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26.08.2009

Rede von Berthold Huber

Zukunft der Industrie - Zukunft der Arbeit

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin von den Veranstaltern gebeten worden, über die Zukunft der Industrie und die Zukunft der Arbeit zu sprechen. Dieser Bitte komme ich gerne nach. Nicht ohne jedoch vorweg anzumerken, dass die Überschrift schon gleich eine ganz zentrale Kernbotschaft enthält:

 

Die Zukunft der Industrie ist die Zukunft der Arbeit.

Dieses Wissen ist allerdings in Vergessenheit geraten. 1994 führt der Katalog der Deutschen Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften noch 79 Neuerscheinungen mit dem Begriff Industriepolitik im Titel auf. 2007 waren es noch ganze 6. Industriepolitik als Nischenthema!

Dieses Beispiel ist alles andere als eine belanglose Randerscheinung. Denn es zeigt zwei Dinge: Erstens wurde und wird die Bedeutung der Industrie für die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands gewaltig unterschätzt. Fakt ist aber:
•    97 Prozent der Exporte werden vom verarbeitenden Gewerbe getätigt; 90 Prozent der F&E Aufwendungen entfallen auf diesen Bereich.
•    die Industrie hat eine wichtige Schrittmacherfunktion als wichtiger Nachfrager und Impulsgeber für produktionsnahe Dienstleistungen.
•    zusammen mit diesen Sektoren beschäftigt das verarbeitende Gewerbe fast 60 Prozent der Arbeitnehmer und erwirtschaftet knapp 80 Prozent des Produktionswertes.

Zweitens, und in sich schlüssig, wurde keine Notwendigkeit einer aktiven Industriepolitik gesehen. Nach dem Motto: Wettbewerb und Markt werden es schon richten, jedweder staatlicher Einfluss ist ein ordnungspolitischer Sündenfall. Und da dies so ist, muss man darüber halt auch nicht schreiben.

Die geringe Intensität der industriepolitischen Debatte was wir unter welchen Bedingungen und zu welchem Zweck produzieren wollen erscheint mir angesichts der genannten Zahlen nahezu absurd.

Denn eines dürfen wir wohl voraussetzen: Wenn es uns nicht gelingt, unsere Stellung als führende Industrienation zu erhalten, bleibt die Auseinandersetzung in anderen Politikfeldern, wie z. B. der Bildungs- oder Sozialpolitik allenfalls ein Konflikt um die gerechte Verteilung von Einschnitten und Zumutungen.

In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern: Die IG Metall und die anderen DGB Gewerkschaften haben um die Begrifflichkeiten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu bemühen schon immer auch ein besonderes Augenmerk auf die Entstehungsseite des Bruttoinlandsprodukts gerichtet.

Ohne dabei jedoch den elementaren Zusammenhang zur Verwendung und Verteilung desselben aus den Augen zu verlieren. So als ginge es auch ohne Investitionen in die inzwischen von der Substanz zehrende Infrastruktur, als spiele Binnenkaufkraft keine weitere Rolle. Als seien wir auf einem guten Weg, solange nur Managementvergütungen, Boni und Dividenden schön kräftig steigen.

Es fällt mir an dieser Stelle nicht leicht, meine Emotionen zu zügeln. Diesen ökonomischen Sachverstand - so viel steht fest - können wir uns in Zukunft nicht leisten.

Eine echte Aufarbeitung der Krise steht noch aus. Ich möchte aber die verbliebene Zeit nutzen, den Blick auf das Hier und Jetzt und die nähere Zukunft zu werfen. Die Umstände zwingen uns mehr als je zuvor, unsere Kraft und Energie der Sicherung der industriellen Basis - der Quelle unseres Wohlstands - zu widmen. Denn die Krise ist alles andere als überstanden.

Vielmehr verlaufen Wahrnehmung, Verlauf und Auswirkung asynchron. Erst waren die Nachrichten katastrophal, aber die realen Auswirkungen begrenzt, jetzt werden die Nachrichten besser, aber die Krise droht auf dem Arbeitsmarkt voll durchzuschlagen. Und gefährdet nicht nur die Existenz einzelner Unternehmen, sondern ganze Wertschöpfungsketten. Die Vorstellung, das alles ginge zur Not auch 20 oder 30 Prozent kleiner, ist bestenfalls naiv.

Denn Wirtschaftszweige schrumpfen nicht linear im Durchschnitt (was schlimm genug wäre). Vielmehr drohen gewachsene Strukturen dauerhaft Schaden zu nehmen, wenn wichtige - und ich benutze dieses Wort ganz bewusst - systemrelevante Betriebe - vom Markt verschwinden. Die übrigens auch aus dem KMU-Bereich kommen.

Wir kämpfen also nicht nur um jeden einzelnen Arbeits- und Ausbildungsplatz, sondern, und das ist die neue Qualität der Herausforderung, um den Erhalt des Industriestandorts und seiner gewachsenen Strukturen.

Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt hinweisen. Was weg ist, ist weg. Und kommt nicht wieder. Es ist doch kein Zufall, dass die vielen kleinen und großen Marktführer im M&E Bereich auf eine lange Firmengeschichte zurückblicken, meist über Jahrzehnte technisches Know-how und Märkte aufgebaut haben.

Man kann ganz offensichtlich mit einer cleveren Idee in kurzer Zeit ein Internetimperium aus dem Boden stampfen (siehe Google), im hochkomplexen Anlagenbau um ein Gegenbeispiel zu nennen funktioniert dies genau so offensichtlich nicht. Anders formuliert: Die Produkte und produktionsnahe Dienstleistungen, die wir in Zukunft benötigen, werden von den Industriebetrieben von heute entwickelt. Oder, wenn diese die Krise nicht überstehen, auch nicht oder zumindest nicht in Deutschland.

Die vor uns liegende Herausforderung so hoffe ich ist hinreichend klar geworden. Was aber ist zu tun? Um es vorweg zu nehmen, ein Breitbandantibiotikum steht uns nicht zur Verfügung. Wir müssen an vielen Hebeln gleichzeitig ansetzen. Unseren Forderungskatalog zur Krisenbewältigung kann man in dem Aktionsplan der IG Metall Aktiv aus der Krise Gemeinsam für ein gutes Leben nachlesen.

Ich will daraus zwei zentrale Punkte hier zur Diskussion stellen. Zentrale Punkte, weil sie nicht nur eine Brücke über die Krise bauen, sondern sicherstellen würden, dass die Brücke auch am anderen Ufer ankommt und nicht am selben. Ich bin nämlich und auch das deutlich zu sagen nicht geneigt, die Zustände vor Ausbruch der Krise als erstrebenswert zu erachten.

Niemand kann heute mit Sicherheit sagen, wie viele Unternehmen in ihrer Existenz akut bedroht sind oder sein werden. In nicht wenigen Fällen wird eine Situation eintreten, in der salopp formuliert, frisches Geld her muss. Geld, welches der Markt nicht, oder nur zu sehr ungünstigen Konditionen, zur Verfügung stellen wird.

Auf dieser Tatsache gründet die Forderung der IG Metall nach einem mit mindestens 100 Mrd. EUR ausgestatteten bundesweiten public equity Beteiligungsfonds, mit dem sich die öffentliche Hand an Unternehmen beteiligt. Dieser Fonds wird durch den Bund vorfinanziert und dann durch
eine obligatorische Zukunftsanleihe auf große Vermögen gespeist. Die Laufzeit beträgt 15 Jahre, die Verzinsung richtet sich nach dem EZB-Zins.

Dabei versteht es sich von selbst, dass die Mittelvergabe an eindeutige Bedingungen geknüpft ist: Die Vorlage eines tragfähigen unternehmerischen Zukunftskonzepts, substanzielle Beiträge der Eigentümer bzw. Aktionäre, Sicherung der Arbeits- und Ausbildungsplätze, Begrenzung der Vorstands- oder Geschäftsführervergütungen sowie die Einhaltung von Tarifstandards und Wahrung der unternehmerischen bzw. betrieblichen Mitbestimmungsrechte.

Dieser Vorschlag mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen. Vielleicht so ungewöhnlich wie milliardenschwere Rettungspakete für die Hypo-Real oder die Sozialisierung von Spekulationsrisiken in sogenannten bad banks.

Dieser Vorschlag ist nicht nur ungewöhnlich, sondern in erster Linie problemadäquat. Er sichert Arbeitsplätze und Strukturen - also die Zukunft der Industrie und die Zukunft der Arbeit - und fordert Solidarität von denjenigen ein, die vom vergangenen Aufschwung besonders profitiert haben. Und ermöglicht zudem durch die Bereitstellung von geduldigem Kapital das Umschwenken auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung. Was mich zu meinem zweiten Punkt führt.

Die kurzfristigen Renditevorgaben von Investoren sind als alleiniges Steuerungsinstrument einer Volkswirtschaft und deren Unternehmen - um es vorsichtig zu formulieren - unterkomplex. Weil das Ziel nicht länger sein kann, wenige schnell reich zu und viele langfristig arm zu machen.
Wir fordern deshalb:
•    eine Änderung des Aktienrechts, um Vorstand und Aufsichtsrat auch dem Wohl der Arbeitnehmer und der Allgemeinheit zu verpflichten,
•    die Einführung der Unternehmensmitbestimmung ab 1000 Beschäftigten sowie eine drittelparitätische Mitbestimmung für alle Unternehmen mit 200 bis 1000 Beschäftigten,
•    in das Aktienrecht ein verpflichtenden Katalog von zustimmungspflichtigen Geschäften aufzunehmen und wichtige Entscheidungen, z. B. über Betriebsschließungen, Standortverlagerungen und
Massenentlassungen künftig von einer Zweidrittel-Mehrheit im Aufsichtsrat abhängig zu machen,
•    eine Erweiterung der betrieblichen Mitbestimmungsrechte, insbesondere bei Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung und bei Betriebsänderungen (Umorganisation, Produktionsverlagerungen, Beschäftigungsabbau) sowie
•    die Ausrichtung von Vorstandsvergütungen an nachhaltigen Unternehmenszielen. Dies bedeutet die Reduzierung variabler Vergütungsbestandteile und Vergütungskürzungen bei Verlusten.

Diese Forderungen zielen ganz bewusst darauf ab, die Entscheidungsmacht der Kapitalseite empfindlich einzuschränken. Um zu verhindern, dass kurzfristige Renditeziele über den langfristigen Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Gesellschaft stehen. Für den ehrbaren Kaufmann, der um den Wert der Mitbestimmung weiß, wird sich im Grunde wenig ändern. Bei den Nokia Managern hingegen wäre es grob fahrlässig, auf intrinsisch motivierte Einsicht zu hoffen.

Die Zukunft der Industrie und die Zukunft der Arbeit ist also mitbestimmt.

Mitbestimmung muss aber mehr sein, als ein Verhinderungsrecht. Weil es darum geht, Krisen zu vermeiden anstelle nachträglich ihre Auswirkungen zu dämpfen. Nun haben wir jahrelang gehört, der Markt würde alles richten.

Wenn aber der Markt so furchtbar schlau ist, warum wurden dann die Kapitalströme nicht umgelenkt, bevor es z. B. in der Automobilindustrie zu gewaltigen Kapazitätsüberhängen kam?

Was mich zu Anfang meines Vortrages zurückbringt. Eine nachhaltige Industriepolitik, die volkswirtschaftlich effizient ist, Strukturwandel ohne Brüche bei Beschäftigung und Einkommen ermöglicht und die natürlichen Ressourcen schont, ist kein Nebenprodukt von Marktkräften. Deshalb kann die Diskussion auch nicht lauten: Aktive Industriepolitik - ja oder nein - sondern welche!

Geht sie vom Sachzwang Weltmarkt aus und beschränkt sich darauf, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und des Standorts zu steigern? Oder erhebt sie den Anspruch, den fundamentalen Wandel der Gesellschaft angesichts von Globalisierung, Klimakrise und Ressourcenverknappung und Massenarbeitslosigkeit nicht nur zu begleiten, sondern den Suchprozess nach einer besseren Gesellschaft zu organisieren?

Die Antwort - denke ich - liegt auf der Hand. Wir brauchen diesen Suchprozess, weil man einer Politik der kurzfristigen Horizonte nur dann etwas entgegensetzen kann, wenn man weiss, was langfristig richtig ist.

Ich hatte zu Beginn meiner Ausführungen mit einigen Zahlen untermauert darauf hingewiesen, dass Industriepolitik in den letzten 10 Jahren zu einer Art Nischenthema geworden ist.

Umso erfreulicher, dass Frank-Walter Steinmeier mit dem Deutschland-Plan die Zukunft der Industrie und der Arbeit in den Mittelpunkt des Wahlkampfes gerückt hat. Denn Sicherheit der Arbeitsplätze ist für die Menschen heute die wichtigste Frage. Über 450.000! Antworten im Rahmen unserer Beschäftigtenbefragung lassen daran keinen Zweifel.

Der Deutschlandplan verbindet ökologische Industriepolitik mit größeren Bildungsanstrengungen und einer Ausweitung der Mitbestimmung, beschreibt damit Bedingungen, deren Erfüllung zur effektiven Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit notwendig sind. An diesem Konzept müssen sich die anderen Parteien messen lassen. Der demokratische Streit darüber lohnt sich. Was man, der Vollständigkeit halber, vom so genannten Industriepolitischen Gesamtkonzept aus dem Hause zu Guttenberg leider nicht sagen kann.
Dazu haben die Verfasser zu tief in die Mottenkiste gegriffen: Steuern für Unternehmen runter, Leiharbeit weiter deregulieren, Mindestlöhne verhindern. Kein Wort zu Arbeitsbedingungen oder Mitbestimmungsrechten. Und Umweltschutz und Soziales bitte nur dann, wenn die Wettbewerbsfähigkeit nicht darunter leidet.

An dieser Stelle zeigt sich: Es gibt einen Unterschied zwischem einem brauchbaren und einem gebrauchten Papier. Das Industriepolitische Gesamtkonzept gehört zur letzteren Kategorie. Denn es bietet keine Antworten auf die Herausforderungen und macht vieles nur noch schlimmer.

Dazu ein kurzes Beispiel: Das Statistische Bundesamt hat erst vor wenigen Tagen einen Auswertung vorgestellt, aus der klar hervorgeht, dass atypische Beschäftigung branchenübergreifend auf dem Vormarsch ist (Anstieg zwischen 1998 und 2008 um 46,2%). Und atypisch inzwischen bei der Hälfte der Fälle mit Niedrigklohn einhergeht, in der Leiharbeitsbranche sogar bei über 67%.

Anstelle einer weiteren Verrohung des Arbeitsmarktes brauchen wir eine effektive Regulierung, um im nächsten Aufschwung eine Explosion der Leiharbeit und anderer ungeschützter Arbeitsverhältnisse zu verhindern. Denn auf mittlere Sicht gefährden unsichere und schlecht bezahlte
Arbeitsplätze nicht nur die gerechte Verteilung des wirtschaftlichen Wohlstandes, sondern untergraben auch die hohe Qualifikationsbasis ebenso wie die Innovationsfähigkeit der deutschen Industrie.

Anrede,
das knappe Fazit meiner Ausführungen ist auch gleich eine Art Zusammenfassung. Jens Beckert (Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung) verdanken wir die Einsicht: Die Ökonomie ist zu wichtig, um sie den Ökonomen zu überlassen!

Oder den Beamten des Bundeswirtschaftsministeriums.

Danke für die Aufmerksamkeit.