Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmer,
sehr geehrter Herr Dawidowsky,
sehr geehrter Herr Hohenwarter,
sehr geehrter Herr Schulze,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
meine Damen und Herren,
lieber Herr Bürgermeister!
Wenn die Leute anderswo in Deutschland an Görlitz denken, dann denken sie vor allem daran, wie schön diese Stadt ist, die Altstadt, die Viertel mit den prächtigen Häusern der Jahrhundertwende. Deshalb zieht es Touristen hierher in die östlichste Ecke Deutschlands, und deshalb kommt die ganze Welt hierher, um Filme und Serien zu drehen. Görliwood, Sie wissen schon. Dagegen verbinden viele Außenstehende mit Görlitz nicht sofort, dass diese Stadt auch eine lange, stolze Industrietradition hat, eine Tradition, die mit viel harter Arbeit und mit Stolz darauf verbunden ist, was man hier über die Jahrzehnte und Jahrhunderte geschafft hat. Auch davon zeugt das Stadtbild. Nicht nur die schöne Altstadt ist erhaltenswert, sondern auch die Tradition von Görlitz als Industriestadt mit guten Arbeitsplätzen und starken Unternehmen.
Deshalb bin ich heute hier. Deshalb habe ich mich auch persönlich sehr dafür eingesetzt ‑ davon war schon die Rede ‑, dass Industriearbeitsplätze erhalten bleiben, wenn Alstom aus Görlitz weggeht. Die sächsische Landesregierung hat das ebenfalls getan, der Ministerpräsident, der sächsische Wirtschaftsminister, und dafür bin ich sehr, sehr dankbar.
Der Hauptgrund aber, weshalb es uns gelungen ist, mit KNDS Deutschland ein Unternehmen zu finden, das künftig hier in Görlitz produziert und Arbeitsplätze sichert, ist ein anderer. Der Hauptgrund sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Alstom. Sie sind es, die mit ihrem Können, ihrem Fleiß und ihren Qualifikationen letztlich den Ausschlag für KNDS gegeben haben. Das ist übrigens eine gute Botschaft, wenn es um den Wirtschaftsstandort Deutschland geht. Denn die vielen sehr gut qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die man keineswegs überall auf der Welt einfach so wiederfindet, sind etwas Besonderes, das sich mit Deutschland verbindet. Jahrzehntelang hieß es: Wir brauchen keine Aluminiumschweißer mehr, das ist ein aussterbender Beruf. ‑ Jetzt werden sie dringend gesucht. Hier in diesem Werk gibt es diese Fachleute noch, die etwas vom Arbeiten mit schwerem Gerät hinter einer Schutzmaske verstehen, wo die Funken fliegen, wo es heiß ist und wo das Ergebnis trotzdem absolut akkurat sein muss. Das ist immer auch körperlich harte Arbeit, Arbeit, die allergrößte Anerkennung verdient und allergrößten Respekt.
Fast alle Görlitzerinnen und Görlitzer haben in der Familie oder unter ihren Freunden jemanden, der hier arbeitet oder gearbeitet hat. Der Ministerpräsident hat es gerade von sich selbst erzählt. Alle in diesem Werk und eine ganze Stadt haben in den vergangenen Jahren um diese Arbeitsplätze gekämpft, die Betriebsräte, die IG Metall, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Heute können wir sagen: Das hat sich gelohnt. ‑ Natürlich sind wir noch nicht am Ziel, und ich hoffe und ich arbeite dafür, dass am Ende allen Kolleginnen und Kollegen von Alstom eine Anschlussbeschäftigung angeboten wird, bei KNDS, deren Produktion hier wachsen wird ‑ da bin ich mir sicher ‑, bei Zulieferern und anderen Betrieben, die auf gute Leute angewiesen sind, die etwas vom Metallbau verstehen, oder an den anderen Standorten von Alstom.
Statt Waggons werden hier nun schon ab dem kommenden Jahr Teile für die Verteidigungsindustrie hergestellt. Ein bisschen davon können wir sehen. Wir haben diesen Übergang eng begleitet. Denn wir wollen unsere Bundeswehr so aufstellen, dass sie Deutschland und unser Bündnis auch künftig gegen alle Bedrohungen verteidigen kann. Mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine hat der russische Präsident ein Grundprinzip unserer Friedensordnung aufgekündigt, das jahrzehntelang Bestand hatte, nämlich das Prinzip, Grenzen nicht mit Gewalt zu verschieben. Darauf mussten wir reagieren, und darauf haben wir gemeinsam mit unseren Partnern reagiert.
Vielleicht kann ich das an dieser Stelle kurz sagen: Es war doch eine große politische Tat, dass Deutschland unter der Führung Willy Brandts und dann mit dem Einheitsvertrag gesagt hat: Die Oder-Neiße-Grenze ist unsere Ostgrenze. ‑ Gerade in dieser Stadt versteht man das mehr als an vielen anderen Stellen. Nie wieder soll wie jetzt Putin irgendein politischer Führer aus Deutschland anfangen, in Geschichtsbüchern zu blättern und zu denken: Das alles war einmal meines. ‑ Das kann nicht sein. Wir werden den Frieden in Europa nur dann sichern, wenn wir auch durch unsere eigene Kraft sicherstellen, dass Grenzen nicht mit Gewalt verschoben werden, sondern unangetastet bleiben. Das ist die Grundlage für Frieden.
Dazu gehört natürlich, die Bundeswehr mit allem auszurüsten, was sie für unsere Verteidigung braucht. Viel zu lange wurde das vernachlässigt. Diesen Zustand haben wir beendet und dafür ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro geschaffen. Fußnote: Das ist ein elegantes Wort für Schulden in Höhe von 100 Milliarden Euro. Wir werden das noch bezahlen müssen. Aber trotzdem! Der Umstieg wurde dadurch möglich.
Zwei Dinge waren dabei für mich von Anfang an entscheidend. Erstens: Schnelligkeit. Deshalb haben wir manche besonders dringend benötigte Rüstungsgüter auf dem freien Markt gekauft, zum Teil auch im Ausland. Genauso wichtig ist der zweite Punkt, nämlich der Aufbau einer leistungsfähigen Verteidigungswirtschaft in Deutschland und Europa. Natürlich gab es auch vor der Zeitenwende deutsche und europäische Rüstungsunternehmen. Sie sind ja da. Aber eine dauerhafte Produktion selbst der allerwichtigsten Güter gab es praktisch nicht. Das ändern wir, und dazu braucht es eine noch viel engere Abstimmung zwischen den Ländern Europas. Gerade haben wir im Europäischen Rat genau darüber gesprochen, wie das möglich ist.
Mit Blick auf die geopolitischen Veränderungen ist doch klar: Europa muss aus sich selbst heraus stark sein. Dann sind wir auch ein starker, unverzichtbarer Partner für unseren transatlantischen Verbündeten. So ist die Logik. Dafür brauchen wir eine eng verzahnte europäische Rüstungsindustrie statt dutzender konkurrierender Hersteller und Systeme. Auch daran arbeiten wir, wenn wir in Brüssel darüber reden. Man muss es ja einfach sagen: In den USA gibt es viel weniger Waffensysteme als in Europa. Dann können die „scales“, die großen Linien, nicht entstehen, die man braucht, um das Ganze mit großer Qualifikation immer weiterzuentwickeln, aber auch preiswert zu produzieren.
Mit Blick auf Deutschland können wir inzwischen sagen: Die Beschaffung läuft, die Produktion wird hochgefahren, und ein Beispiel dafür ist dieses Werk, das KNDS nun in Görlitz aufbaut. Diese Produktion hier in Görlitz sorgt für mehr Sicherheit für Deutschland und auch für mehr Sicherheit für Görlitz, und damit meine ich nicht nur sichere Arbeitsplätze. Ich weiß, es gibt vor Ort auch Leute, die ganz gezielt Angst vor diesem Werk hier schüren. Das sind übrigens dieselben Leute, die Putins brutalen Angriffskrieg verharmlosen und kein Problem damit haben, dass russische Raketen täglich Frauen, Männer und Kinder töten. Das passt alles nicht zusammen, und deshalb sollte man auf solche Stimmungsmache auch nichts geben. Ich jedenfalls bin sehr froh, dass sich Alstom und KNDS einig geworden sind. Allen, die daran beteiligt waren und das möglich gemacht haben, sage ich noch einmal: Vielen herzlichen Dank!
Natürlich ist der Weggang von Alstom von diesem konkreten Standort auch traurig. Wenn nach 175 Jahren die Geschichte des Waggonbaus hier in Görlitz endet, dann schmerzt das, keine Frage. Aber wir sind auch deshalb als Industrieland so erfolgreich, weil wir immer wieder in der Lage sind, uns an andere Trends und Entwicklungen anzupassen. Auch das hat mit gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu tun. Das hat mit Unternehmen zu tun, die in Aus- und Weiterbildung investieren. Das alles passiert hier am Standort Görlitz, und das muss deutschlandweit passieren.
Weltweit entscheidet sich gerade, wo die Industrien der Zukunft entstehen. China und die USA investieren Billionen oder locken mit milliardenschweren Subventionen. Ich finde, Deutschland und Europa dürfen da nicht abgehängt werden. Deshalb habe ich mich so stark dafür eingesetzt, dass sich einige der größten Chiphersteller der Welt im „Silicon Saxony“ rund um Dresden ansiedeln. Ich bin dafür auch kritisiert worden, finde es aber unverändert richtig. Für mich ist ganz klar: Nur wenn wir mithalten im Rennen um solche Hochtechnologien, dann werden wir auch in Zukunft eines der führenden Industrieländer bleiben. Chips, Batterien, Quantencomputer, Biotechnologie, künstliche Intelligenz, Raumfahrt - das sind die Grundlagen für die Industrie der Zukunft, und damit wird auch Geld verdient werden.
Ich sage ganz klar: Deutschland bietet auch diesen Branchen sehr viel, weil wir eben hervorragend ausgebildete Arbeitskräfte haben, weil wir mehr industrielles Know-how haben als fast alle anderen Länder der Welt, weil wir mehr in Forschung und Entwicklung investieren als alle anderen großen europäischen Volkswirtschaften und, nicht zuletzt, weil wir solide Staatsfinanzen haben.
Ich sitze häufig mit den Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten zusammen, den USA, Japan, Kanada, Italien, Großbritannien und Frankreich. Alle diese Länder haben eine Staatsverschuldung von mehr als 100 Prozent, Tendenz steigend. Unsere Staatsverschuldung sinkt in Richtung 60 Prozent. Diesen Vorteil müssen wir nutzen, indem wir in Zukunftstechnologien und damit in sichere Arbeitsplätze investieren. Ich habe Vorschläge dafür gemacht, wie das geht, Vorschläge, die solide durchgerechnet sind. Zum Beispiel will ich mit einem Made-in-Germany-Bonus einen Anreiz schaffen, hier in Deutschland zu investieren. Mit zehn Prozent bezuschusst der Staat dann alle Ausrüstungsinvestitionen hier in Deutschland, einfach und unbürokratisch. Ich will auch einen Deutschlandfonds auflegen ‑ mit öffentlichem und privatem Geld ‑, der in unsere Infrastruktur investiert: in bessere Straßen, Brücken, Schienen, aber auch in neue Wohnungen, in Wärmenetze und digitale Infrastruktur. Da ist in den letzten Jahrzehnten zu viel liegengeblieben. Nicht erst der Einsturz der Carolabrücke in Dresden hat das gezeigt.
Auch diese Region rund um Görlitz würde davon profitieren. Lange lag die Stadt ja gefühlt fast am Ende der Welt, und das hat sich nun komplett geändert. Heute liegen Görlitz und die Lausitz mitten im vereinten Europa. Zum Glück bedeutet das: mehr Handel, mehr Grenzverkehr. Aber die Infrastruktur muss natürlich mitwachsen. Die Elektrifizierungslücken auf den Bahnstrecken von Cottbus nach Görlitz und von Dresden nach Görlitz sollen deshalb so schnell wie möglich geschlossen werden; der Ministerpräsident hat darüber gesprochen. Die Planungen sind angelaufen. Das Geld dafür steht unter anderem aus dem Kohlefonds zur Verfügung. Auch der zügige Ausbau der A4 gerade um den Knoten Dresden herum ist wichtig; denn der Verkehr zwischen West und Ost wird in den kommenden Jahren ja eher noch zunehmen.
Meine Damen und Herren, Görlitz kann stolz auf seine lange Geschichte als Industriestadt sein, und diese Geschichte ist noch lange nicht auserzählt. Sie geht weiter, weil wir alle, die wir heute hier sind, diese Geschichte weiterschreiben. Mit diesem Tag beginnt ein neues Kapitel. Ich wünsche Ihnen für alles, was die Zukunft bringt, viel Erfolg.
Schönen Dank!