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11.10.2007

Rede im Deutschen Bundestag vom 11. Oktober 2007

Rede von Olaf Scholz im Deutschen Bundestag zum Antrag der FDP Fraktion "Missbilligung der Äußerung des Bundesministers Dr. Franz Josef Jung zum Abschuss von in Terrorabsicht entführten Flugzeugen"
 

Olaf Scholz (SPD):

 

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

 

Die Debatte, die wir hier führen, ist eine sehr ernsthafte, und sie sollte mit dem nötigen Ernst geführt werden. Gestatten Sie mir deshalb ein paar ernste Bemerkungen. Dass der Deutsche Bundestag im Januar 2005 ein Gesetz beschlossen hat, das sich mit der Frage eines möglichen Abschusses von Flugzeugen beschäftigt, das Luftsicherheitsgesetz, hat eine Ursache. Diese Ursache war der 11. September 2001, waren die Terroranschläge auf New York und andere Ziele in den Vereinigten Staaten. Wir alle erinnern uns sehr genau an diese Ereignisse. Ich glaube, in diesem Parlament oder anderswo sitzt niemand, der sich nicht präzise daran erinnern kann, was er machte, als ihn diese Nachricht erreichte, der die schrecklichen Bilder von den Menschen, die aufgrund des Anschlages dem Tode geweiht waren, nicht immer wieder vor Augen hat.

 

Ich selbst verbinde damit noch sehr präzise andere Erinnerungen. Ich war zu dieser Zeit Innensenator in Hamburg und trug damit Verantwortung. Wir unternahmen damals den Versuch, herauszufinden, ob sich in der Stadt oder anderswo in Deutschland weitere Terroristen befinden; denn wir mussten damals lernen, dass sich drei der Attentäter ganz legal in Deutschland, in Hamburg aufhielten. Eine ganze Nacht lang versuchte ich mit der Hamburger Polizei und allen anderen Sicherheitsbehörden versucht, mögliche Komplizen und andere Täter zu finden. In der Polizeizentrale waren immer wieder die Bilder der Anschläge zu sehen. Deshalb finde ich es nur richtig, dass sich der Deutsche Bundestag sehr sorgfältig mit der Frage beschäftigt, was man tun kann. Deshalb fand und finde ich es richtig, dass sich die letzte Bundesregierung darüber Gedanken gemacht hat und einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg gebracht hat.

 

Debatten, wie die, die wir heute führen, sind aber immer wieder auch Anlass, sich sorgfältig mit der Frage zu beschäftigen, was richtig ist. Im Nachhinein, nachdem ich damals und jetzt und auch im Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gelegenheit hatte, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, muss ich sagen: Ich bin froh darüber, dass es Kläger gegen das Gesetz gegeben hat, das ich als Abgeordneter mit beschlossen habe, und ich bin nach langer, sehr sorgfältiger Überlegung sehr wohl der Überzeugung, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts richtig ist.

 

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

 

Wir sollten diese Debatte nutzen, um uns mit den Erwägungen des Gerichts auseinanderzusetzen. Das Gericht hat uns gesagt: Ihr dürft kein Gesetz machen, das den Abschuss eines Zivilflugzeuges mit unschuldigen Menschen, die dem Tod geweiht sind, regelt.   Wir dürfen das nicht legalisieren, das ist im Kern die Aussage des Bundesverfassungsgerichts.

 

(Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Keine Carte blanche!)

 

Man kann verstehen, warum wir uns im Januar 2005 so entschieden haben. Es ist aber richtig, dass uns das Bundesverfassungsgericht zurückgerufen und gesagt hat: So könnt ihr das nicht machen; ihr könnt das nicht durch ein Gesetz regeln.

 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP sowie der Abg. Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

 

Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass die Situation, die entstehen kann, eine ganz außerordentliche ist und es keine generellen Regelungen geben kann, nach denen man sich auf diese Situation vorbereitet. Es hat nicht gesagt: Wenn man sich entscheidet, die Verantwortung zu tragen und die Möglichkeiten der Bundeswehr einzusetzen, bleibt man straffrei. Es hat nur gesagt: Es kann sein, dass es so ist. Das ist eine Frage, die das Gericht nicht zu klären hatte. Das Gericht hat niemandem, weder den Soldaten der Bundeswehr noch dem Bundesverteidigungsminister, die Sicherheit gegeben, dass sie sich darauf verlassen können, dass das zwar illegal ist, aber straffrei bleibt.

 

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das ist der Punkt!)

 

Das ist nicht das Ergebnis der Verfassungsrechtsprechung. Dieser Spielraum ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht entstanden.

 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

 

Insofern hat uns das Bundesverfassungsgericht damit alleingelassen. Es hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass wir uns in einer ganz besonderen und außerordentlichen Situation unserer Verantwortung zu stellen haben. Es gibt nicht den Ausweg einer vorweggenommenen Abwägung. Da sind wir mit dem Bundesverteidigungsminister nicht einer Meinung; denn es ist gewissermaßen wie ein Gesetz, wenn ich mir jetzt überlege, was ich in einer solchen Situation tun werde. Das Bundesverfassungsgericht hat uns gebeten, genau das zu unterlassen. Es hat gesagt: Wir können das nicht wie ein Gesetz regeln. Wir können keine abstrakte Regelung für die Zukunft treffen. Es muss der schicksalhafte Einzelfall bleiben, in dem die Menschen, die die Verantwortung tragen, entscheiden. Darum distanzieren wir uns von den Abwägungen, die der Bundesverteidigungsminister in dieser Frage getroffen hat.

 

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

 

Ich bitte darum, diese Debatte zu nutzen, um wieder auf den Einzelfall zurückzukommen. Ich habe den Wunsch, dass der Minister, dessen Arbeit ich unterstütze - darauf werde ich gleich noch zu sprechen kommen - , die Gelegenheit nutzt, dies zu tun. Das ist für ihn und seine Arbeit genauso wichtig wie für die Bundeswehr und die Soldaten, die dort tätig sind. Wir müssen uns an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und, wie ich finde, aus Überzeugung an die Erwägungen des Gerichts halten.

 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

 

Wir müssen zu Anträgen, die in diesem Parlament gestellt werden, Stellung beziehen. Deshalb will ich Ihnen an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich entschieden, den Missbilligungsantrag abzulehnen;

 

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

 

denn wir wollen, dass Herr Jung Verteidigungsminister bleibt.

 

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU))

 

Niemand könnte verantworten, dass jemand Verteidigungsminister ist, dem vom Bundestag eine solche Missbilligung ausgesprochen wurde. Das ist für uns der Grund, so zu entscheiden. Er soll weiter im Amt bleiben.

 

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie schreiben gerade Bundestagsgeschichte mit dieser Argumentation!)

 

Er soll in dieser Regierung die Verantwortung für die Soldaten dieser Republik tragen, und er soll es gut machen. Deshalb gibt es von uns keine Zustimmung zu diesem Antrag. Ich will ein weiteres Thema ansprechen, das in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt. Wir haben mit dem damaligen Gesetz den Versuch unternommen, eine Regelung zu treffen, die so nicht zu treffen war. Aber das Bundesverfassungsgericht hat uns gesagt, dass wir selbstverständlich eine Regelung treffen können für den Fall, dass es sich um unbemannte Flugzeuge oder Schiffe handelt, oder um Flugzeuge und Schiffe, in bzw. auf denen sich nur Terroristen und Attentäter befinden. Ich glaube, es ist richtig, wenn wir sehr bald eine solche Regelung, die das Gericht ermöglicht hat, treffen.

 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

 

Übrigens ist das der wahrscheinlichere Fall. Aufgrund all der Erkenntnisse, die wir aus der damaligen Katastrophe gezogen haben, und all den zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass uns eine genaue Kopie der damaligen Anschläge droht; es werden andere Situationen sein. Da wäre es hilfreich, wenn uns in dem zulässigen Rahmen eine gesetzliche Hilfe zur Verfügung stünde. Was brauchen wir jetzt? Wir brauchen Maßnahmen der Gefahrenabwehr, mit denen wir die Polizei der Länder bei den Aufgaben, die sie in diesem Zusammenhang haben, unterstützen können. Weil wir nicht wollen, dass sich unsere Polizei mit Kampfflugzeugen und U-Booten ausrüstet, müssen wir gesetzlich ermöglichen, dass ihnen in diesen Fällen die Bundeswehr hilft, aber eben nur in den Fällen, in denen das Gericht das für zulässig gehalten hat, und nur auf diesen Bereich bezogen. Unser Vorschlag ist, dies im Rahmen von Art. 35 des Grundgesetzes zu regeln. Wir planen aber in keiner Weise den Einsatz der Bundeswehr im Innern. Das brauchen wir nicht, und das ist auch nicht notwendig.

 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN sowie der Abg. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

 

Damit es keine Missverständnisse gibt: Wir haben gute Gründe, den Einsatz der Bundeswehr zu beschränken. Ihre Instrumente sollen den Innen- und Sicherheitsbehörden zur Verfügung stehen; die Bundeswehr ist in solchen Fällen nur als Hilfe gedacht. Wir wollen eben nicht, dass über eine ausgeweitete Definition des Verteidigungsfalles gewissermaßen eine Situation entsteht, in der die Bundeswehr in immer mehr Fällen eingesetzt wird. Ich bitte alle, die diesen Gedanken verfolgen, ihn schnell wieder fallen zu lassen und die Kurve zu kriegen; denn das kann nicht gutgehen. Soziologisch und bei Betrachtung der internationalen Politik kommen wir mit diesem Begriff sehr weit; man wundert sich, was alles Verteidigung sein kann. Leicht könnten Fälle auftreten, die wir alle gemeinsam nicht meinen. Deshalb sollte es bei der scharfen Trennung bleiben, die unser Grundgesetz vorgibt. In diesem Sinne sollten wir etwas Sinnvolles zustande bringen. Ich fordere daher alle auf, unseren Vorschlägen zu folgen, was die Grundgesetzergänzung anbetrifft, und ansonsten bitte ich nochmals, den Antrag abzulehnen.

 

Schönen Dank.

 

(Beifall bei der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ihr seid mir Helden! Selbstbewusste Parlamentarier! Das macht Parlamentsgeschichte, Herr Scholz! Sie missbilligen, und wir dürfen nicht missbilligen!)