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11.11.2009

Rede im Deutschen Bundestag zur Rechtspolitik der neuen Koalition

 

Sehr geehrte Frau Ministerin, auch Ihnen wünsche ich zunächst einmal alles Gute für Ihr neues Amt ganz im Interesse unseres Landes.

Es gibt ein paar Fragen in der Rechtspolitik, die wir besprechen müssen. Manche Fragen haben wir eben in der Debatte über die Innenpolitik schon besprochen. Ich fand interessant, wie man malerisch die Tatsache beschreiben kann, dass nichts geschieht. Es wurde dargestellt, dass kleine Änderungen überdacht und Prüfaufträge abgearbeitet werden sollen. Aber jeder, der sich mit der Materie auskennt, weiß: Reale Bewegung, reale Veränderung kann man nicht wahrnehmen. Das Markenzeichen der Regierung wird vielleicht sein, dass zwar alles groß inszeniert wird, aber das, was dann an realer Bewegung zu beobachten ist, dieses nicht wert ist. Lassen Sie mich deshalb über ein paar reale Probleme reden, die mich sehr besorgt machen und die jeden, der am Rechtsstaat unseres Landes interessiert ist, besorgen müssen, zum Beispiel über die Veränderung, die Sie bei der Prozesskostenhilfe planen. Da steht zwar jetzt ganz harmlos, dass Sie mal schauen wollen, ob das alles unter den Gesichtspunkten der finanziellen Umstände vernünftig ist. Aber in Wahrheit ist dies doch die Ankündigung, dass die Prozesskostenhilfe für Leute verschlechtert wird, die wenig Einkommen haben. Das ist keine gute Botschaft für den Rechtsstaat in Deutschland. Er muss jeden schützen und nicht nur diejenigen mit dickem Geldbeutel. Es gibt im Übrigen überhaupt keinen Evaluationsbedarf. Das, was dort diskutiert wird, ist schlichtweg Sparpolitik, aus den Länderverwaltungen in die Koalitionsverhandlungen gebracht. Es hätte genügt, sich dagegen aufzustellen.

Das Gleiche gilt für das, was Sie mit dem Rechtsstandort Bundesrepublik Deutschland anstellen wollen. Über Wirtschaftspolitik wird zwar viel gesprochen; aber und dass man sich auf die Rechtspflege hierzulande ordentlich verlassen kann, das ist für viele weltweit von großer Bedeutung. Deshalb fuhrwerkt man darin nicht einfach herum. Ich will Ihnen ausdrücklich vorhalten, dass die Eröffnung der Möglichkeit der Zusammenlegung von Sozial- und Verwaltungsgerichten mit der Folge, dass es in einigen Ländern so und in anderen Ländern so ist, eine Verschlechterung der Qualität der rechtlichen Organisationen in Deutschland ist. Wir lehnen das ab. Sie sollten von diesem Vorhaben ganz lassen. Dann haben Sie sich vorgenommen, dass jetzt so manche Privatisierung stattfinden soll. Die Aufgaben des Nachlassgerichts sollen teilweise bei den Notaren landen. Das Gerichtsvollzieherwesen wollen Sie privatisieren und das wollen Parteien, die ständig die Wirtschaftsförderung in den Vordergrund stellen. Hier soll eine Veränderung durchgeführt werden, die die Kosten, die bei der Zwangsvollstreckung anfallen, auf alle Fälle gewaltig steigern und die die Qualität der Rechtspflege verschlechtern wird. Wir lehnen beide Privatisierungsschritte ab.

Eines der Vorhaben, das ebenfalls Anlass zu vielen Nachfragen und Sorge geben muss, sind die Veränderungen, die Sie beim Mietrecht vorhaben. Warum eigentlich, fragt man sich. Man kann heute sagen, dass es keine Behinderung vernünftiger Investitionen in Wohngebäude gibt, die sich durch das heutige Mietrecht erklären lässt. Wer saniert, hat am Ende, früher oder später, etwas davon. Ohnehin wird dadurch sowieso nur die Substanz der Mietsache, der Wohnung erhalten. Es gibt keinen Anlass, nach juristischen Regeln zu suchen, die letztendlich dazu führen, dass Mieter Dinge bezahlen müssen, die eigentlich zur normalen Bestandspflege und zur Weiterentwicklung von Wohnungen seitens der Vermieter gehören. Und es sind zwei Ankündigungen dabei, die mich sehr bedenklich stimmen. Zum Beispiel wollen Sie für das Eintreiben von Mietschulden neue Möglichkeiten schaffen. Da fragt man sich, weil das alles sehr kryptisch ist, was sich dahinter eigentlich verbirgt. Ich habe die Sorge, dass Sie zum Beispiel ermöglichen wollen, dass man mit einem Titel gegen den Hauptmieter eine Zwangsräumung durchführen kann und die weiteren in der Wohnung berechtigt Lebenden die Wohnung gleich mit räumen müssen. Das wäre eine Verschlechterung. Falls das gemeint ist, können Sie mit unserem entschiedenen Widerstand rechnen. Ich ergänze das um die Frage der Kündigungsfristen. Heute ist die Politiksprache so, dass sie meistens harmlos daherkommt. Alles klingt so, als ob es zum Besseren für alle wird. In Wahrheit wird es für manche zum Teil ganz schön schlecht. Dass Sie im Rahmen Ihrer Vorhaben sagen: Die Kündigungsfristen für Vermieter und Mieter sollen angeglichen werden, ist doch nur eine nette Formulierung für die Ankündigung, dass die Kündigungsfristen für Mieter verschlechtert werden sollen. Das ist keine richtige Entscheidung. Sagen Sie offen, dass Sie der Vermieterlobby und deren jahrelanger Arbeit in Richtung Politik nachgeben, und tun Sie nicht so, als ob Sie irgendjemandem sonst etwas Gutes tun. Es ist eine Verschlechterung der Situation der Mieter in diesem Land, die Sie planen.

Meine Damen und Herren, im Koalitionsvertrag steht zur Rechtspolitik eine Formulierung, die die großen Ankündigungen andernorts infrage stellt. Ich nenne eine Ankündigung zum Gesellschaftsrecht. Sie wollen die Europäische Gesellschaft im Sinne des Mittelstandes entwickeln. Das Gesellschaftsrecht ist eine Sache des Justizministeriums. Aber es geht um die Mitbestimmung. Das, was Sie hier in den Koalitionsvertrag geschrieben haben, ist der Bruch eines Wahlversprechens. Sie haben nämlich gesagt, an der Mitbestimmung in Deutschland werde nichts verschlechtert. Ja, man kann in Deutschland die Mitbestimmung abschaffen, ohne ein einziges Gesetz zu ändern, indem man ein Loch in den Eimer bohrt, durch das das ganze Wasser der Mitbestimmung fließt. Wenn Sie auf die Art und Weise, wie es heute in Europa geplant ist, eine solche Europäische Gesellschaft schaffen, dann wird es mit der Mitbestimmung in Deutschland bald vorbei sein, selbst wenn die Gesetze als Relikte noch vorhanden sind. Das muss verhindert werden, meine Damen und Herren. Es besteht Anlass zu dieser Sorge; denn es hat in der bisherigen Koalition in dieser Frage keine Einigkeit zwischen dem Arbeitsministerium, dem Wirtschaftsministerium und dem Kanzleramt gegeben. Dort war der Wunsch, es so zu machen, dass die Mitbestimmung durch die Schaffung solcher Gesellschaften abgeschafft werden kann, so vehement, dass es nicht möglich war, eine gemeinsame Linie der Bundesregierung in dieser Frage gegenüber der Europäischen Union zu entwickeln. Deshalb sage ich: Das, was Sie hier hineingeschrieben haben, ist das Gegenteil dessen, was in der Regierungserklärung gesagt worden ist. Die Mitbestimmung ist damit in Gefahr. Dies muss jeder wissen.

Frau Ministerin, das Selbstlob, das Sie sich in der Frage der Weiterentwicklung des Rechts gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften und eingetragener Partnerschaften ausgesprochen haben, ist völlig unberechtigt. Letztendlich haben Sie es gerade einmal geschafft, das, was die Rechtsprechung erzwingt, Gesetz werden zu lassen. Das darf man ja wohl mindestens erwarten. Aber Fortschritt ist Ihnen nicht gelungen, auf den Sie aber mit Ihrer politischen Tradition und den Ansagen, die Sie in den letzten Jahren gemacht haben, hätten dringen müssen. Dabei hätten Sie auch mit unserer Unterstützung rechnen können. Es gibt bei der Union etwas, das ich einmal als Bis-hierhin-und-nicht-weiter- Liberalismus bezeichne. Er geht so: Man ist immer dagegen. Das gesamte Recht, das wir zu den eingetragenen Lebenspartnerschaften entwickelt haben, ist auf entschiedenen Widerstand der Union gestoßen. Als wir es endlich so weit hatten, konnte man sich irgendwann dazu durchringen, dass es so bleiben könne, wie es geworden ist; es dürfe nur nichts mehr dazukommen. Dieses Nichts-mehr-darf-dazukommen hat die Union auch in dieser Frage letztlich erfolgreich gegen Sie verteidigt. Ich bedaure dies; denn Fortschritt wäre hier das Richtige gewesen.

Meine Damen und Herren, es ist über den Datenschutz schon diskutiert worden. Er spielt in der Innenpolitik, der Justizpolitik, der Wirtschaftspolitik und selbstverständlich im Bereich der Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Rolle. Deshalb will ich an dieser Stelle noch einmal etwas zum Arbeitnehmerdatenschutz sagen, weil mich bei diesem Thema in den letzten Jahren Folgendes sehr aufgeregt hat: Bei jedem großen Skandal sagen alle, sie wollten etwas machen und seien sofort für das, was die gute Überschrift Arbeitnehmerdatenschutz hat. Aber wenn es dann konkret zur Sache geht, sind alle einzelnen Regelungen nicht gewollt. Die Überschrift will man noch hinnehmen, aber die konkreten Regelungen, die den Datenschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessern, werden dann gar nicht mehr akzeptiert. Deshalb waren die Verhandlungen zu dieser Frage in den letzten Monaten und dem letzten Jahr schon eine ganz interessante Erfahrung. Es war interessant, zu sehen, dass man öffentlich immer einer Meinung ist, in der Fachfrage aber in keinem relevanten Detail. Deshalb gibt es auch einen Entwurf zum Arbeitnehmerdatenschutz, und deshalb werden wir ein solches Gesetz in diesem Hause beraten. Ich bin dagegen, es irgendwo im Datenschutzgesetz unterzubringen. Erstens ist es schon ganz schwierig gewesen, bei der Generalklausel zu einer vernünftigen Regelung zu kommen. Zweitens brauchen die Arbeitnehmer mehr Schutz, weil sonst der Missbrauch weiterhin stattfinden wird. Wenn ein neuer Missbrauch bekannt wird, erklärt jeder Politiker, er halte dies jetzt für so schlimm, dass man ein Gesetz brauche. Das reicht nicht. Wir sollten ein Gesetz schaffen, das diesen Namen verdient. Das ist dann auch gute Rechtspolitik, meine Damen und Herren.