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01.03.2007

Rede im Deutschen Bundestag vom 1. März 2007

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Wir diskutieren jetzt über ein Drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz. Ich glaube, dass allein der Begriff deutlich macht, dass wir uns an etwas Unmöglichem versuchen. Das Unrecht, das vielen Menschen widerfahren ist, die Erfahrung, die sie in Gefängnissen machen mussten die Schwierigkeiten und die Betroffenheit bestehen oft ein ganzes Leben lang, lässt sich mit keiner finanziellen Regelung wiedergutmachen. Ich glaube, dass wir alle hier dieses Verständnis teilen sollten.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es hat eine ganze Reihe von Versuchen gegeben, die Situation zu verbessern, auf die entstandenen Schwierigkeiten einzugehen. Trotzdem wird jede Regelung mit dem Problem behaftet sein - selbst wenn die Regelung noch so günstig ausgestaltet wird -, dass sie nichts daran ändert, dass das damit verbundene Lebensschicksal nicht rückgängig gemacht werden kann.

Die besondere Situation muss man sehr ernsthaft ansprechen. Die Gerechtigkeitsvorstellungen vieler Menschen werden dadurch berührt, dass diejenigen, die zu den Mächtigen des SED-Regimes gehört haben, oft nicht so schlecht dastehen. Ganz ehrlich: Das Bundesverfassungsgericht hat es dem sehr wohl bemühten Deutschen Bundestag mit manchen Entscheidungen nicht leichter gemacht, zu vernünftigen und fairen Regelungen zu kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir können aber beides nicht aus der Welt schaffen. In diesem Rahmen müssen wir uns bewegen, wenn wir jetzt nach einer Lösung suchen, die vielleicht weit in die Zukunft weist. Unmittelbar nach 1990 gab es unter der Regierung Kohl erste Regelungen. Weil sie als nicht ausreichend kritisiert worden sind, hat die Regierung Schröder weitere Regelungen auf den Weg gebracht, die die materielle Situation vieler Betroffener deutlich verbessert haben. Natürlich sind dann wieder neue Forderungen und Entdeckungen gemacht worden, was man tun könnte. Insofern glaube ich, ist die Große Koalition eine gute Gelegenheit, jetzt einen ganz deutlichen Schritt weiterzugehen und das Gefühl zu erzeugen, dass dies eine gute Regelung ist, wobei ich ganz sicher sagen will - auch den Betroffenen, die hier sind und uns zuhören: Es bleibt immer mit den Schwierigkeiten behaftet, die ich eingangs geschildert habe. Wir haben uns drei Komplexe herausgegriffen, bei denen wir versuchen wollen, Fortschritte für die Menschen, um die es geht, zu erzielen. Das Erste und Wichtigste ist sicherlich die Einführung einer monatlichen Opferpension für Menschen, die sechs Monate und mehr in Haft saßen und wirtschaftlich bedürftig sind. Es sollen 250 Euro pro Monat gezahlt werden. Das ist nicht viel im Hinblick auf das Unrecht, das vielen geschehen ist, die diese Leistung nun bekommen werden. Aber für den deutschen Staat sind es insgesamt ungefähr 50 Millionen Euro. Wir schätzen, dass 16 000 Menschen von dieser Regelung profitieren werden. Das ist nicht nichts.

Selbstverständlich kann man sich Gedanken darüber machen, ob es notwendig ist, eine Bedürftigkeitsgrenze einzuführen. Das haben wir getan. Wir haben uns sehr ernsthaft damit auseinandergesetzt. Ich glaube, dass es notwendig ist - ohne nun in jedes Detail zu gehen -, ehrlich zu sagen, was uns bewegt und motiviert hat. Wir wollen im System der Opferentschädigung bleiben, das die Bundesrepublik Deutschland auch an anderer Stelle gefunden hat. Auch für andere Situationen, in denen schlimmes Unrecht durch deutsche Regierungen geschehen ist, haben wir solche Regelungen, die wirtschaftlich in etwa dem entsprechen, was jetzt als Opferpension für SED-Opfer vorgesehen ist. Sie entspricht etwa der Höhe und ist an ähnliche Voraussetzungen geknüpft, insbesondere wirtschaftlich genau an die Voraussetzungen, die hier gemacht werden. Wenn man als Alleinstehender mehr als 1 035 Euro oder als Ehepaar mehr als 1 380 Euro verdient, dann gibt es keine Leistung; diese gibt es nur, wenn man darunter liegt. Das ist der Grund. Ich glaube, das muss man offen ansprechen. Es ist ein vernünftiger Grund; ich rate allen, hier ein bisschen mitzuhelfen. Denn natürlich ist die Diskussion nie an dem einen Tag, durch ein Gesetz beendet; es würden sich sofort viele andere melden, die fragen, was wir an anderer Stelle machen wollen. Ich glaube, wir müssen zu einem insgesamt gerechten und austarierten System kommen. Das ist mit dieser Regelung der Fall.  Ich wiederhole, was ich eingangs gesagt habe und was mich bewegt, auch deshalb, weil ich mir angesehen habe, wie die Haftbedingungen von Menschen waren, die in SED-Gefängnissen saßen, und weil ich weiß, was sie erlitten haben, weil ich mir Schicksale habe schildern lassen. Da ist überhaupt nichts zu verniedlichen. Ich glaube, dass das auch immer wieder ein Grund ist, sich klarzuwerden, dass für DDR-Nostalgie und ähnliche Dinge in diesem Lande überhaupt kein Anlass besteht.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP -  Zuruf von der CDU/CSU: Warum klatscht Die Linke nicht!)

Diesen Menschen ist durch eine Diktatur - sie hat vielen Menschen die Freiheit genommen und ganz viele Menschen noch weit darüber hinaus in Gefängnisse gesteckt - schweres Unrecht geschehen. Es gibt zwei weitere ergänzende Regelungen, die Erleichterung schaffen. Eine davon ist die Verlängerung der Antragsfristen. Sie ist hilfreich, weil viele gesagt haben: Trotz der langen Zeit, die seither vergangen ist, gibt es immer noch Personen, die jetzt erst ihre Ansprüche geltend machen; sie sollen das auch noch können. Wir sind da einem Vorschlag der Bundesregierung gefolgt, den sie in Diskussionen mit dem Bundesrat entwickelt hat, nämlich zu sagen: Wir haben gerade die Aufbewahrungsfristen für bestimmte Unterlagen verlängert. Solange man diese Unterlagen wiederfinden kann, macht es Sinn, anzunehmen, dass jemand noch Anträge stellt. Deshalb wollen wir die Antragsfristen entsprechend verlängern und damit eine Möglichkeit schaffen, dass man bis zum Ablauf dieser Fristen seine Ansprüche geltend machen kann.

Die dritte Regelung - die zweite in dieser Zählung - ist, dass wir die Mittel der Häftlingshilfestiftung aufstocken wollen. Das ist ein ganz wichtiges Instrument, weil sie nicht nur Gesetzesvollzug darstellt, sondern auch Spielräume beinhaltet, auf individuelle Schicksale, auf all das, was man in einer noch so komplizierten Kasuistik eines Gesetzes nicht abspiegeln kann, einzugehen. Dafür waren die 1,5 Millionen Euro, die wir bisher jährlich zur Verfügung hatten, nicht genug. Deshalb sind diese Mittel jetzt auf 3 Millionen Euro aufzustocken. Ich glaube, dass man damit mehr anfangen kann, als es bisher der Fall war. Wir können zum Beispiel das Schicksal der zivildeportierten Frauen und anderer Menschen, die ihre Betroffenheit bei uns bekanntgemacht haben und von denen wir wissen, besser berücksichtigen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, diese Diskussion sollte mit großem Ernst geführt werden. Dieses Thema ist nicht geeignet, um beifallsorientierte Reden zu halten, sondern es muss mit dem nötigen Ernst an der Sache um die Aufarbeitung einer schlimmen Diktatur gehen. Die Koalition hat mit ihrem Antrag eine vernünftige Regelung vorgelegt, die den Menschen gerecht wird.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)