Inhaltsbereich
Detail
Scholz: Wir werden mehr denn je gebraucht.
„Ich will Kanzler werden“, sagt Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der SPD. Auch wenn seine Partei seit drei Jahren nicht mehr über die 20 Prozent gekommen ist, liegt er in persönlichen Kanzler-Umfragen vorne. Wer ist der erfahrenste Politiker der Republik, der als Vizekanzler und Finanzminister auch international anerkannt ist? Wie tickt der ehemalige Hamburger Bürgermeister, der jetzt mit seiner Frau in Potsdam lebt und Angela Merkel beerben will? Auf jeden Fall nimmt er die Politik und das Leben sportlich. Deshalb traf BUNTE ihn beim Ruderverein in Potsdam/Stahnsdorf. Wenn Olaf Scholz ins Rudern kommt, lächelt er.
Sie sind Hanseat, ist Wasser Ihr Element?
Ja, ich habe schon in Hamburg das Rudern für mich entdeckt. Als Spätberufener, ich war über 50. Beim Rudern werden alle Muskeln beansprucht, gleichzeitig hat man einen wunderbaren Blick auf die Welt. Erst frühmorgens ein paar Runden auf der Alster rudern und dann ins Rathaus fahren zur Senatssitzung, das war schön damals. Der Ruderweltmeister Christian Dahlke hat mir gezeigt, wie es geht. Jetzt hoffe ich auch in Potsdam häufiger dazu zu kommen. Was mir besonders gefällt: Jeder kann Rudern lernen – egal wie alt.
Sind Sie schon mal ins Wasser gefallen?
Natürlich, das gehört dazu und passiert selbst Weltmeistern. Deshalb übt man zur Sicherheit das Einsteigen aus dem Wasser ins Boot. Das ist gar nicht so einfach. In meiner Jugend bin ich gerne geschwommen – habe den DLRG-Schein gemacht. Aber ehrlich gesagt war ich früher eher unsportlich. Als 16-Jähriger oder 36-Jähriger hätte ich mir nicht vorstellen können, dass mir Sport mal so viel Spaß macht.
Und außerdem joggen Sie noch.
Zwei, dreimal die Woche meist etwa 8 km, manchmal mehr. Der Impuls zum Joggen stammte von meiner Frau Britta Ernst. Sie sagte mir vor gut 20 Jahren: Olaf, so geht es nicht mehr weiter mit dir! Ich sollte unbedingt was für meine Fitness tun. Sie hatte recht.
Sie sind auch deutlich schlanker geworden.
Ja, ich habe mir deshalb neue Anzüge zugelegt, muss ja alles sitzen.
Wo – online oder im Kaufhaus?
Ganz klassisch im Geschäft meines Vertrauens.
Haben Sie aus Kummer abgenommen – weil ihre Partei in den Umfragen seit Ihrer frühen Kanzlerkandidatur nicht so richtig vom Fleck kommt?
Nein, im Gegenteil. Ich will so fit wie möglich sein, damit ich die heiße Wahlkampfphase gut bewältige. So eine Bundestagswahl ist kein Sprint, sondern eher ein Marathon, da braucht man eine gute Kondition.
Sind Sie ein Asket – oder doch ein Genießer?
Genießer, eindeutig. Ich koche gerne, am liebsten am Wochenende. Meine Frau und ich wechseln uns da ab. Meine Königsberger Klopse krieg ich ganz gut hin. So was gibt es ja kaum noch in Restaurants.
Ist Alkohol für Sie tabu?
Im Wahlkampf ja. Da brauche ich Kraft und Disziplin, weil ich wenig Schlaf kriege. Deshalb trinke ich jetzt meistens alkoholfreies Bier, Wasser, Kaffee und Tee, ganz selten mal ein Glas Wein.
Ihre Frau ist Ministerin in Brandenburg – und jetzt Vorsitzende der Kulturministerkonferenz. Sind Sie stolz auf Sie?
Natürlich. Sie ist eine anerkannte Bildungspolitikerin, war erst in Schleswig-Holstein Ministerin, seit 2017 nun in Brandenburg. Wegen meiner Frau bin ich nach Potsdam gezogen, als ich 2018 Bundesminister der Finanzen wurde.
Politik kann auch eine Flirtzone sein. Wo haben Sie sich kennengelernt?
Das war in den achtziger Jahren bei den Jusos, der Jugendorganisation der SPD in Hamburg.
Eine revolutionäre Weltanschauung kann sehr verbinden.
Na, es war wohl eher die persönliche Zuneigung, ein Funke, der übersprang. Das macht doch Liebe aus. Britta ist die Liebe meines Lebens, unverändert seit so langer Zeit. Ämter kommen und gehen, die Liebe bleibt.
Steckt in Ihnen gar ein Romantiker?
Ach, das mögen andere beurteilen.
Steht die Liebe zu Ihrer Frau noch vor dem größten politischen Erfolg?
Natürlich, das unterschreibe ich noch mit Ausrufezeichen!
Wenn Sie die Wahl verlieren, ist Ihre Frau die Mächtigere.
Ich will die Bundestagswahl gewinnen und freue mich über den großen Zuspruch, den ich gerade erhalte. Ich hätte aber kein Problem damit, wenn meine Frau die berufliche Hauptrolle spielt. Wir führen unsere Beziehung auf Augenhöhe.
Ist das Erlangen von Macht Ihre Motivation?
Nein, nicht als Selbstzweck. Es geht darum, politische Ziele umzusetzen. Führung und Verantwortung gehören zur Demokratie, aber die politische Macht ist begrenzt, sie wird auf Zeit verliehen. Und es ist keine Allmacht.
Sie haben keine Kinder, ist das der Preis für die Politik, der ja manche Politiker als Droge verfallen sind?
Da gibt es keinen Zusammenhang. Ich begreife Politik auch nicht als Droge. Ich war auch als Anwalt für Arbeitsrecht glücklich.
Als junger Mann hatten Sie wunderschöne Locken – was ist mit denen passiert?
Ein Schicksal, das ich mit vielen Männern teile: Die Haare fielen mitten auf meinem Kopf aus, nur an den Seiten blieb was stehen. Irgendwann habe ich mich entschieden, den Rest auch kurz zu rasieren – sonst sieht das doof aus.
Sie sind der Älteste von drei Brüder, der eine ist Chefarzt, der andere in der IT-Branche. Lernten Sie da Verantwortung?
Meine Brüder und ich sind altersmäßig eng beieinander. Wir waren ein Dreier-Gespann, da gab es keinen Boss. Nach wie vor kommen wir gut miteinander aus, ich kriege auch Rat von ihnen, wenn ich ihn brauche. Aber wir haben schon vor Jahren miteinander vereinbart, dass wir über uns nicht öffentlich sprechen. Ich kann aber davon erzählen, wie ich zu meiner Familie gegangen bin und ihnen erklärt habe, dass ich in die SPD eingetreten bin. Das war als Helmut Schmidt seit kurzer Zeit Bundeskanzler war, da war ich 17. Mir ging es darum, die Welt gerechter zu machen – auch für Frauen. Das will ich noch heute. Die Gleichstellung ist noch lange nicht erreicht, trotz der Erfolge, die wir in harten Verhandlungen gegen CDU/CSU durchgesetzt haben.
Sie gelten als der männliche Merkel – ein Kompliment?
Frau Merkel ist eine erfolgreiche Bundeskanzlerin – und es ist nie schlecht, mit einer erfolgreichen Frau verglichen zu werden. Unser Verhältnis war immer gut. Doch wir sind schon recht unterschiedliche Typen. Ich will was verändern – und nicht nur moderieren.
Glauben Sie, dass die Kanzlerin Ihnen die Kanzlerschaft heimlich eher gönnt als Armin Laschet oder Annalena Baerbock?
Ach, darüber kann ich nur spekulieren – das weiß nur sie selbst.
Wie gehen Sie mit den Zuschreibungen Ihrer Person um? Farblos, dröge, langweilig sollen Sie sein, schreiben viele Journalisten.
Seriös haben Sie vergessen. Ich mache mir eher wenig Gedanken über solche Zuschreibungen. Ich will ja Bundeskanzler werden, nicht Zirkusdirektor. Ich habe in Hamburg zwei Wahlen gewonnen, eine davon mit absoluter Mehrheit. Und ich mache Politik mit dem Herzen, nicht nur mit klarem Verstand.
Klischees verfolgen Sie aber wie die Motten das Licht. Zum Beispiel das vom „Scholzomaten“.
Das ist lang her, fast 20 Jahre. Damals war das bestimmt keine ganz falsche Beschreibung, als ich SPD-Generalsekretär war und immer die gleichen Fragen gestellt bekam und immer die gleichen Antworten darauf gab. Heute ist das Bild, das die Menschen von mir haben, deutlich vielschichtiger. Nur wer sich ändert, bleibt sich treu – auch in der Politik. Und man muss neugierig und aufmerksam bleiben. Ich finde es ganz wichtig, dass man nicht sein Bild von der Welt irgendwann fertig abgeschlossen hat, sondern dass man immer versucht, die aktuellen Verhältnisse gut zu verstehen – und daraus seine Politik ableitet. Das ist mein Kompass, dem ich folge.
Wie gehen Sie mit Kränkung um? Sie sind ja auch ein Stehaufmännchen der Politik. 2019 wollte die eigene Partei Sie nicht als Chef wählen.
In der Demokratie gehören Niederlagen dazu, das sollte man nicht als persönliche Kränkung missverstehen. Da geht es um Haltung und Demut, und darum nicht beleidigt zu sein. In der SPD stehen jetzt alle hinter mir und wir handeln so geschlossen wie lange nicht.
Friedrich Merz hat gesagt, er gehöre zur „gehobenen Mittelschicht“. Wo sehen Sie sich?
Ich weiß, was durchschnittlich verdient wird in Deutschland. Deshalb sage ich: Ich bin reich. Mit 200 000 Euro Jahreseinkommen ist man das. Leute wie ich können ruhig etwas mehr Steuern zahlen, damit die Steuern für mehr als 95 Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuern sinken.
Sind Sie froh, dass Sie keine Doktorarbeit und kein aktuelles Buch geschrieben haben?
Ich habe seinerzeit kurz mit einer Promotion geliebäugelt, aber dann war mir die Praxis als Anwalt für Arbeitsrecht wichtiger. Vor ein paar Jahren habe ich ein Buch geschrieben: In „Hoffnungsland“ habe ich mir Gedanken zu einem Thema gemacht, das nach wie vor sehr aktuell ist: Flüchtlinge, Migration und Integration.
Es fällt auf, dass der Altkanzler Gerhard Schröder Armin Laschet mehr lobt als Sie.
Ich finde, er lobt mich genug, da habe ich keinen Grund zur Klage. Wir verstehen uns gut und ich bin sicher: Wenn die SPD am Wahlabend gewinnt, wird in Hannover einer sitzen und kräftig jubeln.
Wie prestigeträchtig ist Ihr Duell mit Annalena Baerbock im Wahlkreis Potsdam, sie wollen beide das Direktmandat.
Ich bin immer da angetreten, wo ich wohne. Deshalb nun im Wahlkreis 61, Potsdam und Umgebung. Das Direktmandat als Bundestagsabgeordneter ist das höchste Amt, in das man von den Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählt werden kann. Meine Vorgängerin Manja Schüle hatte den Wahlkreis 2017 für die SPD geholt, heute ist sie
Wissenschaftsministerin in Brandenburg. Ich habe ihr zugesagt, dass ich den Wahlkreis gewinne.
Was war als Finanzminister Ihr größter Erfolg?
Sicherlich der Beschluss, den internationalen Steuerdumping-Wettbewerb zu beenden. Vor wenigen Wochen haben sich die G20, die 20 größten Industriestaaten der Erde, in Venedig zur internationalen Mindestbesteuerung von Unternehmen bekannt. Vor mehr als drei Jahren habe ich den Vorschlag entwickelt und hart für diese Einigung gekämpft. Erst gab es Stirnrunzeln – jetzt die Einigung.
Sie hatten auf der Bootsfahrt einen entschlossenen Siegerblick, manche haben Sie mit James Bond verglichen.
Das Bild entstand eher zufällig auf der Fahrt vom Flughafen zum Tagungszentrum. Die Sonne schien und ich war glücklich, dass sich so viele Länder auf einen Mindeststeuersatz von 15 Prozent einigen. Das ist eine Steuer-Revolution, die uns keiner zugetraut hat..
Was sagen Sie Steuerhinterziehern? Der Fall Hoeneß war ja ein warnendes Beispiel für alle.
Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Niemand steht über dem Gesetz. Alle, die den Staat betrügen, müssen damit rechnen, dass das früher oder später rauskommt. Der Staat braucht das Geld für Straßen, Brücken, Schulen, Kitas, Unis – für Corona-Hilfen und Krankenhäuser.
Wird es Bargeld weiter geben?
Klar, ich zahle auch gerne bar.
Wieviel haben Sie im Geldbeutel?
Etwa 200 Euro.
Ihre Aktentasche spielt eine tragende Rolle in Ihrem Politikerleben, sie ist in die Jahre gekommen. Warum kaufen Sie sich keine neue?
Ich hänge sehr an dieser Tasche. Die Tasche begleitet mich schon, seit ich als junger Anwalt angefangen habe, das ist bald 40 Jahre her. Sie ist praktisch – da geht viel rein. Ich mag auch die Patina, die sich inzwischen angesetzt hat. Sie gefällt mir von Jahr zu Jahr besser.
Sie sprechen leise, nicht wie der Typ Hoppla-jetzt-komm-ich.
Jeder hat seinen Ton. Ich möchte niemanden mit Lautstärke übertönen. Aber auf Marktplätzen spreche ich so, dass mich jeder versteht.
Wird die SPD nicht mehr gebraucht, weil sie beim Ausbau des Sozialstaats zu erfolgreich war?
Im Gegenteil: Wir werden mehr denn je gebraucht. Ich möchte das Motto von Johannes Rau wiederbeleben: Versöhnen statt Spalten. Unsere Gesellschaft braucht Zusammenhalt. Jeder verdient Respekt, egal ob er in der Stadt oder auf dem Land wohnt oder ein hohes oder niedriges Einkommen hat, Abitur oder Hauptschulabschluss. Und Respekt macht auch vor dem Geld nicht halt: Ich will den Mindestlohn auf 12 Euro erhöhen, weil davon zehn Millionen Bürgerinnen und Bürger direkt profitieren. Das wirkt sich bis auf die Rente aus und hebt auch das gesamte Lohngefüge an. Wir haben das ja schon bei der Einführung des Mindestlohns erlebt, wie erfolgreich das war.
Sie duzen auf Ihren Plakaten die Wähler.
Unsere Gesellschaft ist lockerer geworden. Auch in der Politik wird mehr geduzt. In der SPD schon immer. Deshalb: SPD steht für soziale Politik für Dich.
Mit Markus Söder verstehen Sie sich überraschend gut.
Als Politiker-Typen sind wir sehr unterschiedlich, wir kommen aber gut miteinander zurecht. Ich habe in diesem Jahr im Allgäu Wanderurlaub gemacht. Als sich die Flut-Katastrophe in Berchtesgaden ereignete, haben wir kurz telefoniert und vereinbart, uns dort gemeinsam ein Bild von den Schäden zu machen. Uns beiden war klar: Wir müssen sofort helfen. Bund und Länder gemeinsam, Hand in Hand.
Söder hat Sie aber auch mal bei einer Videokonferenz ermahnt, sie sollen nicht so schlumpfig grinsen.
Stimmt, darüber habe ich mich damals sehr amüsiert. Seither kriege ich häufiger Schlümpfe geschenkt. Ich mag Schlümpfe – die sind klein, verschmitzt, ziemlich clever und am Ende gewinnen sie immer.
---
Zwei Ergänzungsfragen
Sind Sie Feminist?
Bin ich. Schon in der Jugendorganisation habe ich mich für die Quote eingesetzt. Ich bin überzeugt, dass Gleichberechtigung und Feminismus wichtig sind und gut für unsere Gesellschaft – da sollten wir Männer nicht abseits stehen, sondern uns engagieren. Die Hälfte der Welt sollte den Frauen gehören.
Wie ist das Rezept für Ihre Königsberger Klopse?
Ich koche weitgehend das Rezept von Tim Mälzer nach, mit kleinen Variationen.