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Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
07.11.2023 | Bonn

Rede anlässlich des 20. Deutschen Betriebsrätetags sowie des 15. Deutschen Betriebsrätepreises

Lieber Thorsten Halm, liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz herzlichen Dank für die Einladung.

Ich bin sehr froh, dass ich hier bei euch zum 20-jährigen Jubiläum des Deutschen BetriebsräteTags, zum 15-jährigen Jubiläum des Deutschen Betriebsräte-Preises sein kann.

Ich erinnere mich ganz gut daran, wie ich 2009 als Arbeitsminister und Schirmherr den ersten Deutschen Betriebsräte-Preis übergeben durfte. Vermutlich bin ich deswegen noch einmal eingeladen worden.

Das war auch hier in Bonn, im Collegium Leoninum. Allerdings erinnere ich mich nicht, dass alle das gleiche T-Shirt anhatten.

Das war damals wahrscheinlich noch anders, oder meine Erinnerung hat mich verlassen. Jedenfalls kommt sie nicht.

Mit dem Gold-Preis wurde damals der Betriebsrat von Karstadt für das Projekt „Mensch im Mittelpunkt – ein Unternehmen in der Krise“ ausgezeichnet. Übrigens erleben wir gerade die letzten Ausläufer der damals auch schon bekannten Entwicklung. Die Betriebsrätinnen und Betriebsräte bei Karstadt hatten sich vor und während des Insolvenzverfahrens unermüdlich dafür eingesetzt, Arbeitsplätze zu erhalten und Standorte zu sichern. Das hat mich sehr beeindruckt.

Auch in den Jahren danach, in meiner Zeit als Finanzminister, war es mir immer wichtig, mit diesem Forum einen Austausch zu haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist kein Zufall, dass der BetriebsräteTag nun schon seit 2011 gerade hier im früheren Bonner Bundestag stattfindet. Für mich ist es übrigens auch ein ganz besonderer Moment. Ich war in meinem ersten Leben Fachanwalt für Arbeitsrecht. Es gab dann aber doch noch eine kurze Phase, in der es mir gelungen war, Abgeordneter des Bundestages hier in Bonn zu sein.

1998 gewählt, hatte ich dann eine kurze Zeit erst noch ohne Büro, weil die neuen Abgeordneten warten mussten, bis die alten endlich ausgezogen sind.

Anfang 1999 hatte ich dann ein Büro im Langen Eugen, der jetzt anders genutzt wird, und konnte mir dann, glaube ich, aus dem 13. Stock alles angucken, bevor ich dann im Sommer mit allen anderen Abgeordneten nach Berlin umgezogen bin. Für mich war das aber ein wichtiger Moment. Denn ich bin ja aufgewachsen mit all den Bildern vom Deutschen Bundestag und den großen Debatten der Zeit, als ich jung war. Und dass ich dann noch mal kurz gucken konnte, wie es so war, um dann nach Berlin umzuziehen, fand ich gut.

Mir gefällt auch das diesjähriges Motto „Mehr Mitbestimmung wagen“, angelehnt natürlich an das große Wort von Willy Brandt.

Manche glauben ja, in schwierigen Zeiten wie diesen bräuchten wir weniger Demokratie und gar weniger Mitbestimmung. Das Gegenteil ist richtig: Wir brauchen mehr davon, und zwar auf allen Ebenen: in unseren Parlamenten, in unseren Kommunen und eben auch in den Betrieben. Denn die Demokratie macht eben nicht am Werkstor Halt – und vor allem sollte sie es nicht.

Warum das so wichtig ist, das habe ich mir auf sehr praktische Weise selbst erarbeitet. Ich bin ja, wie einige wissen, Anwalt für Arbeitsrecht gewesen und habe Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Betriebsräte – auch Personalräte – und Gewerkschaften vertreten. Für mich ist das nicht nur beruflich eine wichtige Erfahrung gewesen, sondern auch weil ich viele tolle Frauen und Männer kennengelernt habe, die sich einsetzen und die – das ist auch meine Erfahrung gewesen – in vielen Betrieben, in die ich dann reingekommen bin, der eigentliche Stabilitätsanker waren und auch mehr von dem Unternehmen wussten als die Unternehmensleitung.

Die Betriebsräte kämpfen mit aller Kraft, wenn es zum Beispiel um den Abbau von Arbeitsplätzen geht oder Betriebe abgewickelt werden; das ist immer ein ganz, ganz schlimmer Moment. Und sie sind natürlich immer ganz nah dran und immer dabei, wenn es um gute Arbeitsbedingungen geht, um den Arbeitsschutz. Ganz intensiv haben wir alle diese Frage während der Corona-Pandemie diskutiert, wie Arbeit weitergehen kann und was man dort am besten organisieren kann.

Oder sie kämpfen, wenn es um sehr, sehr moderne Betriebsvereinbarungen geht, zum Beispiel um Fragen der Qualifizierung und Weiterbildung.

Ich jedenfalls fand immer, da können viele ganz viel und ohne die würde der Laden nicht laufen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die große Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft wird nur mit Betriebsräten als Stabilitätsankern gelingen. Ich glaube, dass hier alle genau wissen, was da auf uns zukommt. Manche haben sich in der Geschichte ein bisschen umgeschaut. Aber das, was jetzt vor uns liegt, ist von der Dimension her ungefähr das, was mit der industriellen Mobilisierung Deutschlands am Ende des 19. Jahrhunderts verbunden war, als Deutschland erst richtig zu seiner Größe als Industrieland aufgewachsen ist, als, anders als heute, in zwei, drei Jahren große Betriebe entstanden sind.

Ich habe einmal den Chemiepark Leuna besucht; heute ist es ein Park. Da ist Anfang der 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts in zwei Jahren eine Fabrik mit allem aus dem Boden gestampft worden, wo vorher keiner wohnte und dann 10 000 Leute arbeiteten. Heute wäre es in der Zeit planungsrechtlich wahrscheinlich nicht mal bis zur Grundsteinlegung gekommen.

Damit sich das ändert, haben wir gestern zusammen mit den Ländern einen „Deutschlandpakt“ mit vielen Planungsbeschleunigungen vereinbart. Nur, die Realität ist: Wenn wir 200 Jahre Industriegeschichte in Europa und in der Welt haben und die im Wesentlichen auf der Nutzung fossiler Ressourcen – auf Kohle, Gas und Öl – beruhte und wir in 23 Jahren um 2045 herum klimaneutral und immer noch Industrieland und weltweit wettbewerbsfähig sind, dann passiert da was. Das heißt, jeden Tag wird es in allen möglichen Dimensionen Entscheidungen geben, die dann am besten laufen, wenn sich auch Betriebsräte darum kümmern.

Was wird zum Beispiel aus den Kolleginnen und Kollegen, deren Qualifikation zwar groß ist, die aber nicht mehr gefragt sind, sondern andere? Da, finde ich, ist ein ganz wichtiger Aufgabenbereich, dafür Sorge zu tragen, dass die Unternehmen nicht denken: „Wir trennen uns von den einen und holen uns andere neu rein“, sondern dass man guckt, welche Potenziale in den eigenen Belegschaften eigentlich vorhanden sind. Übrigens ist dies ganz unabhängig von der Transformation, die wir jetzt erleben, angesichts einer Diskussion über Fachkräftemangel, wie ich finde, ohnehin ein ganz guter Gedanke.

Ich habe jetzt viele Betriebe gesehen, in denen das passiert ist, wofür ich mich 2008/2009 als Arbeitsminister eingesetzt habe. Dort qualifiziert man 30-, 40-, 50-jährige Beschäftigte, die schon lange in der Firma sind. Manche sind angelernte Arbeiter, manche haben eine Ausbildung, aber in einem völlig anderen Beruf. Dann sind die in die Firma gekommen und machen noch mal die Qualifizierung. Da habe ich sehr stolze Frauen und Männer kennengelernt. Das geht nämlich, wenn man das als Thema entdeckt. Und wenn sich alle über Fachkräftemangel beklagen, können sie ja mal gucken, wen sie so alles in der Firma haben. Da fallen ihnen dann bestimmt ein paar auf.

Die moderne Welt ist unglaublich verbunden mit all den Fragen moderner Technik, und das hat mich schon in meiner Arbeitsrechtszeit sehr bewegt. Ich nehme an, das wird hier auch Gesprächsthema gewesen sein: Es gibt ja im Betriebsverfassungsgesetz eine kleine Regelung, die für etwas ganz anderes gedacht war, aber letztendlich dem Betriebsrat bei fast allem, was mit moderner Technik zusammenhängt, einen Einfluss ermöglicht. Ich weiß sogar noch die Nummer, obwohl ich seit 1998 nicht mehr praktiziere: § 87 Abs. 1 Nr. 6 des Betriebsverfassungsgesetzes.

Ich habe viele Betriebsvereinbarungen abgeschlossen. Das war interessant.

Es geht aber auch darum, zu gucken, wie wir dafür Sorge tragen können, dass es eine gute wirtschaftliche Zukunft der Unternehmen gibt, wenn so viel neu investiert wird.

Wir selber – das will ich an dieser Stelle jenseits von Arbeitsrechts- und Betriebsbeziehungen sagen – werden alles dafür tun, dass das gelingt, und zwar mit einer ausreichenden Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen, mehr Strom, mehr Wasserstoff. Wir begleiten Unternehmen bei den Investitionen, die sie jetzt brauchen, auch wenn sie etwas ganz Neues mit neuen Techniken wagen. Das wird mal ganz spektakulär sein in einem großen Unternehmen, wenn plötzlich das Stahlwerk nicht mehr mit Kohle betrieben wird, sondern mit Strom erst aus Gas und dann aus Wasserstoff. Es ist manchmal auch weniger spektakulär. Aber wenn der Maschinenbauer jetzt KI macht, hat das auch was zu bedeuten, und dann sind Betriebsräte gefragt.

Insofern, glaube ich, können wir zuversichtlich sein, dass wir das hinbekommen. Aber das wird nur mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und ihren Anwälten gelingen, die sich für ihre Belange in solchen Veränderungsprozessen einsetzen, und das sind die Betriebsräte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass wir natürlich gucken müssen, wie wir die weiter stärken können, zumal das eine so gute und lange Tradition für unser Land ist. Deshalb ist es auch ein Ziel der Regierung, dass wir das Betriebsverfassungsgesetz weiterentwickeln werden.

Wie immer wird es da bestimmt auch Diskussionen geben, aber ich bin sicher, dass die Vereinbarungen, die wir gefunden haben, auch umgesetzt werden. Dazu zählt zum Beispiel ein Thema, das mich sehr bewegt, nämlich die Frage des digitalen Zugangsrechts für Gewerkschaften zu Betrieben.

Das klingt so, als ob das eine Nebensache wäre. Aber wenn alles digitaler wird, dann ist auch das von großer Bedeutung.

Und natürlich müssen wir auch etwas dafür tun, dass die Behinderung demokratischer Mitbestimmung auch ohne Strafantrag verfolgt werden kann. Ich jedenfalls glaube, dass es furchtbar ist, wenn tatsächlich versucht wird, das, was ein legitimes Bürgerrecht ist, nämlich in den Betrieben mitzubestimmen, zu bekämpfen, indem man diejenigen, die sich so einsetzen wollen, unsicher macht, verfolgt, angreift. Leider passiert das immer wieder, und deshalb ist es meine feste Absicht, dass wir die Rechtslage, die das heute nicht hergibt, verbessern.

Einige wird es vielleicht bewegen – nicht alle, weil es sehr unterschiedlich ist in den Betrieben. Aber die, die es bewegt, wissen, wovon die Rede ist: Wir sind jetzt dabei, eine Neuregelung der Frage von mehr Sicherheit bei der Betriebsratsvergütung hinzukriegen.

*Applaus* – Es sind offenbar doch mehr.

Es ist jedenfalls kein einfaches Thema. Aber ich glaube, da ist jetzt eine gute Lösung von drei sehr honorigen Leuten, die große Erfahrung haben, vorgeschlagen worden, und sie haben etwas gemacht, was Konsens stiften kann. Die Bundesregierung hat das Gesetz bereits auf den Weg gebracht. Jetzt muss es nur noch der Bundestag schaffen, das auch zu beschließen.

Ja, vielleicht noch das zum Schluss, bevor wir miteinander diskutieren: Ich glaube, dass wir uns ein Demokratieverständnis angewöhnen müssen, in dem wir die Mitbestimmung der Beschäftigten und ihre Rechte als einen zentralen Bestandteil unserer insgesamt gelingenden Demokratie begreifen.

Das ist nicht etwas, was es so nebenbei gibt. Und dass das in Deutschland eine so lange Tradition hat, das ist etwas, was mich sehr wohl mit Stolz erfüllt.

Ich will schon sagen, dass mich sehr beeindruckt hat, dass einer der Philosophen dieser Republik, Axel Honneth, jetzt ein Buch mit dem schönen Titel „Der arbeitende Souverän“ geschrieben hat. Besser kann man eigentlich nicht ausdrücken, was er sagen sollte: Demokratie ohne Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ein wichtiger Teil der Diskussion in unserer Gesellschaft und der Entscheidungsfindung in den Betrieben sind, wird nicht gut funktionieren.

Deshalb bedanke ich mich bei allen, die hier sind, für ihre Arbeit und freue mich auf unsere Debatte.