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18.11.2003

Rede des Generalsekretärs Olaf Scholz zum Perspektivantrag

Liebe Genossinnen und Genossen!

 
Der Perspektivantrag ist in der Partei sehr sorgfältig diskutiert und vorbereitet worden. Wir haben uns auf dem letzten Bundesparteitag, als wir die Agenda 2010 beraten und beschlossen haben, vorgenommen, dass wir unsere Meinungsbildung über die Wege zu einem neuen Fortschritt weiter vorantreiben wollen. Wer ein Gefühl für Zeitabläufe hat, der weiß, was für eine enorme Leistung es war, dass die Genossinnen und Genossen, die sich an dieser Diskussion beteiligt haben, es am Ende geschafft haben, ein gemeinsames Ergebnis zustande zu bringen.

Kurt Beck hat es heute morgen bei der Vorstellung sämtlicher Ergebnisse der Beratung der Antragskommission bereits gesagt: Wir sind uns in der Antragskommission in fast allen Fragen, die hier eine Rolle spielen, einig geworden und haben einige Wegweiser aufgestellt, die für die politische Debatte unserer Organisation wichtig sind. Wir müssen es schaffen, dass wir über das hinaus, was wir gegenwärtig tun müssen und tun wollen, politische Themen bestimmen, die für unsere Arbeit in den nächsten Jahren wichtig sein sollen. Ich will zu einigen Punkten etwas sagen, die in diesem Perspektivantrag und darum herum eine Rolle spielen.

Innovation und Bildung, das sind die zentralen Bestandteile der Zukunftsdebatte, die die sozialdemokratische Partei jetzt führen muss. Innovation, da geht es darum, wie wir die Grundlagen des wirtschaftlichen Wohlstandes und auch der sozialen Sicherheit in Deutschland erhalten können, wie wir es schaffen können, dass wir nach wie vor ein Land sind, das vornan steht, ein Land, in dem die Menschen aufgrund dessen, was hier produziert und erwirtschaftet wird, unser Niveau an sozialer Sicherheit erhalten können. Deshalb ist es notwendig, dass wir nicht nur über die Frage diskutieren, wie wir unsere Gesellschaft gerecht organisieren, sondern auch darüber, wie wir es hinbekommen, dass wir optimal aufgestellt sind hinsichtlich Innovationen.

Es ist im Übrigen ein Thema, das an eine alte sozialdemokratische Tradition anknüpft: Fortschritt ist das, wofür Sozialdemokraten immer eingetreten sind, technisch, wirtschaftlich und sozial. Innovation, das ist die Übersetzung dieses Themas in die heutige Zeit.

Wer sich den Antrag anschaut, der sieht eines: Dies ist ein Thema, bei dem ganz unterschiedliche Interessenrichtungen und ganz unterschiedliche politische Strömungen auch unserer Partei zusammenkommen und zusammenfinden können.

Innovation, das ist ein Thema für diejenigen, die wissen und zu Recht darauf hinweisen, dass wir technologischen Fortschritt brauchen, dass wir vornan sein müssen bei den Technologien, die in dieser Welt entwickelt werden, dass wir mehr erreichen müssen, dass sich aus dem, was wir erforschen, auch umsetzbare Produkte und Dienstleistungen ergeben. Das ist ein Thema für die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.

Innovation, das ist ein Thema für diejenigen, die zu Recht darauf hinweisen, dass das etwas mit Nachhaltigkeit zu tun hat, mit ökologischer Effizienz, damit, dass wir uns auf die Zukunft richtig vorbereiten und nicht mit der Form der technischen Entwicklung weitermachen, die sich von selbst ergibt, dass wir das führende Land sind bei ökologischer Effizienz und Nachhaltigkeit und dass wir so eine Voraussetzung für Wohlstand und Zukunftssicherung gewährleisten.

Innovation, das ist ein Thema für diejenigen, die zu Recht darauf hinweisen, dass wir bessere wirtschaftliche Voraussetzungen für neue Unternehmen, die in diesem Lande entstehen, schaffen müssen. Deshalb beschäftigen wir uns mit den Bedingungen für die Unternehmen, die sich im technologischen Bereich neu bilden: Wie kann man mehr Venture-Capital, wie kann man die Entstehung solcher Unternehmen fördern?

Letztlich: Innovation und Bildung. Bildung als Innovationsthema das haben wir auf diesem Parteitag immer wieder diskutiert wird in der Zukunft ein ganz wichtiger roter Faden unserer Politik sein. Es kann nicht sein, dass Deutschland mit vielen anderen führenden Ländern in Europa nicht mithalten kann, die es geschafft haben, dass 40 bis 50 Prozent eines Altersjahrgangs Studien abschließen. In Deutschland ist es noch nicht einmal möglich, so viele Studierende zu erreichen, wenn es darum geht, sie ein Studium beginnen zu lassen. Insofern gibt es etwas nachzuholen. Wir haben uns als ein Element der Agenda 2010 vorgenommen, zu erreichen, dass 40 Prozent eines Altersjahrgangs ein Studium aufnehmen und auch beenden. Das ist notwendig, wenn wir mithalten und uns auf die Zukunft ausrichten wollen.

Das zweite große Thema unserer Debatte und der Perspektiven, die wir weiterentwickeln wollen, sind Kinder und Familie. Wir wissen, dass wir in diesem Bereich etwas ändern müssen. Alle haben es mitbekommen: In Deutschland werden weniger Kinder geboren als in anderen Ländern. Dies ist nicht deshalb so, weil die jungen Leute hier anders leben, weil sie andere Vorstellungen haben als die jungen Menschen in anderen Ländern Europas, als in Frankreich, in den Niederlanden, in Skandinavien oder Großbritannien, um unterschiedliche Länder zu nennen. Dies ist vielmehr so, weil wir das Land sind, in dem es die Familien schwerer haben als anderswo, in dem Eltern nicht die Bedingungen vorfinden, das Leben untereinander und das Leben mit Kindern so zu organisieren, wie sie es wollen. Weil wir in dieser Hinsicht eine kinderunfreundliche Gesellschaft sind, schneiden wir im Vergleich zu anderen Ländern so schlecht ab.

Das, was wir hier diskutieren, ist keine staatspolitische Zielsetzung. Wenn wir die Politik aus der Perspektive von Eltern und Kindern formulieren und sie auf dieser Basis anlegen, dann schaffen wir es auch, dass die Geburtenrate in Deutschland wieder steigt. Insoweit ist ein weiteres Element der Agenda 2010 in diesem Papier enthalten: Wir wollen dafür Sorge tragen, dass bis zum Jahre 2010 eine Ganztagsbetreuung für Kinder im Vorschulalter und auch für Schulkinder vorhanden ist, wie sie sich die Eltern und Kinder in diesem Lande wünschen. Diesen Kulturwechsel müssen wir zustande bringen.

Mir liegt daran, etwas zu dem Argument zu sagen, das sei ja nicht finanzierbar. Wenn wir uns volkswirtschaftliche Daten ansehen, dann wissen wir um die Schwierigkeiten, die wir heute haben. Wir wissen aber auch, dass die Bundesrepublik Deutschland nach wie vor das leistungsfähigste und erfolgreichste Wirtschaftsland Europas ist. Unser Sozialprodukt gibt einiges her. Wenn Länder, die ähnlich aufgestellt sind wie wir oder weniger stark, es schaffen, eine solche Ganztagsbetreuung zu organisieren, dann kann es kein Naturgesetz geben, nach dem das in Deutschland - in den Kommunen, in den Ländern und im Bund - nicht organisierbar ist. Hier müssen die Prioritäten verschoben werden.

Ich glaube schon, dass es notwendig ist, einen festen Blick auf die Haushalte zu haben und nichts Unsinniges zu beschließen. Bei mancher Diskussion, die wir heutzutage führen, habe ich aber den Eindruck: Hätten damals Finanzminister in allen Bundesländern und von allen Parteien in gleicher Weise geredet wie heute, dann wäre die allgemeine Schulpflicht in Deutschland niemals eingeführt worden.

Deshalb glaube ich, dass wir das, was wir bei Kindern und Familien voranbringen wollen, auch als eine Entscheidung von dieser Dimension begreifen müssen: Es geht um etwas ganz Selbstverständliches, das in unserem Lande eben nicht selbstverständlich ist. Das müssen wir ändern!

Wir haben bei der Weiterentwicklung unseres Steuerrechts viel geleistet. Wir sind jetzt dabei, die letzten Schritte der Steuerreform umzusetzen. Ich bin sehr dafür, dass wir den Menschen immer wieder in Erinnerung rufen, welche Entscheidungen damit verbunden sind. Eine Entscheidung lautet: Wir senken die Steuersätze und bauen dafür Subventionen ab. Das ist abstrakt immer sehr willkommen, aber konkret wird es schwer.

Deshalb ist es schon eine Leistung, dass mit der Steuerreform, die jetzt Stück für Stück Realität wird ‑ wenn wir sie vorziehen, wird sie ab 1. Januar 2004 Realität ‑, über 60 Steuervergünstigungen und Subventionen gestrichen wurden und werden, wodurch es möglich war, dass auch in den berühmten Steuerbezirken Deutschlands, die wir vor 1998 in unseren Wahlkämpfen immer genannt haben, wieder Steuern gezahlt werden: in meinem Wahlkreis die eine Ecke am Elbufer, an der Elbchaussee, im Main-Taunus-Gebiet und am Starnberger See. Das sind Gegenden, wo neuerdings von reichen Leuten wieder Steuern gezahlt werden, weil wir das Steuerrecht gerechter ausgestaltet haben.

Aber wir haben auch etwas dazu beigetragen, dass eine Entlastung für Familien, für Arbeitnehmer und für den Mittelstand zustande kommt. Deshalb ist es manchmal einfach nur notwendig, die Steuersätze und die Veränderungen zu nennen, die in diesen Gesetzen stehen. Das steuerfreie Existenzminimum für einen Einzelnen steigt auf 7 600 Euro von einem erheblich darunter liegenden Betrag. Wenn man das auf eine Familie mit zwei Kindern hochrechnet, liegt alles, was wir heute an Steuervergünstigungen haben können, ab 1. Januar 2004 deutlich über den Vergünstigungen, die uns Friedrich Merz verspricht. Der spricht von weniger, weil er nämlich das Kindergeld wegnehmen will, um seine Steuerreform zu finanzieren. Bei uns wird es bis zu einem Einkommen von 37 000 Euro für eine Familie mit zwei Kindern keine Steuerzahlungspflicht mehr geben.

Wir haben den Eingangssteuersatz gesenkt. Er lag über 25 Prozent. Er wird am 1. Januar 2004 15 Prozentpunkte betragen, wenn wir die Steuerreform vorziehen können. Auch das ist eine Entlastung für die kleinen Leute, die wir zustande gebracht haben.

Dieser Antrag und die Diskussionen, die wir bisher geführt haben, zeigen auf, um was es im Steuerrecht jetzt geht. Wir sagen: Wir wollen ein bisschen dazu beitragen, dass es in unserem Land ebenso ist wie in vielen anderen Ländern. Es ist nämlich eine deutsche Besonderheit, dass Veräußerungsgewinne bei Wertpapieren oder Veräußerungsgewinne bei fremdgenutzten Immobilien, also denen, die man nicht selber bewohnt, nicht mit einer ‑ es ist meistens so ausgestaltet ‑ Abgeltungsteuer belegt sind. Bei uns gibt es Situationen, in denen man steuerfrei davonkommt. Das ist keineswegs der Normalfall, sondern das ist, wie Hans Eichel zu Recht immer sagt, eine Steuerlücke, die es in Deutschland gibt.

Mit einem gewissen Interesse, ganz sicher auch mit einer gewissen Irritation haben wir verfolgt, wie vor kurzem in Kalifornien ein Gouverneurswahlkampf stattgefunden hat. Arnold Schwarzenegger ist mit wenigen Worten, er wolle aufräumen, dort zum Gouverneur gewählt worden. Liebe Genossinnen und Genossen, wer die vielen Berichte gelesen hat, der hat für die deutsche Provinz eine kleine Nebenbotschaft lesen können. Was war die Ursache für die Haushaltsprobleme des Staates Kalifornien? Die Ursache war, dass die in einer bestimmten Boomphase der Börse erzielten Steuereinnahmen aus der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen als fortdauernd in dieser Höhe zufließend eingeschätzt wurden. Man hat die dauerhaften Staatsausgaben daran ausgerichtet.

Das war nicht schlau. Die Meldung für die deutsche Provinz lautet: In einem der Kernländer des Kapitalismus ist die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen gang und gäbe. So etwas muss auch hier erläuterbar sein!

Die zweite Weichenstellung, die wir dort vornehmen, besteht darin, dass wir sagen: Erbschaften müssen höher besteuert werden, als das heute der Fall ist. Dafür gibt es juristische Anlässe. Wir werden es aufgetragen bekommen, das Besteuerungsrecht bei Erbschaften zu ändern. Deshalb wollen wir auch erreichen, dass das bis zum 1. Januar 2006 gelingen kann.

Es gibt dafür aber auch viele andere Gründe, die etwas mit Gerechtigkeit zu tun haben. Es kann nicht sein, dass, wie uns unser Managerkreis mitteilt, die Besteuerung von Erbschaften in Deutschland heute geringer ist ‑ die reale Besteuerung betrachtet ‑ als zu Ludwig Erhards Zeiten. Das jedenfalls sollten wir Sozialdemokraten nicht auf uns sitzen lassen. Es entspricht auch nicht den Gerechtigkeitsvorstellungen der Menschen in diesem Lande.

Wenn wir das tun, dann sagen wir natürlich auch: Die Besteuerung von Omas Haus soll unverändert bleiben; das wollen wir nicht höher besteuern. Es soll auch keine Beeinträchtigung beim Übergang eines mittelständischen Betriebs geben.

Alle, die sich damit befasst haben, wissen, wie ein solcher Weg aussehen kann. Wir sollten uns darauf konzentrieren, das zu tun.

Wenn es um die Frage geht, wie die Vermögenden an dem, was wir in Zukunft an Aufgaben in unserer Gesellschaft zu lösen haben, beteiligt werden können, gibt es zwei Operationalisierungsschritte, die wir wählen wollen: die Veräußerungsgewinne und die Frage der Erbschaften. Ich glaube, das ist eine gute Entscheidung, die der Parteitag trifft.

Ich habe es sehr gut gefunden, dass es über viele Bezirke hinweg und über viele politische Strömungen hinweg, die unsere Partei kennt, ein Einvernehmen darüber gegeben hat, dass wir das so tun wollen. Ich werbe dafür, dass wir bei diesem konkreten Einvernehmen zu diesen beiden konkreten Punkten auch bleiben. Wir haben es mit einem Versprechen miteinander verbunden: Wir wollen das hier nicht nur beschließen, sondern wir wollen das hinterher in Gesetzgebung und Politik umsetzen, liebe Genossinnen und Genossen.

Das vierte Thema, dessen Behandlung wir für die Weiterentwicklung unseres Landes notwendig finden, ist, dass wir uns mit der Frage befasst haben: Wie soll es in Deutschland mit den sozialen Sicherungssystemen weitergehen? Dazu will ich ein klares Bekenntnis ablegen, das sich in diesem Antrag und auch in dem wiederfindet, was wir diskutiert haben. Wir bekennen uns dazu, dass auch in Zukunft die soziale Sicherheit zu einem ganz wesentlichen Teil über die Rentenversicherung, die Krankenversicherung, die Pflegeversicherung und die Arbeitslosenversicherung gewährleistet werden soll. Wir wollen den deutschen Weg, Sicherheit über soziale Versicherungen herzustellen, nicht abschneiden, sondern weitergehen. Das ist es, was die Sozialdemokraten entscheiden.

Ich bin auch dafür, dass wir das sehr klar und deutlich tun. Denn eines ist ja klar: Sozialpolitik kann man nicht in der Art und Weise betreiben, dass man sich jeden Morgen auf eine grüne Wiese setzt, eine Staffelei vor sich hat und ein neues Bild Der Sozialstaat ab morgen früh malt. Man muss vielmehr auch auf das Rücksicht nehmen, was wir an Traditionen haben. Es gehört nun einmal zu den Traditionen der Bundesrepublik Deutschland und Deutschlands ‑ also länger zurückliegend ‑, dass, auch um die Sozialdemokraten an ihrer politischen Emanzipation zu hindern, es seit Bismarck so ist, dass es diesen Weg der Sozialversicherung gibt. Das ist sehr mit der Geschichte der SPD verbunden. Es hat nicht so richtig geklappt, was sich Bismarck vorgenommen hat. Wir haben mittlerweile ein gutes Sozialversicherungssystem und die Sozialdemokraten sind daran stark geworden, sie haben sich darum gekümmert, dass es wächst.


Liebe Genossinnen und Genossen, wenn wir darüber diskutieren, dann darf man natürlich sagen, dass es ein bisschen mehr Steuerfinanzierung geben soll. Nur eines sollte man nicht tun: Die Illusion erwecken, als gebe es einen kompletten Umstieg in ein steuerfinanziertes soziales Sicherungssystem, wie wir es in anderen Ländern kennen. Wir zahlen in Deutschland an Sozialversicherungsbeiträgen jedes Jahr etwa 350 Milliarden Euro. Man muss sich nur einmal vorstellen, die Bundessteuern würden um diesen Betrag angehoben! Das wäre bei einem Bundeshaushalt, der heute 250 Milliarden Euro umfasst, erforderlich.

Jeder, der das einmal durchdacht hat, weiß: Diesen Weg können wir in Deutschland nicht beschreiten; das ist nicht sinnvoll. Was dabei herauskommt, sagen die Herren Miegel und Biedenkopf ganz offen und ehrlich.

Wenn sie Steuerfinanzierung meinen, dann meinen sie nur eine Grundsicherung auf ganz geringem Niveau. Wenn sie Steuerfinanzierung sagen, dann sollen viele Leistungen, die heute mit der sozialen Sicherung verbunden sind, nicht mehr dabei sein. Darum warnen wir vor diesem Weg und wollen ihn auch nicht gehen, liebe Genossinnen und Genossen.

Aber wir müssen natürlich dafür Sorge tragen, dass wir Wege finden, wie wir die solidarischen Strukturen für die Zukunft fit machen. Ein Teil ist das Schmerzliche, was wir gegenwärtig tun die Reformentscheidungen, die mit der Agenda 2010 zusammenhängen , weil wir dafür sorgen wollen, dass die Rechnung aufgeht und dass man sich auch in Zukunft noch auf diese Systeme verlassen kann, dass Einnahmen und Ausgaben zusammenpassen, dass die Beiträge zu den Systemen der sozialen Sicherung nicht die Chance auf Arbeit und Beschäftigung erschlagen.

Aber eines ist auch klar: Nicht alles ist so, wie wir uns das vorstellen. Deshalb muss es eine Weiterentwicklung geben. Wir haben gesagt: Wir wollen bei der Krankenversicherung den Weg einschlagen, der unter dem Stichwort Bürgerversicherung diskutiert wird. Das ist zunächst einmal ein Pfad, den wir beschreiten wollen. Aber es ist wichtig, diesen Weg zu nennen. Denn wir befinden uns an einer Weggabelung. Das kann man ganz deutlich sehen, wenn man sich die Vorschläge der CDU die der FDP sind sowieso klar anschaut. Dort wird über Kopfpauschalen diskutiert. Es wird darüber diskutiert, die Pflegeversicherung abzuschaffen und die Kapitaldeckung einzuführen. Man ist bereit, über viele Jahre hinweg hinzunehmen, dass die Beiträge höher sind als heute, und zwar trotz aller Diskussionen über Lohnnebenkosten, nur um das ideologische Konzept des Ausstiegs aus einem solidarischen Sicherungssystem hin zu einem anderen durchzusetzen. Diesen Weg wollen wir nicht beschreiten, sondern wir wollen den der Solidarität gehen. Das ist das, was in diesem Antrag steht.

Wer sich die Diskussion zur Bürgerversicherung anschaut, weiß: Damit sind viele Detailvorschläge verbunden. Jeder hat seine Meinung dazu. Auch für mich gibt es Vorschläge, die ich besser finde als andere. Aber heute auf dem Parteitag werden wir nicht alle Einzelheiten eines solchen Gesetzes beschließen können, nicht einmal alle Details der Grundentscheidungen. Vielmehr sollten wir sagen: Wir wollen nicht, dass es dabei bleibt, dass man sich durch eine individuelle Entscheidung aus der Solidarität entfernen kann. So ist Krankenversicherung heute nämlich organisiert: in der jetzigen Form des Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung.

Wir müssen gucken, ob es Wege gibt, wie die Solidaritätsbeziehungen verbessert werden können. Es gibt Vorschläge, die sehr weit gehen. Es gibt Vorschläge, die besagen, man müsse auf jeden Fall dafür sorgen, dass man sich immer an der Finanzierung der sozialen Sicherung beteiligt. Was ist der Unterschied zwischen den beiden Angestellten, die in einem großen Versicherungskonzern in Düsseldorf arbeiten? Beide verdienen etwa 4000 Euro im Monat. Der eine ist privat krankenversichert und der andere ist in der Techniker-Krankenkasse. Der in der Techniker-Krankenkasse überweist ein Drittel seines Beitragsvolumens in den Solidaritätsausgleich der gesetzlichen Krankenversicherung. Der andere ist an der Solidarität überhaupt nicht beteiligt. So jedenfalls geht es nicht mehr weiter.

Aber wie es genau gehen soll, wollen wir nicht beschließen. Vielmehr sagen wir, wie unsere Prinzipien aussehen. Ich glaube, das ist auch gut so. Denn wir müssen sehr sorgfältig, sehr präzise sein. Wir dürfen bei dem, was wir am Ende wollen, keine Fehler machen. Denn eines kann passieren: dass die Wahlauseinandersetzung des Jahres 2006 auch um die Alternative Kopfpauschale, unterstützt von FDP und CDU, oder Weiterentwicklung der solidarischen Krankenversicherung unter dem Stichwort Bürgerversicherung der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten geht. Das wäre eine vernünftige Wahlauseinandersetzung, liebe Genossinnen und Genossen.

Aber wenn wir das machen wollen, dann dürfen wir nichts falsch machen. Man darf uns nicht sagen können: Das habt ihr nicht zu Ende gedacht. 2006 ist nicht jetzt. Deshalb geht es um den Pfad, den wir beschreiten wollen. Wir müssen dann hart arbeiten, damit wir sehr präzise sein können, wenn die Wahlauseinandersetzung beginnt.

Ich glaube, dass es ein gutes Paket ist, mit dem wir uns auf den Weg machen können.

Noch ein Wort zur Rente. Kurt Beck hat das Wesentliche dazu gesagt. Wir haben uns sehr genau überlegt, wie und wann wir die Gesetzgebung zu diesem Thema beginnen. Ein Teil musste sofort entschieden werden. Hier hat die Bundestagsfraktion schnell und richtig gehandelt. Denn wir wollen nicht, dass zum 1. Januar 2004 die Beiträge von 19,5 auf 20,3 Prozent steigen.

Daneben gibt es langfristige Entscheidungen, zum Beispiel zum Nachhaltigkeitsfaktor. Hierzu soll das Gesetzgebungsverfahren, soll die Beschlussfassung in der Bundesregierung und in der Fraktion erst nach unserem Parteitag stattfinden. Insofern ist schon wichtig, was wir hier heute beschließen. Denn das ist die Maßgabe, die wir der Gesetzgebung von Fraktion und Regierung mitgeben. Deshalb bin ich froh, dass wir es so konkret machen konnten, wie es jetzt steht. Ich bitte allerdings um Unterstützung dessen, was wir im Antrag finden.

 
Liebe Genossinnen und Genossen, wenn wir den roten Faden dieser Politik beschreiben, dann gehört dazu stets das Thema Gerechtigkeit. Wir haben das in dem Antrag untergebracht; wir haben es erwähnt. Wir haben gesagt, warum für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Weiterentwicklung von sozialer Gerechtigkeit eine zentrale Bedeutung hat. Es hat viele Anträge dazu gegeben, darunter einen aus Nordrhein-Westfalen, der das sehr gut und sehr präzise formuliert hat. Wir haben vieles von diesem Antrag in dem Beschluss, den die Antragskommission vorschlägt, übernommen.

Wir haben aber gesagt: Das ist nicht genug. Deshalb schlagen wir euch vor, den NRW-Antrag aufzugreifen, der hier als Initiativantrag vorliegt, und in der Weise zu beschließen, dass wir sagen: Wir wollen uns über das Leitbild Gerechtigkeit in einer Kampagne Gerechtigkeit im nächsten Jahr unterhalten. Das soll ein gemeinsames Thema von Sozialdemokraten sein. Denn das halten wir für die Zukunftsfragestellung, mit der wir Sozialdemokraten vorankommen müssen. Ich glaube, das kann im großen Konsens beschlossen werden.

Letzte Bemerkung. Wir haben alle vieles getan, mitgetragen und mitentschieden, damit die deutsche Einheit vorankommt. Aber die Aufgaben, die sich damit verbinden, sind noch lange nicht erledigt und noch lange nicht zu Ende. Deshalb ist es richtig, dass wir die besonderen strukturellen Defizite in einigen Regionen unseres Landes insbesondere in Ostdeutschland nicht nur da, aber insbesondere dort bedenken, dass wir dafür Sorge tragen, dass die den Aufschwung des ganzen Landes nicht behindern. Deshalb geht es darum, diese Herausforderung anzunehmen und uns damit zu beschäftigen. Das wollen wir in dem Antrag auch ausdrücken. Wir wollen deshalb aufgreifen, was in einem Initiativantrag zu diesem Thema aufgeschrieben worden ist, ein Teil im Antrag, ein Teil als Aufgabe von Partei, Bundesregierung und Fraktion. Ich glaube, dass das eine gute Lösung für das ist, was wir wollen.


Liebe Genossinnen und Genossen, ich glaube, dass dieser Antrag über die Perspektiven, über unseren Weg für einen neuen Fortschritt etwas ist, was die Politik der Sozialdemokraten bestimmen kann, nachdem wir die Strukturreformen durchgesetzt haben, um die es jetzt geht. Es kann nicht so sein, dass wir, wenn alles gut läuft und wir im Dezember damit fertig sind, ab Januar drei Jahre warten, wie sich die Sachen auswirken werden. Vielmehr gibt es auch dann für Sozialdemokraten noch allerhand zu tun. Was das ist, wollen wir hier beschreiben, und zwar bevor es Politik von Regierung und Fraktion geworden ist. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute diesen Antrag behandeln. Schönen Dank.