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02.09.2010

Hamburg von der Spree aus gesehen

Rede bei der "Treudelberger Landpartie" 

 

 

Ich bin in Hamburg aufgewachsen. Heute bin ich gebeten, aus der Perspektive eines Bundespolitikers von der Spree aus gesehen über Hamburg zu sprechen. Das grenzt an Persönlichkeitsspaltung. Denn ich betrachte Hamburg von hier aus. Und ich bin ein hamburgischer Patriot und stolz auf meine Stadt.


Aber immerhin: Ich habe als Abgeordneter ja auch eine Wohnung in Berlin. Und deshalb kann ich Ihnen erzählen, dass es sich anders anfühlt an der Spree und nicht an der Elbe zu sein. Liegt das an der sprichwörtlichen  Berliner Luft? Der regierende Bürgermeister von Berlin hat seine Stadt als Arm aber Sexy beschrieben. Für mich würde ich eher formulieren: Ganz nett in Berlin. Aber wo entsteht das Sozialprodukt?

Und damit zu Hamburg.


•    Hamburg gilt überall als wirtschaftlich stark
•    Vom Hafen haben alle gehört? Kaum einer weiß allerdings, dass Hamburg nicht nur eine Handels- und Dienstleistungsmetropole, sondern eine Industriestadt ist (Airbus, Lufthansatechnik, Werften, Aurubis etc.). Manchmal stelle ich mir allerdings auch die Frage: Wer weiß das eigentlich in Hamburg?
•    Hamburg hat viele erfolgreiche Wirtschaftszweige, und neudeutsch Cluster ( Medien, Internet, Luftfahrt, immer noch Schiffbau- und -reparatur, Logistik, Life Sciences, Umwelttechnologie etc.).
•    Unterschätzt wird der immer noch bedeutende Finanzplatz Hamburg. Es gibt über 50.000 Beschäftigte in der Branche aus Banken, Versicherungen, Börsen und Maklern. Damit liegt belegt Hamburg als Bank- und Versicherungsstandort jeweils den dritten Platz in Deutschland.

Alle denken, um die Stadt muss sich nicht kümmern. Und wirklich. Es kümmert sich nur selten jemand. Wie weit die Dinge gekommen sind, konnten wir Hamburger beim letzten Besuch der Kanzlerin in China feststellen. Von chinesischen Unternehmen auf die noch immer nicht abgeschlossene Fahrrinnenanpassung der Elbe angesprochen, antwortete sie nach vielen Berichten; man könne ja nach Wilhelmshaven fahren!
Schläft Hamburg? Die Frage stellt nicht nur vor dem Hintergrund schleppender Verkehrsinfrastrukturprojekte.


Können wir es uns leisten sanft zu träumen? Doch wohl nicht, wenn man an den Wegzug von Medienunternehmen wie Universal-(nach Berlin(!)) oder das Verschwinden ehemaliger Zentralen von Banken und Versicherungen im Rahmen globale Fusionsprozesse denkt.


Vor diesem Hintergrund  und angesichts ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und ihrer Tradition braucht unsere Stadt Hamburg  eine vernehmliche Stimme. Und Hamburger Bürgermeister müssen immer mal wieder etwas Bedeutendes zur Lage des Landes sagen. Sie müssen auch über die Stadt hinaus gehört werden.

Hamburg ist Globalisierung! Das ist zwar grammatikalisch eine ebenso furchtbare Formulierung, wie Wir sind Papst, aber ich glaube, jeder der schon mal den Blick über den Freihafen hat schweifen lassen, weiß genau, was ich damit meine. Die Containerwelt, ist ein sichtbarer Beweis dafür, wie viele Güter und Waren tagein, tagaus durch das Tor zur Welt geschleust werden. Der Hafenumschlag steigt wieder. Die weltweite Arbeitsteilung hat sich nicht geändert. Anders als manche sehr vorschnell geunkt haben.


Wie man vor diesem Hintergrund die Elbvertiefung so nachlässig betreiben kann wie es in den letzten Jahren geschehen ist und wie die ideologische Parole Hafen finanziert Hafen offizielle Senatspolitik werden kann, verstehe wer will!


Hamburg profitiert von der Exportstärke Deutschlands.  Deshalb ein paar sehr notwendige und kämpferische Worte zu diesem Thema. Denn diese Exportstärke wird problematisiert. 


Jüngst, als die Refinanzierungsschwierigkeiten mancher Eurostaaten allen voran Griechenlands  - offen zutage traten, wurde die Exportstärke Deutschlands als eine Ursache kritisiert.  Die französische Ministerin Christine Lagarde hat sich diese Sichtweise wiederholt zu Eigen gemacht. Gerade hat sie ihre Kritik wiederholt, Und sie ist nicht die einzige prominente Kritikerin geblieben.


Mancher  hier zu Lande hat sich verwundert die Augen gerieben. Aber nicht alle. Denn in unserer innerdeutschen Diskussion wird dieses Argument im Hinblick auf eine zu geringe Binnennachfrage ebenfalls aufgeführt.


Sicher ist an diesen Ansichten auch etwas dran. Weil das offensichtlich ist, scheint es mir sinnvoll, ein paar Gegenthesen aufzustellen:


Erste These: Deutschlands  Exportstärke hat etwas mit seiner nach wie vor volkswirtschaftlich bedeutenden und leistungsfähigen Industrie zu tun. Sie hat einen größeren Anteil an der Entstehung des volkswirtschaftlichen Sozialprodukts als in anderen Ländern. Und es gibt in Deutschland zahlreiche weltweit tätige  mittelständische Industrieunternehmen, die in anderen Staaten oft weitgehend verschwunden sind.

Zweite These: Die hohe Bedeutung einer exportierenden Industrie hat Vor- und Nachteile. In der Ende 2008 entstanden Wirtschaftskrise hat das zu einem schnellen Rückgang des Sozialprodukts geführt (Hinweis: Die massiv ausgeweitete Förderung der Kurzarbeit hat allerdings verhindert, dass das zu millionenfacher Arbeitslosigkeit geführt hat). Jetzt wächst die Wirtschaft aber in gleichem Tempo wieder.

Dritte These: Deutschland exportiert nicht nur außerordentlich viel. Deutschland importiert auch außergewöhnlich viel. Korrekt müsste man also sagen. Die deutsche Volkswirtschaft ist stärker als viele andere außenhandelsabhängig. In beide Richtungen. 2008 war Deutschland Exportweltmeister, aber auch Nummer 2 bei den Importen.  Addiert man Importe und Exporte und setzt die Summe in das Verhältnis zum Sozialprodukt, ergibt sich für Deutschlands Volkswirtschaft ein Wert von 73%. Die Werte für Japan und die USA waren 29 und 22 %. Diese Entwicklung ist unumkehrbar. Und ein Charakterzug des deutschen Wirtschaftsmodells, das sich auch durch mehr Importe oder eine höhere Binnennachfrage nicht änderte.


Vierte These: Eine Schwächung der deutschen Exportwirtschaft führte in der Regel nicht zu mehr Exporten der Länder, wo in der Öffentlichkeit über die deutsche Exportstärke geklagt wird. Denn die Leistungsfähigkeit einzelner Unternehmen auf dem Weltmarkt hängt zwar  von makroökonomischen Relationen ab, aber weniger als die Zahlen fixierte  Volkswirtschaftslehre meint.


Fünfte These: Grundlage der Leistungsstärke der deutschen Volkswirtschaft sind seine gut ausgebildeten Arbeitnehmer. Die gibt es auch anderswo, aber nicht überall. Wie sich die Fachkräfteversorgung weiterentwickelt, ist für alle Staaten wichtig.

Damit sind wir beim wohl wichtigsten Thema auch der Hamburger Politik. Wie schon gesagt: Der Erfolg unserer Volkswirtschaft beruht auf der Leistungskraft unserer Arbeitnehmer.


Der drohende Fachkräftemangel erstreckt sich aber über die ganze Breite der beruflichen Qualifikationen. Es wird prognostiziert, dass uns am Ende dieses Jahrzehnts bereits bis zu 2 Millionen Fachkräfte fehlen könnten. Das ist eine Folge des demografischen Wandels. Etwas überspitzt formuliert: Uns gehen die jungen Leute aus. 


Allerdings ist die Lage nicht hoffnungslos. Wir müssen uns nur in die Lage versetzen, die Fähigkeiten der ganzen nachwachsenden Generation zu nutzen. Das ist heute keineswegs der Fall. 


Und die wohnen in Stadtteilen unserer großen Stadt, die nicht jeder kennt. Waren sie schon dort? In  Mümmelmannsberg, Steilshop, dem Osdorfer Born, Kirchdorf-Süd, Lohbrügge Nord, der Lenzsiedlung, Neuwiedenthal, Tegelsbarg, Neu Allermöhe, Iserbrok, Lurup, Jenfeld. Da sind die Fachkräfte, die wir so dringend brauchen!


Heute verlassen  - auch in unserer Stadt - zu viele die Schulen entweder ohne Schulabschluss oder mit zu wenig Bildung um einer Berufsausbildung gewachsen zu sein. Das war nie akzeptabel; aber heute  können wir es uns schlicht nicht mehr leisten. Diese Realität des heutigen Schulalltages zu ändern, ist nicht leicht. Aber möglich. Schließlich ist das mit Entscheidungen der nach der deutschen  Verfassung für die Bildung zuständigen Länder  beeinflussbar. Auch in Hamburg! Die Globalisierung spielt da keine Rolle und kann keine Ausrede für politisches Versagen hergeben. 


Wir müssen daher dringend unsere Schulen verbessern und die Kinderbetreuung schon vor dem Schulbeginn ausbauen. Eins steht jedenfalls fest. Die Zahl der Arbeitsplätze für Arbeitnehmer ohne berufliche Qualifikation nimmt ständig ab. Und die Unternehmen müssen ihre Anstrengungen verstärken, junge Leute beruflich zu qualifizieren. Wie die für Bildung zuständigen staatlichen Institutionen, müssen sie dabei zunehmend auch die am Anfang der Ausbildung noch nicht so Leistungsfähigen in den Blick nehmen.


Gleichzeitig müssen wir die Zahl derjenigen erhöhen, die höchste Bildungsabschlüsse erreichen. In dieser Hinsicht ist durchaus Optimismus angebracht. Immer mehr erreichen immer bessere  Bildungsabschlüsse. In großen Städten wie Hamburg ist das Abitur längst der häufigste Bildungsabschluss. Das ehrgeizige Ziel darf aber nicht aus dem Blick verloren werden. Wir müssen erreichen, dass in Deutschland 40 % eines Altersjahrganges studieren. Und darunter möglichst viele Ingenieur, Mathematiker, Naturwissenschaftler oder Techniker werden wollen.


Gerade was den Nachwuchs z.B. an Ingenieuren angeht, müssen wir allerdings mit einer deutschen Besonderheit Schluss machen. In unserem Land studieren nur sehr wenige, die nicht über eine schulisch erworbene Hochschulzugangsberechtigung verfügen. Diese Zahl derjenigen, die nach einer beruflichen Ausbildung und einigen Jahren beruflicher Praxis studieren, sollte nicht weniger als ein Prozent betragen, sondern eher zehn. Das ist anderswo auch so, z.B. in der Schweiz oder Österreich, und richtig, wenn wir alle Talente fördern wollen.

Ein Thema liegt mir noch am Herzen: Die immer größere Staatsverschuldung. Das ist auch ein Hamburger Thema, trotz der wirtschaftlichen Stärke der Stadt. Ganz plötzlich, nach bald zehn Jahren CDU -Regierung, stellt der CDU Senat fest, dass er 500 Millionen Euro im Jahr zu viel ausgibt. Dass der Senat über unsere Verhältnisse lebt, haben wir schon vorher gewusst. Aber da war immer Geld für neue Ideen und das wurde mit vollen Händen ausgegeben, als die Steuereinnahmen  sprudelten. Allein die Kostensteigerungen für alle Bauprojekte betragen 800 Mio.
Was wir in Hamburg brauchen, ist ein Senat, der sparsam mit unserem Geld umgeht. Wer sparsam wirtschaftet, braucht auch keine Sparpolitik. Es heißt auf das Geld zu achten.


Ich bin übrigens froh, dass wir die Schuldenbremse jetzt im Grundgesetz haben. Ich habe dafür gestimmt. Denn sie zwingt die Politik ehrlich zu werden. Die funktioniert bei der Bundesregierung, weil alle wilden Steuersenkungsversprechen der FDP und der Union an der mittelfristigen Finanzplanung scheitern. Und deshalb haben wir in diesem Frühjahr den Offenbarungseid des Hamburger Senats erlebt. Eigentlich sollte die Stunde der Wahrheit erst nach der nächsten Wahl 2013 kommen. Die Wirtschaftskrise und die Schuldenbremse haben diesen schönen Plan durchkreuzt. Die Schuldenbremse  ist auch ein Mittel gegen halbstarke Politik. Es ist halbstark, wenn, um mit meinen Freunden anzufangen, man zwar die Kraft hat mehr Ausgaben zu beschließen, aber nicht die Kraft zu sagen, von wem das Geld kommt. Und es ist halbstark, wenn Konservative oder Liberale zwar die Kraft für Steuersenkungen haben, aber nicht die Kraft zu beschließen, bei wem Leistungen gestrichen werden sollen. Deshalb bin ich dafür, dass wir uns ein Vorbild an der Haushaltspolitik des amerikanischen Präsidenten Clinton nehmen. Der hatte einen völlig maroden Haushalt von Reagan und Bush Senior übernommen. Und dann mit dem Kongress vereinbart, dass jedes Gesetz mit Mehrausgabe auch Bestimmungen zu Mehreinnahmen oder Ausgabenkürzungen an anderer Stelle und in gleicher Höhe beinhalten muss. Das Gleiche galt für Steuer- und Gebührensenkungen. Auch in dem Fall mussten im selben Gesetz die Minderausgaben gleich festgelegt werden. Nach zwei Amtsperioden war der amerikanische Haushalt saniert und es wurde über die Verwendung der Überschüsse diskutiert. Das Prinzip nennt sich Pay as you go. Wir sollten es auch in unserer Stadt mit ihrer stolzen Kaufmannstradition anwenden.


Schauen wir zurück, dann sehen wir, was Hamburg in den Jahrzehnten nach dem letzten Krieg stark gemacht hat: Das gedeihliche Zusammenwirken von erfolgreichen Unternehmern Kaufleute in bester hanseatischer Tradition und einer selbstbewussten und aufgeklärten Arbeiterschaft. Das hat in unserer Stadt gut funktioniert. Blicken wir in die Zukunft, so kann ich nur sagen: So etwas brauchen wir wieder! Eine gemeinsame Identität, die alle Bürgerinnen und Bürger Hamburgs umfasst. Gemeinsinn und Verantwortung für das Ganze.