Sehr geehrter Herr Professor Lahnstein,
sehr geehrte Damen und Herren,
als der Pianist und Komponist Ferruccio Busoni den Entwurf einer neuen Ästhetik, einer Tonkunst der Freiheit schrieb, klang das wie ein Aufruf zur Anarchie: Er forderte Freiheit von Gesetzen, Regeln und traditionellen Mustern. Sein Metier war die klassische Musik. Die Musik der Freiheit aber, gab es damals schon, wenn sie auch nicht in den großen Häusern gespielt werden konnte, sondern aus dem harten Alltag in die Clubs kam, auch nach Europa und nach Düsseldorf: Ich meine den Jazz.
Die Geschichte des Jazz erzählt den Kampf für Freiheit. Und diese Verbindung zwischen Freiheit und Jazz ist viel mehr als eine historische Erinnerung. Sie ist geradezu paradigmatisch und höchst aktuell: Denn der Jazz zeigt im Medium der Musik, wie die Freiheit des Individuums zu einem Gewinn für das Zusammenspiel aller wird. Das ist die Herausforderung der Freiheit: Sie muss Selbstverantwortung, Kompetenz und Solidarität in ein kreatives Gleichgewicht bringen. Und das genau ist das Lebensthema von Manfred Lahnstein.
Wie kommt es also, dass ein freiheitsliebender und musikalisch begabter junger Mann wie Du, der damals sogar sein Studium als Jazzposaunist finanziert hatte, nicht dem Ruf des (Zitat) Blasrohrs der Freiheit, wie die Klarinette Deines Freundes Klaus Doldinger genannt wurde, nicht dem Jazz folgte und in die Politik ging?
Um das zu beantworten müssen wir über Düsseldorf hinaus, nach Berlin, Bonn und Brüssel schauen.
In den 1960er Jahren, als Manfred etwa auf die 30 zuging, begann in Parlamenten, Kultur und Wissenschaft eine neue Zeit angeführt von überzeugten Demokraten und Freiheitskämpfern zum Beispiel aus der Sozialdemokratie der Partei, in die Du, lieber Manfred, schon 1959, im Jahr des Godesberger Programms, eingetreten bist.
Als 1966 Willy Brandt sein Amt als Regierender Bürgermeister von Berlin aufgab und als Außenminister nach Bonn wechselte, waren erstmalig Sozialdemokraten in der Bundesregierung. Auch die europäische Einigung machte einen großen Schritt voran: Mit dem Vertrag von Brüssel wurden die bislang drei Europäischen Gemeinschaften zu einer zusammengeführt, mit der Kommission und dem Rat als gemeinschaftlichen Organen. Und Manfred (Lahnstein), der die europäische Zusammenarbeit aus seiner Zeit als Gewerkschaftssekretär in Düsseldorf kannte, ging dahin, wo der Dienst für Freiheit und Solidarität eine ganze besonderer Aufgabe bereithält: Nach Brüssel.
Nach Deiner Arbeit im Europäischen Gewerkschaftssekretariat kamst Du 1967 in den Stab von Wilhelm Haferkamp. Haferkamp war der Vize-Präsident der EG-Kommission, später auch Außenministers der EU genannt, bekannt vor allem durch seinen Kampf gegen den Protektionismus. Ihm standst Du als Kabinettchef zur Seite.
Dass Du ein Finanzfachmann bist, sprach sich schnell rum: 1973 holte Dich Willy Brandt als Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung ins Bundeskanzleramt nach Bonn. Es waren entscheidende Jahre für die Bundesrepublik Deutschland: Es ging um Entspannungspolitik, Weltwirtschaft und die Europäische Einigung. Und mitten drin: der Lahnstein.
Schon im Juni 1973 nahmst Du am Finanzkabinett teil, unter Bundeskanzler Helmut Schmidt ging es dann in die finanzpolitische Grundsatzabteilung. 1977 wurdest Du Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Zu Deiner Arbeit gehörte die Konstruktion des Europäischen Währungssystems. Wie gut Du das gemacht hast, können wir alle noch heute sehen.
Als Helmut Schmidt die Bundesrepublik durch die Weltwirtschaftskrise führte, warst Du dabei, seit Dezember 1980 auch als Chef des Bundeskanzleramts.
Die Begehrlichkeiten waren hoch und die Schulden stiegen seit Jahren als Du 1982 die Aufgabe bekamst, die Haushaltspläne für das kommende Jahr vorzulegen. Die wirtschaftliche Vernunft verlangte eine Deckelung der Neuschulden, Du warst als konservativer Fiskalist bekannt und hattest in Folge nicht nur Freunde.
Aber Dank Deiner unbestritten hervorragenden Arbeit gelang es, den Streit zwischen den Koalitionspartnern in relativ kurzer Zeit zu beenden. Und Helmut Schmidt lobt Dich mit den Worten, Du könntest den Leuten die schlimmsten Dinge sagen und (bliebest) dabei stets freundlich und fröhlich.
Von April 1982 an warst Du Bundesminister der Finanzen, im September wurdest Du zusätzlich noch Bundesminister für Wirtschaft aber der Wechsel der FDP auf die konservative Seite und der Sturz der Regierung Schmidt im Oktober des Jahres beendeten diese Zeit.
Unvergessen bleiben auch die Worte Bundeskanzler Schmidts über Dein Finanztalent: (Zitat) Lahnstein ist schon genial, wobei sich das Genie allgemein aus fünf Prozent Genius und aus dem Rest von Fleiß und Arbeit zusammensetzt.
Ein politisches Talent mit dieser Expertise ist nicht nur in der Politik sehr begehrt. So kam es, dass Du 1983 auf Dein gerade erkämpftes Bundestagsmandat verzichtet hast, um Dich mit Medien zu beschäftigen: Ein Thema dass Dich schon 1961 in Deiner Diplomarbeit beschäftigt hatte [über Einstellungen von Journalisten zu ihrer Arbeit].
Der Bertelsmann AG gelang es, Dich abzuwerben: Als Mitglied des Vorstands hast Du den Unternehmensbereich "Elektronische Medien" aufgebaut, und dem Konzern zu enormen Gewinnen und zu einer strategisch günstigen Position im Privatfernsehen verholfen.
1994 bist Du in den Aufsichtsrat von Bertelsmann gewechselt und man könnte fast auf die Idee kommen, dass Du damit unter-fordert warst. Und das, obwohl Du auch schon damals als Professor am Institut für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater Hamburg gelehrt hast. Denn in dieser Zeit beginnt Dein Engagement für Musik, Kultur und Bildung in Hamburg, wie etwa die Arbeit im Kuratorium der ZEIT-Stiftung.
Und ich will gerne auch darauf hinweisen: Manfred ist auch international ein geschätzter Berater. Du warst lange Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und über viele Jahre Vorsitzender des Aufsichtsrats der Universität Haifa, die Dir dafür 2007 auch die Ehrendoktorwürde verliehen hat; Du hast mit Deinem Engagement inzwischen eine Schlüsselrolle in der deutsch-israelischen Freundschaft.
Und es ist kein Zufall, dass sich durch all diese verschiedenen Themen ein roter Faden zieht: Die Sorge um die Freiheit und den Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Mit der Kraft Deiner Kenntnisse und Erfahrungen, die Du in so unterschiedlichen Aufgabenfeldern gesammelt hast, bist Du stets ein kritischer Begleiter der Politik gewesen. So hast Du der Kanzlerin geraten, mehr Freiheit zu wagen und so manche Fesseln abzuschütteln. Unermüdlich engagierst Du Dich gegen den Antisemitismus und immer wieder erinnerst Du daran, dass Freiheit und Selbstbestimmung zentrale Prinzipien nicht nur der Wirtschafts-, sondern auch der Sozialpolitik sein müssen.
Und so hast Du natürlich im Oktober 2017 auch die Frage kommentiert, was auf dem Weg zu einer neuen Regierung der Bundesrepublik Deutschland zu beachten sei.
Unter der Überschrift Freiheit! zur Zukunft der SPD schreibst Du, es gäbe in der parlamentarischen Demokratie, besonders in einer Koalition, verschärft diesen Zwang zur Abwägung und zum Kompromiss. Und in diesem Zusammenhang kommt eine interessante Gegenüberstellung im Geiste Max Webers:
Das Denken in Programmen verleite wie die Theorie zu einer gesinnungsethisch fundierten Haltung, während politisches Handeln in der Praxis immer die verantwortungsethisch bestimmte Abwägung unterschiedlicher Gegebenheiten, Auffassungen und Interessen erfordert.
Und als sei es gerade erst heute geschrieben, heißt es dann: Wer die Zukunft wirklich gestalten will, der darf nicht von sich aus das leichtere Los des Widerspruchs wählen. Das ist ein starker Gedanke: Die Freiheit, den Kompromiss zu wählen.
Wir sehen an der Stelle: Du lieber Manfred, bist der Free-Jazzer der Politik. Einer, der auch als politischer Solist, immer an die ganze Band denkt.
Und deshalb kann man, selbst bei großer Liebe für den Jazz, auch akzeptieren, dass Deine Posaune seit vielen Jahren gut eingefettet auf dem Schrank liegt.
Ich bin mir sicher, wir werden von Dir noch viel über die Kunst der Freiheit hören, vielleicht nimmt ja auch mal jemand die Posaune vom Schrank, zu Beispiel zu Deinem 90ten.
Jetzt ist es aber noch nicht so weit und ich wünsche Dir erst einmal, wenn auch etwas verspätet: alles Gute zum 80. Geburtstag!
Vielen Dank!
Es gilt das gesprochene Wort.