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Olaf Scholz
Per Jacob Blut | Framerei
11.10.2023 | Berlin

Rede anlässlich der SPD-Wirtschaftskonferenz

Liebe Verena,
lieber Rolf,

schönen Dank für die Einladung, für die Gelegenheit, hier ein paar Worte zu sagen. Ich will es am Ende nicht zu lang werden lassen, weil wir miteinander diskutieren wollen, aber es ist natürlich schon eine ganz besondere Zeit, in der wir hier diskutieren.

Corona hat uns alle noch irgendwie im Griff gehabt, da dachten wir: Jetzt geht es wieder los! Und dann kam dieser furchtbare Krieg, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat, mit dramatischen Konsequenzen, was Energiepreise betrifft, was Energiesicherheit betrifft zum Beispiel.

Wer hätte im letzten Herbst so sicher, wie sich heute alle fühlen, vorhersagen können, dass wir durch den Winter kommen? Wer hätte wirklich geglaubt, dass ein Land, das 50 Prozent seines Gases aus Russland importiert hat, wenn dieser Import von Russland plötzlich gestoppt wird, in der Lage ist, das zu ersetzen, ohne vorher die Infrastrukturen gebaut zu haben, die man braucht, damit das auch tatsächlich funktioniert? Aber wir haben es hingekriegt. Und wir haben auch mit sehr viel Geld, das wir eingesetzt haben, dazu beigetragen, dass man durch eine solche Zeit kommen kann.

Wir haben das Thema der Inflation, das nicht nur mit dem Krieg, nicht nur mit Corona, sondern mit auch mit säkularen Veränderungen zu tun hat, über die manche Ökonomen lange geschrieben haben, aber wenig gehört wurden, als sie nämlich gesagt haben: Das ist eine ganz besondere Phase, die wir die letzten 30 Jahre hatten, mit Vollbeschäftigung und wenig Inflation – was ja letztendlich etwas damit zu tun hatte, dass ein Teil der Welt für einen anderen Teil der Welt viel produziert hat. Aber da ist was entstanden: in Asien, im Süden Amerikas, sogar auch in vielen Orten Afrikas und hoffentlich noch viel mehr, wo jetzt eigenständige Nachfrage entsteht. Und das merken wir, denn in dem Augenblick, in dem das passiert ist, wird es natürlich so sein, dass die Dinge, die dort bisher billig waren, auch für uns teurer werden. Eine Entscheidung, die wir aus dem Krieg ableiten, dass wir uns nicht immer nur auf eine Lieferkette verlassen wollen oder auf einen Exportmarkt, auf einen Standort für die Direktinvestitionen, hat ja Konsequenzen für die Kosten, die das hat.

Hier ist über Intel gesprochen worden, das sich freundlicherweise diversifiziert und in Europa investieren möchte und auch darauf gekommen ist, dass diese Investitionen dann auch in Deutschland ganz vernünftig wären – wie manche andere von den Wettbewerbern auch. Aber es ist ja eine Entscheidung, nicht am eigenen Standort zu kleben, weil die Welt sicherer ist, wenn man viele Standorte hat. Diese Investition ist eine, von der wir profitieren, aber sie findet jetzt überall statt – mal mit dem einen, mal mit dem anderen Ergebnis.

Trotzdem, finde ich, das sind sehr herausfordernde Zeiten, und es kommen immer wieder neue dazu. Eine will ich hier nicht unerwähnt lassen: Das ist der terroristische Angriff der Hamas auf Israel.

Ich will es ganz offen sagen: Da geht es mir nicht anders als wahrscheinlich jeder und jedem hier im Raum. Wenn man die Bilder sieht von den verschleppten Kindern, Frauen, Familien, den Leuten, die im Bett ermordet werden, die da gedemütigt werden, durch die Straßen gezerrt werden, als Tote noch erniedrigt werden, dann ist das etwas, was einen nicht verlässt und wo man auch den Schrecken spürt, den in Israel alle noch viel mehr spüren, weil sie Angst haben um das eigene Leben, um das Leben der Freunde und Verwandten und der Liebsten.

Das ist etwas, was uns sehr berührt, und ich bin sehr dankbar, dass ich morgen vor dem Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung dazu abgeben kann, die aber auch von dem unterstützt wird, was die Parteien in Deutschland, viele Parteien in Deutschland gemeinsam am Wochenende erklärt haben, von dem, was wir von den demokratischen Fraktionen des Deutschen Bundestages hören, die eine gemeinsame Erklärung auf den Weg gebracht haben. Hier geht es auch gerade vor dem Hintergrund unserer Geschichte darum, dass wir Solidarität zeigen mit Israel als ein geeintes Land im Bewusstsein um die eigene geschichtliche Verantwortung, aber auch in dem Bewusstsein, dafür zu Sorge zu tragen, dass Frieden und Sicherheit in Israel gewährleistet sind.

Ein großes Thema bewegt uns auch, nicht nur uns. Wenn man sich in der Welt umschaut, gilt das für viele reiche Länder, etwa die USA, so ähnlich wie für Europa: Das ist die Frage der Migration einerseits und der irregulären Migration als ein Teil davon, der Fluchtbewegung, die aus aller Welt stattfindet in sichere und oft auch reiche Länder wie unseres.

Wir wissen, dass das etwas ist, wo wir auch Verantwortung übernehmen müssen und auch Verantwortung übernehmen wollen, denn der eine oder andere erinnert sich noch, was aus der Zeit der Naziherrschaft berichtet worden ist: dass Schiffe hier abgelegt haben und nirgendwo anlegen konnten und wieder zurückgekehrt sind und dass die Menschen, die zurückgekehrt sind, die voller Hoffnung aus Deutschland geflohen waren, alle gestorben sind. Ein Grund übrigens, warum wir in Deutschland das Recht auf Asyl in das Grundgesetz geschrieben haben, als individuelles Recht. Das sind übrigens von denen, die Anträge stellen, 1,5 Prozent – die meisten anderen haben andere Schutzgründe –, die wir aus internationalen oder auch europäischen Verträgen akzeptieren wie andere in der Welt auch.

Aber es gab Gründe, warum wir das getan haben, und das darf man, wenn über die Herausforderungen spricht, die man nicht übersehen darf, nicht beiseitelassen. Dieser humanistische Impuls gehört zu den Gründungsbedingungen unserer Republik dazu. Aber das will ich ganz klar sagen: Es kommen gegenwärtig viel zu viele auf irreguläre Weise nach Europa und nach Deutschland. Deshalb ist es auch unsere Aufgabe, die irreguläre Migration nach Deutschland zu begrenzen, dafür zu sorgen, dass weniger kommen.

Die Zahlen sind ganz beeindruckend, die wir da haben. Wir haben bei denjenigen, die aus der Ukraine gekommen sind, etwa eine Million Menschen Schutz gewährt – mehr als zum Beispiel in unserem Nachbarland Polen heute sind –, eine große Zahl. Das hat ganz gut – mit viel Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger – funktioniert. Aber es sind dann eben durch die Weltläufe letztes Jahr auch noch 240.000 weitere gekommen, die Anträge gestellt haben, und dieses Jahr können 300.000 werden, vielleicht auch mehr. Wenn man das alles für zwei Jahre zusammenzählt, braucht sich niemand, der politische Verantwortung hat, vor dem Satz zu drücken, dass es mehr sind, als sich leicht bewältigen lassen, auch für ein großes Land wie Deutschland, und es deshalb darum geht, dass die Zahlen reduziert werden.

Wir haben dazu viele Entscheidungen getroffen, zum Beispiel, dass wir uns mit den anderen europäischen Ländern einig sind, dass die Grenzen, die Außengrenzen Europas sicher gemacht werden müssen. Wir haben uns auch sehr dafür eingesetzt, dass Europa endlich zusammenarbeitet, es einen solidarischen Mechanismus gibt. Das ist jetzt nach vielen, vielen Jahren bei der Innenministertagung der europäischen Innenminister gelungen, und wir haben das jetzt im Gespräch mit dem Europäischen Parlament und werden es hinkriegen.

Wir haben gesagt, wir werden einen Weg beschreiten, den wir immer mal wieder gegangen sind, zuletzt vor, ich glaube, acht Jahren, dass Länder, aus denen so viele kommen, aber kaum einer anerkannt wird – wie Moldau und Georgien, Länder, die in die Europäische Union wollen –, als sichere Herkunftsstaaten gelten, sodass die Verfahren ganz schnell und zügig sind. Wir haben uns mit den Ländern darüber verständigt, wie Verfahren schnell und zügig sein können: dass alle Behörden vor Ort 24 Stunden erreichbar sind, dass es Digitalisierung gibt, dass wir aber auch zum Beispiel zusammenarbeiten, die Verfahren effizient zu machen. Das ist richtig.

Natürlich verstehe ich jeden, der versucht, die Ineffizienzen unseres Systems irgendwie auch zu nutzen. Aber als Staat müssen wir dafür sorgen, dass wir effizient sind. Deshalb habe ich entschieden, dass wir heute die Abstimmung unter den Ministerien der Bundesregierung mit den Ländern und mit den Verbänden über ein Rückführungspaket suchen, das wir in Deutschland auf den Weg bringen wollen, wo all die vielen Einzelschritte enthalten sind, die dazu führen, dass es besser und einfacher gelingt, solche Rückführungen auch möglich zu machen. Darunter ist zum Beispiel auch eine Regelung, die sagt: 28 Tage Gewahrsam im Vorfeld der Abschiebung, wenn eine notwendig geworden ist, ist möglich, wenn das auf andere Weise nicht gelingen kann. Das ist kein einfacher Schritt, aber einer, der dazugehört, wenn man die Effizienz des ganzen Systems gewährleisten will.

Die Länder diskutieren auch gegenwärtig über diese Dinge, und sie wünschen Ähnliches. Das gilt auch für manches andere, was jetzt diskutiert wird in Bezug auf Gemeinschaftseinrichtung, über die Frage, ob man mehr Sachleistungen gewähren kann, über die Frage, ob man gemeinnützige Arbeit vor Ort anbieten kann. Wir begrüßen das, wenn Länder und Gemeinden solche Angebote machen. Sie stehen im Gesetz und können genutzt werden. Dagegen werden wir nicht nur nichts haben, sondern wir werden alle dabei unterstützen, das zu tun. Aber wichtig ist, dass wir in dieser Frage zusammenarbeiten. Deshalb hoffe ich, dass aus der Tagung, die die Ministerpräsidenten jetzt haben, bis zum Freitag auch etwas kommt, das den Dingen sehr ähnlich ist, die wir jetzt ein Jahr lang vorbereitet und Stück für Stück auf den Gesetzgebungsweg gebracht haben. Es spricht alles dafür, wenn ich so höre, was da diskutiert wird.

Und ich habe auch neben den Vertretern der Länder die Sprecher der Ministerpräsidentenkonferenz, Herrn Rhein und Herrn Weil, und auch den Oppositionsführer für Freitag Abend eingeladen, weil es gut wäre, wenn man in dieser Sache zusammenarbeitet. Das wollte ich hier noch loswerden, obwohl es vielleicht keine wirtschaftspolitische Frage ist, aber sie bewegt alle, und deshalb wollte ich es sagen. Ich glaube, das ist ein Thema, wo der Staat zeigen muss, dass er auch Dinge unter Kontrolle hat. Das gehört zu unseren Aufgaben.

Aber ich bin da bei einem Thema, das uns, wenn es um wirtschaftliches Wachstum geht, auch bewegen muss, nämlich die Frage: Haben wir genug Arbeitskräfte? Das wird hier auch eine Rolle gespielt haben. Ich weiß jedenfalls, dass das jeden Tag ein Thema ist für viele Betriebe, kleine, mittelständische, große Betriebe, Dienstleistungsbetriebe, Industriebetriebe. Alle fragen: Wie wird was? Und alle haben ja, wenn sie den Taschenrechner anschauen, auch Gründe.

Die etwas niedlich beschriebene Generation, der Rolf und ich auch gehören, sind die Babyboomer, so Männer und Frauen knapp unter und knapp über 60 – ich sehe noch ein paar andere. 13 Millionen von uns gehen demnächst in Rente – ich nicht; ich habe mir vorgenommen, länger zu arbeiten. Das ist ja ein Trend, andere tun das auch; insofern gar nicht schlecht.

Aber 13 Millionen ist ganz schön viel. Und das werden wir auffangen können, indem wir einfach supergut sind, was schulische Bildung betrifft, indem wir alles tun, was da notwendig ist: mit Krippen, mit Kitas, mit Ganztagsangeboten, mit immer wieder neuen Möglichkeiten, dass alle zu einem ordentlichen Schulabschluss kommen. Das ist gut, wenn wir es schaffen, zum Beispiel mit Jugendberufsagenturen dafür zu sorgen, dass der Übergang von der Schule in die Berufsausbildung oder später in ein Studium für andere gelingt, dass die eine oder andere Qualifikation für viele relevant ist, indem wir Erwerbstätigkeit attraktiver machen – auch in einer Runde vieler Unternehmer möchte ich für Mindestlöhne und gute Löhne werben –, indem wir dafür Sorge tragen, dass es immer wieder geht.

Ich habe mich wirklich sehr gefreut, als ich viele Betriebe besucht hab, die endlich tun, wofür ich als Arbeitsminister in den Jahren 2008/2009 fast vergeblich geworben habe: nämlich, dass sie 30-, 40-, 50-Jährige, die schon lange im Betrieb sind und als Ungelernte und Angelernte arbeiten, jetzt qualifizieren, sodass sie dann breiter eingesetzt werden können. Dafür gibt es sogar Förderungen.

Wir müssen natürlich etwas bei der Erwerbstätigkeit von Frauen tun. Da ist nicht nur die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen unverändert, ein bisschen sehr groß, sondern es ist eben auch so, dass es an vielen Stellen, wo Frauen was tun könnten, gar keine oder nur wenige sind. Da könnte noch was gehen.

Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist besser geworden, wir sind schon fast an skandinavischen Verhältnissen dran, aber es ginge noch was. Und wenn wir die Teilzeitquote auch ein bisschen reduzierten und ein bisschen skandinavischer würden, dann ginge noch viel mehr.

Aber all das zusammen und auch, wenn wir es schaffen, dass Ältere sagen „Ich möchte gerne bis zum Eintrittsalter der Rente arbeiten“ oder vielleicht darüber hinaus freiwillig und ohne Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters, dann wird das alles zusammen nicht reichen, um diese 13 Millionen zu ersetzen. Und deshalb brauchen wir auch Fachkräftezuwanderung. Das ist mir ganz, ganz wichtig.

Ich habe ja eben etwas über irreguläre Migration gesagt. Aber eine reguläre Migration von Männern und Frauen, die genau das mitbringen, was wir brauchen, was wir benötigen, vom Arbeiter, von der Arbeiterin, von der Pflegekraft bis zu den Ärzten und Ingenieuren, das würde uns natürlich sehr nützen.

Wie sehr der Wohlstand mancher Nationen davon abhängt, dass sie diese Offenheit zeigen, kann man ja an den USA sehen. Da ist eine Sache, die mir nie aus dem Kopf geht: Die Hälfte derjenigen, die in den USA einen Doktor macht – einen Ph.D., also so etwas Ähnliches –, ist nicht in den USA geboren.

Gestern habe ich in Hamburg zusammen mit meinem Freund Emmanuel Macron und den Ministern aus Deutschland und Frankreich ein Gespräch mit einem deutschen AI-Experten geführt, der Professor in Stanford ist und Unternehmer, Herr Socher für die, die ihn kennen wollen, und er hat mir gesagt: 80 Prozent von denen, mit denen er in Kalifornien zusammenarbeitet, sind nicht in den USA geboren.

Deshalb ist natürlich auch unser Wohlstand sehr wohl davon abhängig, dass es uns immerhin gelungen ist, dass wir heute eine Bevölkerung haben, die 25 Prozent Zuwanderungshintergrund hat – mit sehr konservativer Zählungsweise. Aber dass wir das können und wir das machen müssen, bedeutet auch, dass wir diese beiden Dinge immer in ihrer eigenständigen Wirklichkeit betrachten müssen: die irreguläre und die reguläre Migration, dass wir die Wechselverhältnisse verstehen, aber dass wir trotzdem jeweils jeden Pfad für sich ordentlich organisieren, damit wir die Kontrolle behalten – und manchmal passen die auch zusammen. Denn wenn ich mit einem Land, aus dem wir Fachkräfte und Arbeitskräfte brauchen, einen Vertrag mache, indem ich sage „Da steht drin, die können kommen“ – und wie das einfach und gut organisiert funktionieren kann –, „die wir brauchen, weil sie einen Arbeitsvertrag haben, sie werden hier gebraucht, oder wir haben ein Punktesystem“ und gleichzeitig sage „Aber die, die zurückgehen müssen, die müsst ihr zurücknehmen“, ob das nun Straftäter sind, wo wir das erwarten dürfen, oder Leute, die den falschen Weg gesucht haben, über Asyl zu versuchen, die Zuwanderung zu organisieren, die also nicht wegen Fluchtgründen passiert ist, dann ist das etwas, was funktionieren kann.

Die Reden mancher Politiker sind ja in dieser Welt immer so – das ist für Deutschland nicht anders als überall sonst –, dass sie sagen: „Das muss man so machen!“ Und dann guckt man – und was passiert? – Nichts. Dann kommt die nächste Rede: „Das muss man so machen!“ Und was passiert? – Nichts. Wir sollten uns auf die Dinge konzentrieren, die wirksam sind.

Was niemand überwinden kann, ist, dass die eigene Hoheit, das, was man durch eigene Gesetze regeln kann, immer an der eigenen Staatsgrenze endet. Und wenn man will, dass andere jemanden zurücknehmen, muss man sie davon überzeugen, dass sie es machen. Da haben wir allerdings jetzt wegen der Tatsache, dass wir Arbeitskräfte brauchen, das beste Argument für faire Verträge, die in unserem Interesse sind und im Interesse derjenigen, mit denen wir sie abschließen. Das wollen wir machen, auch zugunsten unserer Wirtschaft.

Wir wollen die Wirtschaft erneuern, und wir wollen sie CO2-neutral machen, das ist hier mehrfach besprochen worden – mit verschiedensten Perspektiven. Eine große Herausforderung, ich glaube, darüber muss man nicht lange philosophieren. Aber es ist eine, bei der es jetzt ganz wichtig ist, dass wir den Moment erleben, dass alle sich sicher sind: Es wird gelingen.

Um die Größe dessen, was wir gerade machen, verstehbar zu machen, sage ich mir immer und teile es dann anderen gern mit: Das ist fast so wie die industrielle Mobilisierung, die Deutschland am Ende des 19. Jahrhundert hatte. Leuna, Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden, in zwei Jahren auf der grünen Wiese mit dann 10.000 Arbeitsplätzen, mit lauter Verfahren, die überhaupt noch nicht industriell erprobt waren; die kamen direkt vom Labor in die Fabrik. So etwas ging.

Dieses Tempo, auch die Begeisterung für den Fortschritt, das brauchen wir jetzt auch, und das Zutrauen, dass es gelingen wird. Und wenn ich beschreiben soll, was, glaube ich, gerade das Thema ist für viele Unternehmen und für viele Bürgerinnen und Bürger auch: Wird es so sein oder wird es nicht so sein? Kann man das glauben, dass das gelingt? Darüber sollten wir reden und nicht drum herumreden. Meine Antwort ist: Ja. Aber es gibt Gründe, warum alle – oder viele – nicht so sicher sind.

Das Erste ist: Es ist ja alles neu. Also bevor es geklappt hat, kann man ja nicht sicher sein, dass es klappen wird. Und es ist nicht einfach mehr vom selben oder sonst was, es ist anders. Aber wenn es dann erst mal klappt und man sieht, wie das so alles läuft, dann geht es auch immer schneller, und das Zutrauen wird immer größer. Wir sind in dem Moment, wo wir losfahren müssen und alle auf den Zug aufspringen müssen. Das ist das, was wir gerade als Leistung – auch emotional und moralisch – als Nation hinkriegen müssen.

Dann ist es gleichzeitig so, dass unglaublich viele ja auch geprägt sind von dem, was sie gesehen haben. Unser Land ist ja großartig. Wir sind, damit es so richtig hält, zweimal aus der Atomenergienutzung ausgestiegen, einmal Anfang der Jahrtausendwende mit Schröder und Fischer und dann noch mal – Schwarz-Gelb – mit Frau Merkel nach dem Reaktorunglück von Fukushima. Und weil das Drama ja noch nicht genug ist, haben wir am Ende noch mal diskutiert: Sollen wir es noch mal ein paar Monate verlängern? Haben wir gemacht! Also eigentlich zweieinhalbmal. Aber nun sind wir draußen.

Wir haben noch eine zweite Entscheidung getroffen: Wir steigen aus der Kohleverstromung aus. Die ist ganz fest schon in der letzten Regierung mit Frau Merkel und mir vereinbart worden. Eine große Konferenz, Herr Brudermüller war auch dabei, bis in die Nacht haben wir verhandelt. Wir hatten vorher mit den Ländern besprochen, wie viel Geld wir für die Transformation zahlen; es ist dann das Doppelte geworden, aber egal – oder wie auch immer. Jedenfalls: Das hätten wir schon mal geschafft.

Aber dann hat keiner gemerkt, dass wir irgendwo einsteigen, dass das klappt, sondern alles hat sich verzögert: Die Ausbauziele für die Stromleitungen rückten immer weiter nach hinten! Irgendwelche Leute haben sich fast angekettet, dass man hier nicht bauen soll. Dann mussten sie auch noch unter die Erde! Überall hat sich die Zeit der Genehmigung von Windkraftanlagen – Onshore, Offshore – verlängert, sechs Jahre für so eine kleine – klein sind die ja nicht mehr – Windkraftanlage. Das ist doch absurd!

Wenn man das alles zusammenzählt, muss man doch wahrheitsgemäß sagen: Wenn wir sich alles nur so vor sich hin entwickeln ließen, würden wir nicht rechtzeitig fertig werden. Das gehört zur Wahrheit dazu.

Mit diesen Gesetzen, mit denen meine Regierung im Jahre 2021 angefangen hat, würden wir das nicht rechtzeitig schaffen. Darum haben wir ganz viele neue Gesetze beschlossen. Aber man muss die Mentalität umdrehen. Wir dürfen nicht alles eins nach dem anderen machen und dann sehen, dass das eine sich zum anderen fügt, sondern wir müssen sagen: Wenn es bedeutet, 80 % erneuerbarer Strom und auch noch mehr als heute, nicht 600, sondern vielleicht 750 oder 800 Terrawattstunden Strom 2030, in sieben Jahren, dann müssen wir mal zählen: Wie viele Windkraftanlagen sind das eigentlich? Wie viele Stromnetze sind das eigentlich? Und müssen rückwärts gucken: Was für ein Tempo brauchen wir, damit das auch tatsächlich gelingt? Und das, was ich Ihnen gerne hier erzählen möchte, ist: Exakt das haben wir gemacht. Wir haben alle diese Entscheidungen getroffen, wir haben die Gesetze geändert und wir ändern sogar noch ein paar, damit es noch schneller wird. Aber die Botschaft ist: Wir sind soweit. Bei den Genehmigungen haben wir die Geschwindigkeit für Onshore-Windanlagen erreicht, die wir brauchen, um 2030 das Ziel zu erreichen. Bei den Solaranlagen haben wir sogar schon die Größenordnungen bei den Gebauten. Und wenn wir so weitermachen, noch ein bisschen Tempo da reinpacken, dann wird das auch gelingen.

Wir haben Gesetze geändert, europaweit Gesetze geändert, die dazu beitragen sollen, dass die Geschwindigkeit zunimmt. Das, finde ich, ist erst mal die eine gute Botschaft: Man kann mittlerweile berechtigterweise darauf setzen, dass es gelingen wird.

Wir haben noch vieles andere getan, zum Beispiel ins Gesetz geschrieben: Wie sieht das endgültige Stromsystem 2045 aus? Dann bleibt es nämlich nicht bei den lange verzögerten Leitungen, die wir gegenwärtig kennen, dann kommen noch fünf dazu – große: von Nord nach Süd, von West nach Ost und quer durchs Land! Aber dann wissen wir es jetzt schon, es steht jetzt schon im Gesetz: Man kann gleich anfangen zu planen, ist schneller und kann dann auch bauen, damit es rechtzeitig fertig ist. Darauf kann man sich dann verlassen.

Wir machen uns jetzt die Gedanken, wie man ein 24/7-Stromsystem organisiert. Denn es ist ja nicht so, dass die allermeisten sagen „Ich nehme den Strom, wenn er da ist“ – auch schick, kann man machen, aber nicht für alle. Deshalb, finde ich, muss man dann auch sicherstellen, dass das so ist. Und wir brauchen entsprechende Erzeugungskapazitäten, wenn es keine Sonne, keinen Wind gibt und das mit Wasserkraft und Biomasse alles nicht reicht, um trotzdem den Strom zu produzieren, den die Industrie und die Wirtschaft, wir alle brauchen. Auch diese Entscheidung treffen wir jetzt.

Wir wissen, dass die Zukunft der CO2-neutralen Industrie elektrifiziert ist. Wir wissen aber auch, dass sie ein Gas braucht, statt Öl und Gas, ein natürliches Gas, nämlich Wasserstoff. Aber dann muss der in großen Mengen produziert werden, hierzulande mit den Elektrolyseuren, die wir regulatorisch mal freischalten müssen, sodass das einfach auch gebaut werden kann und nicht durch lauter rechtliche Vorschriften verhindert wird, womit das niemals ein Geschäftsmodell wird. Und dann müssen wir dafür Sorge tragen, dass wir den Wasserstoff importieren können und andere ein großes Business weltweit spannen mit uns zusammen, das so groß ist wie das Gas- und Ölbusiness der Vergangenheit, mit Argentinien und Südafrika, mit Namibia, mit der Arabischen Halbinsel, mit der Ukraine, mit vielen anderen. Und das tun wir auch.

Und wir bauen ein Wasserstoffnetz. Dieses Jahr werden wir, wenn es klappt, die Entscheidung treffen: über eine privatwirtschaftliche, mehr als 20-Milliarden-Investition für die Errichtung eines Wasserstoffnetzes, wobei natürlich nicht am Anfang das Geld verdient wird, sondern über 30, 40, 50 Jahre. So etwas kann ein ordentlicher Kapitalismus wie der deutsche – er hat es sich aber abgewöhnt, weil immer schon alles da war. Deshalb sind wir sehr weit mit denen, die das machen, und organisieren in guter, öffentlich privater Partnerschaft, wie das funktionieren kann, dass man jetzt loslegt mit der Investition, wissend, dass am Anfang weniger Wasserstoff durch die Rohre kommt als später und das über die Strecke sich rechnen muss. Aber wir machen das.

Das heißt: Wofür ich hier werben will, ist, das Vertrauen darin zu haben, dass wir genau verstanden haben, was zu tun ist, damit die infrastrukturellen technologischen Voraussetzungen geschaffen sind für eine wirtschaftliche Entwicklung, die CO2-neutral ist und uns als Industrieland wettbewerbsfähig hält.

Nun gibt es ja immer noch einige, die glauben: Das mit dem Gas und Öl, das kommt alles wieder. Das glaube ich nicht. Wir werden Öl verarbeiten, aber als Material, so wie wir Stahl verarbeiten, aber wir heizen nicht mehr damit und wir benutzen das nicht als Treibstoff und als Brennstoff.

Deshalb ist es so wichtig, dass man sich einmal anknüpfend an das, was ich anfangs gesagt habe, eine Frage beantwortet: Was passiert eigentlich, wenn mit Höhen und Tiefen, hin und her, aber doch über die Strecke der Erfolg der Globalisierung immer weiter geht und 2050 vielleicht 10 Milliarden Menschen auf der Welt – vielleicht 2050, vielleicht erst 2070 – einen Wohlstand haben wie wir 1950? Dafür haben wir nicht genug Gas in keiner Erde verbuddelt, nicht genug Kohle, nicht genug Öl und auch alles Mögliche andere nicht, übrigens, glaube ich, auch nicht genug Uran.

Diese Frage muss man sich immer beantworten, wenn man sagt: Das ist doch bisher gut gegangen und das geht auch noch gut. Alle verstehen nicht, dass das eine Frage der Mathematik ist, wo man einmal rechnen muss: Wenn jetzt alle auch industrielle Nachfrager werden so wie wir, was wir ihnen ja wünschen, dass das da genauso ist, mit genauso vielen Autos wie in Deutschland, überall, in Afrika, in Lateinamerika, in Asien – das geht nicht gut mit den Technologien, die wir heute haben, und das wird unbezahlbar. Deshalb ist das nicht nur ein Gutes-Herz-Argument, wenn wir sagen „Wir wollen das“, es ist auch für unsere eigene ökonomische Zukunft unverzichtbar, dass wir es schaffen, Wohlstand zu produzieren, ohne Biodiversität und Klima zu beeinträchtigen, und genau das ist der Weg, den wir eingeschlagen haben.

Zwei Dinge sind mir noch wichtig. Das Erste ist: Es muss schneller gehen. Ich habe es für die Transformation, die ich konkret beschrieben habe, schon gesagt. Aber es gilt natürlich insgesamt.

Geschwindigkeit hat auch was mit Wachstum zu tun – übrigens auch mit der Frage, wo die Investition stattfindet. Es hilft ja manchmal, wenn man schon mal Bürgermeister war. Also da ist zum Beispiel eine Industrieansiedlung, und in der Stadt wird gesagt „Wir haben da einen fertigen Bebauungsplan, die Anschlussstraße ist auch schon fertig, eigentlich kannst du nächstes Jahr loslegen und da deine Halle errichten“. Und wenn es ganz doll läuft: „Wir haben schon eine gebaut, vielleicht passt sie.“ Der andere sagt: „Ja, da ist die Fläche, Bebauungsplan ist in vier Jahren fertig, wollen wir das Projekt wagen?“ Wenn man denn so ein Ding wie Intel vorhat, dann ist das vielleicht eine Nummer. Oder wenn Herr Brudermüller kommt und sagt „Ich möchte hier noch mal ein Leuna bauen“, dann sagen wir auch „Alles wird gemacht“. Es ist trotzdem etwas, was man im Blick haben muss: Geschwindigkeit zählt. Und das Vertrauen in die Geschwindigkeit ist auch wichtig für die Investitionen.

Ich war jetzt in New York, habe dann die Gelegenheit genutzt, mir das Empire State Building zeigen zu lassen, ein altes Gebäude, trotzdem hoch, sehr hübsch. Bauzeit, glaube ich, 15 Monate. In der Zeit hätten wir es nicht genehmigt – und auch sonst niemand mehr in der entwickelten Welt, auch in den USA nicht. Da müssen wir uns jetzt gar nicht schlimmer finden als die anderen, wir sind nur so wie alle anderen auch.

Und das ist, glaube ich, der Punkt, wo das, was ich Deutschlandpakt genannt habe, ins Spiel kommt. Es ging um die Frage: Können wir uns einmal unterhaken und all die Dinge tun, die notwendig sind, damit wir das Tempo auch erreichen? Denn es ist ja liebevoll mit Sorgfalt, mit Energie und Fantasie über Jahrzehnte von allen Parteien, von Kommunen, Landkreisen, Ländern und Bundesregierungen daran gearbeitet worden, dass wir da sind, wo wir heute sind. Und das ist dann irgendwann einmal zu viel.

Und da gehts auch um banale Fragen. Eine der Sachen haben wir jetzt beschlossen: Wir machen eine Gutachterdatenbank, damit man, wenn man einen Gutachter braucht, einen findet. Aber die eigentliche Frage ist: Wieso braucht man so viele Gutachter? Und hat schon einer mal gezählt, ob das, was wir vorhaben, mit der physikalisch möglichen Menge an Gutachtern realisiert werden kann? Die Antwort ist: Nein.

Das heißt, wir haben gar keine Chance, bei dem zu bleiben, was wir haben. Deshalb habe ich das bewusst so angelegt als überparteiliches und überinstitutionelles Konzept, denn wenn alle so lange in die eine Richtung gegangen sind, dann müssen sie, glaube ich, auch gemeinsam in die andere gehen und sich dabei immer sagen „Ist gar nicht so schlimm, was wir machen“, und „Das ist hoffentlich das, was gelingt.“

Ich habe gesagt, das war die vorletzte, die letzte Bemerkung soll auch noch kommen, und dann sind wir zu Ende mit dem, was ich hier eingangs sagen möchte.

Ich werbe auch ganz unabhängig davon für Optimismus oder Zuversicht, was den Wirtschaftsstandort Deutschland betrifft. Wir kennen alle die Probleme, sie sind hier erörtert worden, ich stimme allen zu, aber ich sage ausdrücklich: Das ist schon komisch: Wenn jetzt so viele Direktinvestitionen in Deutschland stattfinden, wenn große und kleine Unternehmen entscheiden, sie wollen in Europa investieren, und kommen dann auf Deutschland, und wir irgendwie das Gefühl haben, das Gegenteil sei der Fall. Ich war neulich bei Ford in Köln und durfte mit einem Herrn Ford gemeinsam irgendwie daran arbeiten, dass es demnächst Elektrofahrzeuge aus diesem bald 100 Jahre alten Werk in Köln geben wird. Das wird jetzt umgebaut, und dann kommen die daher. Große Industriegeschichte, ein amerikanisches Unternehmen in Deutschland.

Ein neu aufgekommener amerikanischer Automobilkonzern mit Elektrofahrzeugen hat sich überlegt, er möchte eine große Fabrik in Europa bauen, und ist auf Deutschland und Brandenburg gekommen und will die noch mal vergrößern. Brandenburg hatte gerade ein Wirtschaftswachstum von 6 Prozent. Das ist die Lage, in der wir das Gefühl haben: An uns geht alles vorbei.

Es gibt mehrere Batteriefabriken, die in Deutschland investiert werden, und wir wollen noch ein paar mehr haben und verhandeln darüber. Das ist doch nicht schlecht.

Über die Halbleiter ist hier schon gesprochen worden. Das ist ja auch eine merkwürdige Geschichte. Die kommen ja deshalb nach Deutschland, weil das Ökosystem einer hoch qualifizierten Halbleiterproduktion hier immer noch vorhanden ist und hier, in Deutschland, auch großartige Halbleiter produziert werden, das Know-how existiert. Und eigentlich sind nur Staat und Industrie irgendwann vor 30 Jahren abgebogen und haben gesagt: Das ist ein Geschäft, das ist uns zu teuer, das hat zu hohe Kapitalbindung, das soll andere machen, das gibts immer billig irgendwo zu kaufen. Dann haben wir gelernt: Das war wohl ein Irrtum. Aber als sich dann die vielen Unternehmen – und das ist ja nicht nur Intel, das ist Wolfspeed, das ist Bosch, das ist Infineon, das ist GlobalFoundries, die schon da sind – entschieden haben, hier neu und groß zu investieren, da haben sie es getan in ein Ökosystem hinein, das schon existiert.

Und das soll dann der Schluss sein. Wir sollten zuversichtlich bleiben. Wir können es auch.

Schönen Dank!