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23.11.2011

Senatsfrühstück zu Ehren von Wolf Biermann

 

Sehr geehrter Herr Biermann,
sehr geehrte Frau Biermann,
sehr geehrte Frau Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft (Duden),
sehr geehrte Damen und Herren,

 

herzlich willkommen zum Senatsfrühstück zu Ehren eines sehr berühmten Sohnes unserer Stadt: Wolf Biermann.

 

 

Lieber Wolf Biermann,


herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, nachträglich versteht sich. Vergangene Woche sind Sie 75 geworden, am 15. November, also noch im Sternzeichen des Skorpion. Wie passend für einen Dichter, der zum Inbegriff des immer wieder zustechenden Künstlers geworden ist.

 

Sie haben in diesen Tagen und Wochen einen regelrechten Veranstaltungsmarathon zu absolvieren - aus Anlass Ihres runden Geburtstags und aus Anlass Ihres neuen Buches. Ich freue mich, dass eine Etappe dieses Marathons das Senatsfrühstück hier im Hamburger Rathaus ist.

 

Das ist ein Grund zu großer Freude, eine schöne Gelegenheit zu feiern. Dennoch möchte ich kurz auf ein verstörendes Thema eingehen, das Bürgerinnen und Bürger, Senat und mich gleichermaßen beschäftigt.

 

Ich habe bei der Vorbereitung dieser Rede unter anderem darüber nachdenken müssen, wie es für Sie, Wolf Biermann, wohl war, aus den Medien von den Morden rechtsextremistisch eingestellter Täter zu erfahren. Ich kann nur ahnen, wie es dabei jemandem geht, dessen Vater von den Nationalsozialisten in Auschwitz umgebracht wurde. Weil er Jude war, weil er Kommunist war.

 

Terrorismus von Rechtsextremen ist beschämend und eine Schande für Deutschland. Daher müssen wir die Taten restlos aufklären und noch wachsamer werden. Vor allem aber müssen wir Rechtsextremismus auch bei uns den Nährboden entziehen.

Ein eigenes Hamburger Landesprogramm wird dazu einen Beitrag leisten und die unterschiedlichen Bekämpfungsansätze in unserer Stadt sinnvoll verknüpfen. Das sind wir den Angehörigen der Opfer schuldig. Und das sind wir Mitbürgern wie Ihnen schuldig, die den Nationalsozialismus in aller Grausamkeit miterlebt haben.

 

Heute feiern wir einen Streiter für Frieden und Freiheit, einen Diktaturen-Kritiker, dessen Lieder und Gedichte die DDR-Obrigkeit zur Verzweiflung brachten.

 

Einst setzte die Stasi alles daran, Ihre Persönlichkeit zu zersetzen, wie es damals hieß. Heute wird Ihnen die Anerkennung zuteil, die ein so wortgewaltiger Dichter und Sänger verdient.

 

Denn unsere Demokratie lebt vom Widerspruch unbequemer Künstler. Eine Demokratie muss unbequeme Wahrheiten aushalten. Und sei es hier und da mit Zähneknirschen.

Es gibt das Paradox, dass der künstlerische Widerspruch scheinbar immer da besonders wertvoll ist, wo er verboten und verfolgt wird. Dass man in einer Demokratie alles sagen darf, macht alles auch ein kleines bisschen belanglos.

 

Aber das darf es nicht werden. Wir dürfen Offenheit und Toleranz nicht mit Gleichgültigkeit verwechseln. Nur die Gesellschaften, die Karl Popper als offene Gesellschaften beschrieben hat, entwickeln aus ihrer Vielfalt, aus ihrer Kreativität und ja auch ihrer milden Anarchie die Kraft, die Zukunft zu gewinnen und den Fortschritt zu gestalten.

Auch in einer Demokratie hat ein Dichter genügend Anlässe, über das Zusammenleben der Gesellschaft nachzudenken und hier und da seinen künstlerischen Stachel einzusetzen. Und das haben Sie, lieber Wolf Biermann, immer wieder getan.

 

Ein Rechtsstaat braucht Künstler wie Sie, die der Gesellschaft immer wieder den Spiegel vorhalten. Wir brauchen Ihre frechen, manchmal schnoddrigen Zwischenrufe.
 
Als Bürgermeister von Hamburg schließe ich mich gern den Worten von Kultursenatorin Kisseler an: Die Stadt kann sich glücklich schätzen, Wolf Biermann unter ihren Bürgern zu wissen. Wer sich mit Ihrer Biografie und Ihrer Kunst beschäftigt, lernt viel über 75 Jahre deutsche und hamburgische Geschichte.

 

Das fängt mit der bewegenden Schilderung des Hamburger Feuersturms von 1943 an und hört mit Ihren Gedichten zur Wiedervereinigung nicht auf.

 

Beim Lesen Ihrer Texte bekommt man ein Gespür für dieses Lebensgefühl von Zerrissenheit, das die historischen Umstände und Ereignisse bei Ihnen auslösten. Eine Zerrissenheit, die Sie einerseits beklagen, andererseits nutzen, um daraus künstlerisches Kapital zu schlagen.

 

Ich habe dies bei Ihrem Lied Um Deutschland ist mir gar nicht bang von 1999 gespürt:

Heimweh nach früher hab ich keins, nach alten Kümmernissen. Deutschland, Deutschland ist eins, nur ich bin noch zerrissen.

 

Nach meinem Dafürhalten haben Sie sich mit diesem Motiv der fortdauernden Zerrissenheit endgültig vom Dichter der deutschen Teilung zum Dichter der deutschen  Wiedervereinigung gewandelt.

 

Diese Zerrissenheit empfanden viele Deutsche während der Jahre der Teilung unseres Landes. Und es erfüllte sie mit Genugtuung, dass da ein Künstler war, der ihr Gefühl in mutige Gedichte und Lieder goss.

 

Und diese Zerrissenheit empfanden und empfinden viele Deutsche auch nach der Wiedervereinigung. Das lässt nur langsam nach. Wie gut, wenn der Dialektiker Biermann dichtet:

 

Weh tut die Freiheit und macht Spaß
Ein Fluch ist sie, ein Segen.

 

Wie schrieb jüngst der Tagesspiegel: Biermann ist am besten, wenn er das Leben zwischen den Stühlen besingt, die Unbequemlichkeit und das Unbehagen wach hält.

Die politische Zerrissenheit, die Sie da beschreiben, war für Sie immer auch eine private. Ihre Biografie ist ein Spiegel der deutschen Geschichte. Ich zitiere aus Ihrem Buch Heimat von 2006:

 

Bei mir überlagerte sich das Politische immer mit dem Privaten, ich habe die Kälte des heißen und die Feuer des kalten Krieges auf der bloßen Haut gespürt.

 

Auch die Teilung Deutschlands haben Sie auf der Haut gespürt. Der Gegensatz von Bundesrepublik und DDR, West und Ost kristallisierte sich in Ihrer Person. Und in Ihrem Verhältnis zu Hamburg und Berlin. Ich zitiere:

 

Der Wolf gehört nach Hamburg, der Biermann nach Berlin. Mein Problem ist nur, dass ich Wolf Biermann heiße.

 

Es tut mir leid, dass wir Hamburg und Berlin für Sie nicht zusammenlegen können. Mein Besuch in unserer Partnerstadt Schanghai war zwar sehr inspirierend. Aber so eine Megacity plant der Senat derzeit nicht.

 

Immerhin braucht der ICE mittlerweile nur noch gut anderthalb Stunden für die Strecke. Das weiß ich sehr zu schätzen. Meine Frau arbeitet dort.

 

Hamburg kann Ihnen vielleicht nicht all das Schräge, Gegensätzliche, ja auch Verstörende bieten, das die Kunst- und Literaturszene an Berlin so schätzt. Und anders als unsere Hauptstadt repräsentiert Hamburg eben nicht das wiedervereinigte Deutschland im Kleinen.

 

Ich hoffe aber, dass Sie in Ihrer Geburtsstadt  weiterhin die Geborgenheit, die Nestwärme finden, die Sie einst so beschrieben haben:

 

Ich roch schon meine Vaterstadt
Die herrlichen Gerüche
Gemisch aus Hafen, Rauch, Benzin
Und guter Bürgerküche.

 

Gut, an Hafen, Rauch und Benzin arbeiten wir. Aber es geht ja noch weiter:

 

Bei Hamburg riecht der Elbefluss
Schon sehr verführerisch
Nach Nordsee und nach Engelland
Nach Teer und Hochseefisch.

 

Sie sehen, das Industrielle lässt sich nicht ganz vermeiden, das ist eben auch Hamburg. Gleichwohl sind Sie ja in Altona nicht weit weg von Elbstrand, Altem Schweden und Strandperle. Vor einigen Jahren durfte ich dort das Haus des In-die-Heimat-Vertriebenen Biermann kennenlernen.

 

Eines steht jedenfalls fest: Hamburg, der Senat, der Bürgermeister wir sind stolz, dass Wolf Biermann zu uns gehört. Und wenn Sie etwas auszusetzen haben an unserer Stadt, dann sagen Sie bitte Bescheid. Am besten, bevor Sie das in bissige Reime gegossen haben…

 

Nein, ernsthaft: Der Hamburger als solcher kann in der Hinsicht viel ab. Als Freie und Hansestadt respektieren wir die Freiheit der Kunst.

 

Wir freuen uns, dass ein Künstler wie Sie hier lebt und arbeitet. Einer, der Hamburg und seine Geschichte so gut kennt. Der immer auch den Hamburger Stadtplan aus der Zeit vor dem großen Bombenteppich vom Sommer 1943 vor Augen hat. Und der anders als so viele, die Krieg und Diktatur erlebt haben, über all das Schmerzende redet, dichtet und singt.

 

Das ergraute Kind, dessen Lebensuhr auf sechseinhalb stehenblieb: Wir brauchen seine Gefühle, Gedanken und Zuspitzungen. Sie können dazu beitragen, dass den Deutschen, den Hamburgern, ihre Erinnerungen nicht entgleiten. Sie können die Gegenwart immer wieder mit der Vergangenheit verbinden. Gerade jetzt, wenn Nazis wieder morden.

Ich möchte am liebsten weg sein und bleibe am liebsten hier, haben Sie gesungen.

Bitte bleiben Sie hier!


 

Es gilt das gesprochene Wort.