Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Wüst,
sehr geehrter Herr Vanacker,
meine Damen und Herren,
Deutschland recycelt gern, sogar sehr gern. Wir bringen unser Altglas zum Container, schmeißen Plastik in die gelbe Tonne, Altpapier in die Papiertonne und bringen Batterien oder Sperrmüll zum Wertstoffhof. Das klappt so gut, weil alle mitmachen.
Ein sehr großer Teil unseres Papiermülls und über 70 Prozent der Verpackungen werden in Deutschland wiederverwertet. Die Betonung liegt dabei auf „Wert“. Recycling spart ja nicht nur eine Menge Geld, sondern auch eine Menge Rohstoffe – Erdöl, Erze und Sand. Deswegen ist jede Recyclinganlage eine gute Idee, zumal eine dermaßen große, wie sie hier jetzt gebaut wird. Sie kann 50.000 Tonnen Kunststoff pro Jahr verarbeiten. Das ist mal eine Hausnummer, würde ich sagen.
Herr Vanacker, vielen Dank an LyondellBasell für diese Investition in die Zukunft und schönen Dank für die Einladung zur Grundsteinlegung. Ich freue mich, dass ich heute hier dabei sein kann. Ich habe gerade mit einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesprochen, die hier teilweise schon seit vielen Jahren arbeiten. Sie haben mir erzählt, wie wichtig es ist, dass wir uns hier auch zum Standort für Chemie in Deutschland bekennen, gerade was diesen Standort hier betrifft.
Dieses Werk gehört seit über 70 Jahren zu Wesseling wie der Dom zu Köln – gut, der steht schon etwas länger da. Wer in Köln oder in Bonn wohnt, fährt immer mal wieder mit der Linie 16 der Kölner Verkehrsbetriebe an diesem silbernen Koloss vorbei oder auf der 555 mitten durch. Im Dunklen strahlen dann Hunderte Leuchtröhren.
Mit 2,7 Quadratkilometern ist dieses Werk so groß wie eine Stadt. Den Eindruck hatte ich übrigens auch eben, als wir von einem Ende zum anderen gefahren sind. Ich habe meinem Fahrer gesagt: Das dauert aber lange. – Das ist ein Zeichen dafür, was für eine große Anlage das wirklich ist. Das ist jedenfalls keine Fabrik wie jede andere, sondern eine gigantische Anlage. Sie steht in einer der wichtigsten Chemieregionen Europas. Und ab heute ist diese Region – und damit der Chemiestandort Deutschland – um eine Facette reicher.
Diese neue chemische Recyclinganlage wird aus jeder Menge altem Kunststoff jede Menge neuen machen. Und dabei nimmt sich die Anlage genau jene Kunststoffabfälle vor, die sich bislang nicht mechanisch recyceln lassen und deswegen in der Müllverbrennung landen. Die Bundesregierung setzt sich gegenüber der Kommission der Europäischen Union (EU) folgerichtig dafür ein, dass Rezyklat-Einsatzquoten für Einweggetränkeflaschen pragmatisch angerechnet werden, damit der industrielle Hochlauf, den Sie hier begonnen haben, auch tatsächlich gelingt. Das ist ein neuer Weg statt eines „Weiter so!“. Das langfristige Ziel ist klar: möglichst gar kein Plastikmüll mehr. Aber bis dahin brauchen wir noch eine Weile. Deshalb ist jeder Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel ein guter. Und diese Recyclinganlage ist ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Deutschland ist ein zentraler Standort für die Chemieindustrie in der Welt. Ich will, dass das so bleibt. Das habe ich auch in der vergangenen Woche auf dem Chemie- und Pharmagipfel des Verbands der Chemischen Industrie betont; einige von Ihnen waren ja auch dabei. Was ich dort angekündigt habe, ist die Chemiestrategie, auf die wir uns in der Bundesregierung verständigt haben. Damit stärken wir den Chemiestandort Deutschland, der zuletzt zu kämpfen hatte vor allem aufgrund der Energiepreise, die nach dem russischen Angriffskrieg stark gestiegen waren. Inzwischen haben sich die Preise wieder normalisiert, auch weil wir in der Krise schnell und effektiv reagiert haben. Mit dem Strompreispaket und der Wachstumsinitiative haben wir wichtige Entlastungen auf den Weg gebracht.
Die Chemie ist eine energie- und ressourcenintensive Industrie. Sie braucht auch auf dem Weg in Richtung Klimaneutralität besondere Unterstützung. Deshalb haben wir die Strompreiskompensation bis 2030 verlängert. Und wir setzen uns gegenüber der Europäischen Kommission dafür ein, dass noch weitere Bereiche der Wirtschaft mit diesem Konzept entlastet werden können. Das nützt der Chemie ganz besonders.
Wir gehen aber auch an die strukturellen Probleme ran, die sich über Jahre aufgestaut haben. Wir machen richtig Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien – Herr Wüst hat berichtet, wie sich das hier in Nordrhein-Westfalen auswirkt – und richtig Tempo auch beim Stromnetzausbau. Hier in Nordrhein-Westfalen kann man das, wie schon beschrieben, beobachten. Das schafft die Basis für günstige Preise.
Wir bauen bürokratische Hürden ab und haben den Regelungsdschungel für Genehmigung neuer Industrieanlagen ziemlich gelichtet. Ich weiß nicht, ob Sie bei der Planung hier schon in den Genuss davon gekommen sind; ich bezweifle es. Aber spätestens beim nächsten Investment wird es so weit sein. – Wir haben uns auch verpflichtet, bei EU-Regeln nicht immer noch draufzusatteln, sondern sie hier in Deutschland eins zu eins umzusetzen.
Wir fördern die Kreislaufwirtschaft und investieren in Forschung an Innovationen – übrigens mehr als jedes andere große Land Europas – mit über drei Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts. Vielleicht darf ich das an dieser Stelle kurz ausführen: Von den großen Volkswirtschaften Europas ist ausschließlich Deutschland die, die mehr als drei Prozent des Inlandsprodukts der Wirtschaftsleistung für Forschung und Entwicklung ausgibt. Das ist seit Ewigkeiten die Grundlage unseres ökonomischen Erfolgs. Und deshalb müssen wir auch mit allen Maßnahmen, die wir ergreifen, dafür Sorge tragen, dass exakt das so bleibt – denn mit dem, was wir schon können und was wir schon machen, werden wir nicht mehr lange wirtschaftlich erfolgreich sein können, denn nachmachen können das ja viele, und dann wird es überall billiger. Vielmehr geht es darum, neue Dinge zu entwickeln, mit denen wir vorne mit dabei sind.
Wir stärken deshalb auch die Naturwissenschaften an unseren Schulen, damit wir auch in Zukunft Industriemechaniker, Elektronikerinnen für Automatisierungstechnik und Chemikanten haben, die hier gebraucht werden. Und wir sorgen dafür, dass uns die Fachkräfte nicht ausgehen.
All das bringt uns als Industrieland voran. Und es passt dazu, was in der Antwerpener Erklärung gefordert wird, lieber Herr Vanacker: eine moderne Infrastruktur, CO2-freie Energie zu niedrigen Kosten, Investitionen in die Beschäftigten. Und genau darüber haben wir uns auch schon unterhalten.
Wir sind uns einig, dass Europa aufholen muss bei der Wettbewerbsfähigkeit und Innovationen, die schneller in die Praxis gebracht werden müssen. Ein Zukunftsfeld, wo Europa das bereits jetzt zeigt und weltweit führend ist, ist die Kreislaufwirtschaft. Dafür sprechen nicht nur ökologische Gründe, auch wirtschaftlich rechnet sich das. Und selbst sicherheitspolitisch ergibt die Kreislaufwirtschaft Sinn, weil wir uns damit unabhängiger machen von Rohstoffimporten aus Regionen, von denen wir womöglich nicht einseitig abhängig sein möchten.
All das berücksichtigen wir in der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie, an der wir gerade arbeiten und die bis Ende des Jahres verabschiedet werden soll. Das Schlüsselprinzip denkt die Kreislaufwirtschaft schon beim Design mit, damit Produkte zum Beispiel wiederverwendbar sind oder man sie leicht auseinander- und wieder zusammenbauen kann. – Dass Kreislaufwirtschaft funktioniert, zeigt hier die Pionierarbeit bei LyondellBasell. Sie wird Strahlkraft entwickeln. Sie wird Nachahmer finden; da bin ich mir ziemlich sicher.
Was ein Katalysator ist, das wissen die meisten Leute, die ein Auto haben oder das mal im Chemieunterricht gelernt haben. Unter Recycling können sich auch alle etwas vorstellen. Aber chemisches katalytisches Recycling, wie in dieser Anlage, ist für die meisten etwas Neues – für uns jetzt nicht mehr, da wir das alles ja gerade erklärt bekommen haben. Wir wissen nun: Katalytisches Recycling ist ein Baustein der Zukunft, die heute hier in Wesseling beginnt.
LyondellBasell hätte diese Anlage überall auf der Welt bauen können. Sie haben sich aber bewusst für Deutschland entschieden, weil Sie zuversichtlich sind, dass dieser Standort eine gute Zukunft hat. Das bin ich auch. Wir legen deshalb heute nicht nur den Grundstein für diese Recyclinganlage, sondern fügen der Geschichte der Chemieindustrie in Deutschland ein neues Kapitel hinzu – eines, das sicher in die Zukunft weist: mit guten Arbeitsplätzen, die es auch in zehn, 20 und 30 Jahren noch geben wird, mit einer moderneren Produktion und weniger CO2. So wie hier stellen an ganz vielen Orten in Deutschland, in Europa und auf der ganzen Welt Unternehmen ihre Produktion um, bauen neue Anlagen, investieren in die Zukunft. Sie meckern und klagen nicht, sondern sie machen. Auch das ist der richtige Weg.
Viel Erfolg mit diesem Investment und schönen Dank.