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Symbolfoto Olaf Scholz
Photothek
16.11.2023 | Berlin

Rede beim Handelskongress des Handelsverbands Deutschland

Sehr geehrter Herr von Preen,
sehr geehrter Herr Genth,
liebe Mitglieder und Gäste des Handelskongresses des HDE,

„50 Prozent der Wirtschaft sind Psychologie“ – Sie kennen den Satz, den wahlweise Ludwig Erhard oder Alfred Herrhausen gesagt haben soll. „Außer im Handel“, möchte man sagen, „da macht Psychologie wohl eher 70 Prozent aus.“ Kaum ein anderer Wirtschaftszweig beruht so stark auf Vertrauen, auf Zuversicht, auf der oft gemessenen und viel beschworenen Konsumlaune der Verbraucherinnen und Verbraucher, und klar ist: Diese Laune könnte besser sein.

Gerade als die Coronapandemie überwunden war, überfiel Russland die Ukraine – mit dramatischen Folgen für die Frauen, Männer und Kinder in der Ukraine, aber auch mit spürbaren Auswirkungen auf unsere Sicherheit, unsere Wirtschaft und unsere Energieversorgung. Die Preisanstiege im Energiesektor und bei Lebensmitteln haben die Inflation angeheizt. Mit dem brutalen Terrorangriff der Hamas auf Israel ist nun ein weiterer furchtbarer Konflikt in Europas Nachbarschaft hinzugekommen. Das alles – wen wundert es? – verunsichert die Bürgerinnen und Bürger, und diese Unsicherheit schlägt sich natürlich auch im Konsumverhalten nieder. Sie haben das gestern bereits angesprochen, lieber Herr von Preen: Die Bürgerinnen und Bürger gehen sparsamer mit ihrem Geld um und halten sich bei manchen Anschaffungen zurück.

Aber ich sage auch ganz klar: Die konjunkturelle Lage selbst ist inzwischen besser, als die Stimmung vermuten lässt. Letzte Woche hat der Sachverständigenrat der sogenannten Wirtschaftsweisen sein Jahresgutachten vorgelegt. Sie benennen sehr klar, was den Standort Deutschland in den zurückliegenden zwei Jahren belastet hat: die Energiekrise aufgrund des russischen Angriffskriegs, die weltweite geldpolitische Straffung, auch die schleppende Entwicklung in China. Zugleich gehen sie wie auch die Bundesregierung davon aus, dass die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr trotz dieser Widrigkeiten wieder wachsen wird; nicht viel, aber immerhin.

Die Inflation nimmt kontinuierlich ab und ist im Oktober auf den niedrigsten Stand seit mehr als zwei Jahren gefallen. Die Wirtschaftsweisen sehen die Inflation für 2024 bei 2,4 Prozent. Lieferengpässe lösen sich auf. Die Erwerbsquote in Deutschland liegt so hoch wie noch nie. Erst vor einigen Tagen haben wir erstmals die Schwelle von 46 Millionen Erwerbstätigen überschritten. In den nächsten Wochen und Monaten werden viele Geflüchtete aus der Ukraine ihre Integrationskurse beenden, und ich kann Sie angesichts von 120.000 unbesetzten Stellen im Einzelhandel nur ermutigen: Nutzen Sie dieses Potenzial!

Gut für die Bürgerinnen und Bürger und für den Handel gleichermaßen ist auch, dass die Reallöhne erstmals seit mehr als zwei Jahren wieder gestiegen sind. Das verdanken wir verantwortungsvollen Sozialpartnern, und auch die Bundesregierung hat dazu beigetragen, indem wir im Rahmen der Konzertierten Aktion den Weg für steuerfreie Einmalzahlungen geebnet haben. Die positive Entwicklung wird sich im nächsten Jahr fortsetzen, übrigens auch bei den Renten, die der Lohnentwicklung ja immer mit gewisser Verzögerung folgen.

Das alles kommt nicht von ungefähr, sondern ist Ausweis der Stärke und Robustheit des Standorts Deutschlands. Und, ja, dazu müssen auch die politisch Verantwortlichen ihren Beitrag leisten!

Ich möchte das an vier Themen festmachen, erstens der Energie. Darüber ist hier sicherlich viel gesprochen worden. Aber deshalb ist die wichtigste Feststellung: Die Horrorprognosen, die wir im letzten Jahr hatten, sind nicht eingetreten. All das, was uns vorhergesagt wurde, als Russland seine Gaslieferungen nach Deutschland eingestellt hat – immerhin 50 Prozent unserer Gasversorgung – hat sich nicht bewahrheitet, und zwar deshalb, weil wir im Rekordtempo die Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten ausgebaut haben, weil wir neue Importwege über die westeuropäischen Häfen gesucht haben, weil wir mehr Gas aus Norwegen bekommen, aber weil es auch immer mehr eine Wirkung zeigt, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland vorankommt. Bei Windrädern, bei Netzen und beim Wasserstoff haben wir viele, viele Fortschritte erreicht. 80 Prozent des Stroms, den wir 2030 bekommen wollen, soll aus erneuerbaren Energien stammen. Damit ist auch die Grundlage dafür gelegt, dass wir bezahlbare Strompreise haben werden; denn es ist eine billige Form der Stromproduktion, mit der wir nicht von Lieferanten fossiler Energien aus anderen Ländern abhängig sind, die immer einmal wieder an der Preisschraube drehen und uns dann entsprechende ökonomische Schwierigkeiten machen.

80 Prozent, das bedeutet übrigens „von einer größeren Menge“; denn tatsächlich müssen wir die Stromproduktion in Deutschland ausweiten. Genau das ist gegenwärtig der Fall; denn vieles von dem, was in der Zukunft wichtig sein wird, wird elektrifizierter sein, als es heute der Fall ist. Deshalb bin ich ziemlich froh über die wachsende Zahl von PV-Anlagen, die man auf Dächern des Handels sieht, aber auch über die wachsende Zahl von Ladesäulen auf Parkplätzen. Deshalb bleibt auch in der Zukunft das für die Bezahlbarkeit Wichtigste, das wir zustande bringen können, dass wir dafür sorgen, dass die erneuerbaren Energien ausgebaut werden.

Sie wissen: Wegen der Übergangssituation, in der wir uns befinden – mit den noch immer bedeutenden fossilen Ressourcen, der Tatsache, dass sie so auf die Preise durchschlagen, und der Notwendigkeit, diese langfristige Entwicklung strukturell billiger Strompreise möglich zu mache –, haben wir dafür gesorgt, dass die politischen Kosten für die Strompreise bei den produzierenden Unternehmen weggenommen werden. Da fragt sich mancher: Warum nicht auch ich? – So ist es immer, wenn man solche Entlastungen und Verbesserungen organisiert. Aber die Antwort ist sehr klar: Neben den fiskalischen Begrenzungen, die wir haben, geht es doch darum, dass wir dort, wo sonst Produktion ins Ausland weggehen könnte, einen Beitrag dazu leisten wollen, dass das hierzulande stattfinden kann. Das wirkt sich dann auch auf Einkaufspreise und alles andere aus, wenn die Strukturen, die für das, was notwendig ist, so sehr auf Strom angewiesen sind, in dieser Weise unterstützt werden.

Das Zweite, das für unsere Zukunft von großer Bedeutung ist und an das wir dringend heranmüssen, ist die Planungsbeschleunigung. Nun hat man sich ja als Politiker schon fast nicht mehr getraut, darüber zu reden, weil fast alle von Ihnen in ihrem Leben wahrscheinlich schon einmal gedacht haben: „Das habe ich auch schon gehört.“ Ständig wird irgendwie Bürokratieentlastung versprochen, ständig kommen neue Bürokratieentlastungspakete. Wir machen auch eines, das vierte. Aber man hat immer das Gefühl: „Ich merke es nicht, und geredet haben schon viele.“

Deshalb, finde ich, brauchen wir in dieser Frage einen großen Durchbruch, und das ist das, was ich einen Deutschlandpakt genannt habe. Wir müssen sicherstellen, dass wir tatsächlich zulangen, dass wir gewaltig zugreifen und versuchen, Dinge zu ändern, damit in Deutschland schneller entschieden wird, damit Bürokratie abgebaut wird und damit das bei den Entscheidungen real messbar wird, die zum Beispiel auch Unternehmen treffen. Weil es ja doch – ich will nicht „Jahrhundertwerk“ sagen – ein Werk von mehreren Jahrzehnten ist, dass wir so weit gekommen sind, wie wir heute sind, muss man sich natürlich auch an alle Beteiligten gleichermaßen wenden; denn über Jahrzehnte haben Bundesregierungen, Mitglieder des Deutschen Bundestags, Landesregierungen, Landkreise und Kommunen daran gearbeitet, dieses Vorschriftendickicht zu erarbeiten, mit dem wir heute zu kämpfen haben.

Ehrlicherweise muss man sagen: Manche der gesetzlichen Regelungen, die wir heute haben, sind gar nicht mehr administrierbar. Niemand weiß, wie er das machen soll. Sie fürchten sich vor irgendwelchen Auskünften, die Sie geben müssen, mit tausend Fragen, die für irgendeine Planungsentscheidung beantwortet werden müssen. Diejenigen, die Ihnen die Fragen schicken, fürchten sich auch. Denn auch sie müssen damit ja umgehen. Ständig werden irgendwo Gutachten gebraucht. Ich bin davon überzeugt, dass wir gar nicht so viele Gutachter haben, wie wir bräuchten, um all diese Gutachten in der nächsten Zeit zu erstellen.

Deshalb muss ordentlich Remedur geschaffen werden. Mit dem Deutschlandpakt haben wir mit den Ländern hundert konkrete gesetzliche Regelungen aufgeschrieben, die wir in kurzer Zeit ändern, damit in Deutschland alles schneller geht.

Natürlich brauchen wir auch Zukunftsinvestitionen in Deutschland, ganz besonders was die Infrastruktur betrifft. Der Handel kann ein großes Lied davon singen. Wir müssen die Infrastruktur weiter ausbauen und haben deshalb erhebliche Investitionen in diesem Bereich vorgesehen und geplant. Ohne, dass ich jetzt auf alle Einzelheiten dessen eingehen kann, welche Schlussfolgerungen wir aus dem jüngsten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ziehen werden, kann ich sagen: Dass wir eine Rekordquote bei Investitionen erreichen, wird in jedem Fall gewährleistet sein. Wir werden das sicherstellen. Denn es ist für die Funktionsfähigkeit unserer Volkswirtschaft von größter Bedeutung.

Was wir auch brauchen – darüber habe ich schon ein bisschen gesprochen –, sind Arbeitskräfte, Fachkräfte. Deshalb ist es für mich sehr berührend, dass sich hier, bevor ich auf die Bühne getreten bin, junge Frauen und Männer, die Auszubildende im Handel sind, dargestellt und dass sie gezeigt haben, dass es eine Zukunft für sie selbst, für den Beruf, den sie ergriffen haben, aber auch im Handel und mit ihren Möglichkeiten gibt. Ich bin davon überzeugt, dass es darum auch in Zukunft gehen wird. Um unsere Wirtschaft aufrechterhalten zu können, müssen wir dafür sorgen, dass wir immer genügend Arbeitskräfte haben. Das wird viel mit dem zu tun haben, was wir selbst können, also mit der Ausbildung junger Leute, die die Schule verlassen. Dabei brauchen wir noch neue Anstrengungen, weil es nicht gelingt, alle Ausbildungsstellen zu besetzen und weil es trotz der Tatsache, dass es mehr Ausbildungsstellen gibt als Nachfrage, auch nicht gelingt, alle jungen Leute, die eine Ausbildung suchen, in eine Ausbildung zu bringen. Es wird unsere große Aufgabe sein, das zu ändern.

Es gibt auch eine Ausbildungsfrage, die sich später stellt. Ich bin immer wieder ganz beeindruckt, wenn ich die Gelegenheit habe, bei Unternehmensbesuchen zu sehen, wie das funktioniert. Es geht um die Frage: Was ist eigentlich mit den 30-, 40- und 50-Jährigen? Mancher sucht dringend nach neuen Arbeitskräften, die fachlich qualifiziert sind, hat sie als Angelernte aber schon im eigenen Unternehmen. Warum nutzen wir nicht die neuen Möglichkeiten, die geschaffen worden sind, um diese bereits bekannten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in großer Zahl zu qualifizieren und als Fachkräfte im eigenen Unternehmen zu halten? Ich habe jedenfalls gesehen, dass das funktioniert.

Das erste Mal habe ich mich mit einer solchen Frage beschäftigt, als ich Arbeitsminister war, während der damaligen Finanzkrise und im Zusammenhang mit dem Kurzarbeitskonzept, das ich seinerzeit entwickelt habe. Damals konnte ich fast alle Fälle, in denen das während der Kurzarbeit genutzt worden war, persönlich kennenlernen. So wenige waren es.

Aber jetzt sehe ich schon, dass das in vielen Unternehmen im großen Stil gemacht wird. Es ist sehr berührend, zu sehen, dass 50-jährige Männer und Frauen in der Firma, in der sie tätig sind, noch einmal eine Berufsqualifizierung gewählt haben und damit für die nächsten Jahre gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Betrieb sind. Ich glaube, das ist wichtig. Deshalb geht es mir schon darum, dass wir diese Möglichkeiten nutzen.

Vielleicht darf ich noch eine Bemerkung ergänzen. Während der Coronapandemie wurde den Arbeitskräften im Handel und den Kassiererinnen und Kassierern viel Beifall geklatscht. Das war sehr richtig. Das war wohltuend. Das war auch bitter nötig. Denn sie haben in einer schwierigen Zeit durchaus Risiken in Kauf genommen, um im sprichwörtlichen Sinne den Laden am Laufen zu halten. Noch einmal danke dafür!

Zu klatschen, wenn man selbst in Not ist, ist okay. Aber der Respekt, der damals bezeugt worden ist, und die Wertschätzung für diese Arbeit, die sollten auch jetzt, wenn gerade kein Corona in diesem Ausmaß in unserem Land grassiert, existieren. Deshalb werbe ich sehr dafür, dass wir versuchen, das für die Zukunft hinzubekommen.

Eine letzte Bemerkung zum Thema Fachkräfte: Ich will klarmachen, dass ich weiß, dass es allein mit der Beschäftigung neu ausgebildeter junger Leute nicht gehen wird, dass es nicht reicht, Arbeitsbedingungen familienfreundlicher zu machen und mehr Ganztagsbetreuung in Kitas und Schulen zu organisieren, obwohl das hilft. Ich weiß, dass es nicht reicht, nur Ältere neu mit Beschäftigungschancen zu versehen, obwohl es sehr viel ändern würde, wenn 58-Jährige und 61-Jährige gute Einstellungschancen in unserem Land hätten. Aber wir werden auch Arbeitskräfte aus dem Ausland brauchen. Deshalb bin ich sehr stolz darauf, dass wir in dieser Zeit mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das wir auf den Weg gebracht haben, die modernste rechtliche Grundlage dafür geschaffen haben, dass das in Deutschland funktioniert. Wir sind im internationalen Vergleich vornan. Wir sorgen jetzt dafür, dass die Bürokratie abgebaut wird, damit das einfacher gelingt, mit vielen, vielen Einzelregelungen. Aber wir haben diese Möglichkeit.

Wir haben auch eine Erfahrung – ich habe es eben schon gesagt: 46 Millionen Erwerbstätige, das ist der höchste Stand der Beschäftigung in Deutschland seit Ewigkeiten. So viele Erwerbstätige hat es noch nie gegeben. Das hat etwas damit zu tun, dass in den letzten Jahren Arbeitskräfte aus dem Ausland gekommen sind, viele davon aus der Europäischen Union. Sechs Millionen Menschen sind in den Arbeitsmarkt gegangen. 13 Millionen Boomer werden demnächst in Rente gehen. Ich sehe hier einige, die auch so etwa in dieser Altersgruppe sind. Sie hier gehen natürlich nicht in Rente. Aber von den anderen werden es einige tun. Deshalb ist meine feste Überzeugung, dass wir das auch für die Zukunft hinbekommen müssen. Wir haben jetzt die Rahmenbedingungen dafür geschaffen, dass das funktioniert.

Weil es eine aktuelle Debatte ist, auch dieser Satz: Weil wir modern sind, wenn es um Fach- und Arbeitskräfteeinwanderung geht, weil wir denjenigen, die herkommen, Integrationsperspektiven, und denen, die gut integriert sind und die deutsche Sprache sprechen, eine Chance bieten, auch die Staatsangehörigkeit unseres Landes zu erwerben, wie es in den USA seit 200 Jahren der Fall ist, haben wir gleichzeitig auch die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir das Management und die Begrenzung der irregulären Migration hinbekommen. Beides sind zwei Seiten einer Medaille.

Ich bin davon überzeugt, dass wir gute Möglichkeiten haben, unser Land voranzubringen. Sie spielen dabei eine große Rolle. Was wir brauchen, sind Vertrauen und Zuversicht, mit denen wir die Probleme unseres Landes lösen, und zwar durch – ich habe es gesagt – eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung, durch schnellere Planungsverfahren und weniger Bürokratie, durch die längst überfällige Modernisierung unserer Infrastruktur und durch die Sicherung von Arbeitskräften. Die Weichen dafür haben wir gestellt. Deshalb wird sich auch – jedenfalls ist das meine Hoffnung – die Zuversicht einstellen, die Sie brauchen, damit sich in unserem Land diejenigen, die Ihre Geschäfte besuchen wollen, in guter Stimmung dafür finden. Deshalb geht es darum, diese Dinge schnell zu tun und die Stärken Deutschlands herauszustellen und nicht schlechtzureden. Dann bleiben wir gemeinsam am Ball.

Schönen Dank!