Herr Bundeskanzler, die SPD liegt in Umfragen bei 14, 15 Prozent. Ihre Partei droht bei der Wahl am 23. Februar auf Platz 4 abzurutschen. Sie sagen: „Wir werden siegen.“ Wie passt das zusammen?
Jetzt ist Wahlkampf, da werben wir für unsere politischen Ziele. Und eine Zeit, in der die Bürgerinnen und Bürger sich genau überlegen, wem sie ihre Stimmen geben. Ich mag Wahlkampf. Schon bei der Bundestagswahl 2021 hat die SPD alle überrascht und gewonnen. Darauf setze ich. Unser Programm hat sehr konkrete Vorschläge für eine bessere Zukunft unseres Landes. Wir wissen alle, dass wir jetzt mehr für unsere Sicherheit aufbringen müssen. Deshalb hat die Bundesregierung unter meiner Führung die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung angehoben. Das darf aber eben nicht auf Kosten anderer Aufgaben gehen. Ich bin strikt gegen das Entweder-Oder: Entweder die Ukraine unterstützen oder eine bessere Infrastruktur. Entweder mehr für Verteidigung ausgeben oder eine stabile Rente, eine verlässliche Pflege und gute Gesundheitsversorgung. Beides muss gehen. Die kommende Bundestagswahl dreht sich genau um diese Frage.
Sie sehen die Schuldenbremse als Grund für das Ampel-Aus.
Die Koalition ist zerbrochen, weil sich die FDP geweigert hat, die nötigen Entscheidungen zum Haushalt mitzutragen. Meine Grundüberzeugung: Ich kann es nicht zulassen, dass die nötige Unterstützung der Ukraine zu Lasten der Modernisierung der Wirtschaft, einer besseren Infrastruktur oder dessen geht, was wir für Rente, Gesundheit und Pflege brauchen. Nein, nicht mit mir.
Selbst Ihr Parteigenosse Peer Steinbrück sagt, es ist unrealistisch, dass Sie noch einen Wahlsieg schaffen. Glauben Sie wirklich, Sie können das Ruder noch rumreißen?
In der Demokratie bestimmen nicht Meinungsforscher oder Meinungsmacher, wie das Land regiert wird, sondern die Bürgerinnen und Bürger. Das ist das Großartige an der Demokratie. Die Wählerinnen und Wähler sind jetzt dran. Die Unterschiede sind klar: CDU/CSU wollen milliardenschwere Steuersenkungen für die obersten zehn Prozent – ohne zu sagen, wie sie das finanzieren wollen. Das kann nicht gut gehen. Und damit das nicht passiert, macht man sein Kreuz am besten bei der SPD.
Die Freie Presse hat Ihre Leserinnen und Leser nach der wichtigsten Aufgabe gefragt, die die Politik jetzt anpacken sollte. Die meisten sagen: die Wirtschaft wieder in Fahrt bringen. Wie wollen Sie das anstellen?
Drei konkrete Vorschläge von mir: Erstens bin ich für eine ganz einfache, pragmatische und zielgenaue Lösung: den „Made in Germany“-Bonus. Unternehmen, die in Deutschland investieren, erhalten eine Steuerprämie von zehn Prozent für ihre Ausrüstungsinvestitionen – also neue Maschinen oder Fahrzeuge. Vorbild sind da die USA, die das sehr erfolgreich gemacht haben. Da muss man keine komplizierten Anträge stellen. Mit dem Gießkannen-Prinzip pauschal Steuern zu senken, wie es die CDU vorschlägt, ist weniger wirksam, weil es viel teurer ist und auch Unternehmen davon profitieren, die gar nicht in Deutschland investieren.
Ein Made-in-Germany-Bonus. Reicht das? Ein großes Problem für die Wirtschaft ist doch zum Beispiel, dass die Energiepreise viel zu hoch sind.
Richtig, deshalb bin ich, zweitens, für niedrige Energiepreise. Denn sie sind gerade noch zu hoch. Da setze ich auf den weiteren und schnellen Ausbau von Windkraft und Sonnenenergie und den Ausbau unseres Stromnetzes, damit die verschiedenen Regionen Deutschlands miteinander verbunden werden. Die nötigen Investitionen ins Stromnetz dürfen aber nicht dazu führen, dass die Strompreise weiter steigen, sondern dass sie wieder sinken. Deshalb lautet mein Vorschlag, die Netzentgelte für die Nutzung der Stromautobahnen zu halbieren. Und, drittens, will ich einen Deutschlandfonds schaffen. Dort soll öffentliches und privates Geld reinfließen, um den Ausbau von Schiene, Straße und Stromnetz sowie den kommunalen Wohnungsbau zu finanzieren.
Weil der Strom so teuer ist, kaufen auch immer weniger Leute Elektroautos. In Sachsen, wo VW voll auf Elektromobilität setzt, steht die Automobilindustrie mit vielen Zulieferern auf dem Spiel. Brauchen wir wieder eine Kaufprämie für E-Autos?
Der Kauf von Elektroautos lässt sich nicht einfach verordnen. Die Modelle müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher überzeugen. Und manch einer hängt auch noch an seinem Verbrenner. Die Autohersteller bieten nun mehr und mehr Modelle an, die ausgereifter und günstiger sind. Das macht mich zuversichtlich, was die Zukunft des E-Autos angeht. Zusätzlich müssen wir gucken, ob wir eine Förderung für E-Fahrzeuge schaffen, die in Deutschland hergestellt werden. Dafür braucht es das Okay der EU-Kommission – eine europaweite Lösung wäre am besten.
Viele Menschen in der Region Chemnitz wünschen sich auch, dass bei der Migration mehr getan wird, dass abgelehnte Asylbewerber konsequenter abgeschoben werden.
Ich könnte es mir einfach machen: Für Rückführungen sind die 600 Ausländerbehörden und die 16 Bundesländer zuständig. Für Chemnitz also der Freistaat Sachsen. Aber: Ich habe es mir nicht einfach gemacht, sondern seitdem ich Bundeskanzler bin, mit den Ländern verhandelt, um die Gesetze zu verändern, die Rückführungen erschweren. Langsam wirkt sich das aus. Die Zahl der Rückführungen hat sich in 2024 um 20 Prozent erhöht. Das ist ein Anfang, der Trend muss sich aber natürlich fortsetzen. Bei Rückführungen sind wir zudem darauf angewiesen, dass die Transit- oder Herkunftsländer die Personen auch zurücknehmen. Daher haben wir begonnen, Rücknahmevereinbarungen mit einer Reihe von Staaten zu treffen. Denn wir haben ja etwas zu bieten: Deutschland braucht Zuwanderung. In den nächsten Jahren gehen sechs Millionen Beschäftigte in Rente – die können wir nicht alle einfach ersetzen, selbst wenn wir mit der Lupe durch das Land gehen. Wir brauchen auch Arbeitskräfte aus dem Ausland. Deshalb sagen wir bei den Verhandlungen: Wenn ihr wollt, dass Fachkräfte aus euren Ländern eine Chance in Deutschland erhalten sollen, müsst ihr alle zurücknehmen, die bei uns nichts zu suchen haben. Und noch ein Hinweis: Wir haben die irreguläre Migration deutlich gesenkt im vergangenen Jahr. Dank unserer Bemühungen auf europäischer Ebene und den Grenzkontrollen sind 30 Prozent weniger zu uns gekommen als im Jahr davor. Auch hier gilt: Nicht markige Sprüche klopfen, sondern harte Arbeit machen.
Sie selbst haben schon im Herbst 2023 gesagt: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“ Daraus ist nichts geworden.
Doch! Ein Anstieg um 20 Prozent bei den Rückführungen ist nicht nichts. Damit die Zahlen weiter spürbar besser werden, müssen alle staatlichen Ebenen zusammenarbeiten und ihre Arbeit machen. Darum habe ich mit den hier zuständigen Ländern vereinbart, dass die 600 Ausländerbehörden digitalisiert werden, dass wir das einheitliche Zentralregister für Ausländer entwickeln, dass die erstinstanzlichen Asylverfahren schneller werden. Rheinland-Pfalz braucht hier 4 bis 6 Monate, andere 20 Monate oder sogar noch länger – bei gleichem Recht. Würden überall in Deutschland die Verfahren so kurz dauern wie in Rheinland-Pfalz, wäre das ein spürbarer Fortschritt.
In Sachsen fehlen offenkundig Richter. Das Verwaltungsgericht Chemnitz brauchte für ein Asylverfahren im Schnitt zuletzt fast zwei Jahre.
Umso wichtiger also, dass sich alle Beteiligten auch verantwortlich fühlen und handeln, statt auf andere zu zeigen und nichts zu tun. Mein Eindruck ist, dass viele Verantwortliche das begreifen.
Von Abschiebungen sind auch Menschen betroffen, die hier gut integriert sind, die einen Job haben oder in Ausbildung sind. Da wird dann oft geschimpft, warum gerade die gehen müssen. Wie wollen Sie angesichts fehlender Fachkräfte hier besser steuern zwischen gewollter und ungewollter Zuwanderung?
Jeder kennt solche Fälle, das ist ärgerlich. Ich finde, wenn jemand gut integriert ist, soll er auch als Flüchtling, der eigentlich nicht bleiben könnte, eine Chance bekommen. Grundsätzlich brauchen wir ja Zuwanderung, wo aber wir entscheiden, wer zu uns kommt. Meine Regierung hat ein Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung beschlossen, um die nötigen Arbeitskräfte nach Deutschland zu bekommen. Das zahlt sich langsam aus. Und wir müssen zugleich die heimischen Potenziale heben: Durch mehr Beschäftigung von älteren Arbeitnehmern, durch attraktivere Angebote für junge Leute nach der Schule, damit der Übergang in das Berufsleben besser klappt. Und natürlich, indem Arbeit attraktiver wird für junge Familien mit verlässlichen Kitas und Schulen.
Ein drittes großes Thema, das die Menschen hier bewegt, ist die Frage des Friedens. Viele fürchten sich vor einer Eskalation des Ukrainekrieges und verlangen, Deutschland müsse sich viel stärker diplomatisch engagieren, statt immer mehr Waffen zu liefern.
Russland hat vor knapp drei Jahren die Ukraine grundlos überfallen und damit das Grundprinzip gebrochen, dass Grenzen in Europa nicht mit Gewalt verschoben werden dürfen. Gemeinsam mit vielen anderen Staaten unterstützen wir die Ukraine, so lange wie es nötig ist. Der russische Präsident kann nicht damit rechnen, dass wir in unserer Unterstützung nachlassen. Gleichzeitig habe ich alles dafür getan, dass dieser Konflikt nicht eskaliert zu einem Krieg zwischen Russland und der Nato. Denn das wäre fatal. Für diese besonnene Haltung habe ich auch viel Kritik einstecken müssen. Ich bleibe ihr aber treu. Zur Frage von Diplomatie: Immer wieder habe ich das Gespräch mit dem russischen Präsidenten gesucht – zuletzt habe ich im November mit ihm telefoniert. Da habe ich leider wenig Neues von ihm gehört. Trotzdem müssen wir weiter alles diplomatisch Mögliche dafür tun, dass ein Frieden möglich wird und das Töten aufhört.
Viele Menschen glauben trotzdem, es werde zu wenig verhandelt. Vielleicht ist das ja nur ein falscher Eindruck. Erzählen sie uns doch mal: Wie war das mit Putin am Telefon?
Für Verhandlungen braucht es jemanden, der zu Verhandlungen bereit ist und nicht ständig nur Maximalforderungen stellt. Zu den vertraulichen Telefonaten vielleicht so viel: Ich veröffentliche keine Wortprotokolle. Journalistisch ist das sicher interessant, aber diplomatisch nicht klug. Wenn Sie aber nachlesen, was Putin über den Krieg und seine Gründe öffentlich gesagt hat, von der Demilitarisierung des Landes und dem Sturz des gewählten Präsidenten, bekommen Sie ein ganz gutes Bild. Wichtig ist: Einen Diktatfrieden über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg kann und darf es nicht geben. Das will hierzulande auch kaum jemand. Man muss offen sagen: Putin ist gescheitert und hat keines seiner Kriegsziele erreicht. Er wollte die Ukraine erobern und ein Marionetten-Regime installieren, die Ukraine ist hingegen ein souveräner Staat mit einem starken Militär geworden. Er wollte nicht, dass die Ukraine in Richtung EU marschiert – jetzt ist sie auf dem Weg zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Er wollte die NATO schwächen, stattdessen hat das Bündnis mit Finnland und Schweden zwei neue Mitglieder, konzentriert sich auf die Bündnisverteidigung und gibt mehr Geld für Verteidigung aus.
Was passiert konkret?
Die Ukraine hat schon im Herbst 2022 einen Weg zum Frieden aufgezeigt. Es gibt verschiedene internationale Initiativen, mit denen ausgelotet wird, wie ein Friedensprozess beginnen könnte. Und in allen politischen Gesprächen der vergangenen drei Jahre hat der Ukraine-Krieg eine wichtige Rolle gespielt, sei es unter Verbündeten, mit Partnern aus dem globalen Süden oder einflussreichen Regionalmächten. Ganz wichtig ist mir dabei ein Prinzip: Nichts darf über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg entschieden werden. Die Ukraine muss selbst über ihre Zukunft entscheiden.
Die Ukraine ist militärisch unter Druck. Russland macht immer mehr Boden gut. Liefert Deutschland genug Waffen?
Nach den USA ist Deutschland der größte Unterstützer der Ukraine. Auch was Waffenlieferungen betrifft. Wir haben mittlerweile mehr als 28 Milliarden Euro an Waffen geliefert oder zugesagt, auch für das laufende Jahr ist das gesichert. Und im vergangenen Jahr haben wir im Kreise der G7, der wirtschaftsstarken Demokratien, einen 50-Milliarden-Dollar-Kredit für die Ukraine vermittelt, mit dem das Land weitere Waffen kaufen kann. Auch das hilft.
Warum liefert Deutschland keine Taurus-Marschflugkörper?
Das ist ein sehr weitreichender Marschflugkörper, der tief ins russische Hinterland reichen und auch große Zerstörung erwirken könnte. Deshalb müssten wir die Auswahl der Ziele kontrollieren. Damit würden wir die Schwelle zur Kriegsbeteiligung überschreiten. Und genau das werde ich als Bundeskanzler verhindern, das habe ich den Deutschen versprochen.
Am 20. Januar wird Donald Trump zum zweiten Mal als US-Präsident ins Amt eingeführt. Was ist für Deutschland hier die größte Herausforderung?
Ich habe mit dem künftigen Präsidenten bereits zweimal telefoniert. Mein sicherheitspolitischer Berater traf sich bereits mit seinen künftigen Kollegen in Washington. Seit diesen Gesprächen habe ich die Hoffnung, dass wir auch nach dem Amtswechsel im Weißen Haus zu einer gemeinsamen Politik gelangen. Aus meiner Sicht hat der künftige Präsident den Willen, konstruktiv zu einem Ende des Krieges beizutragen.
Trump sagte, er werde den Krieg innerhalb eines Tages beenden. Worauf muss man sich da einstellen?
Ganz so wörtlich würde ich ihn nicht nehmen, inzwischen ist von 100 Tagen die Rede. Richtig ist aber, dass er will, dass der Krieg zügig endet. Umso wichtiger, dass wir uns in der Sache eng absprechen.
Was machen Sie, wenn Sie am 23. Februar nicht gewinnen und der nächste Kanzler Friedrich Merz heißt?
Ich werbe dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger mir erneut einen Auftrag geben – auch deshalb, weil sie bestimmte Dinge nur mit einem SPD-Kanzler kriegen. Eine stabile Rente, einen höheren Mindestlohn und eine verlässliche Pflege gibt es ganz sicher nur, wenn der Kanzler wieder Olaf Scholz heißt.