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Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
25.03.2024

Rede anlässlich des Baubeginns der Northvolt Gigafactory

Sehr geehrter Herr Carlsson,
sehr geehrter Herr Haux,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Günther,
sehr geehrter Herr Bundesminister Habeck, lieber Robert,
meine Damen und Herren,
oder wie mir als Hamburger ganz vertraut ist: Moin!

Ich bin froh, heute hier an der Nordwestküste zu sein. Das ist eine Gegend, die ich, wie ich schon gesagt habe, gut kenne und die mir dementsprechend auch am Herzen liegt. Mir gefallen die Weite, das windige Wetter, die See und die direkte und pragmatische Art der Offenheit hier oben im Norden.

All das waren schon früher gute Gründe, hierher zu reisen. Aber zur Wahrheit gehört: Lange reimte sich hier auf Ferienparadies auch Strukturschwäche ‑ mit den Folgen, die Sie alle kennen.

Doch etwas Entscheidendes hat sich in den vergangenen Jahren verändert, und die Auswirkungen sind hier an der Küste ganz besonders spürbar: Wir haben gemeinsam entschieden, in unserem Land bis 2045 klimaneutral zu werden. Und noch wichtiger: Wir haben es inzwischen auch tatsächlich angepackt. Dadurch sind aus der Weite, dem windigen Wetter, der See und der pragmatischen Art hier oben im Norden jetzt nicht nur Feriengründe geworden, sondern eben auch knallharte Standortvorteile.

Eigentlich kann das niemanden überraschen; denn wer sich die Wirtschaftsgeschichte anschaut, der sieht: Wirtschaft hat sich schon immer gerne dort angesiedelt, wo Energie war. In manchen Gegenden lag Kohle in der Erde, wie im Ruhrgebiet oder im Saarland. Die hatten Glück, denn dort entstand fast automatisch auch industrielle Wertschöpfung. Und dann gab es andere, die nicht so viel Glück hatten. Ändern konnte man daran nicht so leicht etwas.

Mit der Energiewende in unserem Land und weltweit haben sich diese Spielregeln noch einmal geändert. Windig und sonnig ist es an vielen Orten in Deutschland. Biogas und Geothermie lassen sich in ganz unterschiedlichen Gegenden nutzen. Noch werden diese Standortvorteile nicht überall in Deutschland schon so gut genutzt wie hier zwischen Norderwöhrden, Lohe-Rickelshof und Heide. Natürlich weht hier immer eine frische Brise. Aber es war keine Fügung, sondern eine klare Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger, der Landesregierung hier in Schleswig-Holstein, der Gemeinden, unter anderem hier im Kreis Dithmarschen, konsequent auf die Windenergie zu setzen ‑ und das schon seit vielen, vielen Jahren ‑, Wind zum Rohstoff zu machen. Es war auch eine ganz klare Entscheidung, offen und pragmatisch zu sein, um schnell die rechtlichen Voraussetzungen für ein Milliardenprojekt wie die Northvolt Gigafactory zu schaffen. Heute und hier zeigt sich: Es war genau die richtige Entscheidung.

Als Bezeichnung für einen solchen selbstgemachten Standortvorteil, bei dem Planung, Entwicklung und Genehmigung schnell und unbürokratisch ineinandergreifen, habe ich schon häufiger von Deutschlandtempo gesprochen. Ich war drauf und dran, das hier wieder zu tun. Dann aber habe ich von der Dithmarschen-Geschwindigkeit gehört ‑ die ist ja auch schon lange bekannt. Und ich muss sagen: Das passt ganz hervorragend; denn die Dithmarschen Geschwindigkeit beschreibt perfekt, worauf es hier ankommt.

Denn natürlich ist es wichtig, in Berlin und in Kiel die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. Das haben wir gemacht, und das setzen wir konsequent fort. Wir haben den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv beschleunigt, sodass wir inzwischen auf Kurs sind, um bis 2030 80 Prozent unseres Stroms klimaneutral und klimafreundlich herzustellen ‑ in ganz Deutschland. Der Ausbau der Energieproduktion aus Wind, Wasser und Sonne hat inzwischen gesetzlichen Vorrang vor anderen Rechtsgütern. Dadurch gehen Planungsverfahren viel schneller und einfacher.

Aber alle schönen Gesetze, alle Vereinfachungen, jede persönliche Bemühung von Land und Bund helfen nicht, wenn nicht am Ende auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der jeweiligen Behörden vor Ort und die gewählten Vertreter und Vertreterinnen der Kommunen sagen: Wir nutzen die neuen Möglichkeiten, wir überzeugen die Bürgerinnen und Bürger, dass eine solche Fabrik unterm Strich Vorteile bringt, und legen los. Nicht lange schnacken, einfach machen!

Man könnte also sagen, die Dithmarschen-Geschwindigkeit ist die Voraussetzung für das neue Deutschlandtempo. Und wie Dithmarschen das hingekriegt hat, das ist extrem beeindruckend. Hier sind ganz viele über sich hinausgewachsen, um in zwei kleinen Gemeinden mit zusammen kaum 2500 Einwohnern das Genehmigungsverfahren für eine 5-Milliarden-Euro-Hightech-Batteriefabrik auf 110 Hektar Fläche hinzubekommen. Zu dieser Leistung sage ich: Herzlichen Glückwunsch!

Man kann sich nur ganz viele Dithmarschens überall in unserem Land wünschen. Ihre Geschwindigkeit, Ihr Unterhaken, Ihr „Nicht lang schnacken, einfach machen“, das brauchen wir in Deutschland. Denn Investitionen wie die von Northvolt sind für unser Land und für Europa von strategischer Bedeutung.

Deutschland war, ist und bleibt ein starkes Industrieland, und die Herstellung guter Autos bleibt auch über den Verbrennungsmotor hinaus Rückgrat unserer Industrie. Dafür brauchen wir Batteriezellen made in Germany, made in Europe. Deshalb ist es eine gute Nachricht für unser ganzes Land, auch in Wolfsburg, München, Stuttgart, Ingolstadt, Grünheide, Köln, Rüsselsheim, Zwickau und wo überall sonst Autos und Autoteile hergestellt werden, dass hier im Norden künftig klimafreundlich produzierte Batteriezellen für eine Million Autos im Jahr entstehen. So sichern wir unsere technologische Souveränität, und so sichern wir Wertschöpfung in Europa.

Ich will gerne sagen, dass das ein Weg ist, den unser Land auch ganz generell eingeschlagen hat. Wir befinden uns ja in einer Zeit des großen Umbruchs, und aus meiner Sicht kann der Umbruch gar nicht groß genug geschätzt werden. Das, was wir gerade erleben, entspricht wahrscheinlich der großen industriellen Mobilisierung Deutschlands am Ende des 19. Jahrhunderts, wo ein Ineinandergreifen von Staat und privatwirtschaftlichen Investitionen, beides in großen Dimensionen, den wirtschaftlichen und industriellen Aufstieg Deutschlands ermöglicht hat und die Grundlagen gelegt hat für vieles, was wir heute ganz selbstverständlich finden.

Aber gleichzeitig ist das eine Zeit, in der man darauf setzen muss, dass der Mut sich auch auszahlt, dass die neuen Technologien funktionieren und dass das unsere Welt bestimmen wird. Ich glaube, das kann man eigentlich nur schaffen, indem man sieht, dass man Fahrt aufgenommen hat, dass die Dinge klappen und dass das vorankommt. Sonst schreibt man nur Papiere, zweifelt oder hat Mut, aber jedenfalls geht nichts voran.

Dass wir jetzt sagen können ‑ anders als noch vor zwei Jahren; das muss sehr klar so gesagt werden ‑, dass wir das schaffen werden mit den 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien schon 2030, und dass wir kurz danach über 100 Prozent kommen werden, das ist etwas, was die Grundlage für die Zuversicht bilden kann, die wir für unsere wirtschaftliche und industrielle Zukunft brauchen. Und das ist ja wichtig, denn wir brauchen, wie wir hier sehen können, viel mehr Strom, als wir in der Vergangenheit eingesetzt haben. Das heißt, der Umstieg auf Erneuerbare und irgendwann 100 Prozent durch Windkraft auf hoher See und an Land, Solarenergie, Biomasse bedeutet ja, dass wir es hinbekommen müssen, den Strom in größerer Menge zu produzieren. Das ist also ein großer, großer Anstieg der Produktionskapazitäten.

Das bedeutet, dass wir ‑ nicht überall; der Ministerpräsident hat darauf hingewiesen ‑ große Stromleitungen durch ganz Deutschland verlegen müssen. Auch da haben wir neues Tempo aufgenommen. Die Genehmigungsbescheide purzeln jetzt nur so aus den Genehmigungsbehörden, während vorher gar nichts vorankam. Wir liegen zurück, aber wir haben das Tempo aufgenommen, um den Rückstand der letzten 10, 15 Jahre wieder aufzuholen, damit das alles rechtzeitig gelingt. Wir haben entschieden, dass wir einmal ein Gesetz machen, das voraussetzt, dass man ständig vorangehen muss und dass man nicht immer so Stück für Stück guckt. Wir planen das Stromsystem des Jahres 2045, wenn wir klimaneutral sein werden. Daraufhin haben unsere Planungsbehörden jetzt schon fünf große weitere Übertragungsnetz-Stromleitungen für Deutschland geplant. Das hätten sie sonst so im Drei-Jahres-Rhythmus nach dem Motto „mal da eine, mal dort ein bisschen“ getan. Da gibt es also einen riesigen Umstieg in der Betrachtung, aber auch eine unglaubliche Beschleunigung; denn wir wissen, dass selbst dann, wenn es schnell geht, es immer dauert.

Wir haben außerdem entschieden, dass wir jetzt etwas machen, das durch Deutschlands Zeitungen, durch Radio, Fernsehen und Internetnachrichten geisterte, nämlich eine Kraftwerkstrategie. Der Minister kann das rauf und runter sagen, aber viele Leute überlegen sich: Was ist denn nun eine Kraftwerkstrategie, Kraftwerke haben wir doch schon immer gehabt. Es geht dabei um eine ganz einfache Tatsache, nämlich dass wir sagen können: Wenn einmal aus Versehen, obwohl wir mehr als 100 Prozent theoretische Kapazität zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien haben, das mit dem Wind und der Sonne nicht ausreicht, dann haben wir Kapazitäten, die wir in diesen Momenten zuschalten können. Auch das bringen wir gerade auf den Weg, damit das mit der Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien 24 Stunden am Tag und sieben Tagen die Woche klappt ‑ und zwar mehr Strom, als heute verbraucht wird. Das ist unterwegs.

Unterwegs ist auch eine über 20 Milliarden Euro schwere Entscheidung für ein Wasserstoffnetz in Deutschland. Denn die Industrie der Zukunft wird, wo sie heute zur Produktion Kohle, Gas und Öl einsetzt, in Zukunft auf Wasserstoff setzen. Also muss dieses Netz ja da sein, bevor viel Wasserstoff da durchfließt; denn wenn ich irgendwo in Deutschland sage „Ich schalte jetzt für meine Fabrik das Gas ab und will in Zukunft Wasserstoff einsetzen“, dann kann ich ja nicht sagen „Und wer baut mir jetzt die Leitung?“. Diese Leitung muss ja schon da sein, damit überall irgendwer die Entscheidung trifft: Wir machen das jetzt.

Wir sehen manchmal an den Förderbescheiden für Stahl, für Chemie und für vieles andere, die wir verschicken, dass wir auch die industrielle Produktion auf Klimaneutralität umstellen, damit das um die Mitte dieses Jahrhunderts auch tatsächlich klappt. Denn wenn jetzt nicht investiert wird, dann stehen auch in 15 und 20 Jahren nicht die Fabriken, bei denen das anders geht.

Das alles geschieht also, und deshalb glaube ich, dass alle ein bisschen Hoffnung haben können, weil wir das Tempo aufgenommen haben, das nötig ist, damit wir am Ziel anlangen, und weil die Zuversicht, die wir für so eine große Modernisierung unserer Volkswirtschaft brauchen, auch tatsächlich entsteht. Und hier ist ein Ort, der Zuversicht ausstrahlt ‑ danke dafür!

Aber wir wollen auch vor Ort bleiben. Hier entsteht ja viel. Durch Aus- und Weiterbildung wächst das Know-how in einer ganz zentralen Zukunftstechnologie heran. 3000 zukunftssichere Arbeitsplätze entstehen hier bei Northvolt, und laut Prognosen noch einmal mehr als 10 000 im Umfeld. Daraus ergeben sich riesige Möglichkeiten für den Mittelstand, bei der Konstruktion der Fabrik selbst ‑ ich habe gehört, dass die ersten Treffen dazu sehr gut besucht waren ‑ und natürlich auch beim späteren Betrieb und in der Forschung.

Der Grund, weshalb Fabriken wie diese gerade hier in Deutschland entstehen und weshalb auch amerikanische Autohersteller ihre E-Auto-Fabriken in Brandenburg und im Rheinland bauen, weshalb Software- und Chip-Unternehmen gerade hier bei uns investieren, ist doch der: Der deutsche Mittelstand und die Millionen von Beschäftigten dort sind hochgradig wettbewerbsfähig, agil und innovativ. Deswegen bin ich überzeugt, dass die Entscheidung von Northvolt für Dithmarschen die richtige ist, und dass es genau richtig ist, diese Ansiedlung hier auch mit Mitteln des Bundes zu unterstützen. Danke, lieber Robert Habeck, dass du dich für dieses wichtige Zukunftsprojekt auch ganz persönlich eingesetzt hast!

Meine Damen und Herren, der heutige Tag zeigt: Wir können mit Zuversicht nach vorne schauen. Deutschlands industrielles Herz wird natürlich auch weiter zum Beispiel in München, in Wolfsburg, in Stuttgart und an vielen anderen sehr traditionellen Standorten schlagen. Aber es schlägt zukünftig auch hier an der Nordwestküste ‑ dank Ihrer Arbeit und dank der Dithmarschen-Geschwindigkeit.

Schönen Dank!