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18.08.2011

Senatsfrühstück aus Anlass des Besuchs verfolgter ehemaliger Bürgerinnen und Bürger Hamburgs / Senate Breakfast for the visit of persecuted former citizens of Hamburg

 

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Sehr geehrte ehemalige Bürgerinnen und Bürger,
sehr geehrte Angehörige,
sehr  geehrte Frau Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,
meine sehr verehrten Damen und Herren,


im Namen des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg heiße ich Sie willkommen in unserer Stadt. Gern würde ich sagen: in unserer Stadt, die eigentlich auch Ihre Stadt ist, in der Ihre Eltern oder Großeltern oder andere Verwandte von Ihnen gelebt haben. Die Stadt, in der Sie Frau Axelrad, Herr Blumenfeld, Herr Marcus selbst gelebt haben.

 

Aber ob Hamburg Ihre Stadt noch sein kann, oder ob sie es einmal werden oder wieder werden kann, das zu beurteilen steht nur Ihnen selbst zu.

 

Was ich sagen kann, ist dies: Wir freuen uns und sind Ihnen dankbar, dass Sie unsere Einladung angenommen haben. Mit Ihnen haben wir in dieser Woche ganz  besondere Gäste aus den USA, aus Israel, Argentinien, Spanien, aus Brasilien und Uruguay. Sie kommen aus sehr verschiedenen Teilen der Welt, aus Orten wie Rischon LeZion, Buenos Aires oder Charlottenlund. Aus sehr verschiedenen Teilen der Welt, die aber eines gemeinsam haben: dass Sie Ihnen selbst, oder Ihren Eltern oder Großeltern, nachdem sie zu Hause in Deutschland ausgestoßen und verfolgt wurden, eine neue Heimat geworden sind.

Die meisten von Ihnen gehören zur zweiten Generation. Sie haben sich auf die Spuren ihrer Angehörigen begeben und besuchen eine Woche lang die Stadt, von der Sie vielleicht viel gehört, vielleicht auch eine eher vage Vorstellung haben und von der Sie einen eigenen Eindruck gewinnen möchten.

Sie zeigen uns damit, dass Sie dem heutigen Hamburg und der heutigen Bundesrepublik Deutschland als demokratischen Gemeinwesen ein vielleicht vorsichtiges Vertrauen entgegenbringen. Wir möchten uns dessen würdig erweisen.

 

Erinnerung und das, was manchmal Erinnerungskultur genannt wird , hat viele Schichten und natürlich wandelt sie sich. Das gilt auch für Deutschland selbst. Einerseits wird die Zahl derer, die noch Zeitzeugen waren, geringer. Andererseits hat die Forschung mehr und bessere Erkenntnisse vom Wesen und Alltag der nationalsozialistischen Diktatur. Und die anfängliche Weigerung vieler Menschen in Deutschland, sich der Verantwortung für die eigene Geschichte zu stellen für sehr viele eine Geschichte eigener Schuld, eigener Schande, zumindest eigenen Wegsehens diese Weigerung gibt es nur noch bei Wenigen.

Wir Jüngeren, nach 1945 Geborenen, hatten weniger Berührungsängste, aber wir hatten anfangs auch nicht viele verlässliche Informationen. Was den meisten völlig fehlte, war die persönliche Begegnung mit früher verfolgten Menschen, die den Terror überlebt hatten. Sie waren mit wenigen Ausnahmen entweder emigriert und hatten keine Veranlassung zurückzukommen. Oder aber das betraf vor allem die politisch Verfolgten sie waren nach ihrer Haft oder anderen Schikanen dageblieben, hatten gelernt vorsichtig zu sein und galten im Nachkriegsdeutschland womöglich immer noch als verdächtig. Als Nachbarn, mit deren Kindern man zwar jetzt spielen durfte, aber deren eigene Lebensgeschichte kein Gesprächsthema war.

 

Und für die emigrierten Menschen und ihre Nachfahren galt: Sie waren nicht mehr da, man wusste wenig von ihnen und das Gemenge aus schlechtem Gewissen einerseits, den Schlussstrich herbeiwünschen andererseits ließ nicht viele Kontaktversuche zu. Andererseits hatten viele der ehemals verfolgten Bürger genug von Deutschland und von der Vergangenheit, über die manche vielleicht auch in Ihren Familien nicht einmal sprechen wollten. 

 


Aber, meine Damen und Herren,

 

manches hat sich seitdem geändert und ich glaube, dass bei uns jetzige und erst recht künftige Generationen trotz des größer werdenden zeitlichen Abstands bessere Voraussetzungen haben, ein umfassendes Bild von der Zeit des Nationalsozialismus zu gewinnen und mit dem umzugehen, was vielleicht die eigenen Großeltern oder Urgroßeltern getan haben, oder unterstützt oder beifällig hingenommen haben.

Oder auch nicht! Denn es hat ja bei einigen viel zu wenigen auch Vernunft, Verweigerung, sogar Widerstand gegeben.

 

Zu einem schärferen Bild tragen als willkommener Begleiteffekt Besuchsprogramme wie Ihres bei. Auf Ihrem Programm stehen auch Gespräche mit Schülerinnen und Schülern und Sie werden hoffentlich interessante und gute Erfahrungen machen und können dabei Ihrerseits zu mehr Kenntnis und Verstehen beitragen.

Im Mittelpunkt Ihres Besuchs sollen aber Sie selbst, Ihre Wünsche und Interessen stehen.

Wir wissen aus der bisherigen Erfahrung, dass Sie nicht hergekommen sind, um ausschließlich schlimme Erinnerungen beziehungsweise die Berichte davon nachzuerleben. Es gibt viele Motive, zu denen auch der Wunsch gehört, mehr über die eigene Familie und ihr früheres Leben in Hamburg zu erfahren.

 

 Ich habe in dem Brief einer früheren Besucherin dies gelesen:

Am Ende des feierlichen Empfangs ging ich mit dem Herrn vom Staatsarchiv, dem ich schon einige Monate früher einen Brief geschrieben hatte, auch von meiner Nichte begleitet, in das Staatsarchiv und dort fingen wir an zu forschen. Es war fantastisch zu sehen, wie gut und gründlich alle Register von Heiraten und Geburten in der jüdischen Gemeinde schon vor zwei Jahrhunderten aufbewahrt waren, so dass ich die Einzelheiten der Großeltern meiner Großmutter entdecken konnte, in welcher Straße sie in Hamburg gelebt hatten und welcher Rabbiner bei ihrer Heirat offizierte.

Ein anderer Besucher, der erst neulich in Hamburg war, um sein Buch mit dem Titel Überlebenswege vorzustellen, schreibt darin über seine Zeit als junger Mann im Nachkriegs-Hamburg von 1948 folgendes:


Ich hätte deutsche Papiere erhalten können ich war schließlich in Deutschland geboren aber mein geistiger Zustand war damals so, dass ich es strikt abgelehnt hätte, Deutscher zu sein... Ein Jahr nach meiner Abreise war ich wieder in Brooklyn.


Dieser Besucher hatte mit vier Jahren bevor er überhaupt verstehen konnte, was geschah Deutschland verlassen müssen, danach als Jude in den Niederlanden die Zeit der Besatzung und Verfolgung überlebt. Nach dem Krieg hatte er drüben, in der Neuen Welt, sein Leben und seinen beruflichen Weg gefunden.

 

Er hat aber trotz seiner anfänglichen Ablehnung - eine besondere Beziehung zu Hamburg behalten und indirekt auch zu dem Besuchsprogramm für verfolgte ehemalige Bürgerinnen und Bürger Hamburgs, mit dem Sie jetzt hier sind. Denn es handelt sich um den Begründer der Weichmann-Stiftung, Frank Ludwig Weichman, den Neffen und Adoptivsohn von Herbert und Elsbeth Weichmann.

Herbert Weichmann war ein langjähriger sehr beliebter und erfolgreicher Bürgermeister unserer Stadt von 1965 bis 71. Er hatte selbst als Jude vor dem nationalsozialistischen Regime fliehen müssen, war 1948 aus Amerika zurückgekommen und in seiner Amtszeit veröffentlichte der Hamburger Senat einen Aufruf in verschiedenen internationalen jüdischen Emigrantenpublikationen. Das Ziel war, in Kontakt zu kommen mit den ehemaligen, während der NS-Zeit verfolgten Bürgerinnen und Bürgern.  

Herbert Weichmann setzte als Bürgermeister eine gute Tradition fort. Schon seine Vorgänger, der legendäre Max Brauer, der nach dem Krieg aus der Emigration zurückkehrte und tatkräftig am Neuaufbau Hamburgs mitwirkte, und Paul Nevermann, der in der NS-Zeit als Anwalt politisch Verfolgten half, solange es ihm möglich war schon diese beiden waren erklärte Nazigegner  und Demokraten gewesen. Dasselbe galt und gilt bis heute für Weichmanns unmittelbaren Nachfolger Peter Schulz, dessen Vater Albert bereits eine Gestapo-Haft hatte durchmachen müssen, bevor er nach 1945 Oberbürgermeister in Rostock war.

Der eben erwähnte Aufruf im Jahr 1965 war ein vorsichtiger  Beginn einer systematischen Kontaktpflege.

 


Meine Damen und Herren,

 

Sie sehen, auch Hamburg war erst nach einiger Zeit in der Lage, mit seinen verfolgten ehemaligen Bürgerinnen und Bürgern Kontakt aufzunehmen.
Im selben Oktober 1965 genauer: am 24. Jahrestag der ersten Deportation aus Hamburg übergab der Senat auch das erste Gedenkbuch über die Opfer des nationalsozialistischen Terrors der Öffentlichkeit. Dies sollte ein Zeichen des Gedenkens an die Ermordeten sein, aber ebenso die Verbundenheit mit den Überlebenden zum Ausdruck bringen.

Ein Besuchsprogramm war in dem damaligen Aufruf noch nicht angelegt. Erst ab 1970 wurden zuerst Einzel-, dann Gruppeneinladungen ausgesprochen. Seitdem sind zu unserer Freude rund 5.400 Personen der Einladung der Stadt gefolgt.

 

 

Meine Damen und Herren,

 

im Laufe der Jahre haben sich die Besuchergruppen verändert. Das ist natürlich.

Die weitaus meisten von Ihnen sind erst nach den Schrecken der Nazidiktatur und des Holocaust, nach dem Zweiten Weltkrieg geboren worden. Was Ihre Eltern und Großeltern in Deutschland erlebt haben, wissen Sie aus Erzählungen... oder vielleicht auch nicht, oder nur bruckstückhaft, denn wie schon angedeutet: Viele, die dem Schrecken entkommen waren, haben lange Zeit nicht darüber sprechen wollen. Wahrscheinlich ist das bei jeder und jedem von Ihnen ganz unterschiedlich.

Was werden Sie in Hamburg  sehen, oder was haben Sie schon gesehen? Die Stadt ist an vielen Stellen durch das Leben und Wirken ihrer jüdischen Bewohner mitgeprägt worden. Manches ist heute wieder sichtbar. Sie waren im Grindelviertel, Sie werden die Synagoge in der Hohen Weide besuchen. Sie werden Stolpersteine gesehen haben, die an deportierte frühere Bewohner zahlreicher Häuser erinnern. Diejenigen, die das möchten, können das ehemalige Konzentrationslager Neuengamme aufsuchen. Sie können auf die Suche nach Familiengrabstätten gehen und es gehören touristische Teile zum Programm. Eine Alsterkanalfahrt wird Ihnen die schönsten Seiten Hamburgs zeigen.

Sie haben den Hafen besucht, der so ganz anders aussieht als in der Zeit Ihrer Eltern und Großeltern und doch immer noch das eigentliche Herz unserer Stadt ist, und das keineswegs nur, wenn man an Tonnagen und Container-Umschlagszahlen denkt. Nein, Hamburgs Herz hat auch insofern hier geschlagen und tut es weiterhin, weil im Hafen am unmittelbarsten sichtbar wird, welch ein unverzichtbarer Teil unserer Identität die Verbindung nach draußen ist, in die Welt, das Hinausschauen und Handel treiben über den eigenen kleinen Horizont hinaus.


In der Tat war die Stadt Hamburg immer stolz auf ihre Liberalität, ihren kosmopolitischen Geist. Aber sie hat trotzdem Schuld und Schande auf sich geladen, sie hat mit eingestimmt in den Chor der Ausgrenzer und Aussonderer.

 

Hamburg hat auch das werden Sie gerade beim Vergleich des heutigen Hafens mit alten Fotos, oder alten Erzählungen,  schnell erkennen große Veränderungen durchlebt. Es hat die Zerstörungen des Bombenkrieges überwunden und ganze Stadtviertel wieder- oder neu aufgebaut, so wie es schon vor mehr als 150 Jahren die Folgen des großen Brandes überwunden hatte.

 

Hamburg hat aber auch vieles bewahren, anderes sogar verbessern und verschönern können, was seine Lebensqualität ausmacht. Es ist eine andere Stadt als in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts.

 


Meine Damen und Herren,

 

es liegt alles dicht beieinander. Mit den äußeren Zerstörungen ist Hamburg fertig geworden. Es hat sie überwunden, im vorigen Jahrhundert wie schon in dem davor. Die inneren Zerstörungen zu heilen, braucht lange und der Prozess ist noch lange nicht beendet. Wir danken Ihnen, dass Sie uns mit Ihrem Besuch dabei helfen.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich am Ende Ihres Aufenthalts in Hamburg bestätigt sehen: dass es richtig war herzukommen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie reich an Eindrücken heimkehren werden, und dass Sie Hamburg so erleben, dass Sie sich mit guten Gedanken an Ihren Besuch erinnern können.


Vielen Dank.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.