Sehr geehrter Herr Bundesminister Pistorius, lieber Boris,
Exzellenzen,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter aus Bund und Ländern,
sehr geehrte Angehörige,
meine Damen und Herren,
liebe Soldatinnen und Soldaten,
seit fast 80 Jahren haben wir Deutschen das Glück, in Frieden zu leben. Seit bald 35 Jahren leben wir in einem Land vereint in Freiheit. Frieden und Freiheit – beides war noch nie selbstverständlich. Und doch wird uns gerade heute bewusst, wie sehr es auf diejenigen ankommt, die Frieden und Freiheit mutig verteidigen.
Mit dem Angriff auf die gesamte Ukraine hat Russland den Grundkonsens aufgekündigt, dass Grenzen niemals mehr mit Gewalt verschoben werden dürfen. Diese Zäsur für Europas Friedensordnung habe ich als Zeitenwende bezeichnet. Diese Zeitenwende bedeutet, dass wir uns mehr anstrengen müssen, um unseren Frieden zu sichern und unsere Freiheit zu verteidigen. Deshalb stehen wir unverbrüchlich an der Seite der überfallenen Ukraine. Deshalb übernehmen wir größere Verantwortung innerhalb der Nato, vor allem an der Ostgrenze unseres Bündnisses. Und deshalb stärken wir unsere Bundeswehr, damit Sie und alle Ihre Kameradinnen und Kameraden die bestmögliche Unterstützung erhalten, die Sie für Ihren Dienst benötigen.
Nicht nur der Frieden in Europa, auch unsere Freiheit steht unter Druck. In einem von ihnen so bezeichneten Wettstreit der Systeme wähnen sich autoritäre Regime weltweit auf der Siegerstraße. Und auch im Inneren eigentlich aller freiheitlichen Gesellschaften verzeichnen Bewegungen Zulauf, die in Gewaltherrschern wie Putin ihre Vorbilder suchen, die Freiheit nur den „eigenen“ Leuten zugestehen und Würde nur denjenigen, die in ihr Weltbild passen.
Sie sprechen Ihr Gelöbnis also in einer fordernden Zeit. Sie versprechen heute, Ihrem Land, der Bundesrepublik Deutschland, treu zu dienen und das Recht und die Freiheit aller Bürgerinnen und Bürger unseres Landes tapfer zu verteidigen.
Sie haben sich freiwillig, manche von Ihnen neben ihrem zivilen Beruf, zum Dienst für unser Land gemeldet – obwohl oder gerade weil Frieden und Freiheit heute nicht selbstverständlich sind, gerade weil Frieden und Freiheit heute mutige Verteidigerinnen und Verteidiger brauchen. Das zeugt von einer tiefen Auseinandersetzung mit zwei großen Fragen: Was ist mir wichtig im Leben? Und: Was kann ich für mein Land tun? Wie Sie diese beiden Fragen für sich beantwortet haben, kann man hier eindrucksvoll sehen.
Wenn Sie gleich Ihr Gelöbnis sprechen, dann übernehmen Sie – jede und jeder Einzelne von Ihnen – Verantwortung für die Sicherheit aller, für den Frieden und die Freiheit der 84 Millionen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Das verdient Anerkennung. Das verdient Respekt. Der Schritt, den Sie heute gehen, erfordert Entschlossenheit und, ja, auch Mut. Entschlossenheit und Mut – kaum ein anderer Tag der deutschen Geschichte steht dafür so sehr wie der 20. Juli 1944.
Heute vor 80 Jahren versuchten deutsche Offiziere um Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg den Umsturz gegen Hitler. Dieser Ort hier, der Bendlerblock, war das Zentrum des militärischen Widerstandes. Vom Bendlerblock aus sollte der Umsturzversuch organisiert werden. Die Widerstandskämpfer des 20. Juli wollten ein anderes, ein besseres Deutschland – ein Deutschland, das das Recht achtet und nicht mit Füßen tritt, ein Deutschland, das die Würde aller seiner Bürgerinnen und Bürger schützt, anstatt Millionen von ihnen zu ermorden oder in einen verbrecherischen Krieg zu schicken. Ein Deutschland, das Frieden sucht mit seinen europäischen Nachbarn, anstatt die Welt mit Krieg und Leid zu überziehen.
Die Widerstandskämpfer des 20. Juli hatten nicht das Glück, dieses andere, bessere Deutschland noch zu erleben. Und doch legten sie einen der Grundsteine für unser demokratisches Land, für unser Land, das der Würde des Menschen, der Freiheit des Einzelnen, einem geeinten Europa und dem Streben nach Frieden in der Welt verpflichtet ist.
Von vielen der Widerstandskämpfer aus den Reihen des Militärs wissen wir, dass sie gerade in den Anfangsjahren von Diktatur und Krieg hin- und hergerissen waren – hin- und hergerissen zwischen ihrem soldatischen Eid und dem, was ihnen ihr Gewissen und die Sorge um die Zukunft Deutschlands geboten, nämlich aufzubegehren gegen Vernichtungskrieg und Massenmord. Am Ende entschieden sie sich, ihrem Gewissen zu folgen, und haben das mit dem Leben bezahlt. Unsere verfassungsmäßige Ordnung ist auf dem Prinzip aufgebaut, dass niemand mehr vor dieser grausamen Wahl stehen soll, kein Zivilist, keine Zivilistin, auch keine Soldatin und kein Soldat.
Heute in der Bundeswehr zu dienen, heißt deswegen, Bürger oder Bürgerin zu bleiben – ein Bürger oder eine Bürgerin in Uniform. Heute in der Bundeswehr zu dienen, erfordert, dass Sie selbst denken und nicht einfach nur blind gehorchen. Es erfordert, dass Sie auch selbst keine unrechtmäßigen Befehle geben. Es bedeutet, dass Sie Verantwortung übernehmen und den Mut haben, auch in schwierigen Situationen das Richtige zu tun. Diese Grundsätze der Inneren Führung der Bundeswehr lassen sich damit auch aus dem Erbe des deutschen Widerstands herleiten. Sie sind die Antwort auf die Rolle der Streitkräfte in der NS-Diktatur.
Sie machen ganz unmissverständlich klar, wo die Bundeswehr steht und wo der Beruf der Soldatin und des Soldaten seit jeher hingehört – nämlich in die Mitte unserer demokratischen Gesellschaft. Das sehen immer mehr so. Das war lange überfällig. Diesen Wandel in der Wahrnehmung und auch der Wertschätzung unserer Parlamentsarmee wird die Bundesregierung weiter mit Kräften unterstützen. Darauf können Sie sich verlassen.
Dass wir auf einem guten Weg sind, zeigt die große Mehrheit im Bundestag, mit der wir in diesem Jahr die Einführung eines Veteranentags beschlossen haben. Das zeigen auch der große Respekt und die Wertschätzung, die unsere Soldatinnen und Soldaten überall erfahren – für ihren Beitrag im Bündnis und bei der Bewältigung internationaler Krisen, auch für ihren Einsatz im Inland, im Katastropheneinsatz und nicht zuletzt auch im Heimatschutz.
Liebe Rekrutinnen und Rekruten, Ihre Angehörigen und Freunde sehen Sie vielleicht heute zum ersten Mal in Uniform. Tragen Sie sie mit Stolz, als sichtbares Zeichen im Alltag, dass Sie die Werte schützen, für die unser Grundgesetz seit 75 Jahren steht. Sie sind Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Uniform. Sie dienen Deutschland.
Ich wünsche Ihnen Kraft, Entschlossenheit und Erfolg auf Ihrem Weg! Mögen Sie Ihre Aufgaben mit Tapferkeit und Verantwortungsbewusstsein erfüllen! Und mögen Sie stets sicher zurückkehren!
Vielen Dank.