Rede zur Auftaktveranstaltung der Mitgliederversammlung MenschSein stärken des Internationalen Bundes Freier Träger
Sehr geehrte Frau Staatsministerin,
sehr geehrte Frau Merkel,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
vielen Dank für die Einladung, ich freue mich, dass Sie nach Hamburg gekommen sind. Hamburg ist eine offene Stadt dafür steht das große Tor in unserem Wappen.
Wir nennen unseren Hafen das Tor zur Welt, warum das so ist, können Sie an den Schriftzügen auf den Containern sehen, an den Schiffen und natürlich an den Zahlen, die Hamburg als international bedeutenden Umschlagplatz kennzeichnen. Wir wissen, tausende Arbeitsplätze in der Metropolregion Hamburg sind von der Internationalität der Wirtschaft abhängig, entsprechend vernetzt sind Unternehmen und Betriebe. Auch Forschung und Lehre sind mit allen Kontinenten verbunden: Das Studium an den Hamburger Hochschulen ist immer auch das Studium der Erfahrungen, die andere machen. Keine Frage, dass auch die Einwohnerinnen und Einwohner Hamburgs international sind.
Die Sehnsucht nach einem besseren Leben, Frauen und Männer, die hier Arbeit suchen aber auch Flucht und Migration haben Hamburg geprägt. Jeder dritte Hamburger und jede dritte Hamburgerin sind zugewandert oder Nachfahren von Zuwanderern. Bei den Jugendlichen ist es sogar fast jeder zweite, viele sind in Hamburg geboren. Die Stadt ist international und immer in Bewegung.
Seit über 50 Jahren ist der Internationale Bund Freier Träger in Hamburg aktiv, wir kennen den IB als kompetenten und verlässlichen Experten für Beratung und Bildung, für Jugendliche, Familien und Kinder an über 50 Standorten. Sie haben sich für Ihre Tagung einen sehr passenden Ort ausgesucht und auch ein sehr aktuelles Thema.
Meine Damen und Herren,
morgen, am 20. Juni, ist Weltflüchtlingstag. Die Vereinten Nationen haben dieses Datum vor gut 15 Jahren anlässlich des 50. Jahrestags des Abkommens über die Rechtsstellung von Flüchtlingen ausgewählt. Die Zahlen, die das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen UNHCR zusammenstellt, machen deutlich, dass Flucht und Vertreibung eine globale Herausforderung sind. Über 50 Millionen sind auf der Flucht, die meisten Flüchtlinge werden von den Nachbarländern der Krisenregionen aufgenommen. Internationale Hilfsorganisationen und UNHCR sorgen sich um Unterbringung und Perspektiven, die allermeisten wollen in ihre Länder zurück.
Auch Europa ist gefordert. Immer mehr Verantwortliche in der Europäischen Union haben verstanden, dass die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen ein abgestimmtes Verhalten erforderlich macht. Es ist auf Dauer nicht gut, weder für die Betroffenen noch für die EU insgesamt, wenn Staaten wie Deutschland und Schweden den Großteil der Schutzsuchenden aufnehmen. Es gibt gute Lösungsvorschläge dazu, wie regionale Faktoren, Wirtschaftskraft, Einwohnerzahlen und Arbeitslosenquoten berücksichtigt werden können.
Die Unterbringungen und Eingliederung von Flüchtlingen ist auch für eine so große Stadt wie Hamburg eine enorme Aufgabe. Die Innenbehörde hat gerade die aktuellen Zahlen zusammengestellt. In Hamburg leben derzeit 25.379 Personen mit Flüchtlingsstatus. Die meisten flüchten vor dem Bürgerkrieg in Syrien, andere kommen aus Afghanistan, Serbien, dem Kosovo, Albanien oder Eritrea.
6.600 Flüchtlinge haben 2014 einen Asylantrag gestellt. In diesem Jahr ist die Aufgabe noch einmal größer: Bis Mai hat Hamburg bereits 4.337 Flüchtlinge aufgenommen, wir rechnen damit, dass es bis zum Jahresende 11.000 sein werden.
Meine Damen und Herren,
MenschSein stärken, nennen Sie das Programm, die Vision der Mitgliedsorganisationen und das Ziel des Internationalen Bundes Freier Träger. Das ist anspruchsvoll und auch sehr passend. Man muss allerding schon ein bisschen nachdenken. Denn was den Menschen ausmacht, wie unsere anthropologischen Konstanten sind, ist ja durchaus diskutierbar. Auch werden zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Kulturen je andere Schwerpunkte gesetzt. Die Frage, was ist der Mensch, was macht ihn stark, kann nur auf die Menschenrechte verweisen. Kinder, Jugendliche und Erwachsene stärken, heißt vor allem Menschenrechte stärken: Die Stärkung der Menschenrechte und die Fähigkeit, sie nutzen zu können.
Das gilt auch für die Politik in Hamburg. Unsere Aufgabe ist es, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass jede und jeder die Chance hat, das Leben nach eigenen Vorstellungen und in eigener Verantwortung zu führen. Wir nennen Hamburg deshalb auch eine Stadt der Chancen.
Auch denen, die ihre Länder verlassen müssen, die in großer Zahl vor Krieg und Verfolgung fliehen, eine faire Chance zu geben, das ist die Herausforderung, die sich uns stellt.
Wir müssen zunächst die unmittelbare Not beseitigen, das heißt, wir müssen dieses Jahr 10.000 neue Unterbringungsplätze schaffen. Wir werden sicherstellen, dass jeder Einzelfall fair bewertet und zügig die Bleibeperspektive geklärt wird. Wir müssen kreativ und solidarisch Lösungen für eine große Zahl von Personen finden. Das ist eine enorme Aufgabe für Politik, Verwaltung und auch für die Bürgerinnen und Bürger.
Von Gewalt, Krieg und Verfolgung geprägte Biografien kennen die meisten allenfalls aus Romanen. Es sind selten schöne Geschichten. Der US-amerikanische Journalist Dave Eggers hat in seinem Buch Weit gegangen die Flucht eines Jungen aus dem Sudan sehr eindrucksvoll nacherzählt. Auch immer mehr Hamburgerinnen und Hamburger verlieren die Scheu vor der Begegnung. An vielen Orten der Stadt entsteht eine bunte und herzliche Kultur der Unterstützung für Flüchtlinge. Nachbarn organisieren preiswerte Telefonverbindungen nach Syrien, ehemalige Lehrerinnen geben Sprachkurse, gemeinsame Musik und Ausflüge lassen neue Freundschaften entstehen. Die Solidarität der Bevölkerung unterstützt die Angebote der Stadt und der freien Träger.
Über die Ersthilfe hinaus, gilt es, die Fähigkeit zu stärken, das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Kernelemente der Flüchtlingspolitik in Hamburg sind deshalb Sprachkurse, Bildung und Integration in den Arbeitsmarkt.
Meine Damen und Herren,
viele Hamburgerinnen und Hamburger lernen Sprachen, das gehört zur Ausbildung und ist sehr wichtig. Schon in Kitas werden fremdsprachige Lieder gesungen, Fremdsprachen sind Teil der fortgeschrittenen Schulbildung und weiter geht es in Sprachkursen für den Job oder um sich auf den nächsten Urlaub vorzubereiten.
In ganz anderer Weise elementar ist die Sprachförderung für Leute, die als Fremde nach Deutschland kommen und hier bleiben: Deutsch als Fremdsprache zu lernen ist über alle biografischen Stationen hinweg notwendig. Wer die Sprache spricht, wird das Land kennen lernen, die Zeitung lesen und als Vater oder Mutter auch den Kindern bessere Unterstützung geben.
Sprache ist die elementare Basis des Miteinanders. Kooperation braucht Sprache, das ist Integration. Deshalb multipliziert sich jeder Euro, den wir in Sprachkurse investieren um ein Vielfaches.
Hamburg finanziert seit 2009 Deutschkurse für Flüchtlinge.
Insgesamt stiegen die Kosten für die Unterstützungen von Flüchtlingen in Hamburg 2014 auf etwa 300 Millionen Euro.
Es gibt Sprach- und Integrationskurse, die verpflichtend sind und die aus Bundesmitteln finanziert werden, das ist mit dem Zuwanderungsgesetz von 2005 geregelt worden. Die Kurse laufen gut, sie haben einen guten Ruf, sie wirken. Aber die Kurse sind bisher nicht für Flüchtlinge gedacht. Diese Gesetzeslücke war Thema des gestrigen Gesprächs zwischen Bund und Ländern.
Bundesregierung und die Landesregierungen sind sich einig, dass es mehr Maßnahmen zur Integration geben muss. Einigkeit besteht auch darin, Integrationskurse, Sprachmodule und berufsbezogene Sprachförderung für Flüchtlinge zu öffnen. Dafür wird es gesetzliche Regelungen geben. Das ist ein guter Erfolg, der die Startbedingungen für Asylbewerber und Geduldete mit Bleibeperspektive deutlich verbessern wird.
Meine Damen und Herren,
wer erwachsen ist, will für sich und die Familie sorgen können. Erwerbsarbeit stärkt das Selbstbewusstsein und reduziert die Kosten für Hilfsleistungen. Integration ist deshalb immer auch Integration in den Arbeitsmarkt. Der Senat hat sich vorgenommen, Flüchtlingen den Zugang zu Bildung, Ausbildung und Arbeit zu erleichtern.
Es ist gut, dass auf Bundesebene bereits entsprechende Rahmenbedingungen im Beschäftigungsrecht und im Bereich der Ausbildung gelockert wurden. Diese Veränderungen wird Hamburg nutzen. 15.000 Stellen waren im vergangenen Jahr in Hamburg frei, allein 483 Ausbildungsstellen konnten nicht besetzt werden.
Die meisten Flüchtlinge, die erwerbstätig sein könnten, etwa 40 Prozent, sind jünger als 25 Jahre. Deshalb sind besonders Angebote für Jugendliche gefragt. Wir haben mit den Leitungen der Jugendämter vereinbart, das Projekt JugendAktivPlus für die berufliche Integration von jungen Flüchtlingen zu nutzen. Das machen wir zum Beispiel in Bergedorf auch gemeinsam mit dem Internationalen Bund.
Einer unserer größten Erfolge im Bereich der beruflichen Förderung ist die Jugendberufsagentur. Sie ist schon jetzt für Flüchtlinge offen. Andere Bundesländer orientieren sich an diesem Modell, kommen zu uns und fragen, wie es geht. In jedem Hamburger Bezirk das ist hier die kommunale Verwaltung arbeiten vier Behörden eng zusammen. Viele der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch die meisten Kundinnen und Kunden haben eine Einwanderungsgeschichte.
Dennoch gilt: Die Unterstützung erfolgt individuell ohne Einteilung nach sozio-kulturellen Merkmalen. Darin liegt der Erfolg: Es geht darum, dass Schulabschlüsse gemacht werden, der Übergang von der Schule in den Beruf klappt und kein Jugendlicher verloren geht. Jeder Jugendliche, der die Schule verlässt, hat damit die Perspektive, ein eigenverantwortliches Leben führen zu können.
Meine Damen und Herren,
MenschSein zu stärken, haben Sie sich vorgenommen. Das ist ein sehr anspruchsvolles Ziel, das fordert den ganzen Menschen.
Ich denke dabei weniger an die parallele Bewältigung von Tätigkeiten, die Ihre Jobs kennzeichnen. Sondern vielmehr an die Vielfalt der Themen und die geradezu unendlichen Anforderungen. Und ihre Arbeit ist eine soziale Arbeit, das heißt, Sie sind als Persönlichkeit gefordert, die eigenständig, stark und zugewandt sein muss.
Das ist nicht einfach und ich könnte mir vorstellen, dass auch Sie hin und wieder gestärkt werden müssen. Anerkennung ist oft eine knappe Ressource.
Deshalb möchte ich noch einmal deutlich sagen: Sie machen eine großartige Arbeit. Sie stärken Persönlichkeiten, Sie sorgen dafür, dass es mehr Respekt und Wertschätzung gibt, Sie kümmern sich um Gerechtigkeit und Solidarität.
Ich danke Ihnen Frau Merkel und den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Einrichtungen des Internationalen Bundes Freier Träger für dieses Engagement!
Herzlichen Dank.
Es gilt das gesprochene Wort.