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22.06.2011

Senatsfrühstück zu Ehren von Siegfried Lenz - Laudatio des Ersten Bürgermeisters

 

Sehr geehrter Herr Lenz,

sehr geehrte Frau Lenz,

sehr geehrte Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,

sehr geehrter Herr Ehrenbürger Helmut Schmidt,

 

Für mich ist Siegfried Lenz vor allem ein großartiger Geschichten-Erzähler, hinter dem ein Philosoph verborgen bleibt, hat sein Freund Helmut Schmidt gesagt.

 

Und philosophisch, klug, ist das, was Lenz selbst über die Aufgabe von Literatur gesagt hat. Er stelle sich vor, dass sie (...) das Scheitern von Entwürfen begründet und auch: der Hoffnung einen Namen gibt.

Dabei, habe er nie die Illusion genährt, dass man mit Hilfe von Literatur die Welt verändern könnte. Ihr Angebot bestehe darin, mit Hilfe von etwas nicht Erlebtem das Erlebte deutlicher, kenntlicher zu machen.

 

Das gelingt Siegfried Lenz, der 1926 in Lyck/Masuren geboren wurde, nun schon seit 60 Jahren in hervorragender Weise. So lange ist er Schriftsteller in Hamburg. Sein Werk umfasst Theaterstücke, Hörspiele, Novellen, 15 Romane und mehr als 170 Erzählungen. 30 Millionen Bücher sind in 35 Sprachen erschienen.

 

Imposante Sätze, steile Thesen und exaltierte Posen sind seine Sache nicht. Was für ihn einnimmt ist das Gegenteil: Leise Töne und wissender Zweifel dessen, der in NS-Zeit und Krieg das Tumbe und die dröhnende Geste erfahren und feste Gewissheiten hat zerbrechen sehen.

 

Seine Generationserfahrung hat Siegfried Lenz immer wieder reflektiert. Nicht mit der Geste der Empörung. Sondern nachdenklich aber nicht weniger eindringlich.

 

Die Deutschstunde (1968 erschienen) ist Lenz´ erfolgreichstes Buch. Es fragt nach Schuld, Verstrickung und Verantwortung des Einzelnen. Es fragt nach den pervertierten moralischen Maßstäben, die die Nazi-Verbrechen möglich machten.

 

Und zugleich legt es den Leserinnen und Lesern die Frage nahe, die sich der erzählende Protagonist, stellt: Wie hätte ich damals gehandelt? Eine Einladung zu Nachdenklichkeit und zu Wachsamkeit, auch sich selbst gegenüber.

 

Siegfried Lenz hat den Menschen etwas zu sagen, weil er etwas vom Menschlichen und den Menschen erfahren will. Er hat es so beschrieben: "Man erfährt etwas über einen Menschen, wenn man ihm einem Konflikt aussetzt, einer Überprüfung".

 

Geprüft werden in seinen Texten typischerweise so genannte "kleine Leute". Ihre Prüfungen sind Erfahrungen, die es seinen Lesern erlauben, ihre eigenen Erfahrungen zu prüfen. Es sind Konflikte, die sie kennen. Nöte, Ungerechtigkeiten, Schicksalsschläge, die das Leben für Frau und Herrn "Jedermann" bereithält.

 

Sein Interesse an den Menschen hat sich auch immer wieder in politischem Engagement des Bürgers der Ein-Mann-Partei Lenz ausgedrückt.

 

Das Beispiel dafür, das viele erinnern, ist seine Unterstützung der Ostpolitik von Bundeskanzler Willy Brandt. Diese Politik schuf das Fundament für die Aussöhnung mit unseren Nachbarn in Polen.

 

Lenz war nicht nur (gemeinsam mit vielen anderen Intellektuellen) Unterstützer, sondern selbst Wegbereiter dieser Aussöhnung. So warb er 1965 in dem Essay Die Deutschen, die Polen und die Literatur dafür, die Möglichkeiten der Kultur zu nutzen, um ein Gespräch zu eröffnen zwischen den beiden Ländern.

 

Neben großer internationaler Anerkennung fand dieses Engagement auch wütende Ablehnung. Das darf nicht vergessen, wer diese Leistung würdigen will.

 

Siegfried Lenz hat die harten Anfeindungen lakonisch zusammengefasst: Man hat mir meine Bücher in den Garten zurückgeworfen. Dennoch muss man gewisse Dinge sagen.

 

Dieser nüchterne Mut beeindruckt mich noch heute.

 

Viel später (1988) hat Lenz zum Charakter von Literatur gesagt, sie sei unfriedlich. In dem Sinne Zitat : dass sie gewaltsam herbeigeführte Ruhe stört, dass sie sich nicht abfindet mit verfügtem Schweigen, dass sie für die spricht, die man stimmlos gemacht hat. Zitat Ende.

 

Ich verstehe das als Beschreibung, aber auch als moralischen Imperativ: Denen, die stimmlos gemacht wurden, die unfrei oder marginalisiert sind, Stimme und Geltung geben! Das ist für Lenz keine Fußnote. Das ist eine Hauptfrage von Kultur, von menschlicher Gemeinschaft überhaupt.

 

Zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1988 hielt Siegfried Lenz eine viel beachtete Rede. Auch nach über zwei Jahrzehnten und epochalen Veränderungen sind ihrer Gedanken hoch aktuell: Zur Zerbrechlichkeit des Friedens, zur Notwendigkeit eines versöhnlichen Umgangs der Weltreligionen, zu globaler Gerechtigkeit und zur ökologischen Überlebensfrage der Menschheit.

 

Anstöße, den eigenen Standpunkt zu bestimmen: Diese Beiträge von Siegfried Lenz   von Kultur insgesamt sind existentiell wichtig für unsere Gesellschaft.

 

Helmut Schmidt hat dazu zustimmend Max Frisch zitiert. Dieser hat gesagt, er könne sich nicht vorstellen, dass Politik ohne die lästige Assistenz der Intellektuellen eine Chance habe.

 

Ich kann mir das auch nicht vorstellen. Ohne kluge künstlerische Ausdeutung wäre unser Leben weniger wert. Es ist wichtig, dass Künstlerinnen und Künstler Konflikte und Brüche in unserer Gesellschaft thematisieren.

Deshalb brauchen wir auch eine Kulturpolitik, die Kultur nicht als schmückendes Beiwerk missversteht. Sondern die getragen ist vom Verständnis für die Bedeutung der Kultur für Demokratie und Freiheit und unser Zusammenleben.

 

Noch immer hat Siegfried Lenz uns viel zu sagen. Und es wird ihm nach wie vor sehr genau zugehört. Ich darf das hier sagen: Auch, wenn es für die  Partei des Ersten Bürgermeisters in den letzten Jahren nicht immer schmeichelhaft war und nicht jedem gefallen hat.

 

Was nicht heißt, Lenz habe überhaupt mehr gemahnt als gefallen. Das hat er nämlich, gefallen: Als kluger Beobachter und Menschenkenner, als herausragender Erzähler und Mann mit feinem Humor. In Hamburg gilt das besonders.

 

Siegfried Lenz hat einmal gesagt: Der Ort, an dem ein Autor schreibt, mag für ihn selbst aufschlussreich sein; entscheidend ist er nicht. (...) Literatur wird durch eine Metropole weder in automatischer Weise weltläufig noch durch die Provinz in automatischer Weise beschränkt. (...) Der Ort, an dem ein Autor schreibt ist eine interessante Nebensache.

 

Ich meine: Nicht ganz. Sicher seine Werke haben uns Dinge zu sagen, die überall gelten. Ihre Konflikte kennen Menschen in aller Welt und was ihren Helden widerfährt, spiegelt menschliche Grunderfahrungen.

 

Aber die Stundengesichter auf ihrer Ringreise durch einen Tag etwa sind nun einmal: Leute von Hamburg. Ebenso wie das Personal des gleichnamigen, zuerst (1966) beim NDR gesendeten Features. Heute noch Stadt und Menschen haben sich in vielem verändert liest man und erkennt: das speziell Hamburgische darin.

 

Und auch auf den Titel Der Hafen ist voller Geheimnisse kommt man eher im Hamburger Hafen als im Yachthafen von Pinneberg. Wobei wir unsere Nachbarn in Schleswig-Holstein mögen und schätzen, wie fast alle wissen.

 

Wen man auch fragt: Den Hamburgern gefällt, wie sie und ihre Stadt von Lenz gezeichnet werden. Und auch Siegfried Lenz, das ist offenkundig, mag Hamburg und die Hamburger. Wobei, bei aller Zugewandtheit, das was man von ihm über Hamburg und die Hamburger lesen konnte, nie liebdienerisch und kritiklos war.

 

Von seinen nicht wenigen Auszeichnungen war Siegfried Lenz am wichtigsten: Die Ernennung zum Ehren-Schleusenwärter der Congregation der Alster-Schleusenwärter.

 

Eine Auszeichnung, die er hingegen nicht trägt, ist das Bundesverdienstkreuz. Weil er es, unserer hamburgischen Tradition entsprechend, freundlich dankend abgelehnt hat.

 

So spricht und handelt einer, der sich für einen Hamburger hält und längst einer ist.

 

In seiner Dankrede zur Verleihung des Ehrenbürgerrechts unserer Freien und Hansestadt vor zehn Jahren hat Siegfried Lenz etwas zur Art der Menschen in seiner früheren Heimat Masuren gesagt und zu ihrer Sprache. Da gibt es eine Vorliebe für den Diminutiv, die Verkleinerungsform, die Lenz in So zärtlich war Suleyken verewigt hat.

 

Lenz erklärte: In dem Bedürfnis, Nähe zu stiften, hätte man bei uns wohl nicht gezögert, vom Senatorchen zu sprechen, auch vom Bürgermeisterchen...

 

So weit will ich nicht gehen. Aber das will ich bestätigen: Ihr Werk und Sie, lieber Siegfried Lenz, sind im Herz der Hamburger verankert,  ohne jede Frage und ohne irgendeinen Diminutiv.

 

Am 17. März hat Hamburgs Ehrenbürger Siegfried Lenz seinen 85. Geburtstag gefeiert.

 

Auf die Frage, was das Leben mit 85 Jahren habe, hat er geantwortet, es habe immer noch Hoffnung übrig. Weil wir wissen, dass Lenz nie einer war, der die Wahrheit mit netten Floskeln kaschiert, glauben wir ihm das aufs Wort. Und freuen uns mit ihm, dass es so ist.

 

Nicht nur Hoffnung, noch immer Schaffenskraft hat das Leben für Siegfried Lenz übrig. Er schreibt an einem weiteren, neuen Buch.

 

Weitermachen: So uneitel hat Siegfried Lenz sein Arbeitsprinzip einmal benannt.

 

Lieber Siegfried Lenz: Ihre Heimatstadt freut sich auf ihr nächstes Buch. Wir wünschen Ihnen und uns, dass Sie noch eine ganze Weile bei ihrem Prinzip bleiben.

 

Nachträglich alles Gute zum Geburtstag!