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Rede anlässlich der Jubiläumsveranstaltung zum 10-jährigen Bestehen des Stipendien- und Mentoringprogramms „Geh deinen Weg“ der Deutschlandstiftung Integration
Montag, 20. Juni 2022, Berlin
Einen schönen guten Tag, ich freue mich über die Einladung!
Sehr geehrter Herr Bundespräsident Wulff,
sehr geehrter Herr Gauly,
liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten,
liebe Mentorinnen und Mentoren,
meine Damen und Herren,
in dem Video eben haben wir ganz unterschiedliche junge Frauen und Männer gesehen. Zwei Dinge haben sie aber gemeinsam: Sie gehen ihren Weg mit Mut, Beharrlichkeit und Optimismus - „GEH DEINEN WEG“ heißt es hier ja auch. Und zweitens: Sie alle blicken auf eine familiäre Einwanderungsgeschichte zurück.
Ich glaube, dass das etwas ist, das unser Land auszeichnet und auch ausmacht. Ganz anders als viele Deutschland wahrnehmen - hierzulande, aber auch in der Welt -, ist unser Land, ist Deutschland ein Land, das sehr viele Einwanderinnen und Einwanderer hat. Und das eine gute Integrationsbiografie hat - etwas, das über lange, lange Zeit gelungen ist. Und wenn man uns heute mit vielen anderen Staaten in der Welt vergleicht, dann ist das etwas, was tatsächlich besonders ist.
Wenn ich als Kanzler unterwegs bin, mich mit vielen unterhalte und ihnen erzählen kann, wie viele hierzulande leben, deren Eltern oder die selbst anderswo in der Welt geboren worden sind, dann wundern die sich, weil das anderswo keineswegs ein Stück Selbstverständlichkeit ist. Aber hier bei uns. Und in dem Sinne bin ich sehr dankbar für die Arbeit, die hier geleistet wird, aber noch viel mehr all denjenigen, die hier als Stipendiatinnen und Stipendiaten von dem Programm profitieren. Denn sie zeigen: Deutschland ist ein Hoffnungsland - und das ist gut so.
Natürlich ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das auch so bleibt. Und deshalb müssen wir uns immer wieder mit den großen Herausforderungen beschäftigen, die auch mit der Zuwanderung, mit der Einwanderung vieler Menschen verbunden sind. Aber auch mit der Tatsache, dass das ja auch so bleiben wird und eine Aufgabe für die Zukunft ist. Es geht also um Integration. Und eine der größten Integrationsaufgaben will ich auch gleich zu Anfang ansprechen:
Wir müssen dafür Sorge tragen, dass der Weg nicht zu steinig wird, dass er nicht bedroht wird von Rassismus, von Vorurteilen, von vielen, vielen Schwierigkeiten, die immer wieder neu aufgetürmt werden. Ich bin beeindruckt, wie viele hier sind, die allen Schwierigkeiten entgegengetreten sind und sie überwunden haben, weil sie die Kraft und Energie dazu haben. Aber ich freue mich, wenn es dann künftig heißt: So viele Schwierigkeiten macht es nun auch nicht mehr; wir haben es geschafft: Wir sind in der Lage, auch Rassismus und Vorurteile in Deutschland weiter zurückzudrängen.
Und Deutschland ist darauf angewiesen. Das, was uns in den letzten Jahren gelungen ist - wirtschaftlich, auf dem Arbeitsmarkt -, wäre nicht gelungen, wären nicht noch viele neu dazugekommen und hätten sich eingereiht in die Anforderungen, die in unserem Land existieren. Manche der Prognosen - mit denen sich Männer wie der frühere Bundespräsident und auch ich in anderen Ämtern beschäftigt haben-, manche der Thesen früherer Zeiten sind einfach widerlegt worden durch die Wirklichkeit und die Abläufe, die sich seither hierzulande zugetragen haben.
In den 90-er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde über die Schwierigkeiten diskutiert, die wir für unsere Sozialversicherung, für unseren Arbeitsmarkt haben würden, weil uns - jetzt, in dem Augenblick, in dem wir hier versammelt sind - etwa sechs Millionen Arbeitskräfte fehlen würden. Die Wahrheit ist: Sie sind da. Sie sind aber nicht einfach irgendwie entstanden, sondern sie sind eben Frauen und Männer wie Sie, die hierzulande einen Platz gefunden haben, die selbst eingewandert sind, deren Eltern eingewandert sind. Und deshalb ist es so, dass die wirtschaftliche Kraft, die Blüte, die unser Land hat, ohne die Einwanderung so vieler Menschen nach Deutschland niemals gelungen wäre. Das dürfen wir nicht vergessen.
Wir diskutieren es auch schon wieder und fragen uns: Wie geht es weiter mit all den Aufgaben, die für die Zukunft zu lösen sind? Es ist unvorstellbar, dass wir die Art und Weise, wie wir heute leben, dass wir unseren Wohlstand aufrechterhalten können, ohne dass uns das, was bisher auch schon gelungen ist, auch für die Zukunft gelingt. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir die Fähigkeiten und Möglichkeiten unserer Gesellschaft weiterentwickeln, die dazu erforderlich sind. Wir brauchen ein Land, wir wollen ein Land sein, das weltoffen ist. Ein Land, das für viele ein Hoffnungsland ist. Und wir wollen dafür Sorge tragen, dass die Diversität unserer Gesellschaft etwas ist, das uns stark macht. Und das ist auch etwas, zu dem Sie jeden Tag mit dem, was Sie tun, beitragen. Schönen Dank dafür!
Wir selber wollen auch unseren Beitrag leisten, indem wir die Gesetze verändern. Indem wir die Rahmenbedingungen verbessern, die wir in Deutschland zur Verfügung stellen können. Gerade kümmern über uns ganz aktuell wieder darum, Herausforderungen zu bewältigen, die auf uns zukommen. Es sind mittlerweile 800 000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland registriert. Viele werden bleiben, viele werden auch wieder gehen, wenn dieser schreckliche, brutale Krieg, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat, endlich zu Ende ist und das Land seine Zukunft wieder gestalten kann – unabhängig und souverän - und die eigene Demokratie selbst entwickeln kann. Aber es ist eben doch so: 800 000 sind hier registriert worden. Und das Besondere ist: Man hat den Eindruck, das klappt einfach! Das klappt nicht nur, weil überall in den Gemeinden, in den Städten und in den Ländern viel dafür getan wird, sondern auch deshalb, weil es offene Türen gibt. Weil Deutschland ein Land ist, in dem viele hilfsbereit dazu beitragen, dass diejenigen, die jetzt hier Schutz suchen, ihn auch finden. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen für unser Land.
Wir haben deshalb auch gelernt - übrigens auch aus manchen Schwierigkeiten, mit denen andere noch zu kämpfen hatten, wahrscheinlich auch die eine oder der andere hier im Raum -, indem wir jetzt zum Beispiel eine europäische Richtlinie genutzt haben, die temporären Schutz sicherstellen kann. Und zwar viel einfacher und unbürokratischer, als das sonst der Fall ist - etwa beim Zugang zu Kitas und Schulen, bei Sprach- und Integrationskursen und bei der Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen.
Das ist ja etwas Besonderes. Deutschland ist stolz auf seine Beruflichkeit. Dass der Beruf etwas ist, was man hat und das einen auch ausmacht, unterscheidet uns sehr wohl von Traditionen in anderen Ländern. Nun ist der Beruf aber in Regel auch etwas, was man bescheinigt bekommt. Ob das nun die Tätigkeit als Maler oder als Ingenieurin ist: Irgendwo muss ein Dokument her, damit man beweisen kann, dass man all diese Fähigkeiten tatsächlich besitzt, die man alltäglich vorzeigen kann. Das war früher sehr schwer. Gegenwärtig ist es nur noch schwer. Das ist ein Fortschritt, wie man erkennt, wenn man weiß, wie es war, als es sehr schwer war. Trotzdem ist es so, dass wir jetzt alles dazu beitragen müssen, dass die Dinge weiter erleichtert werden. Und wir nutzen die neue Herausforderung, die mit der Ankunft von so vielen Flüchtlingen aus der Ukraine verbunden ist, dafür alle gesetzlichen Regelungen und alle praktischen Verfahren noch einmal danach durchzukämmen, ob sie einfacher und unbürokratischer werden können. Und auch das ist etwas, wo wir aus der Vergangenheit gelernt haben und es für die Zukunft besser machen wollen.
Und natürlich brauchen wir auch Fortschritte, wenn es darum geht, in Europa gemeinsame Politiken zu entwickeln, wenn es um Asyl- und Flüchtlingspolitik geht. Aber auch, wenn es darum geht, wie wir Wege für diejenigen, die hierzulande leben und die als Flüchtlinge gekommen sind, finden und eine gute Perspektive entwickeln können.
Eines der ersten Vorhaben der Regierung wird jetzt also sein, ein Chancen-Aufenthaltsrecht zu entwickeln, das dazu beiträgt, dass diejenigen, die schon lange hier sind, die gut integriert sind und die eine Perspektive suchen, sie auch tatsächlich bekommen. Da wird es dann so sein, dass man eine Zeitlang die Chance hat, das, was man alles gewissermaßen in sich hat, auch als Beitrag in der Gesellschaft zu realisieren. Und wir wollen das Gesetzespaket, mit dem das alles verbunden ist, jetzt schnell beschließen. Es geht darum, unsichere Perspektiven zu sicheren Perspektiven zu machen. Es wird schnell kommen. Und das ist ein guter Fortschritt für unser Land.
Natürlich ist damit auch verbunden, dass diejenigen, die Gefährder sind, die Straftaten verübt haben, nicht hierbleiben können. Es wird sogar leichter sein, damit umzugehen. Aber das ist im Sinne der Integration nur sinnvoll und richtig. Und wir werden das auch so fortsetzen, denn unsere Perspektive kann man ziemlich klar beschreiben: Wir wollen irreguläre Migration reduzieren und reguläre Migration erleichtern. Und ein solcher Übergang, wie er mit diesem Chancen-Aufenthaltsrecht verbunden ist, ist ein ganz wichtiger Meilenstein dafür. Und im Übrigen wollen wir etwas vollenden, was schon mehrfach angefangen wurde, nämlich das Staatsangehörigkeitsrecht in Deutschland zu modernisieren.
Der Bundespräsident hat mich eben schon als Bürgermeister adressiert, und ich will gern sagen, dass mir das eine ganz, ganz wichtige Ansprache gewesen ist. Denn es gehört unverändert zu den berührendsten, den wichtigsten Erlebnissen und Erfahrungen, die ich als Hamburger Bügermeister gemacht habe, als ich ungefähr vier- bis fünfmal im Jahr unglaublich viele in den größten Saal des Hamburger Rathauses eingeladen hatte - der an Prunk eigentlich nichts auslässt -, die eingebürgert worden sind. Es waren so wie hier bei dieser Stiftung wahrscheinlich weit über hundert verschiedene Herkunftsnationen, aus denen die Frauen und Männer, die Kinder und die Älteren stammen, die dort eingebürgert wurden. Und es war jedesmal ganz bewegend, wenn dann ein Kinderchor Hamburger Lieder sang. Wenn dann am Ende der Veranstaltung die Hymne der Stadt Hamburg, aber auch die Nationalhymne erklang. Und wenn zwischendurch erzählt wurde, was für Erfahrungen viele in Hamburg mit ihrer konkreten Integrationsgeschichte gemacht haben. Für mich war das immer ganz herausfordernd, dass ich bei dieser Gelegenheit die Dokumente, die Urkunden - nicht an alle Anwesenden, das wäre zu viel gewesen - an etwa zwanzig Ausgewählte direkt übergeben konnte. Ich muss zugeben: Das war für mich jedesmal ein Moment, wo ich die Contenance ein bisschen „zusammenhalten“ musste, weil es mich so berührt hat. Weil man sieht, was da in diesem Moment alles zusammenkommt und was es bedeutete, dass ich allen in Hamburg, die die Voraussetzungen dafür erfüllten, irgendwann einmal einen Brief geschrieben und gefragt habe: Wollen Sie nicht Staatsbürger werden? Es ist eine großartige Kampagne gewesen, ein großartiges Erlebnis, und ich möchte deshalb, dass wir unser Staatsangehörigkeitsrecht in Deutschland auf den modernsten Stand in der Welt bringen.
Und neben der Aufgabe, dass alles einfacher wird, geht es eben auch darum, dass wir insbesondere die eine Hürde jetzt endgültig überwinden, nämlich das Verbot der Mehrstaatigkeit. Was nicht alle wissen: 50 Prozent der Einbürgerungen finden mit Hinnahme der Mehrstaatigkeit statt. Und es ist schwer zu erklären, warum es bei den anderen dann nicht so ist. Eines, glaube ich, haben wir ja aus den letzten Jahren gut lernen können: Viele wissen, dass sie vielleicht nie wieder in das Land ihrer Herkunft zurückgehen werden. Und viele wissen, dass die Heimat, um die es ihnen jetzt geht, die ist, in der sie jetzt leben, nämlich Deutschland. Aber es ist eben doch etwas Schwieriges, sich zu entscheiden, zu sagen: Ich kappe jetzt die letzte Verbindung auf diese Art und Weise. Und die Wahrheit ist: Wo man sich zu Hause fühlt, das entscheidet das Leben. Das ist eine Loyalität, die aus einem selbst erwachsen muss. Und deshalb, glaube ich, ist es richtig, wenn wir unser Staatsangehörigkeitsrecht mit dieser Perspektive modernisieren.
Ich will noch einmal zu dem zurückkommen, was ich am Anfang gesagt habe: Rassismus ist leider auch eine Realität in unserem Land. Eine Realität, die wir überwinden müssen. Es gehört dazu, dass man auch das immer noch einmal sagt. Wir erinnern uns an die Anschläge in Halle, München und Hanau und an viele andere. Aber wir zählen 20.000 rechtsmotivierte, rassistische Straftaten in Deutschland. Ich finde, das ist eine viel zu hohe Zahl. Deshalb müssen wir alles dafür tun, das zu verändern. Und wir werden etwas dafür tun! Wir werden gegen Rassismus kämpfen - mit einem nationalen Aktionsplan, mit einem Demokratiefördergesetz. Es soll dazu beitragen, dass diese schlimme Erscheinung unseres Miteinanders verschwindet, indem wir gemeinsam dagegen vorgehen.
Wir leben in einer globalen Gesellschaft, die immer mehr zusammenwächst, und deshalb ist es gut, dass Deutschland ein Land ist, das Verbindungen in alle Welt hat. Denn das gehört auch zu den Herausforderungen für die Zukunft: dass wir uns mit der übrigen Welt auskennen und viele uns kennen. Ich jedenfalls bin sehr glücklich darüber, dass Deutschland heute ein Land ist, das viele gern als offenes Land betrachten und in dem so viele gern für sich und ihre Kinder eine Zukunft suchen. Aber es geht nie ohne diejenigen, die ihr eigenes Leben gestalten, die ihren Weg gehen - so wie Sie es machen und dafür bin ich Ihnen auch dankbar. Denn indem Sie Ihren Weg gehen, gehen Sie auch unseren Weg. - Schönen Dank.