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19.12.2005

Rede im Deutschen Bundestag vom 16. Dezember 2005

Olaf Scholz (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben heute einen sehr interessanten Vorgang, nämlich den Einzug der Ökologie bei der FDP.

(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Recycling!)

- Recycling, ein Gedanke der Nachhaltigkeit. Das hatte ich bisher auf die stoffliche Welt bezogen. Dass man jetzt schon längst abgelegte Gedanken immer wieder neu auflegen und recyceln kann, ist ein neuer Nachhaltigkeitsaspekt.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wäre ich nicht direkt drauf gekommen!)

Es ist schon darauf hingewiesen worden: Sie haben dieses Gesetz und sämtliche damit verbundenen Gedanken und Begründungen schon zweimal in den Deutschen Bundestag eingebracht. Dreimal schadet ja auch nicht.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wenn sie gut sind!)

Ich glaube allerdings, dass hier einer der Fälle vorliegt, zu denen man sagen kann: Dadurch, dass man es wiederholt, wird es nicht viel durchdachter.

(Beifall des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD] - Jörg van Essen [FDP]: Schade, dass Ihr Fraktionsvorsitzender zustimmt! - Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Da müssen wir über Struck sprechen!)

Insofern ist es richtig, sich mit dem auseinander zu setzen, was Sie uns hier vorlegen, und dass man über die Dinge, um die es hier geht, debattiert.
Sie haben ein Gesetz eingebracht, in dem eigentlich nur steht, dass über die Erhöhung der Diäten eine unabhängige Kommission entscheiden soll. Bei der öffentlichen Debatte geht es aber nicht um die einzelne Entscheidung, sie zu erhöhen, sondern um die Fragen, wie es mit der Abgeordnetenentschädigung, der Regelung der Altersversorgung und der Kostenpauschale überhaupt aussieht. All das hat mit dem Thema, das Sie hier verhandeln wollen, nur wenig zu tun.

(Jörg van Essen [FDP]: Eine Menge!)

Letztendlich haben Sie wahrscheinlich gedacht - vielleicht hatte Ihre Presseabteilung die Idee zu diesem Antrag -: Es wird gerade wieder über Diäten diskutiert, also nehmen wir doch diesen Antrag, sodass alle annehmen können, dass wir über die Sache reden.

(Dirk Niebel [FDP]: Bei Ihnen hat es etwas mit einer Fälscherwerkstatt zu tun! Da wird "SPD" drüber geschrieben!)

Die Sache, über die man sich verständigen soll, hat aber eine ganz andere Dimension.
Ich sage für mich: Es ist nicht wirklich problematisch, dass wir bei bestimmten Gelegenheiten über eine Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung entscheiden müssen. Das kann man auch anders tun, man kann es aber auch so machen. Wir müssen in dieser Diskussion darüber sprechen, wie die Struktur dessen, über das wir hier verhandeln, überhaupt aussehen soll.

(Dirk Niebel [FDP]: Ihr habt eine Mehrheit! Legt mal was vor!)

Zunächst geht es um die Entschädigung selbst. Ich bin mit Ihnen einig darin: Es ist völlig richtig, dass der Deutsche Bundestag im Hinblick auf die Höhe der Abgeordnetenentschädigung bisher vernünftig vorgegangen ist. Ich finde auch, dass es richtig ist, in solchen Debatten nicht immer nur mit abstrakten Begriffen zu arbeiten, sondern zu sagen - das tue ich auch in jedem Brief an einen Bürger -, wie die gegenwärtige gesetzliche Lage aussieht. Ein Abgeordneter erhält 7 009 Euro.

(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Brutto!)

- Brutto. - Die Bürgerinnen und Bürger können sich Gedanken darüber machen, ob sie das für zu viel oder zu wenig halten.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommt auf den Schaden an, der entschädigt wird! - Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], zu Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Wenn ich mit Ihnen zusammenarbeite, müsste ich mehr bekommen!)

Die Abgeordneten müssen wissen, dass das aus der Perspektive fast aller Wählerinnen und Wähler ein hoher Betrag ist. Jeder Abgeordnete wird von sehr vielen Menschen gewählt - jedenfalls gilt das für meine Partei -, die wesentlich weniger verdienen als das, was die Abgeordneten erhalten. Deshalb sind alle immer wieder einmal anzutreffenden Klagen von Abgeordneten darüber, dass nicht genügend gezahlt werde, völlig unangemessen. Die Entschädigung ist sehr hoch, sie ist sehr ordentlich und sie ist auch angemessen. Für Armutsklagen vonseiten der Abgeordneten gibt es keinen Anlass. Allerdings gibt es auch keinen Anlass, sich zu verstecken. Dafür werbe ich in einer solchen Diskussion auch.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was mir bei der Debatte auch nicht gefällt, ist, dass gelegentlich Vergleiche darüber angestellt werden, ob jemand, der außerhalb der Politik arbeitet, mehr verdient. Es gibt in der Tat eine ganze Reihe von Menschen, über die mancher Abgeordnete denkt: Ich kann doch viel mehr und trotzdem erhält er ein höheres Gehalt.

(Ute Kumpf [SPD]: Soll es geben!)

Das kommt vor und das ist im übrigen Leben auch verbreitet. Insofern sollte uns die Angemessenheit als Maßstab leiten. Es geht um die Frage, ob das, was wir erhalten, für das Parlament der Bundesrepublik Deutschland und für etwas mehr als 600 Abgeordnete, die dieses Land vertreten, die im Schnitt über 200 000 Bürgerinnen und Bürger aus ihrem Wahlkreis zu vertreten haben, die darüber zu entscheiden haben, ob am Irakkrieg teilgenommen wird oder nicht - so haben wir entschieden -, die über den Einsatz im Kosovo und in Afghanistan zu entscheiden haben und die darüber entscheiden, wie es mit den Steuern aussieht und wie es mit der Renten- und Krankenversicherung weitergeht, angemessen ist. Ich habe anhand der Antworten auf diese Frage festgestellt: In der Öffentlichkeit gibt es nur wenig Kritik an der Höhe der Entschädigung.

(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])

Wer seine Bürgerinnen und Bürger, ohne ihnen den Betrag vorher zu nennen, direkt fragt, welche Entschädigung jemand erhalten soll, der eine solche Aufgabe wahrnimmt und der ein sehr ehrenvolles Amt in der Demokratie ausübt, der erhält als Antwort eine Angabe, die meist oberhalb der aktuell gezahlten Entschädigung liegt.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allen Dingen die Unabhängigkeit soll gesichert werden! So steht es im Grundgesetz!)

Insofern müssen wir uns vor einer öffentlichen Debatte nicht verstecken. Deshalb halte ich auch nichts von dem Vorschlag, die Verantwortung dafür auf andere zu delegieren. Wir können offen für das, was wir richtig finden, eintreten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Komplizierter ist die Diskussion über die Abgeordnetenversorgung. Die Altersversorgung ist in der Diskussion. Es ist darüber geredet worden, dies sorgfältig neu zu betrachten. Das halte ich für richtig. Über den Hinweis, den Sie gegeben haben, Herr van Essen, dass sich die Abgeordnetenversorgung ursprünglich am Modell der Beamtenaltersversorgung orientiert hat, kann man sorgfältig diskutieren. Wer Beamter ist, tritt - das ist jedenfalls die Idee - früh in den Dienst für die Demokratie und den Staat ein und beendet diesen Dienst, wenn er in Pension geht.
Abgeordnete weisen selten eine so lange Berufsbiografie für den Bundestag auf. Im Abgeordnetenhandbuch entdeckt man zwar einige mit einer langen Sternenliste, wobei die Zahl der Sterne anzeigt, wie viele Legislaturperioden der Abgeordnete schon dabei ist. Diejenigen Abgeordneten, die dem Bundestag am längsten angehören, haben 1972 begonnen. Wenn ich mich richtig erinnere, sind das Frau Däubler-Gmelin und Herr Schäuble. Die meisten von uns sind aber eine kürzere Zeit dabei.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die meisten haben einen ehrlichen Beruf!)

Insofern ist es vernünftig, zu überlegen, ob die bisherige Organisation richtig ist. Ich begrüße daher die Tatsache, dass wir solche Diskussionen angefangen haben.
Ich komme zum Schluss. Wenn das Recycling eines abgelegten Gedankens ein Bestandteil einer insgesamt notwendigen Debatte ist, dann soll das in Ordnung sein. Die Überweisung an die Ausschüsse schadet nicht weiter.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)