Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren!
Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, aber auch vieler anderer Länder in Europa haben in den letzten Jahren viele Krisen erlebt: Corona, ein Krieg in unserer Nähe, unmittelbar, den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, nicht weit weg von hier, von Berlin. Und wir wissen, dass es gar nicht weit weg davon noch einen anderen großen Konflikt gibt, der uns jeden Tag beschäftigt: nach dem brutalen Überfall der Hamas auf israelische Bürgerinnen und Bürger ein Krieg im Nahen Osten. – Und selbstverständlich gehören zu all diesen Dingen auch die Konsequenzen des russischen Angriffskriegs: Inflation, die sich daraus entwickelt hat, Energiekrisen, die wir bewältigen mussten.
Ständige Krisenerfahrungen haben Vertrauen erschüttert; das kann man gar nicht anders sagen. Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass wir darüber reden. Die Europawahlen, die jetzt nicht lange zurückliegen, haben das auch bestätigt: Es hat eine klare Auswirkung, dass so viele Krisen gleichzeitig das Vertrauen und das Sicherheitsgefühl infrage gestellt haben; das gilt für Europa, das gilt auch für Deutschland. – Und dem müssen wir uns stellen.
Auch bei uns haben in 70 Städten und Landkreisen die Bürgerinnen und Bürger am meisten eine Partei gewählt, die vieles von dem, was uns hier in dieser Debatte zusammenführt, infrage stellt, zum Beispiel die europäische Perspektive und die gesellschaftliche Integration, die damit verbunden ist. Übrigens hängt die europäische Perspektive unmittelbar mit der deutschen Einheit zusammen und mit dem Glück, das wir Deutschen haben, dass wir wieder zusammengekommen sind. Ich sage es ganz klar: Europa ist für Deutschland eine zentrale nationale Aufgabe.
Das gilt auch für die Frage unserer Mitarbeit im transatlantischen Bündnis und der Nato, über die ich auch hier sprechen werde. Auch die ist zentral für das Staats- und Sicherheitsverständnis Deutschlands. Wir bekennen uns zum transatlantischen Bündnis und zur Perspektive unseres Landes in der Nato.
Sie haben eine Partei gewählt, die gemeine Sache macht mit den politischen Vorschlägen des russischen Präsidenten und die auf ganz klare Weise das nicht richtig findet, was die meisten Bürgerinnen und Bürger, aber auch die allermeisten hier im Hause richtig finden, nämlich dass es notwendig ist, die Ukraine zu unterstützen. Auch das müssen wir konstatieren.
Und natürlich geht es auch um Demokratie und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft; denn wenn die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes gegeneinander aufgebracht werden, dann ist das eine Gefahr für die Demokratie und den Zusammenhalt. Und wenn gegen einen Teil der Bürgerinnen und Bürger – 25 Prozent derjenigen, die hier leben – gehetzt wird, dann ist das für Zusammenhalt und Demokratie eine Herausforderung. Wir werden das nicht hinnehmen.
Das Wahlergebnis ist also ein Einschnitt, und es zeigt eben, wie ich eingangs schon gesagt habe, dass ganz offenbar angesichts all der vielen Krisen vielen die Zuversicht abhandengekommen ist. Deshalb ist auch klar, worum es geht bei dem, was wir heute besprechen, aber auch bei dem, was wir jetzt, in diesem Jahr und den nächsten Jahren zu tun haben: Wir müssen dafür sorgen, dass Zuversicht wieder wächst in Deutschland und in Europa, in vielen Ländern der Welt, und wir müssen Zuversicht dort, wo sie fehlt, neu begründen.
Eines ist auch ganz klar: Ein Zurück in die gute alte Zeit, die meistens nie so gut war, wird es nicht geben.
Wir brauchen eine politische Perspektive, wie man in unsicheren Zeiten eine gute Zukunft gewinnen kann. Das muss das sein, worum es uns hier geht. Worum es nicht geht, will ich auch sehr klar sagen: einen Wettbewerb mit den Populisten und Extremisten, die die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger für ihre Zwecke missbrauchen. Vielmehr geht es eben immer um Antworten in der Sache; ja, es geht um Antworten in der Sache.
Wir sind eine offene Gesellschaft, eine Gesellschaft, die zusammenhält, die auf den Talenten und den Fähigkeiten vieler aufgebaut ist, auch derjenigen, die zu uns gekommen sind. Gleichzeitig gehört aber eben auch das Management der irregulären Migration dazu. Dort haben wir mit vielen weitreichenden Entscheidungen Ergebnisse erzielt, über die zu reden ist und an denen weiterzuarbeiten ist.
Die Zahl der Asylbewerber ist um 18 Prozent in den ersten Monaten dieses Jahres zurückgegangen, und bei den Abschiebungen, die wir durchführen, hat es eine Steigerung um zwei Drittel gegeben. Das zeigt: Konkrete praktische Antworten in der Sache sind das, was möglich ist, und das, worauf wir uns konzentrieren sollten.
Die Zeiten sind eben wirklich ernst und deshalb auch viel zu ernst für Scheinlösungen und Slogans. Was wir tun müssen, ist, die Sicherheit zu stärken – die Sicherheit im Inneren, im Äußeren, um die es hier geht. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Infrastruktur wächst und unsere Wirtschaft modernisiert wird. Wir müssen dafür sorgen, dass wir eine neue, moderne Energieversorgung haben. Das alles sind große Vorhaben; aber um die geht es. Und es geht darum, dass wir alles tun, damit wir da erfolgreich sind. Denn das ist die Basis der notwendigen Zuversicht.
Klar, dazu gehört es dann auch, um den richtigen Weg zu ringen. Das wird umso schwieriger, wenn all die Fragen, die mit Entscheidungen beantwortet werden müssen, nicht schon für jeden klar sind. Das Ringen um den richtigen Weg ist normal; aber es darf durch die Art und Weise, wie es geschieht, die Krisen und die Krisenwahrnehmung nicht noch mal verschärfen. Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass wir jetzt in dieser Situation sagen können, dass bei der einen großen Aufgabe hier in diesem Land, die jetzt unmittelbar vor uns steht, nämlich der Frage, wie wir den Haushalt in so herausfordernden Zeiten aufstellen wollen, sehr kollegiale Gespräche in der Bundesregierung stattfinden und es sachorientiert ist. – Sie sind im Wesentlichen auf Mutmaßungen angewiesen, weil wir es unter uns machen, so wie es sich in einer gut geführten Regierung auch tatsächlich gehört.
Wir reden übrigens nicht nur über den Haushalt, sondern auch über das, was wir an wirtschaftlicher Dynamisierung brauchen, also über einen Wachstumsturbo für unser Land. Denn es ist ja offensichtlich: Genau das brauchen wir jetzt.
Wir werden den Haushaltsentwurf im Juli vorlegen. Dabei haben wir klare Prioritäten: Sicherheit im Inneren und Äußeren – ich habe schon darüber gesprochen – ist ein zentrales Thema. Ohne Sicherheit ist alles nichts. Und das werden wir mit dem, was wir hier auf den Weg bringen, auch zum Ausdruck bringen.
Es geht auch um den Zusammenhalt. Es darf keine Einschnitte geben bei der sozialen Gerechtigkeit, bei Gesundheit, Pflege oder Rente. Auch das ist eine klare Priorität der von mir geführten Bundesregierung.
Und natürlich geht es eben auch um mehr Wachstum. Wir brauchen in unserer Gesellschaft Wachstum. Die Wachstumsraten der letzten Jahre und Jahrzehnte sind viel zu gering. Wir müssen etwas dafür tun, dass wir die Herausforderungen, vor denen wir stehen, angehen, damit es mehr Wachstum gibt. Denn das ist aus meiner Sicht doch auch wichtig: Wenn der Kuchen wächst, gibt es mehr miteinander gemeinsam zu regeln. Und das ist mit dem Wachstum verbunden.
Das schützt uns auch vor der größten Herausforderung moderner Gesellschaften, einer Herausforderung, mit der nicht nur Deutschland, sondern praktisch alle Staaten Europas, auch Nordamerika und viele, viele andere konfrontiert sind: eine unglaubliche Ausbreitung des Nullsummendenkens. Das Nullsummendenken führt nur zu Neid und Missgunst und nicht zum Miteinander. Wir müssen die Dinge nach vorne entwickeln, auch durch Wachstum, auch durch Investitionen und das, was wir machen.
Deshalb geht es darum, dass wir die Investitionsoffensive fortführen und weiterentwickeln für das, was wir tun. Deshalb geht es auch darum, dass wir Arbeit weiter attraktiv machen – noch mehr, als es der Fall ist –, auch, indem wir Bedingungen schaffen, die gut sind für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zum Beispiel freiwillig länger weiterarbeiten wollen, indem wir uns kümmern um die Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit von Eltern oder indem wir diejenigen unterstützen, die einfach noch mehr anpacken wollen. Alles das sind Dinge, die dazugehören, damit wir diese Vorwärtsbewegung hinbekommen.
Und natürlich geht es auch darum, dass wir dort, wo staatliche Leistungen missbraucht werden, strikt dagegen vorgehen. Es kann nicht akzeptiert werden, dass einige zum Beispiel Bürgergeld kriegen und gleichzeitig schwarzarbeiten. Deshalb werden wir das, was wir an Gesetzen in den letzten Jahren auf den Weg gebracht haben, weiterentwickeln, weil wir das unmoralisch, unsolidarisch und unanständig finden. Wir werden den gesetzlichen Rahmen schaffen, damit das nicht weiter passiert.
Wir werden auch unsere Unternehmen dabei unterstützen, zu investieren, eine positive Agenda entwickeln zu können für ihre eigenen Investitions- und Zukunftspläne – mit Vereinfachungen im Steuerrecht, mit Bürokratieabbau, aber auch mit Dingen, die wir schon mal angepackt haben, wie Abschreibungen, die wir verbessert haben und gerne mehr verbessert hätten, oder Forschungsförderung.
Es gibt also viel zu tun. Mehr Sicherheit, mehr Zusammenhalt, mehr Wachstum: Das sind die Prioritäten für unser Land.
Das sind aber auch die Prioritäten, um die es in der Europäischen Union geht. Drei von vier Deutschen, drei von vier Europäerinnen und Europäern stimmen eben nicht für populistische und extremistische Parteien, sondern für proeuropäische Kräfte. Denen sind wir verpflichtet. Und das darf in der Diskussion jetzt nicht untergehen: Es sind drei von vier in Europa.
Deshalb habe ich mich auch dafür eingesetzt, dass sich die Kommission im Parlament nicht abhängig macht von extremistischen und populistischen Kräften. Das wäre ein schlimmes Vabanquespiel gewesen. Wir brauchen nämlich mehr Geschlossenheit und nicht weniger. Und deshalb ist es gut, dass es im Europäischen Parlament eine klare Mehrheit der konstruktiven, proeuropäischen Parteien gibt, und ich erwarte, dass sich die künftige Kommission exakt auf eine solche Mehrheit im Parlament stützt.
Ich habe in den letzten Tagen viele Gespräche mit den Vertretern der anderen großen Parteienfamilien geführt: mit Herrn Mitsotakis und Herrn Tusk, mit Herrn Macron und Herrn Rutte, auch mit meinem Freund Pedro Sánchez. Gemeinsam haben wir unsere Positionen über die Besetzung der europäischen Spitzenpositionen miteinander abgestimmt. Und da gibt es eine gemeinsame Haltung, die ja auch bekannt geworden ist. Wir schlagen vor, dass António Costa der künftige Präsident des Europäischen Rates wird, dass Ursula von der Leyen die Präsidentin der Europäischen Kommission wird und dass die baltische Politikerin Kaja Kallas die Hohe Vertreterin wird. Das sind aus meiner Sicht gute Besetzungen und klare Entscheidungen für eine gute europäische Zukunft.
Klar, das ist erst mal nur die Position von drei Parteienfamilien; aber sie haben im Parlament eine Mehrheit, und viele, die das so ähnlich sehen, sind deshalb mit dabei, wie auch hier, bei der Regierung in Deutschland. Deshalb hoffe ich sehr, dass auch der Europäische Rat, der nun morgen zusammenkommt, diese Verständigung erreichen wird. Wir dürfen uns keine Hängepartie in diesen schwierigen Zeiten leisten. Die Bürgerinnen und Bürgern erwarten keinen Streit um Posten, sondern schnelle Arbeit der europäischen Institutionen.
Wir beraten morgen auch über die Schwerpunkte für die kommenden Jahre in Europa, und da setzen wir die Themen ganz oben auf die Agenda, die den Bürgerinnen und Bürgern am meisten unter den Nägeln brennen.
Da geht es um die Sorge um den inneren und äußeren Frieden und die Sicherheit. Dazu gehört übrigens auch, dass wir die Dinge voranbringen, die wir jetzt schon vereinbart haben, also eine schnelle Umsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, die nach so vielen Jahren der Beratung jetzt gelungen ist. Das muss auch für die Praxis in der Zukunft eine große Rolle spielen. Es geht um Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum, und es geht natürlich auch darum, dass wir uns klar positionieren, wenn es um die Erweiterung der Reform der Europäischen Union geht, darum, wie wir sie handlungsfähiger machen.
Das erste Stichwort: Frieden und Sicherheit. Sagen wir es klar: Putin setzt weiter voll auf Krieg und Aufrüstung. Darüber darf niemand hinwegsehen, und das wird am deutlichsten an seinem vermeintlichen Waffenstillstandsangebot. Man traut sich ja gar nicht, das so auszusprechen; aber es lohnt ja doch, mal genau hinzugucken. Das war ja nicht nur ein Waffenstillstand; nein, da stand auch noch drin, dass Gebiete, die die russischen Truppen noch gar nicht besetzt haben – widerrechtlich, rechtswidrig –, auch noch hergegeben werden sollen von der Ukraine, dass sie sich entmilitarisieren soll, dass sie auf jeden militärischen Beistand in der Zukunft verzichten soll. Wer glaubt, dass das Land, die Ukraine, das überleben würde und dass daraus ein dauerhafter Frieden in Europa wird, der muss schon sehr viel Russia Today schauen.
Ja, leider will Russland keinen Frieden; aber die angegriffene Ukraine will Frieden, einen gerechten Frieden ohne Unterwerfung und Angst vor neuer Aggression. Und dafür steht der Friedensplan der Ukraine, dafür steht auch die Friedenskonferenz, die vor Kurzem in der Schweiz stattgefunden hat. Klar – ich habe das auch vorher, auch hier im Deutschen Bundestag gesagt –, das war nur ein zartes Pflänzchen und sollte auch niemals mehr sein; aber wir haben ja nicht so viel, und wir müssen einen ersten Schritt gehen, der das gewesen ist.
Deshalb sind ganz bewusst humanitäre Fragen in den Mittelpunkt gestellt worden, über die ein breiter internationaler Konsens herstellbar ist und existiert. Über solche Fragen zu diskutieren: Das kann die Annäherung bringen, die Annäherung möglich machen, die wir alle so sehnlich erhoffen. Aber wir sollten uns nichts vormachen: Der Weg wird lang und schwer. Trotzdem ist es richtig, dass es diese Konferenz gegeben hat und dass wir uns so bemühen.
Russland muss die klare Erwartung der Weltgemeinschaft spüren, sich nicht länger einer Möglichkeit für den Frieden zu verweigern. Putin muss erkennen: Er wird das Ziel der Unterwerfung der Ukraine auf dem Schlachtfeld nicht erreichen.
Deshalb gibt es jetzt auch klare Zeichen, zum Beispiel die Beitrittskonferenz mit der Ukraine und Moldau, die jetzt im europäischen Umfeld eröffnet worden ist. Das war auch schon so mit der Wiederaufbaukonferenz, die hier in Berlin stattgefunden hat und wo sehr viele sehr praktische Vereinbarungen für den Wiederaufbau getroffen worden sind, wo unzählige Deutsche und andere Unternehmen sich engagieren und investieren, was ein gutes und wichtiges Zeichen ist.
Aber das war auch so mit dem G7-Treffen in Italien – ein wirklich gelungener Gipfel mit sehr, sehr weitreichenden Ergebnissen, zum Beispiel mit der Vereinbarung, 50 Milliarden Dollar an Krediten für die Ukraine bereitzustellen. Das ist eine klare Botschaft: Wir nutzen die Windfall Profits aus den eingefrorenen russischen Vermögenswerten, um einen Hebel daraus zu machen, der uns in die Lage versetzt, schnell, zügig und in der Zeit, um die es geht, auch die Mittel für Waffenhilfe, für Wiederaufbau, für wirtschaftliche Kooperation und für humanitäre Hilfe zur Verfügung zu stellen.
Das Kalkül des russischen Präsidenten, dass es an den fiskalischen Restriktionen der europäischen Länder oder der USA scheitern wird, der Ukraine jetzt und in der nächsten Zeit den Beistand zu geben, den sie braucht, ist mit dieser G7-Entscheidung zusammengebrochen, und deshalb war sie so wichtig. Der russische Präsident wird seine Lehren daraus ziehen müssen. Wir jedenfalls lassen nicht nach.
Präsident Selenskyj hat hier im Bundestag gesprochen, und es war beeindruckend. Ich glaube, alle, die zugehört haben, haben auch gemerkt, dass es eine klare europäische Perspektive ist, die er verfolgt. Es geht darum, die Grundlagen für ein Europa des Friedens, des Völkerrechts und der Prinzipien der Vereinten Nationen hochzuhalten. Das müssen wir auch für die Zukunft.
Aber ich will ausdrücklich sagen – auch an dieser Stelle und gerade weil wir jetzt über dieses Thema sprechen –: Dass so viele Abgeordnete von dort, und von dort weiter hinten, nicht hier gewesen sind: Das war falsch, das war feige und dieses Hauses unwürdig.
Eines der zentralen Gebote europäischer Sicherheit ist auch die engere Zusammenarbeit Europas bei Rüstung und Verteidigung. Auch darum wird es gehen, wenn wir in Europa zusammenkommen. Deutschland investiert mehr; Deutschland liegt jetzt klar oberhalb des Zwei-Prozent-Ziels. Und gerade deshalb ist es wichtig, dass wir noch enger miteinander kooperieren, weil wir dann mit dem Geld, das wir investieren, viel größere Effekte erzielen können, zum Beispiel mit der European Sky Shield Initiative oder etwa, wenn es um Fragen der Produktion geht, eine ganz zentrale Fragestellung für die Sicherheit und Zukunft der Verteidigung. Das stärkt den europäischen Pfeiler der Nato, und das ist das, worum es geht, auch wenn wir jetzt auf den künftigen Nato-Gipfel blicken.
Dieser Nato-Gipfel in Washington wird zugleich das 75-jährige Jubiläum der Nato sein – ein wichtiges Datum, das für unsere Sicherheit von allergrößter Bedeutung ist. Es hat in den letzten Jahren und teilweise auch schon Jahrzehnten immer wieder Diskussionen gegeben, ob das denn noch eine Perspektive ist, ob die USA sich überallhin sonst in der Welt wenden und nicht mehr gemeinsam mit uns Europas Sicherheit gewährleisten wollen. Dem ist nicht so. Wir konnten uns – das muss hier an dieser Stelle festgehalten werden – auch in schwierigen Situationen immer auf die Vereinigten Staaten von Amerika verlassen. Und dabei bleibt es auch jetzt. Die transatlantische Sicherheit ist von zentraler Bedeutung, auch wenn wir an die Sicherheitsperspektiven der Ukraine denken.
Ich bin dem jetzigen amerikanischen Präsidenten, Joe Biden, ausdrücklich dafür dankbar, dass er wie kaum ein anderer für diese transatlantische Zusammenarbeit steht, für die enge Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA. Und ich kann hier gerne versichern: Wir werden weiter in engster Abstimmung mit unseren amerikanischen Freunden miteinander arbeiten.
Der Nato-Gipfel wird auch eine stärkere Rolle der Nato bei der Koordinierung von Unterstützung und Training für die Ukraine zum Gegenstand haben. Und das machen wir mit klaren Beschlüssen und konkreten Verabredungen, wobei aber gleichzeitig sehr klar ist – und das ist mir wichtig hier festzuhalten -: Durch das, was wir dort machen, wird die Nato nicht Teil des Konfliktes. Diese Grenze überschreiten wir nicht und werden wir nicht überschreiten.
Auch in dieser Frage ist also große Einigkeit in der Nato. Und ich will das gerne sagen: Es ist schön, dass sich das auch an diesem Tag, während wir hier debattieren, symbolisiert in der Verständigung der Botschafterkonferenz auf den künftigen Generalsekretär. Herzliche Glückwünsche an Mark Rutte! Er wird ein ausgezeichneter Nato-Generalsekretär werden.
Die weitere Priorität, über die wir uns auch in Europa unterhalten, sind gute Arbeitsplätze und eine starke, wettbewerbsfähige Wirtschaft. Klar, da sollten wir nicht nur nach Europa schauen; da müssen wir auch auf uns selber gucken.
Ein bisschen ist das für mich so, wie wenn man wieder mit dem Sport anfängt. Ich zählte zu denen, die jahrelang keinen Sport gemacht haben und dann plötzlich anfingen, das wieder zu machen. Am Anfang ist das sehr mühselig; aber mit jeder Runde und umso länger man das macht, nimmt die Ausdauer zu und wird man fitter und schneller. Und genau das ist der Prozess, in dem wir uns gerade befinden. Nach Jahrzehnten, in denen für die Fitness der deutschen Wirtschaft nicht das Notwendige getan worden ist, sorgt die jetzige Regierung dafür, dass die notwendigen Entscheidungen getroffen werden.
Wir sind mit gerade mal 84 Millionen Einwohnern die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wir haben großartige Industrien mit Maschinenbau, Automobilindustrie, Pharma- und Technologiechampions, und wir werden dafür sorgen, dass diese und all die anderen, die vielen Mittelständler, auch in Zukunft weiter bedeutungsvoll sein können.
Es ist gut, dass wir jetzt sehen, dass es auch künftig so sein wird und neue Geschäftsmodelle dazukommen: Hightechindustrien, die sich gerade in großem Umfang in Deutschland ansiedeln, Mikroelektronik, Biotechnologie, Pharmaproduktion, Batterieherstellung, Software- und Digitalunternehmen. Das allerjüngste Beispiel ist Amazon: Zehn Milliarden Euro nach einer kurz zuvor schon erfolgten Ankündigung von sieben Milliarden Euro, die in Brandenburg investiert werden – alles zusammen 17 Milliarden Euro. Das ist ein klares Bekenntnis zum Investitionsstandort Deutschland. Das ist das, worum es geht.
Auf diese Stärken müssen wir aufbauen, anstatt das Land kaputtzureden. Manchmal erinnert mich das an das Geraune vor der Europameisterschaft. Noch Anfang des Jahres haben viele in Deutschland große Skepsis gehabt über die Zukunftsperspektiven von Fußball-Deutschland. Dann zwei wichtige Siege im Frühjahr, Spirit im Team, und im Land hat sich ganz schön viel verändert. Deshalb sage ich auch: Was wir alle gemeinsam brauchen, sind Zuversicht und Selbstvertrauen in unsere Stärke und unsere Möglichkeiten.
Deshalb haben wir auch dafür gesorgt, dass die Pläne und die Entscheidungen für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung in Deutschland stehen. Das ist ja ewig lang nicht der Fall gewesen. Jetzt kann man denjenigen, die das wissen wollen, klare Auskünfte geben, ob das wohl klappen wird mit der Veränderung unserer Stromproduktion, unseres Energiesystems. Die meisten der dazu notwendigen Entscheidungen sind getroffen.
Nun geht es heute nicht darum, das hier alles im Einzelnen darzulegen. Aber ich will von den Ergebnissen sprechen: Der Ausbau der Photovoltaik boomt, 88 Gigawatt schon im Mai statt Dezember; die Genehmigungszeiten bei Windkraft sind um vier Monate gefallen, statt 4.000 Megawatt an Windanlagen wurden 8.000 Megawatt genehmigt; das Stromnetz wird dramatisch ausgebaut.
Ja, während wir bisher in diesem Deutschen Bundestag, in der letzten Legislaturperiode und der davor, immer darüber diskutiert haben, dass die Stromtrassen später fertig werden, haben wir mit den Entscheidungen, die wir getroffen haben, jetzt zu vermelden: Die Stromtrassen werden schneller fertig als geplant. – Wann hat das in den letzten 20 Jahren in Deutschland mal jemand sagen können?
Aber das sind auch unsere Erwartungen an die Europäische Union, wenn es etwa um Bürokratieabbau geht, der für die Beschleunigung so zentral ist. Die Kommissionspräsidentin hat versprochen: 25 Prozent weniger. Wir nehmen sie beim Wort. Und die deutsch-französische Initiative um das voranzubringen, steht. Wir werden das Thema nicht weglassen, sondern gemeinsam vorantreiben.
Es geht auch darum, dass wir das, was für Europa so wichtig ist – der freie Handel mit der ganzen Welt –, vorantreiben. Ich sage hier ganz klar: Ich bin mit den Ergebnissen der Handelspolitik der Europäischen Union nicht zufrieden. Da muss sich dramatisch etwas ändern. Wir brauchen mehr Freihandelsabkommen, als wir sie heute haben. Wir haben unsere Kompetenz für Handelspolitik und Handelsverträge nicht an die Europäische Union abgegeben, damit keine Verträge geschlossen werden, sondern damit sie wirksamer, größer und schneller zustande kommen.
Das gilt für Indonesien, für Indien; das gilt für Mercosur und viele, viele weitere.
Und natürlich gilt das auch, wenn es um den Handel mit dem großen Land China geht. Deshalb bin ich sehr froh, dass es auch der Initiative des Kanzlers und meiner Regierung zu verdanken ist – Ja, das gefällt Ihnen nicht. Aber Sie könnten klatschen. Sie haben ja schon öfter geklatscht, auch an dieser Stelle wäre es möglich, Herr Merz. Also: Wir haben dafür gesorgt, dass jetzt nicht einfach die Züge aufeinander zufahren, sondern dass die Europäische Union und China jetzt über einen gemeinsamen Weg in der Frage der Autozölle sprechen. So muss man das machen, meine Damen und Herren.
Und im Übrigen ist eines der zentralen Projekte der Europäischen Union die Kapitalmarktunion. Ich will es hier noch mal sagen: Das ist zu lange eine Litanei, die einer dem anderen nachspricht, gewesen. Aber niemand hat genügend darauf hingewirkt, dass sich da was ändert. Die unterschiedlichen Wachstumsperspektiven zwischen Europa und den USA haben etwas damit zu tun, dass unser Kapitalmarkt fragmentiert ist, dass das viele Geld, das hier existiert, nicht in das Wachstum von Unternehmen investiert wird. Das ist nicht nur bei Start-up-Finanzierungen ein Problem gewesen, wo wir mit staatlichen Fonds nachgeholfen haben. Das ist auch bei der Wachstumsfinanzierung das entscheidende Problem. Wir brauchen einen funktionsfähigen Kapitalismus in Europa, der die Wachstumsfinanzierung der Unternehmen zustande kriegt.
Und natürlich brauchen wir auch Reformen. Es geht um Rechtsstaatlichkeit. Es geht darum, dass mehr Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden können. Es geht um klare Prioritäten, auch beim Haushalt der Europäischen Union. Nur wenn wir das machen, ist die Europäische Union auch erweiterungsfähig. Und nur wenn wir das machen, können wir auch dafür sorgen, dass sowohl wir als auch die Beitrittskandidaten von der weiteren Entwicklung profitieren.
Ich sage hier klar: Die Europäische Union ist auch noch heute das entscheidende Friedens- und Wohlstandsprojekt für unseren Kontinent. Sie ist wichtiger denn je, und sie kann sich auf Deutschland verlassen.