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Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
19.08.2024 | Bremen

Rede anlässlich einer Einbürgerungsfeier in Bremen

Lieber Andreas Bovenschulte,
lieber Ulrich Mäurer,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörden,
liebe Angehörige,
ganz besonders aber am heutigen Tag liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

ab heute kann ich Sie vollkommen zutreffend so begrüßen, denn seit Kurzem – und einige von Ihnen tatsächlich erst seit heute – sind Sie deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Das hat eine politische Bedeutung und eine rechtliche. Aber für jeden und jede von Ihnen hat es vor allem eine ganz persönliche Bedeutung. Es bewegt mich immer wieder sehr, wenn ich höre, was sich alles im Leben derjenigen ändert, die zu deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern werden.

Damit sind große Hoffnungen verbunden, Hoffnungen auf ein Leben in Sicherheit, ein Leben in Freiheit, in einer Demokratie, in einem Rechtsstaat. Aber auch kleinere Hoffnungen werden wahr: Manche können, ausgestattet mit ihrem deutschen Pass, zum ersten Mal überhaupt ohne Visum quer durch Europa reisen oder zum ersten Mal das Land ihrer Vorfahren besuchen. Sie dürfen jetzt in Deutschland wählen gehen und sich wählen lassen. Vielleicht wollen sie ja auch einen Verein gründen. Oder sie wollen in der deutschen Nationalmannschaft spielen und bei den Olympischen Spielen für unser Land antreten. Jetzt können Sie auch das – und wenn nicht Sie, dann schaffen es Ihre Kinder oder Ihre Enkel.

Wir sind hier, um genau das zu feiern. Sie haben sich entschieden, deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zu werden. Sie haben sich entschieden, zu Deutschland zu gehören – mit allen Rechten und Pflichten. Ich freue mich sehr darüber, denn eine Einbürgerung ist das stärkste Bekenntnis zu unserem Land, zu unseren Werten, zu unserer Demokratie und zu unserem Grundgesetz.

Liebe neue Bürgerinnen und Bürger, manche von Ihnen sind aus Syrien geflohen, aus dem Iran oder aus Afghanistan. Die elf unter Ihnen, die heute hier die Einbürgerungsurkunde erhalten, stammen aus der Ukraine, aus Guinea, Ghana, Äthiopien, Mexiko, Kolumbien, Jordanien, Syrien und Russland. Wie viele verschiedene Lebenswege, Lebensgeschichten und Erfahrungen sind hier versammelt, allein schon in dieser kleinen, zufälligen Auswahl! Aber Sie alle haben eines gemeinsam: Sie alle haben sich hier in Deutschland ein neues Leben aufgebaut. Sie alle haben die deutsche Sprache gelernt. Sie alle haben hier Ihre neue Heimat gefunden.

Die Wege, die Sie dafür zurücklegen mussten, waren weit und ganz sicher nicht einfach. Aber Sie sind diese Wege gegangen. Sie haben sich angestrengt. Sie haben etwas erreicht für sich und für Ihre Familien. Und Sie haben Großes geleistet. Und, ja, Sie waren auch in den vergangenen Jahren schon Teil unserer Gesellschaft, haben längst zum Gemeinwohl beigetragen, haben hier bereits dazugehört. Aber jetzt, jetzt sind Sie Deutsche – ohne Fragezeichen, ohne Zweifel, ohne Wenn und Aber.

Ich bin sehr froh darüber, dass sich in unserem Land immer mehr Männer und Frauen mit Einwanderungsgeschichte für diesen Schritt entscheiden. Im vorigen Jahr wurden mehr als 200.000 Frauen, Männer und Kinder in Deutschland eingebürgert, rund ein Fünftel mehr als 2022. Deshalb, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung: Das ist auch Ihr Erfolg – hier in Bremen und im ganzen Land. Danke dafür! Jede und jeder Einzelne von Ihnen leistet eine sehr wichtige und verantwortungsvolle Arbeit, nicht nur für die neuen Bürgerinnen und Bürger, auch für unser Land insgesamt. Stellvertretend für alle Kolleginnen und Kollegen überall in Deutschland sage ich deshalb heute noch einmal ganz herzlichen Dank! Ich kann Ihnen zugleich sagen: Die Bundesregierung ist intensiv dabei, Ihnen die Arbeit in den Ausländer- und Einbürgerungsbehörden zu erleichtern. Wir vereinheitlichen und vereinfachen die Verfahren. Und – ganz entscheidend – gemeinsam mit den Ländern treiben wir die Digitalisierung der Ausländerbehörden intensiv voran.

Ganz hier in der Nähe, in Bremerhaven, gibt es ein hochinteressantes Museum, das Deutsche Auswandererhaus. Es erinnert an einen wichtigen Teil der Geschichte unseres Landes, an Zeiten nämlich, in denen es die Deutschen waren, die ihre Heimat verließen oder verlassen mussten, um ein besseres Leben in der Fremde zu suchen. Allein in Bremerhaven gingen im 19. Jahrhundert mehr als sieben Millionen Auswanderer an Bord von Schiffen, die sie nach Übersee brachten, die meisten von ihnen nach Amerika. Heute stammen 45 Millionen Bürgerinnen und Bürger der USA von deutschen Vorfahren ab. Und niemand käme auf die verrückte Idee zu sagen, das sind gar keine richtigen Amerikaner, weil die Vereinigten Staaten ein Einwanderungsland sind – ein Land, dessen Aufstieg, Erfolg und Wohlstand ohne Einwanderung gar nicht möglich gewesen wäre.

Inzwischen ist auch Deutschland ein Einwanderungsland, und zwar nicht erst seit heute, sondern seit Jahrzehnten. Viele sogenannte Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter – in der ehemaligen DDR hießen sie Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter – haben unser Land mit aufgebaut. Frauen und Männer mit Einwanderungsgeschichte haben Deutschland mitgeprägt und bereichert, kulturell, sozial und wirtschaftlich. Sie gehören längst zu Deutschland – als Nachbarn, Kollegen, Freunde, Familienmitglieder.

Auch unser Erfolg, auch unser Wohlstand in den vergangenen Jahrzehnten wäre gar nicht möglich gewesen ohne Einwanderung. Heute gehen mehr Leute in unserem Land einer Arbeit nach als je zuvor in der Geschichte. Diesen Erfolg verdanken wir allein der Tatsache, dass es in den vergangenen Jahren so viele fleißige Frauen und Männer aus dem Ausland zu uns gebracht hat. Zu den fleißigen Frauen und Männern gehören übrigens auch viele anerkannte Geflüchtete, die hier Schutz gesucht und gefunden haben. Ein erfolgreiches Einwanderungsland zu sein, das verschafft Deutschland eine historische Chance – die Chance, als offenes und vielfältiges Land in einer globalisierten Welt auch in Zukunft Erfolg zu haben, die Chance, genügend Arbeitskräfte zu gewinnen und zu halten, um ein wirtschaftlich gedeihendes Land zu bleiben, die Chance, unseren starken Sozialstaat zu erhalten, weil wir auch in Zukunft ein wachsendes Land sind.

Deshalb war es höchste Zeit, aus diesen Einsichten endlich die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das haben die Bundesregierung und der Bundestag getan mit dem modernsten Einwanderungsrecht, das wir in Deutschland je hatten, einem Einwanderungsrecht mit klaren Regeln, einem Einwanderungsrecht, das die Art von Einwanderung ermöglicht und fördert, die wir in Deutschland brauchen. Ich bin tief überzeugt: Die allermeisten Bürgerinnen und Bürger wissen längst, dass Deutschland nur als Einwanderungsland erfolgreich sein kann. Und die Bürgerinnen und Bürger erwarten zugleich und zu Recht, dass der Staat die Einwanderung wirksam ordnet. Genau das tun wir. Offenheit setzt klare Regeln voraus. Wer keine Aufenthaltsberechtigung hier in Deutschland hat, der kann auch nicht in Deutschland bleiben.

Wir erleben große Einwanderungserfolgsgeschichten in unserem Land. Wir erleben, dass Integration millionenfach gelingt. Deshalb stört es mich seit vielen Jahren, wie zu oft über Einwanderung und Integration diskutiert wird. Da ist von Scheitern die Rede und von Überforderung. Dafür lassen sich Beispiele finden, keine Frage. Und die dürfen auch nicht unter den Teppich gekehrt werden. Aber die positiven Beispiele überwiegen millionenfach – und auch das muss gesagt werden. Das bestätigt uns ganz aktuell in einem Länderbericht auch die OECD, die internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Im europäischen Vergleich zeigt sich zum Beispiel: Deutschland steht bei der Einbeziehung von Eingewanderten in den Arbeitsmarkt auf Platz eins.

Als Bundesregierung schaffen wir mit unseren Gesetzen die Grundlagen für diese millionenfach positive Realität. Wir sorgen dafür, dass wir Einwanderung in Deutschland endlich zeitgemäß und zukunftsgewandt gestalten. Integration von Anfang an, das ist unser Maßstab. Das hat drei entscheidende Komponenten: Sprache, Bildung und Arbeit – das heißt natürlich: Sprach- und Integrationskurse sofort; und das heißt auch: keine unnützen Beschäftigungsverbote mehr, sondern ein Leben aus eigener Kraft, wo immer möglich, so schnell wie möglich.

Entscheidend ist, dass wir die Regelungen für die Einwanderung von Fach- und Arbeitskräften verbessert haben, denn wir in Deutschland sind darauf angewiesen, dass die besten Kräfte und Köpfe und die tüchtigsten Hände zu uns kommen. Wir brauchen Ingenieure und Informatiker. Wir brauchen Logistiker und Verkäuferinnen. Wir brauchen Epidemiologinnen und Informationselektroniker. Wir brauchen Bürokauffrauen und Gärtner für den Landschaftsbau. Wir brauchen Friseurinnen, Industriekaufleute, Sprach- und Integrationsmittlerinnen. Das sind beispielhaft nur einige wenige der vielen, vielen Berufe, für die wir in Deutschland dringend gute Leute brauchen. Aber es sind genau diejenigen Berufe, denen die elf Frauen und Männer nachgehen, die heute hier ihre Einbürgerungsurkunden erhalten – auch deshalb: Wie gut, dass Sie hier sind! Herzlichen Dank!

Aber wir brauchen noch viel, viel mehr kluge Köpfe und fleißige Kräfte, die hier bei uns arbeiten und leben wollen und die sich dann auch dafür entscheiden, auf Dauer hier bei uns zu bleiben und Deutsche zu werden, genau wie Sie es getan haben. Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass Frauen und Männer wie Sie, die sich anstrengen, die hier arbeiten, die unsere Werte teilen und die ihre Zukunft hier in Deutschland sehen, einfacher als bisher Deutsche werden können.

Künftig muss man seine bisherige Staatsangehörigkeit dafür nicht mehr aufgeben. Manch einer kritisiert das nach dem Motto: Entweder man ist Deutscher, oder man ist Inder, Mexikaner oder Senegalese – zwei Staatsangehörigkeiten, das geht nicht! Mich hat das nie überzeugt. Fast alle Einwanderungsländer lassen Mehrstaatigkeit als etwas ganz Normales zu und fahren damit ganz gut. Auch bei uns konnten schon bisher rund 60 Prozent der Eingebürgerten ihre Staatsangehörigkeit behalten, 40 Prozent dagegen nicht. Das war alles andere als gerecht. Vor allem aber widerspricht das doch vollkommen der Lebensrealität ganz vieler Bürgerinnen und Bürger. Wer mit Frauen und Männern wie Ihnen spricht, wer mit Spätaussiedlerinnen redet, mit Geflüchteten, auch mit heimatvertriebenen Deutschen und ihren Nachkommen, der hört immer wieder: Heimaten gibt es auch im Plural. Denn natürlich hängt das Herz oft noch an dem Ort, an dem man geboren wurde, aus dem die eigene Familie stammt. Und zugleich kann unser Herz offen sein für eine neue Heimat, so wie Sie Deutschland in Ihr Herz geschlossen haben.

Unser neues Einbürgerungsrecht trägt dem Rechnung. Es sendet eine klare Botschaft in die Welt: Wer hier auf Dauer lebt, wer hier arbeitet und wer unsere Demokratie schätzt und ehrt, soll deutsche Staatsbürgerin oder deutscher Staatsbürger werden wollen. Wer etwas vorhat, wer sich anstrengt, wer etwas aus seinem eigenen Leben machen will, der ist hier in Deutschland willkommen – genauso wie Sie, liebe Neubürgerinnen und Neubürger! Ihre Geschichten und Ihre Lebensleistungen beeindrucken und, ja, berühren mich, gerade weil Sie Ihren Weg gegangen sind, auch gegen viele Widerstände. Ich wünsche mir, dass Ihre Leistungen in Deutschland gesehen und anerkannt werden, respektiert und gewürdigt, und zwar von allen! Denn genau das haben Sie verdient.

Wahr ist allerdings auch, und Sie wissen es selbst: Ganz am Ziel sind wir dabei noch nicht. Rassismus, Antisemitismus und andere menschenfeindliche Einstellungen sind in Deutschland noch nicht überwunden, um es einmal zurückhaltend zu formulieren. Sie alle wissen, es gibt politische Akteure, die die massenhafte Vertreibung von Menschen mit Migrationsgeschichte anstreben. Rassismus ist für viele Menschen leider Alltag. Deshalb sage ich hier in aller Klarheit: Unser Rechtsstaat ist stark. Unsere Demokratie ist wehrhaft. Jede und jeder in Deutschland, jede und jeder von Ihnen muss sich jederzeit darauf verlassen können, dass der Staat eine klare Antwort auf Gewalt, Hass und Hetze gibt. Dieses Versprechen ergibt sich zwingend aus den Grundwerten unserer Verfassung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ So steht es schon im allerersten Artikel unserer Verfassung – und das gilt!

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, Menschenwürde und Demokratie, innere und äußere Sicherheit, individuelle Freiheit und soziale Gerechtigkeit, Gleichheit vor dem Gesetz – das sind die Werte unserer Verfassung. Das sind die Werte, die unser Land im Kern zusammenhalten. Zu diesen Werten bekennt sich die ganz große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Unser „Wir“ unterscheidet nicht danach, ob jemand eine Einwanderungsgeschichte hat oder nicht, wie ein Mensch aussieht, wen er liebt und woran er glaubt. Unser „Wir“, das schließt Sie ein. Dazu gehört auch, dass Sie die Geschicke unseres Landes mitbestimmen können: Gehen Sie wählen! Lassen Sie sich vielleicht sogar wählen! Gestalten Sie gesellschaftlich und politisch mit! Engagieren Sie sich!

Das alles steht Ihnen jedenfalls jetzt offen. Das alles stärkt unsere Demokratie. Das stärkt unseren Zusammenhalt. Das stärkt unser Land. Deshalb ist der Schritt, den Sie heute gehen, ganz entscheidend, für Sie persönlich und zugleich für die Zukunft unseres Landes. Ich freue mich sehr, dass wir diesen besonderen Moment gemeinsam feiern.

Schönen Dank!