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14.01.2016

"So etwas wie an Silvester kann nicht akzeptiert werden" Interview mit der Zeitung "Die Zeit"

"So etwas wie an Silvester kann nicht akzeptiert werden" Interview mit der Zeitung "Die Zeit"

 

"Die Zeit": Wie schlimm muss sich ein Asylbewerber aufführen, um das Recht zu verwirken, bei uns zu sein?


Olaf Scholz: Was die Männer in der Silvesternacht getan haben sollen, lässt sich nicht rechtfertigen mit keiner Moral und keiner Religion. Wer so etwas tut, hat keine Ehre. Er sollte abgeschoben werden.

"Die Zeit": Bislang konnten Asylbewerber erst ab einem Strafmaß von drei Jahren abgeschoben werden. Das wurde doch gerade erst gesenkt.


Olaf Scholz: Das ist richtig. Inzwischen können schon Asylbewerber ausgewiesen werden, die zu einer Freiheitsstrafe von nur einem Jahr verurteilt werden. Ich bin trotzdem sehr aufgeschlossen dafür, dass wir das noch einmal erleichtern und Straftäter schon bei einem geringen Strafmaß ausweisen, erst recht bei Sexualstraftaten.

"Die Zeit": Sie wollen bei Sexualdelikten abschieben unabhängig davon, wie hoch die Strafe ausfällt? Also droht dem Vergewaltiger genauso die Ausweisung wie dem Grapscher?


Olaf Scholz: Wir müssen herausfinden, was im Hinblick auf die Verfassung und auf Europarecht möglich ist. Aber wir dürfen da keine allzu abstrakte Debatte führen. So etwas wie an Silvester kann nicht akzeptiert werden. Es gibt keinen Grund, warum jemand, der so etwas macht, hoffen können soll, dass er bleibt.

"Die Zeit": Da liegen Sie ja auf CSU-Kurs, Herr Scholz! Die Bayern fordern auch die zwingende Ausweisung bei Sexualdelikten.


Olaf Scholz: Ich habe mit dieser Forderung kein Problem.

"Die Zeit": Aber wenn zum Beispiel Syrer oder Eritreer unter den Tätern wären, könnten Sie doch gar nichts machen. Außerdem werden die Täter aus der Silvesternacht schwer zu überführen sein, weil es keine Spuren gibt und kaum Zeugen. Sind Abschiebungen da überhaupt das richtige Mittel?


Olaf Scholz: Wenn uns Gerichte verbieten, wegen der Bedingungen im Herkunftsland abzuschieben, wird natürlich in jedem Falle die Strafhaft hier vollzogen. Im Übrigen sind Abschiebungen durchaus nötig. Sie haben auch eine generalpräventive Wirkung. Es ist hilfreich wenn jeder weiß, dass wir die Ausreiseverpflichtung so oder so durchsetzen.

"Die Zeit": Müssen dann nicht auch die Kapazitäten der Polizei angepasst werden? Allein für einen Flug mit 250 Abgeschobenen an Bord braucht es 30 Beamte.


Olaf Scholz: Die Bundespolizei wird aufgestockt. Für Hamburg kann ich sagen: Ich bin froh, dass wir zu den wenigen Bundesländern gehören, die im Vollzugsbereich der Polizei keine einzige Stelle abgebaut und kein Kommissariat geschlossen haben. Und wir haben die Zahl der Polizeianwärter erhöht, so dass in den nächsten Jahren die Zahl der Hamburger Polizisten zunehmen wird.

"Die Zeit": Am Flughafen soll dieses Jahr ein Abschiebegewahrsam eingerichtet werden für Ausländer, die abgeschoben werden. Dort sollen, wie in einer Art Gefängnis, abgelehnte Asylbewerber bis zu ihrer Ausreise untergebracht werden allerdings maximal für vier Tage. Was erhoffen Sie sich von dieser Einrichtung?


Olaf Scholz: Dass wir diejenigen, bei denen es ohne so einen Gewahrsam kurz vor der Abschiebung nicht funktioniert, wirksam abschieben können. Vermutlich wird sich die Zahl derjenigen, die freiwillig gehen, auch nochmal erhöhen, wenn  es mit der Abschiebung besser klappt.

"Die Zeit": In Hamburg Leben gut 7000 ausreisepflichtige Ausländer. So gut scheint es ja noch nicht zu klappen.


Olaf Scholz: Wir haben durch die Personalverstärkung in der Ausländerbehörde, die wir in Hamburg längst auf den Weg gebracht haben, eine erhebliche Beschleunigung erreicht. Dass wir im November ungefähr 500 Rückführungen hatten, zeigt, dass unsere Anstrengungen Wirkung zeigen.

"Die Zeit": Haben Sie eine Zielvorstellung, wie viele Menschen Hamburg in den nächsten Jahren abschieben wird?


Olaf Scholz: Nein. Es wäre Spökenkiekerei zu schätzen, wie viele aus der großen Zahl der Asylantragsteller anerkannt werden und wie viele nicht. Was wir wissen: Die Zahl derjenigen, die anerkannt werden, wird viel höher sein als bei früheren Fluchtbewegungen. Da hatten wir Anerkennungsquoten zwischen 20 und 30 Prozent jetzt  könnten wir vielleicht bei 70 oder 80 Prozent landen. Diejenigen, die keinen Erfolg haben, werden wieder ausreisen müssen. Das gilt zum Beispiel für fast alle aus sicheren Herkunftsländern.

"Die Zeit": Bislang ist es relativ leicht, die Abschiebung hinauszuzögern. Wie wollen Sie das ändern?


Olaf Scholz: Das ist leider richtig. Und das muss sich ändern. Es darf nicht so einfach funktionieren, dass mit der Berufung auf medizinische Gründe eine Ausweisung verhindert werden kann, oder durch das Fehlen von Reisedokumenten. Das sind alles Räder, die auf Bundesebene gedreht werden müssen. Dafür, dass dies geschieht, habe ich im letzten Jahr intensiv verhandelt. Mit Erfolg.

"Die Zeit": Wann ist jemand zu krank, um abgeschoben zu werden?


Olaf Scholz: Wir schieben niemanden in eine Situation ab, in der eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands eintreten würde. Oder in der jemand sterben würde, weil es keine medizinische Behandlung gibt. Aber es kann nicht darum gehen, ob man im Heimatland Zustände vorfindet wie hier, in einem Land, das vielleicht eines der besten Gesundheitssysteme der Welt hat. Insofern muss der Maßstab sein, dass wir niemanden gefährden. Aber weite Wege zum Krankenhaus können zum Beispiel kein Hindernis sein.

"Die Zeit": Bei Migranten, die wegen fehlender Reisedokumente nicht abgeschoben werden können, mussten die Mitarbeiter der Hamburger Ausländerbehörde bislang selbst mit dem Heimatland verhandeln. Künftig übernimmt das eine neue Bundesbehörde in Potsdam. Trägt das zum besseren Ablauf bei?


Olaf Scholz: Ich bin froh darüber, dass wir den Bund überzeugen konnten, viel mehr Verantwortung für die Beschaffung von  Reisedokumenten und Ausweisen zu übernehmen. Jetzt entsteht in Potsdam eine schlagkräftige Bundesbehörde. Bisher machen das über 400 Ausländerbehörden in Deutschland, die dann mit Marokko, Ägypten und anderen Ländern verhandeln müssen.

"Die Zeit": Eine vollständige Überforderung.


Olaf Scholz: So ist es. Und ein aussichtsloses Unterfangen. Selbst die größten Bundesländer sind nicht in der Lage, solche Fragen mit dem Ausland erfolgreich zu verhandeln. Deshalb war es schon lange mein Wunsch, dass der Bund dafür sorgt, dass die Herkunftsländer ihre Bürger wieder zurücknehmen. Ich verspreche mir davon einen großen Fortschritt: So bekommen wir eines der wichtigsten Abschiebe-Hindernisse, fehlende Papiere, beseitigt.

"Die Zeit": Sind schnelle Abschiebungen auch für die Glaubwürdigkeit der Politik wichtig, um sich handlungsfähig zu zeigen?


Olaf Scholz: Unbedingt. Fast jeder versteht, dass niemand mit dieser großen Zahl von Flüchtlingen rechnen konnte. Und in Hamburg ist die Belastung besonders groß, weil wir gleichzeitig Bundesland und Kommune sind. Gemessen daran ist es gelungen, die Kontrolle über die Lage zu gewinnen und diese Herausforderung anzunehmen. Klar ist: Das geht nur, wenn wir ständig sicherstellen, dass nur diejenigen bleiben, die sich zu Recht auf unseren Schutz berufen.

 

Das Interview führten Sebastian Kempkens und Marc Widmann.