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23.01.2006

Rede im Deutschen Bundestag am 20. Januar 2006

Rede von Olaf Scholz zur vereinbarten Debatte zu Berichten über die Rolle von BND-Mitarbeitern beim Irakkrieg

Olaf Scholz (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will noch einmal den äußeren Rahmen der Debatte ansprechen, der hier genannt werden muss. Deutschland hat im Jahre 2002 entschieden, sich nicht an einem Krieg gegen den Irak zu beteiligen. Die deutsche Bundesregierung hat dies mit klaren und deutlichen Worten getan. Seitdem hat es eine Diskussion darüber gegeben, ob das richtig oder falsch war - das ist die eine Debatte; in dieser kann man unterschiedliche Positionen haben - und ob man der Bundesregierung diese Haltung eigentlich glauben könne. In dieser Debatte gibt es eine Besonderheit: Es wurde immer so getan, als sei diese Haltung gar nicht ernst gemeint gewesen. Als die Diskussion im Sommer 2002 zugange war, haben viele gesagt: Wenn der Wahlkampf zu Ende ist, dann gilt wieder etwas anderes.

Als die Bundesregierung nach der Wahl bei ihrer Haltung blieb, ging die Diskussion weiter. Man fragte: Wann endlich kriegen sie die Kurve, um wegen besonderer Umstände eine andere Haltung einzunehmen? Noch unmittelbar vor Kriegsbeginn wurde in der Diskussion immer und immer wieder von vielen Medien und von vielen Interessierten in diesem Lande vermutet: Eigentlich sei das alles nicht ernst gemeint und das komme schon bald heraus.

(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Sehr richtig!)

Als dann der Krieg ausgebrochen war und sich Deutschland immer noch nicht am Krieg beteiligt hatte, wurde überall darüber diskutiert und spekuliert, dass das eine oder andere Verhalten in Wahrheit die Unglaubwürdigkeit der ganzen Haltung deutlich mache, nämlich, dass wir zum Beispiel die amerikanischen Stützpunkte mit unseren Soldaten beschützen, dass wir Überflugrechte gewähren, dass wir die AWACS-Flüge ermöglichen, dass wir ganz offensiv Mitglied der NATO-Allianz bleiben und bleiben wollen. All das war als Infragestellung gedacht.
Aber die wichtigste Wahrheit in der gesamten Diskussion war immer: Deutschland hat keine Soldaten in den Irakkrieg geschickt. In diesem Krieg sind keine jungen Männer und Frauen aus Deutschland gestorben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen voraus: Daran wird auch die aktuelle Debatte nichts ändern. Das ist mir wichtig; ich hoffe, auch anderen.

Wenn es um die Vorwürfe, die am letzten Donnerstag aufgekommen sind, geht, dann ist auch festzustellen, dass es in beispielloser Geschwindigkeit gelungen ist, die entsprechenden Informationen zu bekommen, um darüber diskutieren zu können. Wir haben uns am letzten Freitag und am Mittwoch dieser Woche getroffen. Der Nachrichtendienst hat die betreffenden Akten zusammengetragen und alle Mitarbeiter, die daran beteiligt gewesen waren, herbeigeführt, damit wir mit ihnen sprechen konnten. Die Akten konnten wir zwar noch nicht lesen, aber das liegt auch an uns. Das müssen und werden wir noch tun. Allerdings finde ich, dass wir schnell und zügig informiert worden sind. Das ist zu loben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass in den trotz aller Unterschiedlichkeit sachlichen Redebeiträgen von FDP und Grünen, die ich heute gehört habe, immer davon gesprochen wurde, dass wir gemeinsam für Aufklärung sorgen wollen. Wie Vertreter der Grünen und der Freidemokraten gesagt haben, ist bereits viel Aufklärung geleistet worden. Aber natürlich ist noch mehr zu tun. Das soll auch getan werden. Ich fände es schön, wenn wir uns darüber verständigen könnten, auf welchem Wege und auf welche Art und Weise diese Aufklärung öffentlich - an den Stellen, an denen sie geheim bleiben muss: nicht öffentlich - betrieben werden kann, sodass wir alle ein gutes Gefühl haben, wenn wir uns über diese Angelegenheit abschließend eine Meinung bilden. Das fände ich richtig.

Ich glaube, das können wir mit einer gewissen Entspanntheit tun. Denn einer der Sätze, die wir im Parlamentarischen Kontrollgremium gemeinsam festgestellt haben, lautet - die Formulierung ist semantisch völlig korrekt -: Die zuständigen Mitarbeiter haben gesagt, dass es eine klare Weisungslage gab, keine Informationen weiterzugeben, die eine Beteiligung an Kriegseinsätzen ermöglichen. - Das ist die politisch entscheidende Aussage. Selbst wenn sich noch neue Kenntnisse ergeben sollten, die dann im Detail zu betrachten wären,

(Zurufe von der LINKEN: Aha! - So, so!)

bleibt festzuhalten: Es gab den politischen Willen der Führung des Landes und der Führung des BND, keine Kriegsbeteiligung durch nachrichtendienstliche Tätigkeit zu bewirken. Diese Erkenntnis ist wichtig und gut.

(Beifall bei der SPD)

Im Rahmen unserer weiteren Diskussion sollten wir nach einem Weg suchen, wie wir die Aufklärung gewährleisten können. Dabei sollten wir aber auch die Frage im Blick haben, wie wir in Deutschland in Zukunft mit der Kontrolle unserer Nachrichtendienste umgehen wollen. Dazu gehört neben den bereits mehrfach abgelegten Bekenntnissen, die hier im Hause einvernehmlich beklatscht worden sind

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)

- ja, so war es -, auch die Feststellung, dass wir eine strenge nachrichtendienstliche Kontrolle brauchen.
Trotz des vorhandenen Reformbedarfs, über den man diskutieren kann - wie Herr Klose lade auch ich Sie alle dazu ein, das in Zukunft weiterhin zu tun -, darf man eines nicht vergessen: Die Kontrolle der Nachrichtendienste in Deutschland ist weltweit vorbildlich.

(Sebastian Edathy [SPD]: Wohl wahr!)

In den jungen Demokratien in Mittel- und Osteuropa hat man sich aufgrund seines vorzüglichen internationalen Rufs am deutschen Kontrollgremiumgesetz orientiert.

Natürlich darf man eine solche Institution wie das Parlamentarische Kontrollgremium nicht dadurch entwerten, dass man ihre eigentliche Arbeit von anderen noch einmal machen lässt. Darum ist meine Bitte bzw. mein Rat: Lassen Sie uns lieber darüber diskutieren, wie wir dem formulierten Aufklärungsinteresse öffentlich - wenn notwendig: nicht öffentlich - gerecht werden können, ohne diese so wichtige Institution kaputtzumachen, die wir zwar vielleicht fortentwickeln müssen, die in der Welt aber weiterhin als Vorbild dient, wenn es um den Umgang eines demokratischen Staates mit seinen Nachrichtendiensten geht.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Was soll ein Untersuchungsausschuss noch leisten? Diese Frage müssen - hier stimme ich dem Kollegen Röttgen zu - zuallererst die Oppositionsparteien beantworten. Denn das Recht auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist ein Minderheitenrecht, das wir respektieren und für das ich überall zu kämpfen bereit bin. Von diesem Minderheitenrecht muss man auch Gebrauch machen dürfen.

Wir als Parlament und Öffentlichkeit sollten die Courage haben, uns nicht von der Erwägung leiten zu lassen: Was fordert eine Art von Medienöffentlichkeit in ihrer Aufgeregtheit von uns, welche Forderung muss man zur Steigerung des Medieninteresses und des Spektakels noch draufsetzen? Nein, wir müssen uns das Recht vorbehalten, parlamentarische Untersuchungsausschüsse einzusetzen - oder eben nicht. Das ist immer das Recht der Minderheit.

(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Ihr seid aber nicht die Minderheit!)

Deshalb ist die Frage, was da noch zu untersuchen ist, schon bemerkenswert. Denn wenn wir haben, was wir haben, und wenn wir uns darüber verständigen, wie wir das bekommen - öffentlich und nicht öffentlich -, was wir noch brauchen, kann am Ende auch die kluge Entscheidung stehen, keinen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Ich werbe darum, all dies noch einmal zu bedenken. Denn ein Untersuchungsausschuss, der zusammentritt, wenn vieles öffentlich oder halböffentlich bekannt ist, wenn vieles Geheime schon aufgeklärt ist, hat natürlich einen Grad von Lächerlichkeit, der dem Ansehen des Parlamentarismus auch nicht zugute kommt. Insofern glaube ich, macht es Sinn, über diese Frage noch einmal nachzudenken.

Fragen der politischen Bewertung gehören sowieso hier ins Parlament. Ich lasse mir von keinem Untersuchungsausschuss sagen, was ich zu denken habe. Wie die Nachrichtendienste Befragungen von Gefangenen in ausländischen Gefängnissen vornehmen oder mit besonderen Situationen umgehen, das muss auch hier diskutiert werden. Ich habe die Bundesregierung gebeten, Grundsätze für die Befragung von Gefangenen zu formulieren, und mir ist auch zugesagt worden, dass wir diese erhalten. Darüber müssen wir dann politisch diskutieren. Denn das Schlimmste im Umgang mit Nachrichtendiensten ist, wenn man herumdruckst und sich schämt, darüber zu reden, wenn man so tut, als gäbe es sie gar nicht. Wenn man sie bejaht, dann muss man auch festlegen, was sie tun sollen. Das zu formulieren - und damit auch ihre Grenzen -, das ist unsere Aufgabe.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das ist eigentlich ein schöner Schlusssatz gewesen, Herr Scholz.

Olaf Scholz (SPD):

Einen wirklich letzten Satz; ich sage das nicht nur als Ankündigung.
Das Parlament besteht aus über 600 Staatsmännern und Staatsfrauen. Ich glaube, es stellt sich bei einer solchen Angelegenheit auch die Frage: Werden wir der Bedeutung gerecht, der eine der größten und wirtschaftlich und militärisch kräftigsten Demokratien der Welt gerecht zu werden hat? Ich glaube, auch das ist ein Auftrag für unsere Debatte und für das weitere Vorgehen.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)