Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS)
Ist die Krise vorbei, Herr Scholz?
Nein. Die Krise ist nicht vorbei. Aber ich bin zuversichtlich: Die Wirtschaft wird sich in diesem Jahr und 2010 wieder erholen. Dazu leisten die Konjunkturprogramme Deutschlands und anderer Staaten einen Beitrag.
Haben wir den Schrecken zu groß gemalt?
Viele haben zu schwarz gesehen. Mein Ehrgeiz war und ist es, zu erreichen, dass sich die düsteren Prognosen für den Arbeitsmarkt nicht bewahrheiten.
Derzeit haben wir 3,5 Millionen Arbeitslose. Mit wie vielen rechnen Sie Ende 2010, wenn das Kurzarbeitergeld ausläuft?
Ich bleibe dabei, keine Prognosen zu machen. Vielmehr sage ich: Eines der wirksamsten Mittel zur Bekämpfung dieser Wirtschaftskrise war der schnelle Ausbau der Kurzarbeit. Ohne die Kurzarbeit hätten wir heute ein paar hunderttausend Arbeitslose mehr. Ich bin überzeugt: Die meisten Kurzarbeiter werden ihre Arbeit wieder voll aufnehmen.
Wäre es nicht richtiger zu sagen: Die Krise ist erst vorbei, wenn die Schulden aus den Konjunkturprogrammen abbezahlt sind?
Das stimmt. Wir werden die kommenden Jahre damit zu tun haben, diese Schulden abzubezahlen. Das geht nur mit strenger Haushaltsdisziplin. Milliardenschwere Steuererleichterungen für Leute mit sehr hohen Einkommen darf es nicht geben. Sonst zahlen am Ende diejenigen für die Krise, die es sich am wenigsten leisten können. Wenn Union und FDP ihre Steuersenkungspläne in die Tat umsetzen könnten, müssten und würden sie Haushaltsmittel für Renten, Gesundheit und zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit kürzen.
Kanzlerkandidat Steinmeier hält sogar Vollbeschäftigung für möglich. Greift er nach den
Sternen?
Ich wehre mich gegen den Zynismus, der sich bei den Eliten unseres Landes eingeschlichen hat, die Arbeitslosigkeit von Millionen Bürgern für unvermeidlich zu halten. Es gab Zeiten, da hatten wir kaum Arbeitslosigkeit in Deutschland. Da können wir wieder hinkommen. Die Zahl der Jungen sinkt dramatisch. Wir steuern in kurzer Zeit auf einen dramatischen Fachkräftemangel zu. Das können wir nur verhindern, wenn wir jedem mindestens eine Berufsausbildung ermöglichen und niemanden aufgeben. Wenn wir das schaffen, kommen wir von den hohen Arbeitslosenzahlen im nächsten Jahrzehnt herunter. Diese Chance zu ergreifen, hat Steinmeier vorgeschlagen. Das ist sein Plan.
Das Kurzarbeitergeld ist das Kind des SPD-Ministers Scholz. Nur ist es Ihnen nicht gelungen, dass die SPD davon profitiert. Verkaufen Sie Ihre Erfolge schlecht?
Nein. Alle wissen: Ohne Sozialdemokraten hätte es diese Politik nicht gegeben.
39 Prozent der Wähler sagen über Sie: Dieser Politiker ist mir unbekannt. Was machen Sie falsch?
Natürlich nichts. Ich lege Wert auf einen nachhaltig guten Ruf. Sternschnuppen verglühen schnell.
Anderen gelingt es aber besser, sich in Szene zu setzen - etwa Wirtschaftsminister Guttenberg. Der stiehlt Ihnen die Show.
Ich gönne dem Kollegen Guttenberg viele' gute Auftritte. Mein Prinzip war: Erst einmal gute Politik machen, dann damit werben.
Die Lage der SPD scheint verzweifelt. Die Partei steht in den aktuellen Umfragen bei gut zwanzig Prozent.
In den letzten Jahren konnten wir unsere Wahler immer erst in der heißen Phase des Wahlkampfs überzeugen. Auch andere sozialdemokratische Parteien in der Welt haben dieses Problem. Vermutlich liegt das an einem globalen Trend. Die wirtschaftliche Lage der Arbeitnehmer aus den Mittelschichten kommt in den entwickelten Ländern in den letzten zwei Jahrzehnten nicht richtig voran. Unsere Reformpolitik hat gezeigt, dass man den Trend drehen kann. Aber eben nie über Nacht. Und deshalb sind für uns die Wahlkämpfe wichtig, in denen die Unterschiede zwischen den Parteien zur Sprache kommen, die den Unterschied machen. In Deutschland hat ja das Positionspapier aus dem Wirtschaftsministerium gezeigt, dass es sie gibt. Die Union will zum Beispiel mehr befristete Arbeitsverhältnisse, mehr Leiharbeit und weniger Kündigungsschutz.
Ein Problem der SPD ist ihr Spitzenkandidat. Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist bei weitem nicht so populär wie Angela Merkel...
Frank-Walter Steinmeier hat trotzdem hohe Popularitätswerte. Die Bürger trauen ihm was zu.
Oha, anscheinend lesen Sie andere Umfragen als wir.
Nein, wir lesen die gleichen Umfragen. Die zeugen von Unterschieden bei der momentanen Beliebtheit. Die Frage aber, ob Frank-Walter Steimeier ein guter Kanzler wäre, wird von fast allen mit Ja beantwortet.
Sechzig Prozent der Bürger wollen Angela Merkel als Kanzlerin, nur zwanzig Prozent Steinmeier.
Den Kanzler Steinmeier werden die Leute sehr mögen.
SPD-Chef Müntefering sagt, die Kanzlerin solle schon mal die Umzugskisten packen. Das wirkt lächerlich. Schadet der Parteichef damit nicht der SPD?
Franz Müntefering nützt der SPD. Er trägt dazu bei, dass diejenigen bei der Union, die vor Selbstbewusstsein nicht mehr geradeaus gucken können, ein bisschen unsicher werden. Das ist gut.
Die Kanzlerin hat die Union nach inks gerückt. Ist die SPD dadurch überflüssig geworden?
Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Bundeskanzlerin in einer schwarz-gelben Koalition das Gegenteil von dem machen würde, was sie die letzten vier Jahre gemacht hat. Sie hat sozialdemokratisch geprägte Politik machen müssen, weil die SPD sie dazu gezwungen hat. Bei Schwarz-Gelb würden zwei neoliberale Funktionärsmehrheiten regieren. Die hält dann nichts mehr auf.
Angenommen, Schwarz-Gelb bekommt keine Mehrheit. FDP Chef Westerwelle will aber keine Ampel. Was bieten Sie ihm an?
Wir wollen so stark werden, dass wir einen sozialdemokratischen Kanzler durchsetzen können. Bei Verhandlungen geht es natürlich zuerst um politische Inhalte, aber warum sollten wir nicht den Versuch wagen, mit Grünen und FDP eine Regierungsmehrheit zu bilden?
Wegen der Inhalte: etwa weil die FDP Steuersenkungen will.
Schau'n wir mal. Im Wahlprogramm der CDU von 2005 stand auch: Es gibt keine Mindestlöhne.
Und was ist dabei rausgekommen? Im Wahlprogramm der Union stand, sie wolle den Kündigungsschutz verschlechtern. Aber pas-
siert ist es nicht.
Im Wahlprogramm der SPD stand: Es gibt keine Mehrwertsteuererhöhung. Dann gab es drei Prozent Erhöhung, ein Punkt mehr, als die CDU angekündigt hatte.
Chapeau - Ihre Kritik hat eine Berechtigung. Und das ist etwas, was die Politik nicht oft wiederholen kann. Aber das darf nicht dazu führen, dass man gar nichts mehr sagt wie die Union. Das ist unredlich gegenüber dem Wähler.
Wie sehr hat die Dienstwagenaffäre von Ulla Schmidt der SPD geschadet?
Ich hoffe, nicht allzu viel.
Würden Sie sich auch so verhalten wie Frau Schmidt?
Ulla Schmidt hat einen offensiven Weg gewählt. Sie hat von vornherein gesagt, dass sie die jetzt vorliegende Bewertung des Bundesrechnungshofes akzeptiert. Das war nicht feige.
Hätten nicht gleich alle Fakten auf den Tisch gehört?
Ich kenne niemanden, der behauptet, dass ihr Vorgehen nicht dengesetzlichen Vorschriften entsprochen hat.
Wie halten Sie es mit Ihrem Dienstfahrzeug?
Ich habe mich, um mich jeder Kritik zu entziehen, für die teuersteVariante entschieden. Ich versteuere meinen Dienstwagen mit 1,545 Prozent des Wagenwertes im Monat. Alles zusammen kostet mich der Dienstwagen damit in diesem Jahr monatlich 1803,87 Euro - durch Steuern und Kürzung der Kostenpauschale. Das ist selbst beim Einkommen eines Ministers, der nicht darben muss, viel Geld.
Das Gespräch führten Markus Wehner und Oliver Hoischen.