Sehr geehrter Herr Dr. Bruch,
Monsieur le Ministre Lescure,
sehr geehrter Herr Minister Habeck, lieber Robert,
sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister,
verehrter Herr Botschafter Delattre,
sehr geehrter Herr Mansmann,
sehr geehrter Herr Jackow,
meine Damen und Herren!
„Es war einmal“ – so fangen Märchen an, auch Industriemärchen. Es war einmal die AEG, die 1904 eine Dampfturbinenfabrik vom Berliner Wedding hierher nach Moabit in die Huttenstraße verlegte. Ein berühmtes Zeugnis dieser Zeit ist die Montagehalle nebenan, von den Zeitgenossen damals als „Kathedrale der Arbeit“ und „Festraum für Maschinenbau“ beschrieben. Die Produktion wuchs, der Erfolg stellte sich ein.
Jahrzehnte später fusionierten AEG und Siemens zur Kraftwerksunion. Auf Dampfturbinen folgten Gasturbinen. Sie zählen bis heute zu den leistungsstärksten und effizientesten weltweit. Die Produktion wuchs weiter, der Erfolg stellte sich ein.
„Fast forward“ in die Gegenwart: Siemens Energy übernimmt das Gasturbinenwerk Huttenstraße und verlegt auch seine Konzernleitung hierher. Die hier gebauten Gasturbinen können bereits heute zu 50 Prozent mit Wasserstoff betrieben werden. Bis 2030 sollen 100 Prozent möglich sein. Dann sollen ja auch welche gebaut werden - im Rahmen unserer Strategie, die wir für unsere Energiesicherheit in Deutschland planen.
Um diesen Wasserstoff zu produzieren, entscheidet Siemens Energy, hier nicht nur Turbinen zu bauen, sondern eben auch Elektrolyseure, und zwar nicht per Einzelfertigung, sondern industriell, im Multi-Gigawatt-Maßstab, zu 100 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgt. Sie ahnen schon, was jetzt kommt: Die Produktion wird weiter wachsen, der Erfolg wird sich auch hier wieder einstellen.
Meine Damen und Herren, drei Dinge zeigt dieses Industriemärchen von Berlin-Moabit. Erstens: Mit Energieproduktion und allem, was man dafür braucht, lässt sich Geld verdienen, gestern, heute und auch in der klimaneutralen Zukunft.
Zweitens: Die Kassandrarufe von der vermeintlichen Deindustrialisierung Deutschlands und Europas führen vollständig in die Irre. Der Aufbruch unserer Industrie ins Zeitalter der Klimaneutralität schafft nicht nur die Nachfrage für das, was hier künftig produziert wird, sondern dieser Aufbruch macht es überhaupt erst möglich, dass sich ein Industriebetrieb wie Siemens Energy mitten in einer Stadt von fast vier Millionen Einwohnern neu ansiedeln und ausweiten kann - weil diese Industrie sauber ist, und weil auch alle weiteren Voraussetzungen stimmen; dazu aber später mehr.
Noch etwas Drittes zeigt die Entwicklung dieses Standorts ganz, ganz deutlich: In dieser Veränderung liegt keine Bedrohung. Transformation ist eben kein Synonym für Produktionsverlagerung und Arbeitsplatzabbau, sondern vielmehr eine Bedingung für wirtschaftlichen Erfolg und gute Arbeitsplätze. Insofern, lieber Herr Dr. Bruch, ist dieser Tag heute nicht nur ein guter Tag für Siemens Energy. Er ist auch ein guter Tag für Berlin, für Deutschland und für ganz Europa.
Schließlich, und das freut mich ganz besonders, sehr geehrter Herr Minister Lescure: Diese Gigafactory ist auch ein deutsch-französisches Leuchtturmprojekt, hervorgegangen aus dem Technologiedialog unserer Regierungen. Mit Air Liquide und Siemens Energy bündeln hier zwei Technologiegiganten ihr Wasserstoff-Knowhow. Das ist ein schönes Beispiel für die enge Verbundenheit unserer beiden Länder.
Das ist aber auch ein beeindruckender Meilenstein für Europas Wettbewerbsfähigkeit, wenn man bedenkt, welch zentrale Rolle Wasserstoff für die weltweite Energiewende spielen wird. Denn es wird Bereiche in der Industrie und in Teilen des Verkehrssektors geben, die sich nicht oder nicht effizient elektrifizieren lassen. Da werden wir Wasserstoff brauchen, aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der veränderten Lage auf den Energiemärkten übrigens früher als zuvor gedacht. Darum haben wir das ursprüngliche Ziel unserer Nationalen Wasserstoffstrategie verdoppelt. Bis 2030 wollen wir nun zehn Gigawatt heimische Elektrolysekapazität aufbauen. Das ist eine große Aufgabe. Aber der heutige Tag bestärkt mich in der Überzeugung: Wir kriegen das gemeinsam hin.
Mit der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes haben wir Ende Mai den Rahmen für die neue Wasserstoffinfrastruktur geschaffen. Auch auf EU-Ebene arbeiten wir an guten regulatorischen Rahmenbedingungen, etwa beim delegierten Rechtsakt zur Definition von grünem Wasserstoff oder bei der Novelle des EU-Gasmarktpakets.
Hier in Deutschland befinden wir uns in den Endzügen der Planung eines Wasserstoffkernnetzes, das in den EU-Binnenmarkt eingebettet ist und das bis 2032 alle wichtigen Erzeugungs- und Verbrauchszentren unseres Landes verbindet und dabei Speicher, Kraftwerke und Importkorridore integriert. Was natürlich eine besondere Leistung ist: All das wird überwiegend privat finanziert sein, begleitet allerdings durch gute öffentliche Rahmensetzung, die wir mit der investierenden Wirtschaft besprochen haben. Eine Schwierigkeit ist nämlich, dass die Investitionskosten zunächst hoch sein werden, die Einnahmen in der Hochlaufphase dagegen aber noch vergleichsweise gering. Wie wir das mittelfristig ausgeglichen bekommen und Investitionen attraktiv machen, darüber sind wir mit den Fernleitungsnetzbetreibern nach intensiven Gesprächen vergangene Woche zu einer guten Lösung gekommen. Das wird jetzt schnell in abschließend vom Bundestag zu behandelnde Gesetze gegossen.
Neben dem richtigen Regelwerk und der Infrastruktur wird der Wasserstoffmarkt anfangs natürlich auch noch Nachfrageanreize brauchen. Auch dafür sorgen wir, EU-weit mit der Förderung von Wasserstoffgroßprojekten als „Important Projects of Common European Interest“, national mit unserem Förderprogramm zur Dekarbonisierung der Industrie, mit den Klimaschutzverträgen des Bundeswirtschaftsministeriums, die Mehrkosten ausgleichen, wo klimafreundliche Produktionsverfahren derzeit noch nicht konkurrenzfähig sind, und nicht zuletzt mit den Programmen des Bundesforschungsministeriums, die helfen, Transport und Nutzung von Wasserstoff schnell in die Praxis zu bringen und die Produktion zu skalieren. Davon hat auch diese neue Produktionsstätte profitiert; wir haben es schon gehört.
Aber Ihre Unternehmen, lieber Herr Dr. Bruch, lieber Herr Jackow, investieren nicht wegen der staatlichen Fördermöglichkeiten gerade hier in Berlin. Solche Möglichkeiten bestehen schließlich auch anderswo. Sie sind hier, weil es hier ein gewachsenes industrielles Umfeld gibt – mit zuverlässigen Zulieferern und vielversprechenden Abnehmern. Davon zeugen die vollen Auftragsbücher für Elektrolyseure, für Turbinen, aber auch für die anderen Produkte und Dienstleistungen von Siemens Energy. Nicht zuletzt dieser positive Ausblick hat die Bundesregierung überzeugt, dass Siemens Energy hervorragende Wachstumsperspektiven besitzt.
Wie Sie alle sicherlich wissen, befindet sich die Bundesregierung in sehr konstruktiven und sehr zielorientierten Gesprächen, wie ein notwendiges Absicherungspaket für dieses beeindruckende Auftragsvolumen aussehen könnte. Ein Bankenkonsortium sowie die Siemens AG sind intensiv in diese Gespräche involviert; denn ich erwarte, dass jetzt alle Beteiligten ihren Beitrag leisten. Auch das will ich gern sagen: Ich bin zuversichtlich, dass wir sehr bald zu einer guten Lösung kommen werden, wenn jetzt alle ihrer Verantwortung gerecht werden.
Meine Damen und Herren, einen Standortfaktor habe ich noch nicht erwähnt. Dabei war er bei der Entscheidung für den Standort Berlin dem Vernehmen nach entscheidend. Dieser Faktor, das sind die tüchtigen Männer und Frauen, die hier oft seit Jahrzehnten an Energielösungen arbeiten. Einige von ihnen haben sich für den Einstieg in die Produktion von Elektrolyseuren unternehmensintern fortgebildet. Andere ziehen sogar von Erlangen an den Standort Berlin und bringen ihr Know-how mit. Ich freue mich, dass ich gleich im Anschluss einige davon kennenlernen werde. Auf sie und ihre Bereitschaft, neue Wege zu gehen, kommt es in dieser Zeit ganz, ganz, ganz besonders an! Dafür sage ich Ihnen und all den anderen Kolleginnen und Kollegen von Herzen: Schönen Dank!
Sie sind hier Teil von etwas wirklich Großem. Denn der Einstieg in die Multi-Gigawatt-Produktion von Wasserstoff birgt enormes Potenzial. Allein die zwölf Elektrolyseure, die an Air Liquide gehen sollen, werden 28 000 Tonnen Wasserstoff für die Industrie und den Mobilitätssektor produzieren. 250 000 Tonnen CO2 können so eingespart werden. Dafür wären normalerweise 25 Millionen Bäume nötig. Das entspricht einer Waldfläche, die größer ist als das ganze Land Berlin. All das schaffen Sie mit zwölf Ihrer Elektrolyseure, und ähnliche Projekte stehen in den Startlöchern.
Meine Damen und Herren, Anfang des letzten Jahrhunderts, als dieses Werk hier entstand, da sprach der Technikhistoriker Conrad Matschoss von der Dampfmaschine als dem „Prinzen, der das Dornröschen Industrie aus ihrem Schlummer erweckte“. Die Prinzen unserer Zeit, das sind die Elektrolyseure und die Wasserstoffturbinen, die Sie hier bauen werden. Damit schreiben Sie das Industriemärchen fort, das hier an der Huttenstraße vor 119 Jahren begann, und zwar ganz real, im Hier und Jetzt. Schönen Dank dafür, und allen Beteiligten viel Erfolg bei dem Projekt!