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Bundesregierung
20.01.2025 | Hamburg

Rede beim 74. Delegiertentag des Deutschen Schaustellerbundes

Sehr geehrter Herr Präsident Ritter,
verehrte Schaustellerinnen und Schausteller,
meine Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung zu Ihrer heutigen Jubiläumskundgebung! Ich bin gerne gekommen, denn Ihr Gewerbe liegt mir am Herzen, so wie es ja vielen Millionen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land besonders am Herzen liegt. Genauso von Herzen kommt deshalb mein Glückwunsch zu Ihrem 75. Jubiläum.

Ein Dreivierteljahrhundert Verbandsgeschichte, das bedeutet ein Dreivierteljahrhundert Einsatz für Schaustellerinnen und Schausteller. Das bedeutet aber noch viel mehr: 75 Jahre Engagement für mehr Zusammenhalt, für Miteinander und Lebensfreude in unserem Land. Sie schaffen die Orte, die uns zusammenführen – mit Ihrer immer auch harten Arbeit, Ihrer oft auch körperlich harten Arbeit, aber immer zugleich mit einem Lächeln und mit unglaublich viel Herzlichkeit. Zu erleben ist das jährlich auf 10.000 Volksfesten, auf Kirmessen, auf Jahrmärkten und auf mehr als 3.000 Weihnachtsmärkten überall in Deutschland. 

Ich selbst habe das im vorigen August in Vechta so erlebt auf dem „Stoppelmarkt“. Den kennen Sie ja bestimmt alle. Da durfte ich die Festrede halten. Da konnte ich beim Zapfen mithelfen an „Linnemanns Bierstand“. Und da habe ich mich anschließend dann auch noch in kleiner Runde mit Schaustellerkollegen von Ihnen zusammengesetzt. Ich will es einmal so sagen: Noch nettere Leute habe ich im ganzen vorigen Jahr eigentlich nirgendwo getroffen.

Ausgerechnet Sie, die so viel herumreisen, schenken uns allen feste, vertraute, wiederkehrende Anlaufstellen – Orte der Wärme und der Geselligkeit, an denen Jahr für Jahr die Familie zusammenkommt, wo sich alte Freunde wieder treffen, wo Kolleginnen und Kollegen gemeinsam mal einen Glühwein trinken – und manchmal auch zwei.

Sie stehen für Tradition, gute Tradition. Die mehr als 5.000 Schaustellerbetriebe mit ihren fast 31.000 Beschäftigten sind fast durch die Bank Familienunternehmen, die ihr Gewerbe durchschnittlich bereits in der fünften Generation ausüben, also oft seit mehr als 100 Jahren. Sie, lieber Albert Ritter, sind sogar schon in sechster Generation dabei.

Bei aller Modernität: Die Figuren auf dem Karussell, der Leierkasten, die Schiffschaukeln, die Zuckerwatte – das alles fühlt sich heute immer noch so an wie früher. Der Zauber der Kindheitstage: Bei Ihnen ist er nicht nachgestellt, bei Ihnen ist das noch echt. Genau deshalb kommen die Leute doch so gerne zu Ihnen. Genau deshalb kommen Sie mit Ihrer Arbeit wahrscheinlich auch in mehr Familienalben vor als jede andere Branche. Sie leisten Großes – nicht nur für lebendige Städte, sondern auch für die Pflege unserer Traditionen, für den Zusammenhalt und für das Miteinander in unserem Land. Sie machen Deutschland lebenswerter. Darauf können Sie stolz sein. Und dafür danke ich Ihnen ganz herzlich.

Ich will das hier betonen, weil ich weiß, wie anstrengend und wie hart die letzten Jahre für viele Schaustellerfamilien gewesen sind. Da kam erst die Coronapandemie mit ihren Ausgehbeschränkungen, mit ihren Lockdowns, mit der Absage vieler Volksfeste, Jahrmärkte und Weihnachtsmärkte. Da kamen dann die Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine: explodierende Energiepreise, steigende Kosten, Konsumzurückhaltung bei vielen Bürgerinnen und Bürgern. Das alles hat Sie besonders hart getroffen. Und deshalb haben wir in der Bundesregierung darauf geachtet, dass Sie auch besonders unterstützt werden.

In der Coronakrise hat die Bundesregierung den Schaustellerinnen und Schaustellern schnell und unbürokratisch geholfen. Fast 900 Millionen Euro an Hilfen wurden an Schausteller ausgezahlt, mit knapp 52.000 Euro pro Antrag im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlich viel. Und mit der sogenannten Schaustellerlösung bei den Förderregeln haben wir berücksichtigt, dass der Schaustellerberuf traditionell innerhalb einer Familie weitergegeben wird, von einer Generation zur nächsten – viel mehr, als das in anderen Wirtschaftszweigen der Fall ist. Und auch in dieser Legislaturperiode haben wir dafür gearbeitet, dass Unternehmerinnen und Unternehmer wie Sie gute Rahmenbedingungen haben.

Ich weiß, gerade Sie führen ein bewegtes Arbeitsleben – im wahrsten Sinne des Wortes. Deshalb sehen Sie sich auch besonders oft vor bürokratische Hürden gestellt, von der Standanmeldung bis zur Verpackungsentsorgung. Ich könnte es mir natürlich leicht machen und sagen: Für den allergrößten Teil der Ärgernisse ist gar nicht der Bund zuständig, sondern immer das Land oder die Gemeinde. Ich will mir das aber nicht so einfach machen und mich da nicht einfach aus der Affäre ziehen, denn die Herausforderungen sind ja real. Und sie betreffen nicht nur Sie selbst, sondern auch ganz viele andere kleine und mittelgroße Betriebe. Wenn man sechs Mitarbeiter hat, dann kann man eben nicht einen davon freistellen, damit er sich in Vollzeit um Compliance kümmert.

Ich weiß, ein besonders nerviger Punkt für Sie ist die sogenannte doppelte Erlaubnispflicht, also dass Sie in vielen Bundesländern neben der Reisegewerbekarte immer noch eine zusätzliche „Gestattung“ beantragen müssen, wenn Sie gastronomische Dienstleistungen anbieten wollen – und zwar immer wieder aufs Neue. In manchen Bundesländern besteht diese Bürokratie schon nicht mehr. In Nordrhein-Westfalen wurde sie im vorigen Jahr ganz einfach per Erlass abgeschafft. Die Welt ist seitdem offenbar nicht untergegangen. Das könnte also ein Projekt für die nahe Zukunft sein – nur meine persönliche Meinung, wohlgemerkt. 

Ein weiteres Vorhaben der nächsten Zukunft muss ein vernünftiger Umgang mit dem Thema Nachhaltigkeit sein. Um es erst einmal ganz klar zu sagen: Ja, wir müssen alle nachhaltiger werden. Unser Planet übersteht es einfach nicht, wenn er zur Mitte des Jahrhunderts zehn Milliarden Menschen auf der Welt sieht, die alle die Umwelt so belasten, wie wir das in Europa in den letzten Jahrzehnten getan haben. Deshalb ist es schon richtig: Damit wir alle gut leben können, müssen wir so wirtschaften, dass die Erde nicht überfordert wird. Aber ich finde, wir müssen zugleich immer darauf achten, dass beim Erneuern niemand auf der Strecke bleibt, dass niemand überfordert wird und dass wir nicht mit typisch deutscher Übergründlichkeit tausend neue Regeln aufstellen, die zwar alle gut gemeint sind, aber im richtigen Leben eben auch einfach „drüber“ sind.

Das betrifft auch Sie, das betrifft auch die Schaustellerinnen und Schausteller. Ich finde es toll, wenn 200 Millionen Gäste pro Jahr auf unseren Volksfesten und 160 Millionen Gäste auf den Weihnachtsmärkten eine große Auswahl bei Speisen und Getränken haben – am besten ohne Berge von Einmalplastik, am besten mit vielen frischen, regionalen, nachhaltig produzierten Zutaten. Aber gleichzeitig sollte man es damit eben auch nicht übertreiben. Wenn da zum Beispiel gefordert wird, dass nur noch Bioprodukte angeboten werden dürfen, dann ist das vielleicht das eine Mal zu viel. Und ich finde, auch wenn man sagt, es dürfe gar keine Verpackungen mehr geben, dann ist das mit Blick auf das, was man leisten kann, vielleicht etwas zu viel. Dann kann ich nur sagen: Leute, kommt mal ein bisschen runter und denkt einmal alles praktisch zu Ende – denn das macht es doch nicht nur den kleinen Betrieben schwer, sondern das macht unsere Volksfeste auch immer teurer.

Und „Volksfest“, das heißt ja nicht zufällig so. Volksfest heißt Volksfest, weil es hier um ein Fest für alle geht, für die ganz normalen Leute. Ein Volksfest, das sich ganz normale Leute nicht mehr leisten können, das wird es dann logischerweise irgendwann nicht mehr geben. Das geht nicht, so weit darf es nicht kommen. Wer will, dass es weiter Volksfeste in unserem Land gibt, der muss auch wollen, dass alle, dass auch normale Leute sich das leisten können. Und Sie können sich darauf verlassen: Genau dafür werde ich mich einsetzen, und zwar mit aller Kraft.

Sie als Schaustellerinnen und Schausteller erbringen auch besondere Leistungen für die Integration in den Arbeitsmarkt. Bei Ihnen bekommen auch viele Frauen und Männer ihre Chance, die es sonst nicht so leicht haben – Männer und Frauen, bei denen es im Leben nicht immer rundgelaufen ist, die hart anpacken wollen, denen aber vielleicht ein Schul- oder ein Berufsabschluss fehlt oder die als Geflüchtete zu uns gekommen sind, die unsere Sprache vielleicht nicht immer ganz richtig sprechen. Ich finde es klasse, dass Sie mit Ihrem Gewerbe in so vielen Fällen das Tor zum Leben in Arbeit öffnen, dass Sie hier Angebote machen ohne Ansehen der Person. Das ist gut für Ihre Betriebe. Das hilft bei der Integration. Und das hilft unserer Gesellschaft insgesamt. Sie geben vielen eine Chance – dafür mein herzlicher Dank! 

Ich habe am Anfang darüber gesprochen: Volksfeste bringen uns zusammen. Sie sind Orte der Gemeinschaft und des Zusammenhalts über alle sozialen Grenzen hinweg. Umso härter treffen uns Ereignisse wie der entsetzliche Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg. Sechs Menschen sind mittlerweile an den Folgen des Anschlags gestorben. Für viele der mehr als 270 teilweise sehr schwer Verletzten wird das Leben nie mehr so sein wie vorher. Meine Gedanken sind bei denen, die ihre Liebsten verloren haben oder noch immer um sie bangen. 

Auch Kolleginnen und Kollegen von Ihnen waren unmittelbar betroffen – als Opfer und gleichzeitig als Helferinnen und Helfer mit einer Hilfsbereitschaft, die mitten ins Herz geht. Da war zum Beispiel der Verkäufer eines Würstchenstands, der die ganze Nacht über Tee gekocht hat für die Verletzten und die Rettungskräfte – einfach so, nur um irgendwie zu helfen.

Die Bundesregierung wird dafür sorgen, dass die Verletzten und die Familien der Getöteten beim Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg finanzielle Unterstützung erhalten. Und sie wird das so tun, wie das auch bei Terroranschlägen sonst der Fall ist. Egal, welche Anklagetechnik der Generalbundesanwalt verwendet, hier muss Gleiches gleich behandelt werden. Wir werden außerdem alles daransetzen, die Sicherheit auf Straßen, Plätzen und Volksfesten in unserem Land weiter zu erhöhen. Ein Angriff auf einen Weihnachtsmarkt, auf ein Volksfest, das ist zugleich immer ein Angriff auf unsere offene, freiheitliche Lebensweise insgesamt.

Ihr Berufsstand, Ihre Arbeit, Ihre Herzlichkeit, die ungeheure Freude, die Sie so vielen Bürgerinnen und Bürgern immer wieder mit Ihrer Arbeit bereiten: Das alles steht für diese offene und freiheitliche Lebensweise. Das alles brauchen wir in unserem Land. Das alles macht unser Land aus. Dafür stehen wir gemeinsam ein – heute und ganz sicher auch in der Zukunft. In diesem Sinne: Herzlichen Dank und alles Gute für die nächsten 75 Jahre!