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14.12.2007

Rede im Deutschen Bundestag zum Mindestlohn für Briefdienste

Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Wir werden heute einen Beschluss fassen, der die Grundlage dafür schafft, dass der zwischen Tarifvertragsparteien vereinbarte Mindestlohn für den Postsektor Wirklichkeit werden kann. Das ist eine gute Botschaft. Es ist eine gute Botschaft für diejenigen, die gerade jetzt zur Weihnachtszeit bei schlechtem Wetter die Briefe überall in Deutschland zustellen, weil sie nun wissen, dass sie eine sicherere Zukunft haben, als es ohne die Entscheidung, die wir heute treffen, der Fall gewesen wäre. Es ist eine gute Botschaft für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die heute Briefdienstleistungen erbringen. Sie wissen nämlich, sie werden am 1. Januar nächsten Jahres einen Anspruch auf höhere Löhne haben.
Es ist auch eine gute Botschaft für diejenigen, die bei der alten Post arbeiten und sich seit langer Zeit Sorgen machen, was eigentlich aus ihren Löhnen werden soll, wenn Wettbewerber der Post dadurch Konkurrenz machen, dass sie geringere Löhne zahlen, als bei der Post gezahlt werden.
Deshalb profitieren heute viele Menschen davon, dass der Deutsche Bundestag ein Gesetz beschließt, das ihr Leben verbessert.
Es wird gesagt, das Gesetz, das wir heute beschließen, und der Tarifvertrag, den wir nach der Beratung für allgemeinverbindlich erklären können, würden Arbeitsplätze kosten. Ich halte das für professoralen Unsinn. Aber aus meiner Sicht ist es sehr wohl notwendig, etwas dazu zu sagen. Stimmt dieses Argument eigentlich? Es spricht nichts dafür, dass es ein gutes Argument ist. Denn in Zukunft werden wir im Bereich der Post Wettbewerb haben. Der Wettbewerb wird ab dem 1. Januar des nächsten Jahres sogar zunehmen, weil mehr Wettbewerbsmöglichkeiten auf diesem Markt geschaffen werden, als sie bis heute möglich sind.
Aber es findet ein Wettbewerb statt um das beste Management, um die beste Dienstleistungsstruktur und um die besten Leistungen für die Kunden, die die Dienste der Unternehmen in Anspruch nehmen. Aber es findet kein Wettbewerb um die Frage statt, wer den geringsten Lohn zahlt. Ich glaube, das ist eine gute Botschaft.
Das Argument, dass der Mindestlohn im Postbereich Arbeitsplätze kostet, ist auch deshalb falsch, weil dabei von der Vorstellung ausgegangen wird, Briefe würden nicht befördert werden, weil die Beschäftigten 2 Euro mehr Stundenlohn bekommen. Diese Vorstellung kann man in keiner Weise nachvollziehen. Es ist nämlich nicht so, dass das Postvolumen zu- oder abnimmt, je nachdem, ob Menschen, die diese Briefe zustellen, nur 7 Euro oder 9,80 Euro pro Stunde verdienen.

Aber genau das ist die Behauptung, die hinter den Argumenten steckt, die einige uns hier immer wieder vortragen. Gerade in dem Bereich, über den wir heute debattieren, kann man sich nicht verschwurbelt auf das internationale Geschäft und auf die Globalisierung beziehen. Wer seiner Oma einen Brief schreiben will, hat keinerlei Probleme mit der Globalisierung. Es ist kein Problem, wenn für Briefzusteller ein Mindestlohn von 9,80 Euro gezahlt werden wird.
Darum stimmt das Argument nicht; das muss man ganz eindeutig sagen. Was wir heute beschließen, kostet keine Arbeitsplätze. Das Gegenteil ist wahrscheinlich richtig. Es wird Arbeitsplätze schaffen, weil es ein zukunftsträchtiger Markt ist, auf den sich Menschen gerne orientieren und auf dem sie aktiv werden wollen.
Wir haben in der Koalition vereinbart, dass wir in der nächsten Zeit zwei weitere Gesetze voranbringen werden. Über diese will ich kurz ein paar Worte verlieren.

Es wird eine Weiterentwicklung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes geben. Sie wissen, dass es mit der Entscheidung von heute bereits drei Branchen gibt, die in das Entsendegesetz aufgenommen worden sind: die Baubranche, die Gebäudereinigung und jetzt die Briefdienstleistungen.

Wir haben uns darauf verständigt, dass sich bis zum März des nächsten Jahres Branchen melden können, in denen Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam der Überzeugung sind, dass es notwendig ist, einen branchenbezogenen Mindestlohn zu vereinbaren. Diese Branchen werden wir dann in das Entsendegesetz zusätzlich aufnehmen.
Es wird immer wieder gefragt, welche Branchen das sind. Das können wir im Deutschen Bundestag nicht beantworten. Denn wir sind Anhänger der Tarifautonomie und werden deshalb beobachten, welche Branchen sich melden. Ich wundere mich schon, wie schwer Sie sich von der FDP mit Arbeitgebern tun, die sich zu solchen Tarifentscheidungen bekennen. Ich glaube, Sie unterschätzen die Unterstützung für die Sozialpartnerschaft und für Tarifverträge in Unternehmerkreisen. Es gibt viele Unternehmer, die das für eine gute Sache halten und die gerne einen heftigen Wettbewerb untereinander führen, aber nicht, indem sie ihre Arbeitnehmer schlechter bezahlen als die anderen.
Wir werden außerdem ein Gesetz aus der Adenauer-Zeit in Richtung der heutigen Verhältnisse weiterentwickeln.
Das Mindestarbeitsbedingungengesetz, das seit 1952 existiert, soll so modern gemacht werden, dass in Branchen, in denen es keinerlei Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt und in denen sehr schlechte Löhne gezahlt werden, dafür gesorgt werden kann, dass sich solche Bedingungen nicht weiter ausbreiten können.
Ich halte das für notwendig. Ich will aber auch ganz klar sagen: Es ist unser Wunsch, dass es im Regelfall überhaupt keine Regelung gibt, weil sich im normalen Tarifgeschehen alles von selbst regelt.

Unser Wunsch ist, dass wir, wenn das nicht funktioniert, mithilfe des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes dafür sorgen, dass tarifliche Vereinbarungen überall gelten. Wir brauchen aber zusätzlich die Möglichkeit, um dort, wo schlimme soziale Missstände herrschen, einzugreifen und anständige Löhne durchzusetzen. Ich glaube, das ist unsere Aufgabe.
Ich glaube im Übrigen, dass wir mit dem, was wir hier heute tun, einen kleinen Beitrag zur Beantwortung einer Frage leisten, die uns viele Menschen derzeit stellen. Sie sagen: Es gibt einen Aufschwung; das sieht man. Das kann man zum Beispiel beim Nachbarn sehen, der früher arbeitslos war und jetzt einen Job hat. Ich persönlich merke von der positiven wirtschaftlichen Entwicklung aber nichts. Weil ein großer Teil der Menschen das sagt, müssen wir eine Antwort auf die Frage geben, was wir dazu beitragen können, damit sich auch bei ihnen etwas positiv entwickelt. Eine Absicherung der Löhne nach unten ist natürlich ein guter Beitrag dazu, dass der Aufschwung auch tatsächlich bei allen Menschen in unserem Land ankommen kann.

Galileo Galilei hat es schwer gehabt, als er die Auffassung durchsetzen wollte, dass die Erde keine Scheibe ist.
Wir haben es in Deutschland gegenwärtig schwer, die Behauptung zu verbreiten, dass in fast allen mit uns vergleichbaren Ländern Mindestlöhne Realität sind.

Denen, die skeptisch sind, sage ich: Schauen Sie sich um in der Welt, und Sie werden feststellen, dass es in fast allen Staaten, die mit uns vergleichbar sind, gesetzliche Mindestlöhne gibt, und sie haben dort weder Aufschwung noch Wohlstand noch Vollbeschäftigung behindert. Das ist eine Mär, die uns hier erzählt wird.

Sogar in den Vereinigten Staaten von Amerika gibt es Mindestlöhne. Amerikaweite Mindestlöhne, die der Kongress beschließt und die er gerade vor kurzem wieder angehoben hat. Das ist ein Beispiel dafür, dass manches von dem, was hier über die Gefahren der Mindestlöhne erzählt wird, schlichtweg eine Erfindung ist, für die man in keinem Land der Welt einen Beweis findet.
Wir haben in Europa ein sehr gutes Beispiel: Großbritannien. In Großbritannien wurden Ende der 90er-Jahre Mindestlöhne eingeführt; übrigens, nachdem dort Reformen gemacht worden sind, die dem entsprechen, was wir hier als Arbeitsvermittlungsreformen durchgeführt haben.
  Hartz-Reformen sagen einige. Ich habe aber schon immer Arbeitsvermittlungsreformen gesagt.   Wir haben also ebenso wie Großbritannien Arbeitsvermittlungsreformen durchgeführt. Nach diesen Reformen sind dort Mindestlöhne eingeführt worden. All die Fragen, über die wir hier zu diskutieren haben, kann man mit Blick auf dieses Land beantworten. Das gilt zum Beispiel für die Frage: Kostet das Arbeitsplätze? In Großbritannien hat das keine Arbeitsplätze gekostet. Dort herrscht Vollbeschäftigung. Man braucht sogar eine Arbeitskräftezuwanderung, um alle im Land existierenden Arbeitsplätze besetzen zu können. Manche Leute, die früher nach Deutschland gekommen sind, um hier eine Saisonarbeit auszuführen, gehen jetzt übrigens nach Großbritannien   wegen der Mindestlöhne. Das ist ein Beleg dafür, dass man Wachstum mit solchen Mitteln sogar befördern kann.
Den vielen Zwischenrufern, die sagen, dass es da zwar Mindestlöhne, aber keinen Kündigungsschutz gibt, will ich noch etwas sagen: Ich bitte Sie, sich auch diesbezüglich ein bisschen in der Welt umzuschauen.
Man sollte über die Globalisierung nicht nur reden und sagen: Es soll da draußen eine Welt geben, und die ist schwierig.   Globalisierung heißt auch, dass man sich in der Welt umschaut. Wenn man das tut, stellt man fest, dass die Behauptung, dass es anderswo keine Kündigungsschutzbestimmungen gibt, eines der meistverbreiteten Gerüchte in diesem Land ist. Viele Länder in Europa, die Kündigungsschutzregelungen haben, die härter und strikter als in der Bundesrepublik Deutschland sind, haben zugleich Mindestlohnregelungen. Deshalb ist auch diese Behauptung kein Beweis, sondern nur ein weiteres nicht überzeugendes Argument gegen das, was wir hier heute tun.
Meine Damen und Herren, Politik ist dazu da, dass sich das Leben der Menschen verbessert. Wir leisten heute mit diesem Gesetz einen Beitrag dazu, dass das Leben vieler Menschen ab dem 1. Januar nächsten Jahres besser wird. Ich glaube, darauf können wir gemeinsam stolz sein.

Schönen Dank.