arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

25.09.2008

Rede im Deutschen Bundestag zur Verbesserung von Langzeitarbeitskonten

Meine Damen und Herren!

Nach der eben sorgfältig geführten Debatte muss man sagen: Hier geht es jetzt um ein Erfolgsprojekt der Großen Koalition.

Im Hinblick auf die eine oder andere Wortmeldung, die ich gehört habe, und auf das Beklagen darüber, dass die Regierung nicht ordentlich vertreten sei, möchte ich darauf hinweisen, dass, wenn der Bundesminister für Arbeit und Soziales hier ist, immerhin 123 Milliarden Euro des Haushaltes repräsentiert werden.

Zeit zu haben für das eigene Leben, für die privaten Belange, ist etwas Wichtiges, gerade wenn man bedenkt, dass Arbeit eine lange Zeit unser Leben bestimmt. Wer mit 16 die Schule verlässt, muss damit rechnen, 50 Jahre arbeiten zu müssen. Es können auch 40 Jahre sein; aber jedenfalls sind es viele Jahrzehnte, in denen Arbeit das Leben begleitet. Das führt dazu, dass wir uns Gedanken darüber machen müssen, wie die Beschäftigten genügend Souveränität erhalten können, um während des Arbeitslebens über ihre Zeit zu verfügen. Sie brauchen mehr Spielräume, wenn sie im Schnitt 46 Wochen im Jahr 40 Stunden in der Woche arbeiten. Ihnen diese Souveränität zu geben, ist das, was wir mit diesem Gesetz versuchen.

Wir haben im Hinblick auf die Souveränität der Beschäftigten schon heute viele gesetzliche Ansprüche. Das gilt für die Möglichkeiten bei der Kindererziehung, bei der Pflege und bei der Bildung. All das ist gegeben. Wir haben in den letzten Jahren einen großen Fortschritt mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz erreicht, das einen Rechtsanspruch auf Teilzeit mit sich gebracht hat. Was fehlt, ist eine Regelung, die es dem einzelnen Beschäftigten gestattet, über das ganze Arbeitsleben hinweg souverän über die eigene Arbeitszeit verfügen zu können. Das versuchen wir seit einigen Jahren mit einem Gesetz zu erreichen, das allerdings noch nicht richtig gewirkt hat, nicht nur weil es einen komplizierten Namen hat ‑ Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen ‑, sondern auch weil die gesetzliche Regelung, die wir seit etwa zehn Jahren in Deutschland haben, bislang nicht alle Anforderungen erfüllt hat.

Aber die Grundidee war richtig. Es geht darum, dass Arbeitszeit angespart werden kann, dass sie sogar vorgespart werden kann, wenn man das richtig organisiert, dass die Arbeitszeit dann verbeitragt und mit Steuern belegt wird, wenn sie zur Finanzierung des eigenen Lebensunterhaltes eingesetzt werden soll.

Die Probleme des bisherigen Gesetzes haben dazu geführt, dass es bisher nicht ordentlich angewandt wurde. Zu den großen Problemen gehörte die Frage: Was geschieht eigentlich, wenn ein Arbeitnehmer den Arbeitgeber wechselt? Ob freiwillig oder unfreiwillig: Dies kommt häufiger im Leben vor. In diesem Fall, so haben sich viele gedacht, muss es doch möglich sein, dass man das bis dahin angesparte Arbeitszeitguthaben mitnehmen kann. Das andere Problem ist die Frage, was geschieht, wenn der eigene Arbeitgeber insolvent wird. In dem Fall ist die über einen langen Zeitraum angesparte Arbeitszeit, die für den einzelnen Beschäftigten einen großen finanziellen Wert darstellt, plötzlich verloren. Beide Probleme waren im Rahmen der bisherigen Regelung nicht gut gelöst. Wir hatten darauf gesetzt, dass sie von den Tarifvertragsparteien gelöst werden. Sie haben dies aber nur in sehr wenigen Fällen getan. Darum ist aus einer guten Idee, die es vor zehn Jahren gab, noch nicht sehr viel entstanden.

Aber wir müssen auf diesem Gebiet etwas erreichen. Aufgrund der Tatsache, dass Arbeit eine so große Rolle in unserem Leben spielt, müssen wir die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass Arbeitnehmer von der Möglichkeit, ihre Arbeitszeit souverän über ihr Berufsleben zu verteilen, Gebrauch machen können. Das erreichen wir mit diesem Gesetz.

Gute Gesetzgebung besteht darin - das ist meine feste Überzeugung -, dass man sich darauf verlassen kann, dass Gesetze funktionieren. In diesem konkreten Fall bedeutet das, dass man nicht einen Steuerberater und einen Rechtsanwalt braucht, um sich an die Idee zu wagen, ein Arbeitszeitkonto aufzubauen, und um für sich die richtige Entscheidung zu treffen. Unsere Aufgabe ist es, dafür ein gutes Gesetz zu schaffen. Wir tun das mit dem heute zu debattierenden Gesetzesvorhaben.

Wir definieren, was Wertguthaben sind, und unterscheiden auf diese Weise Langzeitkonten heute viel besser von anderen Formen flexibler Arbeitszeitgestaltung, die es auch in Form von Überstundenkonten und Ähnlichem gibt. Diese Definition wurde sehr sorgfältig erarbeitet. Zwar haben es die Tarifvertragsparteien nicht geschafft, sich untereinander zu einigen, aber in Gesprächen mit uns sind sie sich einig, dass unser Vorschlag eine vernünftige Lösung darstellt, die allen fachlichen Anforderungen entspricht.

Wir schaffen die Möglichkeit, diese Wertguthaben, diese Langzeitkonten so einzusetzen, wie man es möchte. Man kann dies natürlich dort tun, wo es gesetzliche Freistellungsansprüche bereits heute gibt. Ich habe schon einige genannt. Aber man kann es auch in solchen Fällen tun, die gesetzlich nicht geregelt sind, die das Ergebnis einer Vereinbarung von Tarifvertragsparteien oder einer individuellen Vereinbarung mit dem Unternehmen sind.

Es geht also darum, Zeit zu gewinnen, beispielsweise für die Betreuung von Kindern. Man kann auch ein Jahr ein Sabbatical aussetzen. Es muss die Möglichkeit bestehen, den Akku neu aufzuladen und sich weiterzubilden. Es geht natürlich auch um die Möglichkeit, beim Übergang in die Rente andere Gestaltungsmöglichkeiten zu haben als heute. All das ermöglichen wir mit den Langzeitkonten.

Das Gesetz regelt den Insolvenzschutz. Diesen Schutz erreichen wir unter anderem durch eine sorgfältige Prüfung durch die Deutsche Rentenversicherung. Das ist übrigens ein hocheffizienter Insolvenzschutz; denn wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass das Arbeitszeitkonto nicht insolvenzgesichert ist, dann werden Beiträge und Steuern sofort fällig. Auf diese Weise haben wir ein ganz sicheres Instrument, mit dem in jedem Unternehmen sichergestellt wird, dass der Insolvenzschutz auch dort gewährleistet ist, wo bisher noch nicht dem Gesetz entsprechend gehandelt worden ist.

Das Gleiche gilt für die Frage, wie man die Einlage absichert. Wir machen dazu Vorschriften, wie wir sie auch in anderen Gesetzen im Hinblick auf die Anlagesicherheit haben. Man muss nicht die Wirtschaftsteile der Zeitungen gelesen haben, um zu wissen, dass wir uns darum kümmern müssen, dass das Geld der kleinen Leute nicht in hoch spekulative Anlagen und in Produkte von irgendwelchen Schnellversprechern gesteckt wird.

Im Übrigen regelt das Gesetz die Möglichkeit, sein Arbeitszeitkonto mitzunehmen.

(Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber nur, wenn der Arbeitgeber das akzeptiert!)

Danke für den Zwischenruf. Das ist falsch!

Das Gesetz regelt die Möglichkeit, das Arbeitszeitkonto mitzunehmen. Wenn der neue Arbeitgeber es nicht für sich haben will ‑ wir können es ihm schwerlich aufoktroyieren, denn er hat mit dem bisherigen Arbeitsverhältnis ja nichts zu tun ‑, dann hat man die Möglichkeit, es bei der Deutschen Rentenversicherung langfristig sicher festzulegen.

(Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber was ist bei einer Freistellung?)

Dann kann es so eingesetzt werden, wie es auch geplant ist. Aber wenn er es mitnimmt, dann kann man auch bei dem neuen Arbeitgeber ein solches Arbeitszeitkonto mit den weiteren Ansprüchen aufbauen.

Es ist also für jeden Beschäftigten möglich, ein Arbeitszeitkonto über das ganze Leben zu verwalten und dann zu den Zeitpunkten einzusetzen, zu denen er es benötigt.

Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf, über den wir heute beraten, wird vielleicht zu einem der modernsten und wichtigsten Gesetze dieser Zeit. Ich bin ziemlich sicher, dass dieses Gesetzesvorhaben in zehn Jahren eine Selbstverständlichkeit sein wird, weil es das Arbeitsleben fast jedes Einzelnen mit beeinflusst, nämlich als Möglichkeit, aus eigener Perspektive souverän mit der Arbeitszeit umgehen zu können. Das ist ein guter Fortschritt für ein Land, das auf gute Arbeit und auf gute Löhne setzt.

In diesem Sinne: Schönen Dank.