffentlichen Nahverkehr. 

Neue Wege wagen, das heißt, den Ausbau der erneuerbaren Energien Vorrang einzuräumen, auch in unseren Gesetzen so, wie wir das jetzt getan haben. Dann müssen unsere Behörden aber auch entsprechend handeln und Genehmigungen schneller erteilen. 

Neue Wege wagen, das heißt, den Kommunen mehr Spielraum zu geben, zum Beispiel beim Ausbau von Windkraftanlagen und bei der Ausweisung neuer Flächen. Das haben wir möglich gemacht. Zugleich stellen wir sicher, dass die Kommunen, dass die Bürgerinnen und Bürger dann auch finanziell stärker profitieren von günstig produzierten Strom aus Wind, Sonne und Biomasse, Erdwärme oder anderen erneuerbaren Quellen.

Neue Wege wagen werden wir auch bei der Wärmewende. Länder und Kommunen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Deshalb stimme ich Ihnen vollkommen zu, Herr Oberbürgermeister Lewe, wir müssen unsere Instrumente miteinander verzahnen. Deshalb arbeitet die Bundesregierung gerade an einem Gesetz zur kommunalen Wärmeversorgung, um dieses wichtige Planungselement bundesweit zu etablieren und einfacher handhabbar zu machen. Deshalb fördern wir bis 2026 effiziente Wärmenetze im ganzen Land mit rund drei Milliarden Euro. 

Neue Wege wagen, das heißt, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Der sprunghafte Anstieg bei den Bauzinsen macht das – wie wir alle wissen – nicht leichter. Aber das sollten wir nicht vergessen, in Deutschland wurde Anfang der 70er Jahre schon einmal 800.000 Wohnungen pro Jahr gebaut und damals lagen die Bauzinsen, der Effektivzins rund um 9%. 

Der Bund tut, was er kann, um die Investitionsbedingungen zu verbessern, durch mehr Mittel für sozialen Wohnungsbau und die Eigentumsförderung, durch höhere Abschreibungsmöglichkeiten, durch die Förderung klimafreundlicher Gebäude. Aber auch das ist klar, Fördergeld vom Bund reicht nicht aus. Wir brauchen private Investoren. Wir brauchen auch hier die Länder und Kommunen, die Bauland ausweisen, kostentreibende Bauvorschriften überprüfen, digitale Bauanträge möglich machen und serielles und modularen Bauen fördern. 

Neue Wege wagen, das heißt, die Digitalisierung unserer Städte und Gemeinden voranzutreiben. Bis Ende 2025 wollen wir die Hälfte aller Haushalte und Unternehmen an das Glasfasernetz anschließen. Das ist natürlich zunächst einmal Aufgabe der Unternehmen, die Netze betreiben. Aber wo sich der Aufbau unter rein wirtschaftlichen Aspekten nicht lohnt, da helfen wir mit staatlicher Förderung nach.

Neue Wege wagen, das heißt nicht zuletzt auch, Bürokratie abzubauen, schneller zu werden, Bürgernähe, serviceorientierter. Der Bund hat deshalb mit der Arbeit an einem Bürokratieentlastungsgesetz begonnen und damit es nicht einfach nur eins wie die vorherigen wird, auch die Expertise des Deutschen Städtetages und andere Verbände eingeholt. 

Völlig klar ist: Neue Regeln müssen Prozesse einfacher und schneller machen, nicht kompliziert sein. Deutschlandgeschwindigkeit braucht es nicht nur beim Bau und der Genehmigung von Flüssiggasterminals, sondern überall in der Verwaltung, gerade auch in unseren Kommunen. Deshalb beraten Bund und Länder gerade über die Beschleunigung von Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsverfahren. Ziel ist, sagen wir es mal so, ein ‚Deutschland mach Tempo-Pakt‘ zwischen Bund, Ländern und Gemeinden in diesem Jahr. 

Neue Wege wagen, das können natürlich nur Kommunen, denen die Schulden nicht bis zum Hals stehen. Deshalb gehen wir auch das Problem der kommunalen Altschulden an; sie kennen unsere Bereitschaft, da eine Lösung zu finden. Gerade jetzt reden wir mit allen Seiten, wie wir die nötige Mehrheit für die Änderung des Grundgesetzes erreichen können. 

Denn wie unser Staat von den Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen wird, das entscheidet sich zu einem erheblichen Teil vor Ort, in unseren 12.000 Städten und Gemeinden, ob es gut begeh- und befahrbare Straßen gibt, Kita-Plätze und bezahlbare Wohnungen im eigenen Viertel, wie schnell man einen Termin bekommt, um den Reisepass noch vor den Sommerferien verlängern zu können, wie lange eine Baugenehmigung dauert, ob abends noch ein Bus oder eine Bahn fährt, wie es in der Schulsporthalle aussieht und im örtlichen Schwimmbad – das sind doch Fragen, die die Bürgerinnen und Bürger zurecht umtreiben und bewegen.

Alle diese Fragen haben eines gemeinsam: Sie entscheiden sich in den Gemeinden und Städten unseres Landes. Dass wir gemeinsam überzeugende Antworten darauf liefern können, schnell und pragmatisch, das haben wir in den vergangenen Monaten gemeinsam bewiesen. Deshalb können wir auch voller Zuversicht gemeinsam neue Wege gehen.

Schönen Dank.