sueddeutsche.de: Herr Scholz, die SPD will Thilo Sarrazin jetzt möglichst bald aus der SPD werfen. Warum dieser neue Anlauf? Erst im März ist ein Parteiordungsverfahren gegen ihn gescheitert.
Olaf Scholz: Es hat in den vergangenen Tagen eine ganze Reihe von Äußerungen von Sarrazin gegeben, die nicht nur aber auch im Zusammenhang mit seinem Buch standen. Er hat Dinge gesagt, die mit den Grundvorstellungen der SPD nicht vereinbar sind.
sueddeutsche.de: Herr Sarrazin bestreitet vehement, gegen die Grundwerte der SPD zu verstoßen. Er sagt, er halte sich an wissenschaftliche belegbare Fakten. Können Sie Ihren Vorwurf konkretisieren?
Scholz: Die SPD lehnt grundsätzlich die Auffassung ab, dass die Herkunft, sei sie kultureller, familiärer oder ethnischer Art, das Leben der Menschen begrenzen darf. Es gehört zu unserem Grundanliegen, dass sich Menschen von den Fesseln der Herkunft befreien können. Das ist eine der ganz alten, humanistischen Traditionen der deutschen Sozialdemokratie.
sueddeutsche.de: Dem würde Sarrazin nicht widersprechen.
Scholz: Er entwickelt eine Theorie, wonach Intelligenz und daraus resultierend im Großen und Ganzen die soziale Schichtung vererblich sei und sich das Individuum kaum aus diesen Verhältnissen befreien könne - von wenigen Ausnahmen abgesehen. Das ist ein Weltbild, das die SPD nicht teilt. Es wird auch nicht besser dadurch, dass er das mit Thesen zur Genetik und Fragestellungen der Migrationspolitik vermengt.
sueddeutsche.de: Sarrazin sagt nicht, dass alles fest zementiert sei durch genetische Vorgaben, sondern dass es andere Lösungskonzepte geben muss, wenn man seinen Ansatz für den richtigen hält.
Scholz: Die Auffassung, dass man an seine Herkunft gefesselt ist, ist keine, die die SPD hat. Die hat sie schon seit Ihrer Gründung nicht.
sueddeutsche.de: Thilo Sarrazin ist vielen nicht erst seit seinem umstrittenen Buch ein Dorn im Auge. Er hat schon als Berliner Finanzsenator gerne und mit Leidenschaft provoziert und oft auch beleidigt. Kommen Sie nicht etwas spät mit dem Parteiordnungsverfahren?
Scholz: Die SPD ist eine demokratische Partei. Sie hält unterschiedliche Ansichten aus. Das muss sie auch. Es ist deshalb nicht so, dass wir das Parteiordnungsverfahren einleiten, weil uns die Mitgliedschaft von Sarrazin zu anstrengend geworden ist. Wir hätten viele seiner Thesen und manche der von ihm beschriebenen Zustände gerne mit ihm diskutiert. Aber eben nicht, wenn sie in einer solchen Mixtur präsentiert werden und mit politischen Überzeugungen verknüpft werden, die in der SPD keinen Platz haben.
sueddeutsche.de: Das Verfahren wird sich über Monate hinziehen. Sarrazin erfährt dadurch mehr Aufmerksamkeit, als Ihnen lieb sein kann. Befürchten sie nicht, dass Sie Sarrazin zu einer Art Märtyrer machen, wenn sie ihn rauswerfen?
Scholz: Nein.
sueddeutsche.de: Wie begründen Sie das?
Scholz: Die Aufmerksamkeit bekommt er ohnehin. Auch Sie verwenden ja Zeit und Platz dafür, über Sarrazin zu berichten. Das liegt aber nicht an uns, sondern an seinen Thesen und der Art und Weise, wie sie präsentiert werden. Hier macht jemand mit schlechtem Geschmack ein gutes Geschäft.
Das Interview führte Thorsten Denkler. Sie finden es auch unter www.sueddeutsche.de.